das www der berner geschichte

waschen, wählen, weitersagen: das ist das motto einer kleinen ausstellung über berns moderne zeit in der berner stadt- und universitätsbibliothek, die gestern eröffnet wurde. vorbereitet wird damit das erscheinen des fünften und letzten bandes der grossangelegten geschichtsreihe zu bern in buchform im mai 2011.

bernsmodernean der gestrigen vernissage war man überzeugt: geschichte der moderne lässt sich anhand von geständen des alltagslebens erzählen. drei davon standen im zentrum der ausführungen: die waschmaschine, die wahlurne und das wähltelefon!

die waschmaschine hat im 20. jahrhundert (nicht nur in bern) vieles verändert. den waschvorgang selber, die sozialform des gemeinsamen waschens. weitgehend geblieben ist dagegen die rollenverteilung zwischen den geschlechtern. die ausstellungsmacherinnen wählten deshalb das bild eines mannes, der verstohlen wäscht, weil sein hemd kusslippen enthält.

die wahlurne hat einiges verändert. zwischen 1831 und 1993 wurde bern mit vier verfassungsänderungen demokratisiert. die politische rechte wurden sozial- und geschlechtermässig erweitert. geblieben sind aber burgergemeinden, und nicht realisiert wurde das stimmrecht für ausländerInnen und jugendliche. symbolisiert wird dieser vorgang durch den mann auf dem plakat, der ja zum frauenstimmrecht, im kanton bern 1968 eingeführt, sagt. auch er hat lippenstift auf der wange.

auch das wähltelefon beschreibt den wandel der beziehungen. man kann vieles weiter sagen, obwohl man bedenken hat, dass das fräulein, das die verbindungen herstellt, mithört, und es und seine kolleginnen am schluss am meisten weiss. die berner firma hasler war führend in der produktion von telefonapparaten, bis die modernisierung an ihr vorbeizog. deshalb steht ein nostalgisches bild im zentrum: ein iphone aus der gegenwart, das aber eine wählscheibe auf dem display hat.

der rundgang durch die ausstellung bietet zu den drei themen einiges an informationshäppchen, auch weniges an bildmaterial. das ganze ist als einstimmung gedacht, denn in kürze erscheint der fünfte und letzte band zur berner geschichte. er wird, auf 600 seiten, und mit zahlreichen abbildung, den wandel der moderne im kanton bern beleuchten.

sympatisch und nett war die veranstaltung gestern. geschichten wurden erzählt; die geschlechterfrage scheint dabei die historikerInnen der gegenwart so erfasst zu haben, das mir anderes zu kurz kam. in der vormoderne war bern eine führende stadt und ein führender stand in der eidgenossenschaft. warum ist er das nicht mehr, wird ja landauf, landab debattiert. ein klärungshinweis dazu hätte ich gerne auch gehört. denn die nachmoderne welt droht zu einer gigantischen virtualität zu werden, die an keinner grenze mehr halt macht. das www berns wird man noch verfassen müssen!

stadtwanderer

berns geschichte für die gegenwart neu erzählt

stephan von bergen, historiker und journalist, bringt historische erkenntnisse immer wieder unters volk – mit unkonventionellen artikeln und positionen. seit heute figuriert er als autor einer mehrteiligen kantonsgeschichte, in der er sich mit vergangenheit und gegenwart, mit glanz und gloria, aber auch mit destastern und defiziten des berner standes auseinander setzt.

470gdas berner kornhaus aus dem 18. jahrhundert: der inbegriff des autarkiedenken in der alten republik, dessen grundlage mit der industrialisierung und dem eisenbahnbau so heftig unterminiert wurde.

“Das heute noch wirksame Erbe aus dem Alten Bern ist schillernd”, schreibt autor stephan von bergen. “Dazu gehören eine Staatsgläubigkeit und ein boderständiger, bäuerlicher Geist. Das immer noch virulente gegenseitige Ressentiment zwischen dem Land und der einst dominierenden Stadt Bern. Die Brückenfunktion zwischen der Deutschschweiz und der Romandie, die Bern erobert hatte. Und eine Berner Mentalität, die Vorsicht mit Unbeweglichkeit, ein Gefühl von Grösse mit privinzieller Selbstgerechtigkeit und Nüchternheit mit Gemütlichkeit paart.”

mit seiner neu erzählten berner geschichte nimmt er den faden aus der bemerkenswerten dissertation von stefan altorfer-ong, die bern im 18. jahrhundert einen überflussstaat nannte. dank abwesenheit von kriegen und aufständen etablierte sich die berner republik zum vorbild für erfolg. allerdings, so der neue star unter den berner historikern, gelang das nur als trittbrettfahrerin. bern finanzierte kriege, lieferte söldner, und die heerführer wie auch die rückkehrer verdienten damit ihr geld.

kaufleute, unternehmer und beamte gab es in der heimat kaum. obwohl die stadt von brugg bis nyon reichte, lebten nur mitte des 18. jahrhunderts nur 336’000 menschen in der republik, davon drei prozent in der mittelalterlichen stadt. viel der heute noch stehenden häuser in der altstadt stammen aus dieser zeit, der den kollektivgeist der städtischen oberschicht zum ausdruck brachte. über allem wachten das münster und die reformierte kirche, unter sich waren die oligarchen gleich, gegenüber anderen erhaben, während das land politisch ausgeschlossen blieb, wirtschaftlich aber geförderte wurde, solange man für die landwirtschaft produzierte.

