den berner jura ziehen lassen!

statt auf seine urbanen zentren blicke der kanton bern wieder einmal in den peripheren jura, kritisiert stephan von bergen, zeitpunkt-redaktor bei der berner zeitung. mit seinem plädoyer für eine rasche erledigung der jura-frage wird er staub aufwirbeln, der über dem kanton liegt: was ist für die zukunft des kantons, seiner regionen und zentren wichtig, und was muss deshalb priorität haben?

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idylle berner jura täuscht, die vom wiener kongress 1815 verordnete zugehörigkeit des ehemaligen fürstbistums bröckelt weiter und sorgt in bern für unsicherheit.

die fakten vorne weg: anfangs mai 2009 präsentierte assemblée interjurassienne ihren bericht zur politischen zukunft des juras und empfahl zwei szenarien, die beide auf änderungen des jetzigen status’ des berner juras hinauslaufen. biel/bienne reagierte nervös, sah es doch eine grundlage der zweisprachigkeit schwinden. das hatte auch auswirkungen auf den kanton und seine städte, der man bernisch-defensiv begegnete. anders reagierte der kanton neuenburg, der eine fusion des kantons neuenburg mit dem erweiterten kanton jura in der welschen presse vorschlug. dieser aber drängt es nicht in die höhen und tiefen des gebirgszuges, denn er orientiert sich lieber nach basel hin.

stephan von berger hält das alles aus berner sicht für einen nebenschauplatz. gestärkt, nicht geschwächt werden müsse die achse bern-biel. das habe priorität. verbessern müssten die zentren die zusammenarbeit mit den umliegenden städten. solothurn, neuenburg, fribourg stünden da zuoberst auf der liste. und schliesslich müssten sich auch die vorortsgemeinden nicht mehr von ihrer kernstadt abgrenzen, sondern mit ihr an den gemeinsamen stärken arbeiten.

denn nur so, schreibt stephan von bergen in der samstagsausgabe der bz, entstehe die hauptstadtregion bern, die in der lage sei, national so attraktiv zu sein, dass sie sich als politische schaltzentrale der metropolregionen zürich, basel und arc lémanique empfehlen könne.

sich auf nebenschauplätzen aufzuhalten, sei falsch, folgert der umtriebige redaktor der berner zeitung mit einem klaren wink an die kantonsbehörden. eine rasche volksabstimmung über kantonsgrenzen tue not. denn, so von bergens argument, wirtschaftliche und gesellschaftliche dynamiken würden nicht an den kantonsgrenzen von 1815 halt machen. das würde auch im berner jura gelten, bleibe biel/bienne doch das zentrum der arbeit und der freizeit für die menschen im südjura. und der kanton könnte sich, wenn es den berner jura wegziehe, von finanziellen verpflichtungen befreien und frei werdende ressourcen in die förderung der eigenen zentren lenken.

ein gedankengang, der den etwas unsicher wirkenden kanton bern einmal mehr provozieren dürfte, in sich aber nicht unschlüssig ist!

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

6 Gedanken zu „den berner jura ziehen lassen!“

  1. Ich weiss nicht genau, wieso Stefan von Bergen meint, der Kanton Bern halte sich an Nebenschauplätzen auf. Der Bericht der AIJ wurde m. E. zeitlich autonom von den beiden Kantonsregierungen veröffentlicht und die wirklich “ernsthafte” Diskussion einer Hauptstadtregion hat meiner Meinung nach noch gar nicht begonnen, weshalb es auch noch keine Schauplätze gibt – auch keine Nebenschauplätze.

    Was die AIJ da präsentiert hatte, sind nach meiner Auffassung nicht Vorschläge bezüglich der “Jurafrage”, sondern Vorschläge bezüglich der Zukunft einer Randregion und zwar in Bezug auf die politische und die institutionelle Unabhängigkeit.

    Was hier untersucht wurde, könnte in gleicher Weise
    auch für jede andere Randregionen der Schweiz untersucht werden.

    Genauso verhält es sich mit den Vorschlägen der AIJ und deren – vor allem finanziellen – Auswirkungen. Dass einer Region verschiedene Vorteile erwachsen, wenn sie sich in allen Bereichen zusammentut, ist eine Binsenwahrheit. Insofern ist die Arbeit der AIJ “nur” ein musterhaftes Beispiel über die Wirkung einer verstärkten Zusammenarbeit von “verzettelten” Regionen. Die Vorgehensweise könnte somit dienlich sein für die Diskussion um MetroBern.

    Weniger musterhaft ist hingegen das sture Festhalten an einem auf dem Reissbrett definierten Auftrag. So ist es mir unverständlich, weshalb die AIJ eine Volksbefragung zu “anderen Lösungsansätzen” als “nicht auftragskonform” in den Wind schlug. Wofür – wenn nicht fürs Volk – wird den die ganze Übung gemacht?

