linke heimat

wenn linke über heimat reden, kommt selten stimmung auf. zu traditionell, ist der verdacht; zu bürgerlich, die vermutung! doch wenn das postauto 100jährig wird, dann schlägt ihre stunde. fast schon patriotisch werden sie dann, selbst wenn die realität kompliziert ist.

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auch ich bin befangen, wenn es ums postauto geht. zuerst bin ich natürlich mächtig stolz, täglich auf der ältestens postautostrecke der schweiz zu meinen stadtwanderungen zu fahren. am 1. juni 1906 ging die post erstmals ab, von bern nach detligen. heute, 100 jahre später, fahre ich von hinterkappelen nach bern und retour: rund um den kappelenring, über die berühmte kappelenbrücke, den eymattstutz hoch, dort wo früher die formel 1-wagen die bremgartenring-rennstrecke runter donnerten. dann heisst es abbiegen nach links, vorbei bei der zentralwäscherei des kantons, güterbahnhof der sbb, dem friedhof der stadt, rasch am inselspital vorbei bis zum city west. dort ist normalerweise ende meiner reise, während das poschi, wie man es hier liebevoll nennt, bis an seinen bestimmungsort, den berühmten postautohof über dem eisenbahnhof bern fährt.


foto: stadt- und landfahrer (anclickbar)

ich bin auch ein wenig glücklich, dass “meine” strecke auch eine der rentabelsten strecken der postautobetriebe ist, die es gibt. und vor allem bin ich normalerweise sicher, pünktlich, sicher und ausgeruht im zentrum, überblicke, von meinem leicht erhöhten sitz nicht nur die landschaft, sondern auch den privatverkehr. die nerven deren lenker liegen manchmal schon morgen blank, wärend ich schweigen konnte, wenn ich müde bin, quasel kann, wenn ich gesellig bin, oder auch nur einfach etwas mithören kann, wenn mich das quartierleben interessiert. ja, das poschi ist, gerade an einem ort, wo es keine guten beizen mehr hat, ein art mobile stammtisch.


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schliesslich weiss ich, wie kommunikativ postautos sind. als ich in den 90er jahren in albanien demokratie-aufbauarbeit leistete, war ich mir meiner begrenzten möglichkeiten bewusst. die schweiz, das ist für albanerInnen das land des friedens, des glücks und des reichtums. aber es ist weit weg. demokratie ist für albanien nötig, denn man will in die eu. ob man sie auch verstehen will, konnte ich nie richtig beurteilen. einmal aber, auf einer bergtour mit unseren politikerInnen aller couleur, kam ein postauto um die ecke kam, das gelb-rot-silbrig war: ein schweizer postauto!, das die schweiz albanien geschenkt hatte. da konnte ich punkten, mit einfachen worten: das sei ein teil der schweiz, der direkten demokratie, der kultur des mit- statt des gegegeneinander.


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mit seiner perfektion im design spricht das postauto sogar mich an. sonst bin ich kein ganz grosser autonarr. aber ich sehe unbewusst hin, wenn ich ein postauto erkenne, – je älter desto klarer. und ich höre den dreiklang in den ohren, selbst wenn alles still bleibt. auch das dach wird in meinen gedanken zurückgerollt und ferienstimmung entsteht, wenn ich mir nur schon ein postauto vorstelle. ich kenne selbst die alten steuerräder, mächtig, noch ohne servolenkung, an denen der postautochauffeur, ebenso mächtig, hantiert. und ich erinnere mich an die schlichten geräte neben ihm: ein fahrtenschreiber, der nach 500 m alles vergisst, was er aufgezeichnet hat, und ein oder zwei knebel, mit denen man die gänge ein- und ausschaltet, wenns auf die grosse kurve losgeht. gross und elegant, anspruchsvoll und einfach, formschön und schwer, so sind sie die postautos.