1747 traf der grosse rat eine wichtige entscheidung. die führenden patrizier im zentrum sollten gesamthaft die tätigkeiten als kaufleute und industrielle unter- resp. sie ganz den minderwertigen untertanen in deer peripherie überlassen. “Staatswirtschaftlich und agrarisch, nicht privatwirtschaftlich und unternehmerisch”, fasst der berner geschichtsprofessor andré holenstein die tragende bernische mentalität zusammen. die begründung war einfach: vom getreidebau profitierte man doppelt – als einnahmequelle der republik und als sicherheit gegen hungersnöte. das kornhaus in bern, aber auch in burgdorf und langenthal war der eigentliche inbegriff des bernischen staatswesen.

alt bern entschied sich gegen die frühindustrialisierung. diese überliess man der ostschweiz, in der sich die textilindustrie ausgebreitet hatte. das brachte exporteinnahmen, mit denen man getreide aus dem süddeutschen raum importierte. entstanden ist so eine bürgerliche schicht, die ganz anders auf die industrialisierung reagierte als die berner patrizier, die in ihren autarkie-, unabhängigkeits- und souvernitätsvorstellungen verharrten, bis sie durch die französischen truppen gestürzt wurden, ohne dass eine bürgerliche schicht die entwicklung in wirtschaft und politik nahtlos hätte vorantreiben können.

immerhin kann man beifügen, die liberale und radikale bewegung der 1830er jahre gab dem risikoscheuen staat ein neue gepräge. der freisinn von 1848 entwickelte nicht nur die schweiz, auch bern bis zum ersten weltkrieg auf einer industriellen grundlage, wie beispielsweise der elektrifizierung, die in ihrer frühzeit europäisch führend war. der freisinn zerbrach mit dem ersten weltkrieg, mit dem die arbeiterbewegung einerseits, die bauern und gewerbler anderseits das bürgertum herausforderten, gemeinsam jedoch wieder einem protektionistischen staatsverhalten auftrieb gaben.

heute sind svp und sp die grössten politischen kräfte im kanton bern. bei den anstehenden ständeratswahlen treten sie mit vehemenz gegeneinander an. adrian amstutz, der rechte mann auf dem land, steht ursula wyss, der linken frau aus der stadt gegenüber. und wieder geht es um öffnung oder nicht. die konservativen sind national gestimmt, vereinfacht heisst das gegen die eu, derweil die modernistInnen international denken, wirtschaftlich offen und politisch vernetzt bleiben möchten. vom mittelstand der kleinen und mittleren zentren, der den freisinn zwischen 1890 und 1920 so stark machte, ist bei dieser ausmarchung kaum mehr etwas zu spüren. ihre kandidatin fiel schon in er ersten runde aus der wahl.

stephan von bergen bedauert das. denn amstutz kritisiert er als vorschnellen antietatisten, der so tue, als könne man einen schweren tanker mit ein paar markigen worten in eine andere richtung lenken. und ursula wyss hält er vor, zu genügsam zu sein, weil ihre klientel von der gemütlichkeit des bernischen kahns profitiere.

mal sehen, wer lotse oder lotsin wird, und ob sie oder er das schiff mit schlagseite neuen schub verleihen kann.

stadtwanderer

geniale intervention

das laute handyphonieren im öffentlichen raum ist schon so oft beklagt worden ohne wirkung zu zeigen. jetzt erlebte ich eine geniale intervention, die wirkung zeigt.

es war laut heute abend im postauto. nicht, dass alle übermässig gesprochen hätten. nein, eine junge frau handyphonierte ungeniert vor sich hin.

wie meist in solchen situationen ging es um belangloses. man sprach über den sonntagsbraten bei den eltern und organisierte das zügeln am monatsende.

mehr vom inhalt blieb mir nicht. jedoch erinnere ich mich gut, dass die lautstärke typisch unanständig war.

dann griff sich der postautochauffeurs ans herz und mahnte via mikrophon: “Bitte sprechen Sie nicht so laut, jemand ist am Telefon.”

augenblicklich war es ruhig im poschi. die junge dame verringerte ihre stimme hörbar, die anderen nickten wortlos zu ihrer erleichertung. genial die wirkung der blosstellung, dachte ich mir.

die szene erinnerte mich unweigerlich an einen auftritt in berlin. es war die ethik-kommission des deutschen bundestages. ich sprach in einem workshop über die stammzellenforschung in der schweiz.

mitten in der verhandlung ertönte ein handy. schon das nervte. mehr noch ging mir und anderen auf den kecks, dass die angerufene person abnahm, ohne den saal zu verlassen und seelenruhig zu verhandeln begann.

hans-jochen vogel, der ehemalige spd-justizminister, eine alter, weiser mann, der auf dem podium sass, fackelte nicht lange. zum ungebeten sprechenden sagte er mit bestimmter stimme: “soll ich den raum verlassen? ich störe so ungerne!”

nun halte ich fest: in beiden situationen machte die intervention betroffen. sie wirkte. das unheil verstummt.

ich werde sie mir merken, und ich werde sie anwenden, wenn ich mich das nächste mal in dieser sache die haare raufe!

stadtwanderer

regiert die angst?

ich bin ein grenzgänger, in sachen sprachen, siedlungsarten und nationalitäten. das prokoll eine begegnung mit meinem taxichauffeur aus asien.

