9. Station: Kantone als Lobbyisten

Wir stehen von dem «Haus der Kantone». Hier treffen der horizontale und der vertikale Föderalismus zusammen. Da koordinieren sich die Kantone und sie lobbyieren beim Bund.

Viele Souveräne
Seit 1803 hat jeder Kanton eine eigene Verfassung. In den 1830er Jahren kamen Parlament, Regierung und Gericht hinzu. Das alles ist älter als auf der Bundesbene. Es stärkte das anhaltende Bewusstsein der Kantone, Souveräne zu sein.
Bei Verfassungsänderungen auf Bundesebene braucht es nicht nur das Volksmehr. Es ist auch eine Mehrheit der Stände nötig.
Und im Komplex des Bundesstaates ist unser «Oberhaus». der Ständerat, absolut gleichwertig wie das «Unterhaus», der Nationalrat. Das ist weltweit einmalig, wie Politologe Arend Lijphard uns alle lehrte.
Stärken und Schwächen des Föderalismus
Schon Napoleon Bonaparte erkannte das Wesen der Schweiz. Als er 1803 mit der Mediationsverfassung die Kantone schuf, sagte er: «La nature a fait votre Etat fédératif, vouloir la vaincre n’est pas d’un homme sage.»
In der Tat : Die Vielfalt der Regionen und Identitäten, welche die Schweiz ausmachen, finden dank dem Föderalismus Eingang in die Nation. Die Kantone sind auch ein Laboratorium für Experimente.
Doch sind da auch Nachteile. Fast unlösbar sind die Schwierigkeiten, wenn Sprachregionen, verstärkt durch ihre Kantone, unterschiedliche Wege gehen wollen. Dann ist vom «Röstigraben» die Rede – der bis heute problematischsten aller Konfliktlinie im Bundesstaat.

Konferenzen der Kantone
Ein Versuch der Abhilfe ist die Konferenz der Kantonsregierungen. Sie ist ein Kind der Krise nach der EWR-Abstimmung. Mit der KdK wollten sich die Kantonsregierungen vermehrt Gehör verschaffen. Dass ihr Haus heute in Bern steht, macht klar, an wen man sich wendet: den Bund! Ursprünglich war man nämlich in Solothurn, um sich dem Einfluss der Bundesverwaltung zu entziehen.
Doch das ist lange her! Seit 2008 ist man hier, weil man koordiniert auf die Exekutive Einfluss nehmen will.
Lobbyieren wollen heute nicht nur die kantonalen RegierungspräsidentInnen. Es tun dies auch die Konferenzen verschiedener Direktionen wie Justizdirektionen, der Gesundheitsdirektionen oder der Finanzdirektionen statt.
Vereinfacht wurde das föderalistische Geflecht damit nicht: «Kantone, Kantone, Kantone!», soll man in der Bundeskanzlei immer wieder hören. Doch wer repräsentiert sie? Ist es der Ständerat, dafür eigentlich vorgesehen? Die Kantonsparlamente, die stolzen Träger der kantonalen Souveränitäten? Oder eben die Regierungskonferenzen, die in Bundesbern lobbyieren?

Testfall Corona-Notrecht
Der Fraktionschef der SP im Bundeshaus, Roger Nordmann, selbst ein ausgebildeter Politologe aus Lausanne, brachte es während der Corona-Krise auf den Punkt. Wenn die Gesundheitsdirektoren sachliche Einigkeit anstreben, finden sie sich im kleinsten gemeinsamen Nenner. Geht es ihn dagegen um finanzielle Forderungen gegenüber dem Bund, strebe man es, das maximal erreichbare Niveau an.
Während des Notrechts beklagten die Kantone, die Unterschiede zwischen den Kantonen seien zu gross, um eine einheitliche Corona-Politik durchziehen zu können. Mit dem Ende des Notrechts bekamen sie ihre Kompetenzen zurück. Sie mussten aber auch für die Kosten aufkommen. Bis einige Kantone fanden, Notrecht sei besser, weil günstiger. Das wiederum wollte der Bundesrat nicht nicht mehr machen.
Politologe Silvano Moeckli schrieb damals träf: Wir kennen den horizontalen Föderalismus. Wir kennen auch den vertikalen Föderalismus. Doch jetzt haben wir den diagonalen Föderalismus. Jeder steht dem anderen im Weg!
Glücklicherweise arbeiten heute Bundesrat Alain Berset und Lukas Engelberger, der Präsident der Gesundheitsdirektor, eng zusammen. Der Bund macht in der Corona-Politik Vorgaben. Er berücksichtigt dabei Kantone mit Pioniercharakter ganz besonders. Und er übernimmt mehr und mehr die Kosten. Und selbst die Nationalbank hilft neuerdings, will sie doch 2021 6 statt 4 Milliarden Franken Gewinn an die finanziell angeschlagenen Kantone verteilen. Aber es gibt kein Notrecht!
Gut lobbyiert, könnte man sagen!

Lobbyist für Kantone und anderes mehr
Ein eigentlicher Wendepunkt im Geflecht von Bund und Kantonen war das Steuerpaket von 2004. Trotz Steuersenkungen wurde es in der Volksabstimmung verworfen.
Schon davor wurde Alfred Rey, Vizedirektor des Eidgenössischen Finanzdepartements. Er wurde als Vermittler zwischen den Interessen gerufen. Der Ökonom, der CVP nahestehend, warnte schon im Voraus. Die Kantone könnten bei der angestrebten Verlagerung von Kompetenzen weg vom Bund nicht mithalten. Sie müssten sich in die Opposition zum Steuerpaket begeben.
Rey sollte recht behalten: rebellierende Linke und oppositionelle Kantone sind in Steuerfragen zu viel, um eine Volksabstimmung gewinnen zu können.
Nach dem Volksentscheid schrieb die NZZ lobend über den König des Föderalismus, man solle bei einer Neuauflage mehr auf den gewieften Kantonslobbyisten im Bundessold hören. Doch nur sechs Jahre später berichtete die gleiche NZZ ganz anders über die gleiche Person. Am Falkenplatz in Zürich hatte man nämlich herausgefunden, dass der Chefbeamte nicht nur Lobbyist für die Kantone war, sondern auch für Private. Zu 80% wurde er vom Bund bezahlt, zu 20% arbeitete er für Vereinigungen von Behindertenwerken. Stets unter der gleichen Telefonnummer erreichbar. Das Doppelspiel wurde bald beendet-
Heute lebt Rey vereinsamt in Bern. Er ist auf Stöcke angewiesen und nutzt fleissig die Bänke, welche die Stadt für Behinderte bereit gestellt hat.
Transparency International hält den Fall “Rey” für ein krasses Einzelbeispiell. Die Ethik der BeamtInnen im Bern sei im internationalen Vergleich hoch. Die Vorschriften für ihr Verhalten würden zudem im internationalen Vergleich Bestand halten.

Und weiter …
Wir sind etwas beschwichtigt! Und wir schauen als Nächstes auf Parteien als LobbyistInnen.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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