bagdad in bern ?

nun ist er in aller leute mund, der neue baldachin auf dem berner bahnhofplatz. schade nur, dass sich niemand gedanken macht, was woher das wort und sein sinn nur kommen!

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ich will es gleich sagen: der neue baldachin auf dem berner bahnhofplatz gefällt mir gut. ich habe die aufregung während der ausschreibung, der planung und der entscheidungen resp. dem rekurs zum bau nie richtig verstanden. gut, während des baus selber bin ich als quasi-nachbar des bahnhofplatzes manchmal auch genervt gewesen. jedenfalls war ich froh, als sich das ende abzeichnete.

in einsamen studen bin ich dabei den wortbedeutung von baldachin nachgegangen, und habe folgendes herausgefunden:

erstens, baldachin, im italienischen baldacchino, steht für einen stoff, konkret für den brokatstoff, der fest und gemustert ist, aus seide besteht, und in den dem goldfäden eingewoben wurden. verkauft wurde dieser stoff, der aus dem fernen osten kam, am häufigsten in badgad, auch baldach genannt, womit die überleitung klar ist.

zweitens, der brokatstoff wurde in der regel als dach über einem bett aufgemacht und diente den ruhenden als schutz. diese bedeutung des wortes hat sich später auf die architektur übertragen, wenn auch nicht für so profane dinge wie das bett und den schlaf. vielmehr meint der baldachin hier die prunkvolle überdachung von thronen und kanzeln, die dem kaiser oder dem papst gehörten. selbst wenn diese herrschaften unterwegs waren, hatten sie gerne einen baldachin dabei, gestützt von dienern, der die würdenträger und ihre pferde vor hitze und regen abschirmen sollte.

drittens, das wort baldachin ist im 17. jahrhundert auch ins deutsche übertragen worden, nicht zuletzt von vermögenden bauern, die etwas auf sich hielten und jetzt wie die herrschaften von damals ein himmelbett hatten. gerne versteckten sie in den dicken stoffen über dem bett auch das ersparte, das sie auf die “hohe kante” legten.

natürlich: bern ist nicht bagdad. unser duo tschäppät&rytz, das beim bau des berner baldachins federführend war, hat keine diener mehr, die sich schützend über die rotgrünen herr&frauschaften stellen würden. die reichen bauern aus dem emmental wiederum werden mit sicherheit nichts im berner baldachin verstecken, denn dafür ist ist der glasbau viel zu transparent.

doch der neue baldachin gefällt, was auch immer man mit ihm symbolisieren wollte, – auf jeden fall dem

stadtwanderer

foto: stadtwanderer

programm zum eröffnungsfest vom 31. mai 2008

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

15 Gedanken zu „bagdad in bern ?“

  1. In Bern ist das Zeitalter der “Wellen” ausgebrochen. Die Wellen im Bahnhof, die Wellen beim Klee-Zentrum und nun die Wellen des Baldachin. Ich bin für Neues. Man kann nicht alles bewahren was älter als 100 Jahre ist. Die Berner haben Jahrhunderte lang sehr pragmatsich und zweckdienlich gebaut. Bereits der Stadt-Grundriss der Zähringer ist ein Beispiel für Effizienz u n d Schönheit. Was wir jetzt bauen mag zwar das Auge erfreuen lässt aber den Sinn für das Praktische vermissen. Ich wette, dass in zwei/drei Jahren über die enormen laufenden Kosten für den Unterhalt des Baldachin gesprochen wird. Beim Klee-Zentrum sind die ersten Mehrkosten und Nachkredite Tatsache.
    Das alte, reiche Bern hätte sich solchen Luxus leisten können. Das heutige, arme Bern sollte dies nicht tun.

  2. So Stadtwanderer, nun komm ich zu meinem Anliegen, dass ich gestern kurz erwähnte. Bin gar nicht gewillt, all das nochmals nachzulesen.
    Meine Frage bezieht sich auf die “Untermieter”

    Scheinbar gibt es in Bern noch eine zweite Abstimmung über die Wegweisung der Randständigen.

    Alles schön und gut, denn wer hat diese Menschen schon gerne, doch hat sich schon mal jemand darüber Gedanken gemacht wo diese Menschen landen, wenn sie vertrieben werden. Hat sich in eurem Links-Grünen-Gedankengut schon Jemand die Frage gestellt, wie es dann mit diesen Vertriebenen weitergeht? Typisch linke Spucke: So darf es nicht sein, das wollen und brauchen wir nicht. Fakten will ich sehen, aber die kann scheinbar keiner geben.
    Wohin gehen diese Leute wenn sie vertrieben werden? Wenn sie dann an ihrem neuen Ort auch ausgegrenzt werden, wandern sie weiter. Ist denn das der Sinn und Zweck?