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in seiner heimat hat mein taxi-chauffeur mathematik studiert. er engagierte sich in der volkspartei für die junge demokratie. doch dann kam es zum militärputsch. als aktivist der opposition musste er fliehen. zwar würden weiterhin wahlen abgehalten, und es wäre gut, er könnte mitbestimmen. doch die führung seiner parteie werden regelmässig von den wahlen ausgeschlossen.

nach europa kam mein gewährsmann via deutschland. dort traf er einen landsmann, der in der schweiz vorläufige aufnahmen bekommen hatte. beide waren allein und beschlossen, hierzulande als politische flüchtlinge asyl zu beantragen. sie hatten erfolg. seither leben sie in der agglo von bern, und gehen geregelten arbeiten nach.

taxifahren gefalle ihm, erzählt er mir gerne. man könne radio hören und zeitungen lesen, und man treffe immer wieder auf interessante menschen. einmal, nach einem interview von mir in einer lokalzeitung, sprach er mich an. ich sei doch der politexperte, versicherte er sich vorher noch. dann legte er mit fragen los.

ihn beschäftigt heute, was bei den wahlen im herbst geschieht. die volkspartei in seiner heimat und hier seien nicht das gleiche. beide wollte mehr demokratie, das sei gut. hier bedeute das aber, dass man gegen ausländer sei. er wolle niemanden kritisieren, glaube aber, ein wahlsieg der svp sei schlecht für ihn und seine landsleute.

ich bleibe zurückhaltend. der wind habe gedreht, dführe ich aus. die konservativen seien im kommen. mit ihnen gewinne das nationale wieder an bedeutung, und es steige die ausgrenzung von fremdem.

mein gegenüber nickt. doch ist er noch nicht zufrieden.

was können wir nun?, will er wissen. die wahlen wolle er nicht beeinflussen, er wisse, dass er auch hier keinen politischen rechte habe. das heisst aber nicht, dass er sich nicht sorgen mache, was hier geschehe.

ich finde, das beste sei, wenn sich menschen mischen. ausländer sollten zu schweizer mehr kontakte haben, und umgekehrt. was man im alltag erlebe, zähle am meisten. alle studien, die in den letzten 40 jahren dazu gemacht worden seien, würden darauf verweisen.
organisierte kontakte seien gegenüber behörden sinnvoll. vor allem in den städten, aber auch auf dem land, wo es ausländerInnen habe, könne man so zahlreiche probleme auf informellem wege lösen. das sei sogar gut schweizerisch.
schliessich kommen wir auf die medien zu sprechen. denn sie formen unsere bilder im grossen. wer sich nicht wehre, habe schon verloren. und wer verloren haben, bekomme immer heftiger auf’s dach. medienarbeit sei eine art schutzwall gegen diskriminierungen, sind wir uns einig.

das problem sei, schliesse ich, dass man, wenn einem etwas nicht passe, negatives vor positives stelle, differenziertheit zugunsten schematisierungen verschwinden und einzelfälle zum allgemeinen erhoben würden.

damit kommen wir auf die jüngsten abstimmungen zu sprechen. vor allem die ausschaffungsinitiative. er habe gelesen, es habe am meisten zustimmung gegeben, wo es am wenigsten ausländer habe. mein taxichauffeur will wissen: regiert da nicht einfach die angst? ich bestätige, denn die analyse könnte von mir sein. da habe sich der stadt/land-graben schon vor monaten manifestiert. denn auf dem land gäbe es viel weniger ausländer, doch habe fürchte man sich da am meisten.

nicht nur vor ausländern, auch vor den städteren.

was würde wohl geschehen, wenn sich nicht nur die landleute, für einmal wenigstens auch die ausländerInnen politische äussern dürften?, beende ich das gespräch. da käme wohl noch ein weiterer graben zum vorschein.

wir werden den faden sicher wieder aufnehmen.

stadtwanderer

in mühleberg und oltigen mit vögeln, grafen und frühlingshafter energie unterwegs

ich war heute auf der winterexkursion mit dem vogelschutzverein wohlen. besucht haben wir den landstrich zwischen mühleberg und oltigen an der aare. wenn es um mönchgrasmücken oder nonnenkneifer ging, konnte ich nicht immer mithalten. dafür komponierte ich in der herrlichen frühlingsatmosphäre eine kleine rede, die ich vor dem güggelisloch, dem sagenumworbenen unterirdischen zugang zur verschwundenen burg, über oltigen hielt. hier die leicht ausgeschmückte widergabe.

meine damen und herren!

morgen wird mich mühleberg am wohlensee beschäftigen, heute geht es uns um oltigen, der stelle zu unseren füssen.

sie alle haben sicher schon von troia gehört. in der heutigen türkei gelegen, gehört der untergang der stadt zu den tragischen momenten der weltgeschichte. denn die menschen glaubten immer, mit städten jene form von sozialgebilden geschaffen zu haben, die stets überleben werde. wenn dem einmal nicht so war, war das nicht nur ein desaster, es liess auch die wildesten geschichten über den grund und den ort entstehen.