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diese faszination postauto war es wohl auch, welche bei der jahrhundertfeier in aarberg die ganze linke prominenz anzog. alle waren sie da: verkehrsminister moritz leuenberger, der postchef ulrich gygi, und der sbb-chef benedikt weibel. einer gelb lock entstiegen sie, und standen davor, so, dass einem unvermittelt die drei eidgenossen in den sinn kamen. aber es waren nicht die drei traditionalisten aus dem konservativ-ruralen lager. vielmehr waren es die drei modernisten des öffentlichverkehrs, alle samt von der progrssiv-urbanen fraktion des roten lagers. gelegentlich blasen sie diesem postauto den marsch, doch jetzt hielten inne, und lauschten alle dem eigens für den anlass komponierten postauto-marsch!


foto: stadt- und landfahrer (anclikcbar)

moritz leuenberger war in seiner rede launisch, geist- und einfallsreich, bisweilen fast schon poetisch. er zeichnete gewandt die 10jährige geschichte von der postkutsche zum postauto nach. er erinnerte, dass heute noch fast alle das lied kennen würden “hoch auf dem gelben wagen …”, aber kaum jemand die nationalhymne auch nur annähernd fehlerfrei summen können. er machte sich lustig über frührere bundespräsidenten, die postautos missverstehen würden, wenn sie sie mit einem pudelnassen hunde verglichen hätten, um zu beschreiben, wie ein solches gefährt vor 100 jahren startete.


foto: stadt- und landwanderer (anclickbar)

doch dann wurde leuenberger auch konkret. er fragte rhetorisch nach, ob es das postauto in der privatisierten, individualisierten verkehrswelt noch brauche? die antwort gab es in einer art politischer liebeserklärung gleich selber: “ja, es braucht dich, sagen alle die schüler und schülerinnen, die einen weiten schulweg zurücklegen müssen. ja, es braucht dich, sagen alte und gebrechliche menschen, die kein privates verkehrsmittel benützen können. ja, sagen alle, die aufs auto verzichten wollen.” die notwendigkeit der grundversorgung begründete leuenberger schliesslich religiös, stehe doch im neuen testament: „wer unter euch der erste sein will, sei der diener aller.” das habe man beim den postautoebtrieben verstanden, aber ins französische übersetzt: “service public”, eben!


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doch leuenberger blieb nicht in anspielungen stecken. etwas nachdenklich und belehrend zugleich erinnert er, dass auch die postautobetriebe wachsen mussten, dass die betriebe wie saurer nicht überlebten, weil serien- nicht mehr einzelproduktionen die erhöhten anforderungen decken mussten. so verschwand selbst die berna, und es kam der volvo. die zukunft der postauto, so der verkehrsminister sei bunt, vielseitig und weitreichend. taxifahren, japanerreisen bedienen würde genau so dazu gehören wie frankreichfahrten. und: was dabei auch immer die farbe sei, dass innere bleibe gelb. und dann kam es: das postauto sei ein fahrendes stück heimat. jeden tag vollbepackt mit erinnerungen. die bleiben lebendig, auch ohne denkmal.

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die rede war stimmig, stimmiger auf jeden fall als die information hierzu. die gab es nämlich fast nicht: volksautobetriebe müssen auch volksinformationsabteilungen haben. die erlauchte gesellschaft fand sich in detligen ein, mit spezialeinladungen, während die aarberger ihr volksfest vorbereiteten. und die herbeiströmenden gäste mussten sich schon mal nach dem programm durchsuchen, auf internet, im mobilissimo, auf auf dem festplatz: ja, ein plakat habe ich gefunden, auf dem stand, was wann wo sei.

foto: stadt- und landfahrer (anclickbar)
foto: stadt- und landfahrer (anclickbar)

peter hinni, unser held des tages, hat den faux-pas wundervoll aufgefangen. in einem alten schnautzer konnte wird exklusiv zurückreisen, von aarberg über detligen nach hinterkappelen. er kommt von schwarzenburg. früher war er bei der ptt, jetzt ist er, 60jährig, selbständig geworden. geblieben ist jedoch seine berufung: postautochauffeur. das ist er mit leib und seele, bis heute. ein wahrer gentleman unter fahrzeuglenkern. und sein wagen, der rollt, unvermittelt, linke heimatfeiern hin oder her!

stadt- und landfahrer

ps:
da der “stadtwanderer” kein akkreditiertes medium ist, wurde sein reporter nicht in den inneren kreis der geladenen gäste zugelassen.


foto: anonym (anclickbar)

dennoch gelang es ihm (als einzigem), die strengen broncos am eingang zu überlisten, und beim höhepunkt hautnah und inkognito dabei zu sein.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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