    Auch kein Verständnis habe ich für die Rückweisung des Vorschlags, eine Studie über ein institutionelles Gebilde “Berner Jura – Biel – Seeland” zu erstellen. Unzulässig sei dieser Vorschlag, weil es sich mehr um “eine innenpolitische Frage des Kantons Bern als eine interjurassische Frage” handle. Dass es sich dabei um das heute natürlich gewachsene Gebilde handelt, wird damit schlichtweg in den Wind geschlagen…

    Übrigens, wenn Bern Hauptstadtregion und Mittlerin zwischen Deutsch- und Westschweiz sein will, kommt sie nicht ums Thema Zweisprachigkeit herum. Der französischsprachige Berner Jura und damit der “Druck”, eine zweisprachige Administration führen zu müssen ist als Bereicherung zu verstehen und nicht als finanzielle Last. Wenn die finanziellle Last insgesamt kleiner werden soll, dann durch ein verstärktes Zusammentun der über 300 Gemeinden – im Berner Jura wie auch im übrigen Kantonsgebiet…

    Vielleicht sollten eben doch wieder Strassenzölle eingeführt werden um zu verdeutlichen, wonach man sich heute tatsächlich ausrichtet… 😉

  2. Heute hatte ich die Ehre, bei der Jubiläumsfeier im Berner Müster zu “250 Jahre Oekonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern” (www.ogg.ch) dabei zu sein.

    Die OGG des Kantons Bern ist ein Verein mit Sitz in Bern. Er setzt sich ein für Entwicklung des ländlichen Raumes, insbesondere in den Bereichen Bildung, Kultur, Oekonomie und Oekologie.
    Die OGG wurde von 250 Jahren gegründet um mitzuhelfen, die Landwirtschaft “ertragsstärker” zu machen, d.h. dank neuen Anbau- und Bodenbewirtschaftungstechniken mehr Erträge aus dem Boden zu erwirtschaften, besonders beim Getreideanbau.

    Beeindruckend war diese Jubelfeier, rund 1000 Leute im Berner Münster, viele Festredner/innen (Porf. Christian Pfister, Regierungspräsidention Barbara Egger, Annemarie Huber Hotz, Präsidention SGG und alt Bunderat Samuel Schmied). Er wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass OGG weitere 250 Jahr (oder mehr) für den Kanton Bern tätig sei.
    Am Schluss wurde gemeinsam das Lied “Bärnbiet” gesungen.

    Güeni Wälder, dunkli Schätte
    Hinde dra der Firneschnee.
    Wie ne Garte Fäld und Matte
    Säg, mys Härz, was wit no meh?

    Refrain:
    Bärnbiet, du my liebi Heimat.
    Schöner cha’s ja niene sy.
    Ig ha ging chly Freud gha dranne,
    Dass i o ne Bärner bi.

    Bärner Füscht und Bärner Gringe
    Hei scho vil in Egi gha.
    Chum cho luegen eis bim Schwinge
    Da gsesch mänge chäche Ma.

    Lüt us allne Herre Goue
    Chöme schaarewys derhär,
    und wey öppe chly cho gschoue,
    Üse liebe Bärnerbär.

    Noch Fragen zur Zukunft des Kantons Bern?

  3. lieber titus,

    ich glaube nicht, dass die diskussionen noch gar nicht angefangen haben.

    momentan kann man drei ebenen unterscheiden:

    erstens, die offizielle politik des kantons, die auf eigenständigkeit, einheit und regionenbildung ausgerichtet ist. darüber wurde beispielsweise in bern und umgebung am letzten sonntag abgestimmt. die regionalkonferenz bern-mittelland wurde dabei gutgeheissen und bietet jetzt den 100 gemeinden rund um die hauptstadt eine plattform für die behördliche zusammenarbeit.

    zweitens gibt es die vom bundesamt für raumplanung bzw. seinem früheren direktor pierre-alain rumley angeschobenen diskussion über die metropolregionen in der schweiz, die je schon verschiedentlich kontrovers behandelt worden ist. bern hat die entwicklung hier verpasst, real und mental; die uneinigkeit zwischen kanton und hauptstadt mögen hier mitgeholfen haben, doch hat sich das unter dem druck der öffentlichkeit verändert. die stadt bern hat die initiative ergriffen, um sich als hauptstadtregion zwischen den metropolregionen zu platzieren, und hat dafür zuspruch erhalten. der kanton, der ursprünglich daran glaubte, selber eine metroregion etablieren zu können, dabei aber weder bei den nachbarkantonen noch bei bund unterstützung fand, hat sich zwischenzeitlich dieser position angeschlossen.