das wäre eigentlich auch bei oltingen an der aare der fall. unter uns liegt ein dorf mit heute 67 einwohnern. oltigen. an stelle des dorfes stand einst eine stadt – im mittelalterlichen sinne. sicher, troia war wichtiger als oltigen. doch zwischen dem 11. und 15. jahrhundert konnte sich der ort mit neuenburg durchaus messen.

flüsse sind kulturhistorisch gesehen etwas vom spannendsten. immer schon waren sie verkehrswege. manchmal trennten die flüsse die länder beidseits, manchmal verbanden sie sie. mit unserer eisen- und autobahn schweiz kennen wir fast nur noch letzteres; ersteres ist uns fremd geworden. doch man muss daran erinnern, wenn man die bedeutung der aare ermessen will.

als sich zu beginn des 5. jahrhunderts nach christus die römer nördlich der alpen zurückzogen, fluteten verschiedene bevölkerungsgruppen in ihre ehemaliges herrschaftsgebiet. in unserer gegend muss man von zwei völkern sprechen, den burgundiones oder burgundern, und den alemanii oder alemannen. die burgunder waren ebenso wie ihre nachbarn germanen. doch wollten sie unbedingt römer werden. sie nahmen ihre sprache an. sie konvertierten zum katholizismus. sie liebten den wein, und sie unterhielten die römerstädte mit ihren bischöfen weiter. die alemannen waren das pure gegenteil davon. sie behielten ihr idiom, sie blieben arianer, und sie tranken weiterhin bier. die städte mochten sie nicht. sie mieden sie, oder sie zerstörten sie. zu zweiten der römer war aventicum, das heutige avanches, eine stadt mit 20’000 einwohnern; 610 ging sie nach einem alemannensturm unter.

konstanz, die einzige bischofsstadt im alemannischen, die im mittelalter mit basel, genf, lausanne, sion oder chur stand halten konnte, war von hier aus weit weg. das galt auch für die stellvertreterklöster in st. gallen und zürich. nur das schwäbische entwickelte sich in ihnen mehr, während sich auf der seite der aare, auf der wir jetzt stehen ein völkchen mit viel eigenbrötlertum herausbildete. christianisiert wurde die bevölkerung erst im 10. jahrhundert, – durch burgundische klöster.

getrennt wurden die burgunder und der alemannen durch die aare. seit dem 9. jahrhundert war sie nicht nur eine kulturgrenze, auch eine politische grenze. wo das der fall war, brauchte es stets herrschaftszentren. befestigungen, sitze von adeligen, orte der versorgung, zentren der verwaltung. oltigen bot sich da an. unmittelbar unterhalb des zusammenflusses von saane und aare gelegen, war die stelle verkehrstechnisch günstig. der hohe felssporn attraktivierte die lage noch. er verschaffte zu jeder zeit aussicht, und bot damit sicherheit. schliesslich, olitgen heisst bis heute riviera von radelfingen, weil es so sonnenbeschienen ist.

oltigen ist einer ältesten brückenköpfe über die aare. eine feste brücke gab es nie, fähren schon. in oltigen herrschte seit dem 11. jahrhundert ein graf, der phasenweise sehr mächtig war. burkhart, der berühmteste von ihnen, wurde bischof in lausanne, gefolgsmann des kaisers. seine grösste wohltat: er liess das mittelalterliche städtchen avenches wieder aufbauen. seit dem 12. jahrhundert waren die oltiger herren nur noch provinzgrafen. genauso wie murten hielten man aber zu den savoyern und ihren vasallen in der gegend.

eine der mächtigsten erschütterungen der mittelalterlichen welt war die pest. 1348 wütete sie erstmals im mittelland, sie raffte wohl einen drittel der menschen weg. wer schutz versprochen hatte und diesen im entscheidenden moment nicht gewähren konnte, stand jetzt auf der anklagebank. so die kirche – und so der adel. die bauern rebellierten gegen klöster und grafen, denn sie wollten nicht mehr leibeigend sein und abgaben zahlen müssen.

den zwist, der auch in oltigen ausgebrochen war, nutzte das benachbarte bern. offiziell vermittelte man, faktisch betrieb man den sturz der burgunder, dem grossen thema des 15. jahrhundert. denn bern, die zähringerstadt, die parallel zu oltigen entstanden, aber ganz in der schwäbisch-zähringische tradition und in den herrschaftsbereich des deutschen königs eingebunden war, bildete das eigentliche gegenstück zum burgunderstädtchen an der aare.

1410 kam es in oltigen zum entscheidenden aufstand. bern half den aufständischen. als man sich durchgesetzt hatte, schleiften die sieger burg und stadt. der letzte graf, hugo von mömpelgard, wurde vertrieben; die verhasste konkurrenz aus dem aarestädtchen ganz zerstört. 1412 verlor savoyen alle rechte auf oltigen, seither ist man hier bernisch, zuerst stadt-, dann kantonsbernisch. in die kirche ging man nach wohlen, zu gericht musste man nach zollikofen.

heute spricht man in diesem zusammenhang gern von bauernbefreiung. ich nenne es eher herrschaftswechsel. denn die stadt bern, 1415 zum königlichen stand erhoben und mit allen rechte über leben und tod, fackelte damals nicht lang. damit man keine gefängnisse bauen musste, in denen man fremde durchfuttern musste, präferierte man bei eroberungen die zerstörung, für die angegriffenen bedeutete das flucht oder tod. und was man nicht erobern konnte, kaufte man auf dem aufstieg zum grössten stadtstaat nördlich der alpen zusammen.

