ode ans kopfsteinpflaster (3)

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zur politologie der pflastersteine


nahtlos kann man so die politologen begrüssen, die dem staunenden publikum mediengerecht das zeitgenössische wesen der pflastersteine erläutern könnten. anders als die historiker, die sich mit tönen vergangenen zeiten erklingen lassen müssen, können die politologen authentische bilder kommentieren. doch auch sie müssen mut zur fantasie haben, zum beispiel die politische symbolik der pflastersteine erkennen können. denn in tat und wahrheit stehen sie wie kein anderes symbol stellvertretend für politische kultur in allen städten.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

mit der ersten antwort müssten die medienpolitologen sinnlich erfahrbare bezüge zu den zuschauern des 21. jahrhunderts schaffen. Es gilt, aus stummsteinen stimmsteine zu machen. denn die pflastersteine bevölkern wie die bürger die städte. wie diese versammeln sie sich auf plätzen, um sich kund zu tun. dabei darf keiner den anderen überragen, um alleine zu dominieren; es wird auch keine elite geduldet, die sich zusammenschliesst, um besser sehen zu können. dafür werden schon mal gehsteige eingeebnet, womit sie ihren wortsinn verlieren. dafür wird, wie in jeder demokratischen gesellschaft, basale solidarität geübt: jeder stein stützt den nachbarn soweit, dass er aufrecht steht, aber stets das gesicht wahren kann. denn jeder mndige pflasterstein soll stets und überall das öffentliche leben mitverfolgen und seine meinung zum ausdruck bringen dürften. nur so ertragen sie die alte bürokratische herrschaft, vor der demokratie zu so vielen aufständen anlass gegeben hat und dennoch unverzichtbar ist: was wäre eine gesellschaft aus pflastersteinen ohne separierte fussgängerstreifen, ohne strassenspuren für taxis und busse, ohne parkplätze für autos und velos, ohne stoppsignal und ohne pfeil, der mal nach rechts oder links weist. und was wäre eine stadt, deren stadtwappen nicht irgendwo im pflasterstein verewigt wurde.


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wenn man so den bezug von pflastersteinen und bürgerschaft geschafft hat, könnte man getrost zur zweiten frage übergehen, und sich mit der strukturanalyse der pflastersteine beschäftigen. jetzt ginge es zentral um ihre maserung. man würde den mainstream herausarbeiten, den immer wiederkehrenden halbrund auf pflastersteinstrassen erwähnen, und ihn ihm die stetige erinnerung an die französische revolution sehen, die nation jeden tag auferstehen lassen, das parlament erwähnen, das sich in genau so einem halbrund versammelt, um links und rechts in der politischen landschaft unterscheiden zu können. Man müsste aber auch gleich den sonnenstand mitdenken, das licht und den schatten im tagesablauf über eben diesen halbrund wandern sehen, um regierung und opposition, mehrheit und minderheit erläutern zu können. denn das wesen der demokratie ist es, dass niemand mehr die macht auf sicher hat. die vergänglichkeit des tages würde sich in der reversibilität der herrschaft spiegeln, denn gerade diese reversibiliät reversibler verhältnisse ist es, die den glauben an das politische system, an die demokratie, sichert.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

in einem exkurs über spezielle politische systeme würde man dann auf eigenheiten verweisen, die allem amerikanischen denken zum trotz auch in kopsteinpflasterstrassen verblieben sind: gelegentlich kommt jede strasse an ihr ende, genauso wie die politik gegelegentlich eine wende nimmt. das stellte die strassenbauer im kopfsteinzeitalter oft vor probleme. der halbrund will hier so selten passen, sodass man sich für neue formen entschied. und tatsächlich auf den pflastersteinstrassen der kreis zurück! da ist sie also wieder, die landsgemeinde, die weder ein links noch ein rechts kennt, dafür aber fein säuberlich die inneren von den äusseren Ringen voneinander trennt. nur wer nahe des zentrums ist, wird nicht übersehen, kann druck ausüben, um effektiv mitreden zu können. die andern müssen sich anstrengen, dass ihre nachnachfahren auch ins zentrum vorrücken, um wenigstens dann mitreden zu können.


foto: stadtwanderer (anclickbar)

die dritte antwort der politologen wäre nun der krise der demokratie gewidmet: von den verschiedenen ursprüngen und formen der demokratie und der diktatur muss gesprochen werden! man müsste vom führerstaat reden, vom tief sitzenden wunsch, nach dem tohuwabohu der demokratie wieder klare verhältnisse zu bekommen. das versammelt sich nicht mehr anarchisch; vielmehr wird es vom führer angezogen, zu kolonnen, zu kohorten gebündelt und im reich zusammengehalten. Auch das findet sich im kopfsteinpflaster wieder: zahllos sind die plätze der herrschaft, ist der wunsch nach ordnung, auch wenn der führer gestürzt worden ist. schurgerade sind die pflastersteine bis heute vor räthäuser und kirchen, vor kasernen und firmen ausgerichtet. sie lassen bis heute die individualität der pflastersteine in sich verschwinden.

die vierte und vorläufig letzte antwort der politologie der pflasterstein wäre den gegenwärtigen trends gewidmet. sie sind weder optimistisch, wie die demokratie der amerikaner, noch pessimistisch, wie jene der europäer. Sie sind ubiquitär und postmodern zugleich! zwar hat das gute sich gegenüber dem bösen fast über all durchgesetzt; demokratie findet sich fast weltweit auf dem siegeszug. Doch ihr wird vorgeworfen, unvollendet geblieben zu sein; es brauche eine demokratisierung der demokratie verlangt: partizipation ist angesagt! selbstentfaltung wird verlangt! so wird stadtverschönerung zum programm. spezielle zonen des kopfsteinpflasters werden eingezont. gepflasterte plätze werden belebt; dafür muss der autoverkehr beruhigt, ja verdrängt werden! inseln der neuen politik sollen sich von der umgebung der alten politik unterscheiden. so werden altehrwürdige pflastersteine aus ihrer angestammten ordnung herausgenommen, denn mutter erde darf nicht länger hinter vater staat zurückstehen: bäume sollen sich entfalten können, kinder sollen sandhaufen bekommen, frauen sollen sich auf parkbänken ausruhen und pensionierte am schachbrett entfalten können. doch das hat auch seine kehrseite: die stadtgärtnerei muss regelmässig säubern kommen, und auch der fuchs liebt es, im sand zu geschäften. jugendgruppen wiederum geniessen die abwechslung, und filmen schon mal das ganze mit ihrer webcam; die clips kann man sich dann im webcorner unter www.mypflaster.net immer wieder ansehen.

stadtwanderer

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schluss mit pflastersteinen

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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