    Sorry, konnte mich nicht recht konzentrieren, denn über Zürich ging ein gewaltiges Gewitter runter. War eindrücklich, sogar unsere Fenster haben fibriert. Wähnte mich wieder mal als Schlossherrin.

    Sei mir nicht böse, ich überspiele das obige Thema, denke aber, dass man daran arbeiten sollte, nicht von linker Seite her, die haben schon genug versaut. Mit Wattehandschuhen schafft man dieses Problem nicht mehr aus der Welt.
    Abgesehen davon, diese Randständigen gehören zu unserem Leben wie auch die Ausländer. Den Ausländern gewährt man jede Hilfe, die Randständigen hingegen will man vertreiben.
    Wo bitteschön bleibt da die Gerechtigkeit?

  3. @Ate

    Das Gerechtigkeitgefühl der Linken könnte ich mir so vorstellen:

    Die Randständigen hatten/hätten die Chance, sich in unserer Gesellschaft anzupassen. Vielfach (nicht immer) Selbstverschuldung, dass sie nun Randständige sind. Deshalb keine Hilfe bzw. Vertreibung.

    Die Ausländer kommen z.T. aus “schwierigen” Gesellschaften (teils Flüchtlinge). In der Fremde ist es für sie schwierig, sich zurechtzufinden. Deshalb Hilfestellung.

    Hier verstehe ich Sie nicht ganz: Welches Problem soll nun nicht mit Wattehandschuhen aus der Welt geschafft werden? Die Linken, die Randständigen oder die Ausländer?

  4. @ Litscher

    Ich wäre gerne enttäuscht, aber nicht mal diese Gefühlsregung bringe ich noch zustande.

    Gut, dann halt, gewähren wir den Ausländern all unsere Hilfe und Unterstützung und grenzen dafür unsere Schweizer, die randständig wurden, aus.

    Gehen Sie mal zu diesen Randständigen und fragen nach, was sie bewog eben randständig zu werden. Sie werden ihr blaues Wunder erleben.
    Nicht verurteilen darf man sie, auch nicht vertreiben. Begreifen und verstehen sollte man sie und sobald einem dann der Knopf aufgeht, wird man merken, dass eigentlich nicht die, sondern unser System Schuld an deren Missstand ist.

    Ich denke bei Gott nicht links, wenn ich aber mitansehen muss, wie so eine kleine Gruppe von Schweizern, so quasi von ihren Mitbürgern mit den Füssen getreten wird, dann denke ich aber linker denn Links.
    Nehmt ihr Berner euch doch Frau Stocker als Vorbild. Diese Frau hat in Bezug auf Randständige Hervorragendes geleistet.

    Ihre Frage bezüglich der Wattehandschuhe, haben Sie sich in Ihrem Kommentar grad selbst gegeben.

  5. Ich glaub, mich streift ein Kamel!
    Warum um Himmels Willen setze ich mich für die Randständigen ein?

    Und doch, ich glaub das Warum gefunden zu haben. War doch unsere SP früher eine Arbeiterpartei, merkt man davon heute nichts mehr.

    Cüpli-Partei wird sie verächtlich genannt, früher liefen sie in selbstgestrickten Pullovern rum, heute muss es ein Armani-Anzug sein.

    Kann mir darum gut vorstellen, dass ein Randständiger nicht mehr in ihr Lebensbild passt.

  6. Hallo allerseits

    Was sagte der Berner Stapi heute Abend (30.05.) in “Schweiz aktuell”: “…besser als Hundert Tramhäuschen”. Da pflichte ich ihm bei: Hell, freundlich, offen und trotz der Grösse nicht dominant oder aufdringlich.

    Apropos Tramhäuschen: Wie oft werden diese Opfer von Vandalen (eingeschlagene Scheiben, versprayte Wände usw.). Was kostet denn deren Instandstellung? Beim Baldachin dürfte Vandalismus hoffentlich kaum auftreten, weil der ja doch ziemlich hoch über den Köpfen angebracht ist.

    Zum Unterhalt/der Reinigung des Glasdachs: In Chur gibt’s ja schon langem ein Glasdach über dem Postauto-Bahnhof, welches seinerzeit viel Beachtung fand (für eine Welle reichte es nicht, aber immerhin für einen Bogen). Es wäre interessant zu erfahren, was die Churer für Erfahrungen gemacht haben?