als folge davon setzte sich auch diesseits der aare die kultur der alemannen durch. 1476 wurde der landstreifen, der bis murten reichte von eidgenössischen truppen erobert, und er wurde unter bernisch-freiburgische herrschaft gestellt. die kultur wurde zwangsweise (re)germanisiert. wer in bern vorsprechen wollte, musste deutsch sprechen können, die andern hörte und verstand man nicht. 1536 griffen die berner bis vor die tor genfs aus, und vertrieben die savoyer aus der gegend. was bernisch wurde, wurde auch reformiert. man war nun reformierte untertanen der eidgenossenschaft, die gefälligste berndeutsch sprechen sollten. erst napoléon bonaparte räumte damit auf, machte die untertanen zu bürgern, die besetzten gebiete zu gleichberechtigten kantonen und schuf damit eine der grundlagen für das friedliche und erspriesliche zusammenleben heute.

oltigen hat davon nicht wirklich profitiert. die stadt ist abgegangen, wie das etwas verharmlosen heisst. selbst die erinnerung ist aus der geschichte gestrichen worden. sie lebt nur noch in mythen weiter, die im internet weiter leben. das gibt dem ort doch noch eine hauch von troia.

sicher, die kulturelle trennung durch den fluss ist heute weitgehend überwunden. wirklicher verkehrsweg ist die aare aber nicht mehr, sie dient hier seit der industrialisierung der stromproduktion aus dem benachbarten mühleberg. davon morgen mehr.

stadtwanderer

energiedebatte in der energiestadt wohlen

grosse politik im kleinen wohlen. die energiestadt zwischen bern und mühleberg diskutierte mit einem hochkarätigen podium die fortführung des kernkraftwerkes im benachbarten mühleberg. der stadtwanderer war unter den mehr als 100 gästen dabei.

Schulbezirkewohlen bei bern: ein sammelsurium aus vororten von bern und bauerndörfern am wohlensee, der in mühleberg endet.

vordergründig den stärksten auftritt des abends hatte urs muntwyler, professor an der hiesigen fachhochschule und bis ende 2010 inhaber einer solarstromfirma, die heute in wohlener hände ist. er breitete seite vision der energieversorgung in der schweiz aus. danach würde der strom in absehbarer zeit zur zentralen kraftquelle und dieser würde weitgehend durch erneuerbare sonnenenergie produziert werden. martin pfisterer, geschäftsleitungsmitglied der bkw, widersprach dem nicht fundamental, doch ist diese zukunft nach seiner schätzung nicht vor 400 jahren zu haben. bis dann seien wir auf andere energieträger angewiesen, hielt er dagegen. und unter denen sei kernenergie klimafreundlicher als fossile brennstoffe. michael kaufmann, vize im bundesamt für energie, bestätigte, dass es bei der konsultativabstimmung vom 13. februar im kanton bern über die zukunft des amtommeilers mühleberg genau um die weichenstellung zwischen nicht-erneuerbarer kernenergie und erneuerbaren alternativen hinzu geht.

da setzten auch auch die beiden politikerInnen auf dem podium, ursula wyss von der sp und christian wasserfallen von fdp, an. für den bürgerlichen geht es in drei wochen darum, den eintritt in die zweite generation von kernkraftwerken einzuleiten, weil es kurzfristig keine alternative zur energieversorgung mit wasser und kernkraft als zentralen säulen gibt. für ursula wyss ist demgegenüber der momenten für den ausstieg aus der veralteten kernenerige gekommen. sie hofft, dass die 10 bis 15 milliarden, die mühleberg 2 kosten würde, voll und ganz in erneuerbare energiequellen investiert werden.

lisa stalder vom berner “bund” leitet das podium geschickt. sie nahm die tagesaktualtität im abstimmungskampf auf, liess dann aber der grundsatzdebatte den nötigen raum. so diskutierte man kurz, warum das zwischenlager in mühleberg in den abstimmungsunterlagen nicht erwähnt sei. “nicht der rede wert”, meinte wasserfallen, da man alles gewusst habe. “wenig vertrauensbildend”, erwiderte ihm wyss. kontroverser waren die reaktionen auf die angeküpndigte reduktion der bkw zum anteil der erneuerbaren energien. “mit blick auf die abstimmung ungeschickt”, monierte wasserfallen, während pfisterer die sda kritisierte, unsachgemäss berichtet zu haben. von wollen keine spur, meinte er, von müssen schon, da es auch gegen solche projekte widerstände in der gesellschaft gäbe.

mehr als 100 personen verfolgten in der energiestadt wohlen die debatte zur anstehenden volksabstimmung im kanton mit nationaler ausstrahlung. der eine nachbar bern hat seine antwort schon im november 2010 gegeben und beschlossen, bis 2040 aus der kernenergie auszusteigen. dafür nimmt man ein gaskraftwerk in kauf. der andere nachbar, kkw-standort mühleberg, wird am 13. februar höchstwahrscheinlich gegenteiliges tun. entsprechend lavierte der wohlener gemeindepräsident knecht bei seinem votum zur volksentscheidung. er lobte firmen wie diese auf dem gemeindebann, warb dann aber kleinlaut für ein ja zum ersatz von mühleberg.

