Berns Steine

Es ist ein schön gemachtes Doppel-Buch. Die kleinere Ausgabe ist ein Wanderführer mit zahllosen Stationen und Kurzbeschreibungen. Die grössere trägt den Untertitel «Basisband» und enthält eine Geschichte der Steine, mit denen die Stadt Bern gebaut wurde. Erschienen sind die beiden Bände 2018 im Hauptverlage. Aufmerksam wurde ich durch ein Weihnachtsgeschenk allerdings erst jetzt.

Die Gründungsstadt
In der Gründungsstadt von 1191 wurde noch viel mit Holz gebaut. Steingebäude waren selten. Dazu zählten die Zähringerburg und die Leutkirche, der Vorgängerbau des heutigen Münsters. Wohl waren auch die ersten Klöster aus Stein.
Nach dem Stadtbrand von 1405 kamen das Rathaus und ab 1421 das Münster hinzu. Und es folgten im 15. Jahrhundert die ersten Bürgerhäuser aus Stein.
Im Buch von Toni Labhart und Konrad Zehnder steht dazu: «Von zentraler Bedeutung war von Anfang an der Berner Sandstein, der ideal den Bedürfnissen einer mittelalterlichen Stadt entsprach: Es gab in unmittelbarer Stadtnähe grosse, für die Anlage von Steinbrüchen geeignete, flach gelagerte Vorkommen, die sich mit den technischen Mitteln jener Zeit leicht abbauen liessen.»

Der Bauboom im 18. und frühen 19. Jahrhundert
Doch erst das 18. Jahrhundert kam es zum eigentlichen Bau-Boom. Denn da kamen wichtige Repräsentationsbauten des patrizischen Ancien Regimes hinzu. Ausdrücklich porträtiert werden im Wanderband unter anderem das Kornhaus, die Heiliggeistkirche, das Rathaus zum Aeusseren Stand, der Erlacherhof oder das Hotel de Musique.
Mit dem 19. Jahrhundert wuchs der Verkehr und damit die Notwendigkeit des Brückenbaus. Allen voran geht es da um Nydeggkirche, von 1840 bis 1844 erstellt. Sie steht für den Uebergang. Denn wegen der Grösse des mittleren Rundbogens über der Aare hätte sie eigentlich ganz aus Granit gebaut werden müssen.
Doch der begehrte harte Stein fehlte, denn man hatte die Findlinge aus der Umgebung bereits weitgehend verarbeitet. So sind nur 10 Prozent der Brücke aus Granit; drei Viertel bestehen aus Sandstein, der letztlich nicht wetterfest ist. Deshalb musste die Brücke 1988 umfassend saniert werden.

Die Wende mit dem Bahnhof und der Eisenbahn
Im Buch «Steine Berns» dreht sich Vieles um die grosse Wende im Bauwesen, welche der erste Bahnhofbau 1860 auslöste. Mit der Eisenbahn wuchs vor allem die Fähigkeit zum Transport. Und damit setzte die Abwendung vom einheimischen Baumaterial ein. Steintransporte aus der weiteren Umgebung, ja aus dem Ausland setzten ein. So wurde der Münsterturmbau mit süddeutschem Stein fertig gebaut, und bei der Dreifaltigkeitskirche verwendete man Steine aus Italien.
Namentlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Bauten für die neue Bundesstadt. Zu den bekanntesten zählen unter anderem der Bernerhof, der Bundeshaus-Komplex, die SBB Generaldirektion, das Telegrafengebäude (heute Haus der Kantone), das Historische Museum, die Dreifaltigkeitskirche, das Stadttheater und das Universitätsgebäude. In der Art des Historismus oder des Jugendstils gebaut, setzen sie sich von klassischen Sandsteinbauten vor allem an den Fassaden ab, sodass sie Wind und Wetter besser Stand hielten.

Globalisierung des Baumaterials
Wie in andern Städten auch hat verlor der Naturstein als Baumaterial im 20. und erst recht im 21. Jahrhundert stark an Bedeutung. Ersetzt wurde er nun durch Backstein, Beton, Stahl und Glas. Geblieben ist der Sandstein nur noch als dekorative Verkleidung von Fassaden moderner Gebäude. Das hat auch damit zu tun, dass die Eidgenossenschaft das Bauen mit lokalen Gesteinen weitgehend aufgab. Ausnahmen sind das DEZA-Hauptgebäude und die «Titanic 2».
Selbst in Friedhöfen verliert sich die Tradition, mit einheimischen Steinen zu gedenken. Denn die Gesteinswahl erfolgt neuerdings gefühlsmässig, wobei Marmor und kristalline Gesteine dominieren. Und nach einem Vierteljahrhundert ändert sich wieder fast alles, da die Grabsteine ersetzt werden.

Konservierung des herkömmlichen Baumaterials
Das Buch beschreibt das alles als Ambivalenz zwischen Globalisierung und Konservierung. Das zeige sich am besten in der Altstadt. Die Obere Altstadt ist einem rasanten Wandel unterworfen mit ziemlich zufällig ausgewähltem Gesteinsmaterial. Denn der weggefallene Distanzschutz beim Materialeinkauf hat die Art und Weise des Bauens diversifiziert.
Auf der anderen Seite steht die untere Altstadt, in der dank Bauvorschriften die alte Bauweise erhalten bleibt. Die Aufnahme der Stadt ins UNESCO Weltkulturerbe habe «zu sorgsamen Umgang mit dem steinernen Erbe beigetragen», schreiben die Autoren. Und damit den konservativen Grundton im Berner Stadtbild gestärkt.

Meine Empfehlung
Ich bin ganz begeistert vom neuen Buch. Es hat mir schon zahlreiche Einblicke in das Erscheinungsbild der Stadt, das ich kannte, eröffnet, weil es Bekanntes in einen höchst interessanten grösseren Rahmen stellt.
Noch vor kurzem hätte ich nicht geglaubt, dass Steine eine so gut sichtbare Geschichte erzählen.

Toni Labhart, Konrad Zehnder: Steine Berns. Exkursionsführer und Basisband. Haupt Verlag, Bern 2018.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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