    drittens, laufen an verschiedenen orten bestrebungen für eingemeindungen von vororten in die kernstädte an. lyss ist ein beispiel, das schon bekannter ist, andere folgen. auch in der stadt bern gibt es erste ueberlegungen zur neugründung der aarestadt.

    meine zwishenbilanz: öffentliche diskussionen gab es bisher tatsächlich wenige, weil die regionalkonferenzen vor allem die behörden betreffen resp. weil die metropoldiskussion eher technokratischen charakter hat. das haben bisher erst einige medien und wissenschafter zu durchbrechen versucht. die parlamentarische behandlung des raumplanungsberichtes wird das aber sicher ändern. die gemeindefusionen schliesslich haben wohl das grösste politische potenzial, sollen aber gut vorbereitet sein.

  4. @ Stadtwanderer
    Ich meinte nicht, dass überhaupt nicht diskutiert wird. Ich sprach von “ernsthaften” Diskussionen. Man quält sich mit dem Thema, ringt um Argumente gegen eine Annäherung und dies vor allem seitens Politiker.

    Werner Hadorn, Bieler Stadtrat, meinte kürzlich bei seiner neu lancierten Diskussion zu einer möglichen Fusion zwischen Biel und Nidau: Der Verstand sagt ja, der Bauch sagt nein.

    Und: Das Nein käme nach seiner Einschätzung vor allem seitens Behörden und Amtsinhabern, weniger seitens Bevölkerung.

    Diese Einschätzung teile ich durchaus. Würden heute schon Abstimmungen über mögliche “logische” Fusionen zwischen X und Y stattfinden, könnte mancher Politiker, der sich dagegen sträubte, überrascht werden…

  5. hej
    danke für die präzisierung.
    reto steiner, professor am berner kpm hat eine zusammenstellung gemacht über gescheiterte fusionen.
    in der volksabstimmung fallierten immer 10 prozent der (von den politikern mehrheitlich befürworteten) vorschläge. gelegentlich kommt es dabei zu einer allianzbildung zwischen unterlegenen behördenmitgliedern und negativ eingestellten bürgerinnen. diese mischung ist nicht zu unterschätzen.
    da meist gemeindeweise abgestimmt wird, und die opposition sich nicht selten in kleinen gemeinden vermehrt zeigt, kann das einen konsequenz haben auf alle entscheidungen.

  6. Es gibt auch im Bernbiet Städte, stätisches Leben und zwar immer mehr! Dieses Leben spielt sich nicht mehr in den herkömmlichen politischen Grenzen ab, was dazu führt, dass der Lebensraum und der demokratische “Mitbestimmungsraum” immer mehr auseinander klaffen. Dieses Auseinanderklaffen gilt es zu stoppen. Das ist die Botschaft über die es sich lohnt nachzudenken und zu diskutieren. Ein ganz kleines Beispiel dazu. Ich war am Dienstag vor der Abstimmung über das städtische Kulturzentrum Progr in Bern im Progr an der wöchentlichen Tangonacht. Mehr als die Hälfte der anwesenden Tangotänzerinnen und Tangotänzer wohnen, wie ich, nicht in der Stadt Bern, sondern in der Agglomeration oder gar in Biel oder Freiburg oder Thun. Und trotzdem, für alle ist Bern ein sehr wichtiger kultureller Bezugspunkt und die meisten arbeiten auch in Bern. Sie hätten deshalb, wie ich, gern bei der Abstimmung über den Progr mitgemacht, konnten aber nicht.

    Ich finde die Ökonomische und Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Bern eine ganz gute Sache und auch das Lied “Bärnbiet” tönt immer noch ergreifend. Auch Rüedu Minger, dessen Name an der heutigen Feier mehrfach erwähnt wurde, hat seine Verdienste und der Bauernstand ist wichtig für einen gesunden Kanton. Bäuerinnen und Bauern können einen wichtigen Beitrag an eine nachhaltige Entwicklung leisten.
    Aber, es gibt daneben auch noch ein anderes, städtisches Bern (zu dem z.B. auch Biel und Thun gehören) und dieses “Bernstadt” hat es – obschon bevölkerungsmässig an sich in der Mehrheit – immer noch sehr schwer beim offiziellen Kanton. Das sieht man auch im Organigramm der kantonalen Volkswirtschaftsdirektion, wo die Landwirtschaft, die Jäger und Fischer zu Hause sind. So wichtige Belange wie der Verkehr, die Energie, die Raumplanung sind demgegenüber in anderen Direktionen angesiedelt und für die Belange der Stadtenwicklung gibt es im Kanton überhaupt keine Stelle. Auch in der Kantonsverfassung gibt es keinen Artikel über die Städte, ganz im Gegensatz zum Berner Jura, der an ganz prominanter Stelle, nämlich in einem der ersten Artikel, erscheint.

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