die reaktionen waren typisch, als das publikum zum wort kam: der geologe sprach davon, die technischen probleme mit der endlagerung radioaktiver abfälle seien im prinzip gelöst; verblieben sei nur das politische problem. der entwicklungshelfer wiederum monierte, die ängste der bevölkerung in der 15 kilometer-distanz zu mühlberg seien real; man habe jod-tabeletten für den ernstfall bekommen, aber keine informationen, was man im ernstfall tun müsse. der parteilose bürger wollte wissen, warum die kernkraftbetreiber keine versicherung über 2 milliarden franken schäden hinaus hätten, was bei einem unfall in der region kaum einen pappenstile der schäden decken würde. und der lokale unternehmer fragte sich, was geschehe, wenn angesichts steigender energiekosten der strom aus mühlberg 2 dereinst teurer sei als der aus wind- oder sonnenenergien.

urs muntwyler sah sich an diesem abend bestätigt. investieren müsse man in die photovoltaik, denn nur eneuerbare quellen würden den wachsenden bedarf an energie sinnvoll decken können, sagte er. die politik, lästerte der gleiche auch, werde angesichts wachsender rückstände auf das nahe ausland den wechsel nicht rechtzeitig bewerkstelligen können. doch mag die bkw ihm nicht folgen, will die energiesicherheit bis mindestens 2060 auf ihre art sichern.

das stimmvolk wird am 13. februar 2011 entscheiden.

stadtwanderer

das vergangene steuerparadies

es ist ein tolles weihnachtsgeschenk, das der bernische historische verein seinen mitgliedern gemacht hat. denn sie haben das neueste buch über berns geschichte erhalten, verfasst von stefan altorfer-ong, das er unter dem titel “staatsbildung ohne steuern” geschrieben hat.

178_9_AHVB_Bd86_grder werdegang des jungen historikers ist unüblich. nach dem studium an der uni bern ging er nach paris, schliesslich nach london, um sich vertieft seinen wirtschaftshistorischen studien zu widmen. seine 2007 auf englisch erschienene dissertation ist nun in modifizierter form auf deutsch auf den buchmarkt gekommen. einen surpluse-state nennt altorfer seinen jetzigen wohnsitz singapur, wo der staat keine schulden macht, sondern überschüsse erzielt. das war, so eine treffende beobachtung des autors, auch im staate bern des 18. jahrhunderts der fall.

die analytische kette, die altdorfer zur erklärung der unerwarteten sachverhalts entwickelt, ist elaboriert. am anfang aber steht ein für damalige verhältnisse grosser staat, der nach einer heftigen expansion im 15. und 16. jahrhundert abschied vom krieg als mittel der eroberung nahm. tiefe verteidigungsausgaben waren die folge, aus denen budgetüberschüsse resultierten, die staatsschulden zum verschwinden brachten, gewinnbringende investitionen begünstigten, was es erlaubte, weitgehend auf steuern zu verzichten. parallel zu diesem auch für die staaten des 18. jahrhunderts untypischen befund führt altorfer drei ergänzenden kreisläufe ein:

erstens, den milizkreislauf, mit dem die patrizier wie die untertanen ihren dienst an der gemeinschaft, den militärdienst, unentgeltlich erbrachten.
zweitens verweist altorfer aus dem investitionskreislauf, der zuerst den salzhandel beförderte und einträge brachten, dann zu reserven führten, die zuerst in london, dann in amsterdam und schliesslich über an königshöfen geldbringend angelegt wurden.
drittens kommt der analytiker auch auf den repräsentationskreislauf zu sprechen. der weitgehende verzicht auf steuern erlaubte eine spezifische form der herrschaft. die untertanen, blieben im lokal autonom, und bewaffnet. das erforderte von den landvögten rücksichtnahme, wenn sie mit gewinn nach bern zurückkehren wollten.

das material, das der junge historiker hierzu ausbreitet, ist nicht überall neu. es ist aber in vorbildlicher weise systematisch gesammelt und aufgearbeitet worden. im eben erschienen buch wird es, nach einer übersicht über die patrizische herrschaftsform in der res publica bernensis, in gut verständlicher form unter drei gesichtspunkten präsentiert: der langfristigen entwicklung der staatsfinanzen, ihrer umverteilung zur erfüllung der staatsaufgaben und ihrer anlage im ausland.

besonders wertvoll sind die gut 300 seiten zielgerichteter darstellung bernischer wirtschaftsgeschichte namentlich wegen des standpunktes des autors. wegen seiner guten quellenkenntnisse zur lokalgeschichte gelingt es ihm, vorhandene, sozialwissenschaftlich-vergleichenden vorgehensweisen zum leben zu erwecken. so spannt er den bogen zu grossen themen der geschichte der frühen neuzeit. dazu zählt, wie sich der steuerstaat herausgebildet hat. der üblichen these, dies sei via kriegsführung und bedarf zu anonymen kapitalmärkten mit aktiengesellschaften geschehen, kann er mit dem beispiel des bernischen staates gegenüberstellen: denn der staat entwickelt sich ohne steuern zu erheben und hierfür eine bürokratie zu entwickeln.