    “I Think” hat allerdings recht: In Bern gibt’s immer mehr Wogen, die nicht einmal zu glätten sind… Ob trotz statischer Form ausgedrückt werden soll, dass die Stadt Bern ständig in Bewegung ist?

    Wie auch immer, ich gratuliere den Stadtberner zur grössten Tramhaltestelle der Schweiz 😉

    Schönes Wochenende
    Titus

  7. tschou zäme. de vergliich met em hemmubett esch suuper. d’ zörcher wärde sech zwar weder uufrege. vo wäge beamte in bärn wo schon bim schafe gäng schlofe u das itze o no bim heifahre met em tram chönt mache. u denne aune sägeni eis. tüet nech nor eriifere. oichem härzenfarkt tuet das guet. gööt doch grad is chino göt “d’säägs änd d’sitti” go luege. das aues esch hombock.
    meer z’bärn hei oise baudachin u meer hei froid dranne.

  8. Tschou Bidu

    Zum „Himmelbett“ eine kleine Episode aus dem Alltag von gestern Freitag, Bahnhof Bern:

    In Bern angekommen fährt mein Anschlusszug erst in knapp einer Viertelstunde weiter. Ich habe also Zeit und stehe vor dem Kiosk in der Gleisunterführung als Letzter in einer Schlange.

    Ein etwas älterer Herr kümmert die Schlange nicht und läuft an allen vorbei. Bei allerlei Süssigkeiten angekommen scheint er doch zu merken, dass etwas nicht stimmt, dreht sich um und fragt mich: „Ohh! Isch da e Schlange?“ Mit meiner Spontaneität ist es manchmal nicht weit her, sonst hätte ich ihm spasseshalber geantwortet, dass es doch Schlangen nur im Zoo gäbe. Doch stattdessen antworte ich: „Ja, eigentlich schuu.“ Und da nun feststeht, dass er aus Irrtum vorbeidrängte und nicht aus Rücksichtslosigkeit, biete ich ihm an, dass er sich schon vor mir einreihen könne, mein Zug fahre schliesslich erst um 09.04. Er antwortet, dass seiner um 09.02 fahre und nimmt mein Angebot dann auch tatsächlich an.

    Dann die vieldeutige Nachfrage in seinem Berndeutsch: „Sid ihr Zürcher“. Sollte das nun bedeuten, dass es ungewöhnlich ist, einem Berner den Vorrang zu geben, falls ich Zürcher wäre? Diesmal, um das etwas „gespannte“ Verhältnis zwischen Zürchern und Berner wissend, antworte ich spontaner und rufe aus: „Um Himmels Willä nei!“. Ja was denn das für ein Dialekt sei, will er weiter wissen. „Ursprünglich Glarner“ gebe ich ihm zurück. Dann hellt sich seine Miene auf und kommentiert, dass das ein schöner Dialekt sein. Schon fast entschuldigend fährt er weiter, dass er einige Glarner kenne…

    Und die Moral der Geschichte? Es gibt deren zwei:
    1) Auch Berner haben es manchmal eilig. Sie sind sich aber bewusst, dass sie sich vom Eiltempo der heutigen Zeit vereinnahmen liessen. Um sich wieder auf ihre Gemütlichkeit zu besinnen, haben sie nun ein Himmelbett auf dem Bahnhofplatz gebaut 😉
    2) Die Zürcher brauchen auch einen Baldachin, um dem Herzinfarkt zuvorkommen zu können oder – um wenigstens ihr schlechtes Image der ständig gestressten Mitbürger abstreifen zu können…

    Freundliche Grüsse
    Titus

  9. kicher, kicher, stadtwanderer!
    und das ist meine geschichte dazu: 1983 war ich zum ersten mal in berlin. es war die grosse ausstellung zum reichstagsbrand. ich war gerade fertig mit dem studium, und mit prof. walther hofer, dem svp-nationalrat, auf einer exkursion. da begegnen wir bei einem empfang hans-jochen vogel, dem spd-justizminister. der widerum kennt krethi&plethi, also auch uns, und beginnt zu scherzen. warum haben die berner ein “be” auf den autoschildern?, will er wissen. wir zucken die achseln. Bin (in) Eile!, und lacht herzhaft.
    später bin ich vogel nochmals in berlin alleine begegnet. habe ihn als ausgezeichneten kenner der verhältnisse und grossen verehrer von niklaus von der flüeh kennen gelernt! ohne jede eile macht man sich am besten ein bild der menschen …

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