Jugendstil und Jugendstile

Teil 4 meiner Berner Stadtwanderung zu „Jugend&Politik“.

Wir haben Söldner, eine Saloniere und Burschenschaften kennen gelernt. Sie standen exemplarisch für junge Menschen aus der Bauernschaft, der Aristokratie und dem werdenden Bürgertum. Doch erst jetzt geht es um die Jugend!

«Teenager» kommt im 19. Jahrhundert auf. Gemeint sind damit die 13-19jährigen. Im Deutschen setzt sich dafür „Jugend» durch. 1985 regelte das UNO-Jahr der Jugend, dass weltweit 14- bis 25jährige dazu gehören.
Mit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kann man auch von einem «teen age», einem Zeitalter der Jugend als gesellschaftliches Phänomen, sprechen.

Parallel dazu entsteht der „Jugendstil“ in der Architekturgeschichte. Das bezeichnet den Baustil zwischen dem Historismus – in Bern dem Bundeshaus – und der Moderne – hier das dem SUVA-Gebäude – an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Der Jugendstil wandte sich gegen die Massenproduktion aus Grossbritannien. Populär wurde er in den Hauptstädten der kontinentaleuropäischen Monarchien. Da wehrte man sich gegen die Vermassung, betonte das Individuelle.
Am besten erkennt man den Jugendstil an der häufig verwendeten grünen Farbe, an den Blumenmotiven, an den runden Formen, an den verzierten Decken und an den Erkern an den Außenwänden. Selbstredend gibt es auch eine Schriftart, die unverkennbar zum Jugendstil passt.

In Bern findet man den Jugendstil weniger häufig als in Berlin, Wien, Budapest oder Prag. Wir waren damals schon eine Republik, keine Monarchie.
Wir müssten schon in die Länggasse gehen, um wirkliche Jugendstilbauten zu finden. Oder wir machen bei der grossen Ausnahme in der sonst so normierten Altstadt, dem Hotel «Belle Epoque», Halt.
Von der Strasse aus würde man das fast nicht erkennen. Unter den Lauben wird schon vieles klarer. Im Innern würde man sofort sagen: Jugendstil!

Typisch sind junge Frauen, nicht selten, wie sie die Natur geschaffen hat, anmutend, rein, begehrenswert. Geprägt wurde so das positive Bild von „Jugend als Zukunft“. Das passte zum Aufbruch der „Belle Epoque“ – der Zeit nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges von 1871 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
Nur wurde die «Schöne Epoche» der Oberschicht in der Unterschicht ganz anders gelesen. Denn die Mädchen aus den Arbeiterfamilien fand man häufig in den neuen Industriefabriken: ausgenutzt, schmutzig, übermüdet.
Erst das Fabrikgesetz von 1877 brachte das Verbot der Kinderarbeit für unter 14jährige. Wer älter war, wurde nicht geschont. Geprägt wurde so das Bild der „verwahrlosten Jugend“.

Jugendpolitik bekommt nun einen doppelten Sinn: Zuerst ist es die Politik für Jugendliche, erst dann der Jugendlichen selber. Ersteres ist bisweilen paternalistisch, gut gemeint, aber durch die Erwachsenen bestimmt. Zweiteres ist selbstbestimmt, schwankt aber zwischen konventionell und unkonventionell.

Den Anfang machten um die Jahrhundertwende meist karitative oder para-militärische Jugendverbände. Das waren Zusammenschlüsse Unverheirateter, die erste gesellschaftliche Aufgaben übernehmen. Die Pfadfinder sind das beste Beispiel dafür. Man war noch ganz konventionell. Dafür sorgte auch die neu gegründete Pro Juventute.
In der Zwischenkriegszeit kamen Jungparteien dazu. Sie umfassten die jüngeren Mitglieder einer politischen Partei: Zwar teilten sie die Ziele der Mutterpartei, wollten und wollen aber eine grössere Unabhängigkeit von ihr. Die sozialdemokratische Jugendorganisation der Schweiz machte den Anfang. Es folgten die Jungbauern, Jungliberale und Jungkonservative. Da begann das Eigenleben als Jugendliche. Das hält, mit Unterbrüchen zwar, bis heute an.
Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten sich mit den Jugendbewegungen eine dritte Form des gesellschaftlichen Jungseins. Ihr Hauptziel war und ist die Schaffung von Jugendhäusern. Das erste davon geht auch die Landesausstellung von 1939 zurück, und es hatte stark patriotische Absichten. Das löste sich nach dem Krieg, doch die Forderung nach Jugendhäusern oder Jugendzentren verbreitete sich übers ganze Land.

Mit den Jugendbewegungen kommen jugendliche Subkulturen auf. Der Begriff der „Jugendstile“ macht nun definitiv Sinn. Mit Mode, Musik und Medien grenzen sich Jugendliche jetzt von den Erwachsenen ab.
Jugendbewegungen sind seit den 1960er Jahren auch politisch. Jugendunruhen, ja Jugendkrawalle prägten lange die Szenen. Gegenentwürfe zur herrschenden Gesellschaft entstanden. Zurecht sprach man nicht mehr von jugendlicher Sub-, sondern von jugendlichen Gegenkulturen.

Mit jedem neuen Aufstand der Jugend entstand auch eine neue Jugendgeneration. Damit meint man nun nicht mehr den Unterschiede von Eltern und Kindern in einer Familie. Vielmehr geht es um die Abfolge von politisierten Jugendbewegungen, die sich untereinander unterscheiden. Jetzt gibt es eine Geschichte der Jugend(Bewegungen). Kriegs-, Konsum- und Krisenkinder ist eine typische hierzu.
Sie entstanden und entstehen jeweils durch ein gemeinsames Lebensgefühl, ausgelöst durch ein Kristallisationserlebnis, das grosse Teile Gleich- oder Aehnlichaltriger prägt.
«Woodstock» war ein gutes Beispiel dafür. «Klimajugend» gehört in die gleiche Kategorie.
Jetzt unterscheidet man die 68er Generation, die 80er, die 91er und neuerdings die 2019er.

Mehr davon im zweiten Teil meiner Stadtwanderung!

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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