einen domänenstaat nennt altorfer bern im 18. jahrhundert ist, der im mittelalter ausgeformt wurde, sich mit der reformation aber verändert hatte. deshalb erhebt er ihn gar zum “unternehmerischen domänenstaat”, denn mit salz und finanzen ging der bernische staat im 18. jahrhundert geldbringend um – besser als dies noch bis ins 16. jahrhundert der fall war, aber weniger gut als das kolonialmächte ausserhalb der eidgenossenschaft vollbrachten. so erscheint das bern der damaligen zeit gleichzeitig als fossil wie auch als trittbrettfahrer, das seine vorteile unter veränderten geopolitischen bedingungen einzubringen wusste.

an die politische geschichtsschreibung gewohnt, liesst man die wertungen des autors an verschiedenen stellen überrascht und irritiert. denn sie könnte auch zur rechtfertig der feudalherrschaft angesehen werden. diese betriebsblindheit ist wohl jeder wirtschafts-, sicher aber jeder finanzgeschichte eigen, deren vorteil es dafür ist, die grundlage des funktionieren eines staates aufzuzeigen. und diese war patrimonial, aber weder eindeutig absolutistisch (wie spanien oder portugal) noch konstitutionell (wie ungarn oder polen), womit sie in der geschichtsschreibung als wenig beschriebener, eigener typ gelten kann.

die ironie der bernsichen geschichte im 18. jahrhundert ist allerdings, dass er erwirtschaftete überschuss als ultimo ratio für den kriegsfall galt, denn mit dem staatsschatz wollte man sich im kriegsfall wenigstens akut autark finanzieren. napoléon kriegsführung ohne staatsgeld führte dann dazu, dass gerade die staatsschätze reicher republiken wie venedig und bern zu eigentlichen kriegszielen avancierten, mit den die adeligen steuerparadiese jen- und diesseits der alpen ihr ende fanden.

stadtwanderer

die schweizer medien – les médias suisses

ein thema – zwei bücher, eine recherche – zwei perspektive, eine buchvernissage – zwei preise!

0-3413478richard aschinger spricht leise. die worte kleben ein wenig an seinen lippen. seine augen sind fest auf das manuskript gerichtet, das er in seiner recht hand hält. mit der linken gibt er, wenn es ihm wichtig wird, den takt vor. verhaltener protest eben. dann erhebt sich sein blick ein wenig über den brillenrand hinaus, sucht das publikum, um es etwas verdeutlicht anzusprechen. wenn er dabei seinen kopf leicht bewegt, fallen die ungekämten haare etwas weniger auf.
viele jahre hat der gestandene und gealterte journalist über und für die schweiz berichtet. aus new york, aus zürich und aus bern. internationales, nationales und lokales hat ihn stets interessiert. für letzteres ist der redaktor des “tagi” und des “bund” sogar mit einem preis ausgezeichnet worden. seither wirkt er als freier autor – vor allem über die entwicklungen der medienlandschaft schweiz. das ist nicht nur selbstbeschäftigung, das ist auch eine grundfrage zur zeit.
das buch, das aschinger verfasst hat, heisst “Die News-Fabrikanten. Schweizer Medien zwischen Tamedia und Tettamanti”. vielleicht ist das dem verlag schon etwas peinlich, weil diese news nur wenige tage nach dem druck schon etwas antiquiert wirkt. deshalb listet der europa-verlag das buch unter “Schweizer Medienmachen. Schleckzeug statt Information”. so wird wohl die zweite auflage heissen, um etwas zeitloser gültig zu sein.

eclectica_infopop_couv250dieser titel ist auch deutlich näher an der französischen version. geschrieben hat sie christian campiche. benannt wird sie “Info-Popcorn. Enquêtes au coeur des médias suisse”. das trifft das projekt genauer, denn entstanden ist, nach vielen jahren der absenz, wieder einmal eine kritische gesamtschau zum stand der schweizer medien.
campiches auftritt bei der vernissage ist eleganter als der von aschinger. das beginnt schon beim grau melierten haar, das der riese fast zwei meter über dem boden trägt. seine worte ans berner publikum sind auch gewählter, aber nicht minder deutlich. dafür hat auch welsche journalist ein manuskript mitgebracht, und er hält es fest in beiden händen, genauso wie er seinen gegenstand zupackend vor augen hatte.

recherchiert haben die beiden medienkollegen gemeinsam. ihr thema: der zerfall der medien angesichts der konkurrenz auf dem werbe- und medienmarkt, die neuorganisation der presse in form von konzernen und die fragile rolle der öffentlichen meinung in der mehrsprachigen demokratie der schweiz. wahrlich, zwei bücher zur zeit, und vorteilhaft, dass wieder einmal ein thema nicht nur aus zürcher oder genfer optik behandelt wird und das verfasste das als schweizerisch gilt, sondern ein bilingues projekt realisiert wurde.

getextet haben die beiden aber unabhängig von einander, nur gegengelesen haben sie die manuskripte, die es seit dieser woche zu kaufen gibt. ich bitte nach der buchpremiere beide um ein autogramm. je eines, dass die medien auf der anderen seite des röschtigrabens beschreibt. richard aschinger ist ganz verlegen, braucht ein weile, bis er die situation rafft, um dann in berndeutschem französisch sich über die liebe zwischen den landesteilen auszulassen, die blüht, weil man sich nicht immer mit der nötigen deutlichkeit verstehe. christian campiche kommt ohne verzug zur sache. deutsch meidet er aber, dafür schreibt er in sauberem französisch, tamedia (und tettamanti) seien alleweil besser als hersant aus frankreich.

