der alltägliche horror

p5150133.JPGden sommer 1993 verbrachte ich im rollstuhl. am 19. märz verunfallte ich und bracht mir beide beine gleichzeitig. bis ende august war ich so stark gehbehindert, dass ich auf einen rollstuhl angewiesen war. das hat mir die augen geöffnet, für vieles, was man im alltag so gerne übersieht.

berns strassen tragen zwar viel zum sympathischen stadtbild bei. doch sind sie für rollstuhlfahren ein horror.

alles beginnt mit den geleisen, die schmale räder gerne gefangen nehmen. es geht mit den pflastersteinen weiter, die nicht nur schrecklich holpern, sondern auch die radführung erschweren. und schliesslich gibt es die zahlreich auf- und abfahrten von trottoirs, die einem das geradeausfahren auf dem gehsteig bisweilen verunmöglichen.

noch nie darauf geachtet? ganz normal!

den was man als fussgängerIn unter den füssen hat, wird zuerst durch schuhwerk abgeschirmt. und es ist so im normalfall auch leicht begehbar. selbst kleine stufen nimmt man mit jugendlichem schritten und ohne jegliches bedenken.

erst als ich im rollstuhl sass, begann ich mich zu wundern, wieviele hindernisse für nicht-fussgänger es überall hat. nicht nur in bern. viele davon entstehen durch mangelnde sensibilisierung. andere sind grenzenlos zynisch. so das behinderten-wc in einem schweizerischen bahnhof, das nur über eine treppe erreicht werden kann. der krasseste fall, dem ich damals so hilflos gegenüber sass, ist heute gottseidank verschwunden.

das hat auch mit dem engagement der behindertenorganisationen in der öffentlichen planung, der ausbildung von architektInnen und den stadtparlamenten zu tun. seit ich die welt vom rollstuhl aus gesehen habe, verstehe ich das viel besser. und ich finde auch jede unterstützung für die erleichterung des alltags von behinderten richtig. denn sie ist keines stück des weges im kampf gegen den vergessenen, alltäglichen horror behinderter menschen.

jede und jeder kann hierzu einen persönlichen beitrag leisten. zum beispiel am berner solidaritätsfest von diesem wochenende, zu dem 30 behinderteninstitutionen aufrufen und an dem über 100 künstler auftreten werden. das ändert zwar die verkehrswege in bern nicht, hilft aber behinderten in der dritten welt. hier schon mal das programm!

ich hatte das glück, im herbst 1993 wieder aus dem rollstuhl aufstehen zu dürfen und seither stadtwandern zu können. das haben nicht alle, die im rollstuhl sitzen.

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

2 Gedanken zu „der alltägliche horror“

  1. War das Ihr berühmter Sprung aus dem Fenster?

    Wir kennen diese Situationen beim Namen. Auch wir haben eine Bekannte die im Rollstuhl sitzt, aber wir haben auch eine blinde Freundin und die ist viel schlimmer gestellt. Wenn die mir erzählt, was ihr alles gestrichen wird. Tixi-Taxi wär ja jetzt ein aktuelles Thema.
    Anspruch auf mehr Geld hätte sich nicht, dafür müsse sie 100% bettlägrig sein. Diese blinde Frau muss pro Woche 2x ins Spital, hat aber ein Jahresguthaben von 10 Fahrten mit Tixi-Taxi. Den Rest darf sie mir ihrer kargen AHV- und IV-Rente blechen.

    Entschuldigung, Sie sprachen jetzt von den Wegbeschwerden, ich hingegen sehe an dieser Frau, die natürlich wegen ihrer Blindheit auch Beschwerden mit dem Weg hat andere Dimensionen. Mein rechtes Gedankengut behalte ich Ihnen jetzt vor, denn dass dürften Sie zur Genüge kennen.

  2. Lieber Claude,
    ja wir haben eine schöne stadt, mir ist aber auch schon aufgefallen wie holprig es für einen rollifahrer sein muss!

    übrigens möchte ich gerne auch mal mit dir stadtwandern, im Juni habe ich noch besuch aus magdeburg..und der würde gerne auch geschichtlich was von bern erfahren..würdest du das machen?
    gib mir bald bescheid..wie du mich erreichst siehst du in meinem blog unter “About”

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