eiertanz der historiker

um dieses bild aus der berner geschichte machen die allermeisten historiker einen weiten bogen. diebold schilling hat es in seiner chronik veröffentlicht, und auch kommentare dazu geschrieben. doch seither schweigt man über den grössten skandal im mittelalterlichen bern: es duellieren sich zwei menschen, ein mann und eine frau, und der sage nach hat die frau den mann besiegt. was nur ist geschehen?


quelle: diebold schilling, spiezer chronik (um 1480)

der chronist schilling nimmt eine alte geschichte zum anlass für dieses bild. um 1288 soll es in der stadt zahlreiche veränderungen gegeben haben. es belagerte der deutsche könig rudolf I. bern, da man sich, eingebunden in eine burgundische opposition, weigerte, steuern zu bezahlen. rudolf erschien im sommer zweimal vor bern, belagerte die stadt vom heutigen krichenfeld aus, setzte über die aare in die matte, die damals noch nicht zur stadt gehörte, und versuchte, die holzstadt von westen her in brand zu stecken. das alles misslang vorerst gründlich, und könig rudolf musste erfolglos von dannen ziehen. ein jahr später kam jedoch sein sohn rudolf, der sich herzog von schwaben nannte, erneut nach bern, lockte die übermütigen städter auf der schosshalde in eine falle und besiegte die trutzige stadt im handstreich ausserhalb der mauern. bern musste nun die steuerschulden begleichen, blieb aber reichsstadt.

in bern kam es zu tumulten, wohl auch zu totschlägen gegen eigene leute. um die kriegsschulden bezahlen zu können, borgte man sich geld bei den ansässigen juden; diese bezichtigte man jedoch schon bald darauf, einen rituellen knabenmord begangen zu haben, und man verwies die juden der stadt. die schuldscheine, die man bei ihnen hatte, wurde vernichtet, und so waren die steuern indirekt bezahlt worden. erst 1293, nach fünf turbulenten jahren, gab der neue deutsche könig, adolph, der stadt eine neue verfassung, die es ihr erlaubte, aus den aufständen heraus zu kommen, und im namen des deutschen königs eine eigene bündnis- und territorialpolitik zu entwickeln.

was nun aber wird mit dem bild dargestellt? zunächst eine schöne starke frau, die einen schwachen ritter besiegt. doch was war damit gemeint? was ist der anlass? was ist das aussergewöhnliche? was waren die folgen? über all das weiss man wenig!

sicher hat der chronist schilling die personen aus seiner zeit, dem ende des 15. jahrhunderts, dargestellt. nur schon die frauenkleidung verweist darauf. 1288 wäre es undenkbar gewesen, dass frauen in bern eng anliegende und auszeichnende kleider getragen hätten. das kam erst mit dem frivolen 15. jahrhundert auf. und war selbst 1470 noch ein skandal. die burgunderin, jeanne de la sarraz, die frau des schultheissen adrian von bubenberg kleidete sich so, und sie wurde vor ein sittengericht zitiert. unbotmässig ihr freches verhalten?

der anlass für den zweikampf, der nach damaligem selbstverständnis immer auch ein gottesurteil brachte, muss aussergewöhnlich gewesen sein, dass ein chronist rund 300 jahre später die begebenheit in der matte erneut erzählt. vor allem aber, dass sich eine frau gegen einen mann durchgesetzt hat, scheint sich tief in die berner seele eingeprägt zu haben.

waren die frauen stärker als die männer, oder mutiger als die männer, oder vernünftiger als die männer? all das weiss man nicht. eiertanzen, das lernen die meisten historiker, wenn sie vor solchen bildern stehen!

also frage ich: was nur ist geschehen, 1288 in bern?

ich weiss es auch nicht! ich hoffe aber, dass sie, geneigte leserin, geneigter leser, sich in der sommerlichen hitze einmal zeit nehmen, und ihren kommentar zum speziellsten bild aus berns geschichte schreiben! werde aus der ferienferne beobachten, was für inspirationen das bild hergibt. und welchen beitrag wir leisten können, dass die historikerInnen bern zu einem erkenntnisfortschritt kommen!

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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