Die Souveränitätsfrage

Vor dem Erlacherhof

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Privilegiert und souverän zugleich
Die Eigenossenschaft verhielt sich im 30jährigen Krieg (1618-1648) neutral. Tod im Gefecht, durch Hungersnot oder wegen der Pest gingen weitgehend an ihr vorbei. Gestärkt hat dies den eidgenössischen Gedanken. Mit dem Buss- und Bettag bildete sich eine überkonfessionelle Demut aus.
Der Westfälische Frieden regelte die Stellung der Eidgenossenschaft im europäischen Umfeld neu. Problematisch war vor allem die Position der Stadt Basel gewesen. Deshalb reiste ihr Bürgermeister Wettstein an die Friedenverhandlungen. Durchsetzen konnte er sich, weil das Schweden konsequent die Sache der Reformierten verteidigte und Frankreich ebenso beharrlich auf die Schwächung der kaiserlichen Hegemonie hinarbeitete.
Mit Zustimmung des Kaisers vollzog man 1648 die “Exemption” des ganzen “Corpus Helveticum”. Corpus Helveticum war die Umschriebung für die Eidgenossenschaft und könnte mit “Staatenbund der Helvetier” übersetzt werden. Exemption wiederum bedeutete, definitiv und vollständig von der Rechtssprechung des Kaisers ausgenommen worden zu sein.
Unsere Nachbarn waren jetzt das Kaiserreich, die Republik Venedig, das Herzogtum Mailand, das Königreich Sardinien und natürlich, das Königreich Frankreich.
Die Franzosen interpretierten das als Akt der Souveränität. Jean Bodin, ein politischer Philosoph, hatte mit einem bahnbrechenden Buch 1577 das Staatsverständnis dafür entwickelt. Dieses stellte den französischen König auf die gleiche Stufe wie den Kaiser. Gemeint war, dass man unabhängig voneinander sei, einzig durch völkerrechtliche Verträge gebunden.
Doch was bei einem absolutistischen König einfach war (“L’Etat, c’est moi”), blieb in der Eidgenossenschaft problematisch: Denn es war unklar, wer der Souverän war? der Staatenbund als Ganzes, wie es das Ausland sah, oder die Orte einzeln, was man bei uns meinte?
Lange Zeit interpretierten die Schweizer Historiker “1648” als demonstrativen Austritt aus dem Kaiserreich. Die heutigen Geschichtsforscher sind zurückhaltender. Keine Schlacht sei 1648 geschlagen worden, kein Fest der Freude habe man begangen, und kein Ruck sei durchs Land geeilt. Denn die Souveränität der Eidgenossenschaft war eine diplomatische, vor allem mit rechtlichen Konsequenzen fern ab vom Alltag.

Die Konflikte
Bereits 1653 brachen Bauernaufstände aus. Hatte die Eidgenossenschaft vom 30jährigen Krieg wirtschaftlich profitiert, sanken nach dem Krieg die Einkommen. Den Rebellen unter den Bauern erging es übel; ihre Anführer wurden mit dem Tod bestraft.
Nur drei Jahre später traten die konfessionellen Spannungen aus dem 16. Jahrhundert erneut hervor. Nun ging es um die katholisch gebliebenen gemeinen Herrschaften im heutigen Aargau, welche die reformierten Orte Bern und Zürich räumlich trennten. Noch einmal setzten sich die Katholiken militärisch durch.
1663 kam Frankreich auf die Souveränitätsfrage zurück. In Versailles empfing Louis XIV. die Vertreter der Eidgenossenschaft. Anders als die Gäste, die zur Begrüssung ihren Hut zogen, verzichtete der Sonnenkönig auf dieser Geste. Bis heute gilt das nachfolgende Abkommen als Schande der noch jungen Aussenpolitik. Letztlich zeugt es vom Charakter der Souveränität – einer von Frankreich beförderten Unabhängigkeit, die aber stets in ihrem Schatten blieb.

Die Entwicklung zur erfolgreichen Stadtökonomie

Fühlten sich beispielsweise die Berner Patrizier bis 1648 als Teil des Reichsadels, orientierten sie sich neu an sich selber. In Bern gründeten sie hierzu die Burgergemeinde als geschlossene Gesellschaft. Nur wer hier Mitglied war, durfte Politik betreiben. Und Burger wurde nur, wer einen langen Stammbaum und einen ebenso langen, guten Leumund hatte. Ohne dass blieb man ein Hintersasse oder ein ewiger Einwohner. Derweil begannen sich die regimentsfähigen Familien in “veste” (Tapfere), “edelveste” (sehr Tapfere) und “wohledelveste” (ganz sehr Tapfere) zu distinguieren. Nach aussen gesichert war man durch die Schanzen, die grosse Stadtmauer im Westen, die man im 30jährigen Krieg gegen die Katholiken gebaut hatte, die man aber nur im Bauernkrieg gegen die Untertanen brauchte.
Der Herrschaftsstil der hiesigen Aristokraten unterschied sich von dem im Ausland. Er war nicht absolutistisch wie in Frankreich. Er war paternalistisch; gütig, solange die Untertanen gehorchen, brutal, wenn sie aufmuckten.
Oekonomisch blühte Bern im 18. Jahrhundert aus mehreren Gründen auf. Man hatte auf einen stehendes Heer verzichtet, verkaufte jedoch die wehrfähigen Söhne der Bauern an die Königshäuser Europas. Man investierte die Gewinne an den Börsen in Amsterdam und London oder in die Kolonien in der neuen Welt. Da entstand mit New Berne eine Schwesterstadt in North Carolina. Vor allem aber verzichtete das reformierte Bern auf dem teuren Pomp der Monarchen zu Repräsentationszwecken, wie man ihn aus dem Ausland kannte. Die Stadt kam dank schlanker Verwaltung sogar ohne Steuern auf Vermögen aus.
Bern im 17. und 18. Jahrhundert war ein Stadtstaat und eine Stadtökonomie, basierend auf einer konfessionell geschlossenen sozialen Gruppe, die dank Untertanen erfolg-reich war.
Heute sind sich HistorikerInnen und PolitologInnen einig: Das war eine Oligarchie, die sich abgrenzte, um die erworbenen Vorteile zu behalten. Der Preis war, dass man den Kontakt zu den Entwicklungen im Ausland verlor. Das galt mindestens für die Aufklärung.

Das prägende Bild der Altstadt
Vom Ancien Regime profitiert hat bis heute die Stadtarchitektur. Zwischen 1720 und 1790 entstanden viele Gebäude der selbstbewussten Patrizier. Was wir heute Altstadt von Bern nennen, spiegelt den Grundriss der Zähringer aus dem 12. Jahrhundert, aber die praktisch unveränderten Bauten des 18. Jahrhunderts. “Glas vergheit, Bern beschteit” (“Glas zerbricht, Bern besteht”), sagen die traditionsbewussten Bernern dazu.
Bestes Beispiel dafür ist der Erlacherhof. Erbaut wurde er von einer der führenden Patrizierfamilien, den von Erlachs. In der Helvetischen Republik diente er als Sitz der französischen Generäle. 1848 beherbergte er den frisch gegründeten Bundesrat. Und heute regierte der Berner Stadtpräsident von hier aus.
Das ist seit 2017 mit Alec erstmals ein Grüner, aber immer noch ein Burger und erneut ein von Graffenried.

Stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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