frieren wie in canossa

reprise wegen spam-belastungen der alten version

das weiss man: dass könig heinrich iv. von papst gregor vii. wegen anmassung im jahre 1076 mit dem krichenbann belegt worden war und ein jahr zeit hatte, sich zu bessern. schliesslich zog er nach canossa, um drei tage und nächste in klirrender winterkälte busse zu tun und um vom fluch befreit zu werden.

was man in der regel nicht weiss: dass bischof burchard von basel einer seiner wichtigsten helfer auf dem weg nach canossa war, denn er sicherte die passage des königs durch burgundisches territorium. dieser burchard stammte genau aus dem seeland, genau aus dem heutigen vinelz.

aus sympathie mit der frierenden gesellschaft in canossa, bin ich am 930. jahrestag des ereignisses am ort der stammburg der seignieurs de fenis, der hasenburg zwischen vinelz und ins, nur leicht bekleidet wandern gegangen. meiner blutzirkulation hats gut getan, – war am abend zu allerlei weltgeschichtlicher taten motiviert!


der stadtwanderer auf den spuren von bukko von fenis, frierender in canossa (füsse/foto: stadtwanderer)

der bericht von der abenteuerlichen reise nach canossa

bildhaft beschreibt der chronist lampert von hersfeld die reise des königs, die ihn durch burgundisches gebiet nach genf und von dort über den mont cenis nach canossa in der toskana brachte. es war die jahreszeit wie jetzt: winter 1076/77. der könig hatte maximal bis am 2. februar zeit, den papst von seiner reue zu überzeugen. zur winterlichen alpenüberschreitung schreibt der chronist etwa:

“Sie krochen bald auf Händen und Füßen vorwärts, bald stützten sie sich auf die Schultern ihrer Führer; manchmal auch wenn ihr Fuß auf dem glatten Boden ausglitt, fielen sie hin und rutschten ein ganzes Stück hinunter, schließlich gelangten sie doch unter großer Lebensgefahr in der Ebene an. Die Königin und die anderen Frauen ihres Gefolges setzten sie auf Rinderhäute, und zogen sie darauf hinab.”

selbst den pferden habe man die füsse verbunden, fügt lampert bei, um sie so den mont cenis hinunter schleifen zu können. nichts lässt der mönch auch vor der burg canossa aus:

“Hier stand er nach Ablegung der königlichen Gewänder ohne alle Abzeichen der königlichen Würde, ohne die geringste Pracht zur Schau zu stellen, barfuß und nüchtern, vom Morgen bis zum Abend. (…) Endlich am vierten Tag wurde er zu ihm [Gregor] vorgelassen, und nach vielen Reden und Gegenreden wurde er schließlich vom Bann losgesprochen.”


auf dem weg zur hasenburg bei vinelz, dem früheren fenis (fotos: stadtwanderer)

heute als teil der entstehenden politischen propaganda erkannt

heute kritisiert die geschichtsschreibung die darstellung, denn lambert stand einseitig auf der seite des papstes. seine darstellung, in seine “annalen” aufgenommen und nur kurze zeit nach dem geschehen verfasst, habe im tobenden streit zwischen den kontrahenten als parteischrift gedient. überhaupt: dass der adel des reichs nicht mehr zusammenhielt, dass er rücksichtslos partei ergriff, war etwas neues, einmaliges. nicht selten sieht man in dieser zeit auch den beginn der politischen propaganda, die im wappentragen, etwa durch den basler bischof (bis heute in drei kantonswappen), ihren ursprung hat.

gerade dieses historische moment macht die quelle, die lampert uns überliefert hat, aber auch so wertvoll. sie zeigt, wie verwegen die tat des königs war, und wie aufgeregt man auf sie in rom reagiert hatte, als er, unerwartet, die alpen überscnritt und um vergebung bitten sollte. denn der könig spielte das kirchliche bussritual so perfekt, dass dem papst nichts anders übrig, als es mitzuspielen und seinen plan, den könig zu stürzen aufzugeben!


der legendäre hasenburghügel zwischen vinelz und ins heute (fotos: stadtwanderer)

bukko von fenis im anhang von könig heinrich

im hintergrund von könig heinrich wirkten eine reihe geistlicher. zu den militantesten gehörte bischof burchard, oberster priester der diözese basel und herr derselbigen stadt. seine familie war burgundischer herkunft, und sie war unter heinrichs vater, kaiser heinrich iii., der gleichzeitig auch könig von burgund war, zu den herren von fenis aufgestiegen. ihre stammburg hatten die seignieurs hoch über dem bielersee. von da aus sicherten sie die königliche strasse entlang des jurasüdfusses. und da wuchs auch bukko, wie man burchard damals im volksmund aussprach auf.

die familie burchards und seine herkunftsregion profitierten übrigens mächtig von der teilnahme an der schlittelfahrt nach canossa. so erhielten sie härkingen als lehen und sperrten den durchgangsverkehr auf der konkurrenzstrasse, die von heinrichs gegner, dem papsttreuen grafen von rheinfelden, gefördert wurde, und die später zentral für das zähringische reich werden sollte!

den so gewonnen reichtum nutzte die familie, um anfangs des 12. jahrhundert an der talstrasse selber eine neue burg zu bauen: cerlier, das heutige schloss und städtchen erlach, entstand auf diese weise. zusammen mit seinem bruder cuno, den könig heinrich in lausanne zum treu ergebenen bischof gemacht hatte, begründete er den ort als neuen stammsitz der familie.

wahrlich, dank dem epochalen streit zwischen papst und könig waren die fenisler zu den herren der juraverbindung von nord nach süd geworden.


weiterreise nach ins/anet – mit einem weiteren kapitel sinnlicher geschichte im rucksack (fotos: stadtwanderer)

frieren auf der hasenburg, aus sympathie mit der lokalgrösse

schloss erlach steht heute noch. und es ist auch eine reise wert! aber es ist bei weitem nicht so geeignet, um sinnlich geschichte zu schreiben: nämlich

… nachzuempfinden, wie könig heinrich und bischof burchard in canossa drei tage und nächte froren…,

bis ihre bitten erhört wurden. da eignet sich die hasenburg, der ursprüngliche stammsitz der seignieur de fenis deutlich besser! denn sie steht gar nicht mehr, und so zieht es auf dem hügel hoch über dem bielersee an wintertagen wie diesen kräftig. und jetzt, wo so schöner schnee liegt, macht es auch richtig spass, barfuss rumzulaufen und zu hoffen, das bittende rufen im wald werde endlich von jemandem erhört.

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

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