was in ihren büchern steht, weiss ich noch nicht. die buchankündigungen und die ersten buchbesprechungen versprechen viel. zum beispiel eine analyse zur lage der nation. denn ohne medien gäbe es keine gesellschaft mehr. und genau diese medien unterlägen einem rassanten wandel. das alles nehme ich mal zur kenntnis, mit vorsicht jedoch, denn schon im klappentext lese ich, wie die pr in den journalismus vordringt, wie die der markt alles verändert, was um wichtig ist. das ist wohl auch im buchmarkt so.

a propos buchmarkt: 38 francs bezahlt man für die version von campiche, 26 franken für die von aschinger. nur während der buchvernissage in der münstergasse-buchhandlung waren beide noch gratis …

stadtwanderer

nicht alles gold was glänzt

wenn es um wirtschaftsförderung geht, ist man in bern von zürich regelmässig beeindruckt. wer es sich etwas differenzierter ansieht, denkt, die standortförderungsorganisatio “greater zurich aerea” sei der hebel hierfür. und wer ganz genau hinsieht, merkt, dass bei weitem nicht alles gold ist, was glänzt.

gza1seit 12 jahren arbeitet die gza als agentur für standortmarketing für den raum grosszürich. diese woche kündigte die direktion der kantonalen volkswirtschaft an, dass es zu einer neuausrichtung kommen werde. nun veröffentlicht die nzz von heute eine evaluierung, welche die univ. st. gallen gemacht hatte – mit kritischer bilanz.

die gza agiert in form einer aktiengesellschaft und hat dafür ein jahresbudget von 4 millionen chf. hauptaufgabe ist es, firmen in den wirtschaftsraum zürich zu holen. die evaluierung zeigt, dass das nur die hälfte der effektiven tätigkeiten umfasst. die andere hat sich aus der sache heraus entwickelt, ohne strategisch geführt und mit den instanzen der kantone und städte koordiniert zu sein. typisch, sage ich da, und verweise ich auf meinen gestrigen artikel!

die ansiedlungspolitik halte sich in grenzen, schreib der bericht weiter. zwischen 2005 und 2008 seienh 133 firmen erfolgreich angeworben worden. total habe das 549 arbeitsplätze gebracht. die regel seien kleinstfirmen, grosse fische sind selten. pro geschaffenem arbeitsplatz bezahle die allgemeinheit 24000 chf.

das profil der organisation wird denn auch kritisiert. erwogen werden drei neuausrichtungen: der erste pfad sieht vor, die gza zu einem reinen gremium der beteiligten kantone und städte zu machen. der zweite schlägt ebenfalls vor, sich von den unternehmen zu trennen, und die aufgaben der gza ganz in die kantonale volkswirtschaftsdirektion zu integrieren.

im dritten modell würde die public-private-partnership bestehen bleiben, die aufgaben der gza aber auf den ursprungszweck zurückgeführt werden. die tätigkeitsfelder und organisationsstrukturen müssten dann ganz auf das marketing ausgerichtet werden, das neue firmen gewinnt.

unter dem strich bleibt: viel weiter ist zürich auch nicht als bern, wenn es um aktive standortwerbung geht. die eben geschaffene hauptstadtregion schweiz mit städten und kantonen kommt einer der propagierten neuausrichtungen letztlich sehr nahe.

stadtwanderer

hauptstadtregion gerade noch rechtzeitig aus der taufe gehoben

nach vielen diskussionen, zahlreichen initiativen und einer planungsstudie ist die hauptstadtregion schweiz aus der taufe gehoben worden.

gruendungsvorstandder gründungsvorstand mit den co-präsidenten rickenbacher und flury an der spitze

fünf kantone, 17 städte und 3 regionale organisation haben am letzten donnerstag die hauptstadtregion schweiz gegründet. co-präsidenten des vereins sind vorläufig andreas rickenbacher, sp-regierungsrat und volkswirtschaftsdirektor des kantons bern, und kurt fluri, stadtpräsident von solothurn und fdp-nationalrat.

drei ziele verfolgt der verein:

• die gemeinsame identität stärken und die vernetzung verbessern, um das vorhandene potential der region optimal zu nutzen.
• die nähe zur politik vermehrt als wirtschaftliches kapital nutzen und die damit verbundene wertschöpfungskette stärken.
• die hauptstadtregion schweiz im schweizerischen raumkonzept schweiz gleichwertig positionieren wie die metropolitanregionen.

das ist lobenswert: denn die vorläuferorganisation, der espace mittelland, musste schliesslich ohne grosse ausstrahlung erlangt zu haben, beerdigt werden. nun hat die politik angebissen, realistische vorgaben gemacht, und ein erstes budget gesprochen. damit lässt sich ab 2011 ein netzwerk aufbauen, das einfluss nimmt, auf kommende raumanalysen, und auf institutionelle neuerungen.

symbolisch wurde der verein im inselspital gegründet, einem der zentralen wirtschaftsfaktoren der hauptstadtregion. denn das medizincluster der region kann sich sehen lassen. möglich wäre es auch gewesen, die gründung mitten im bahnhof bern vorzunehmen, weil dieser für die vernetzung des westlichen mittellandes absolut zentral ist.

im arbeitsprogramm 2011 figurieren zahlreiche konkrete projekte:

• hauptstadtfunkition: wissenschaftliche analyse der volkswirtschaftlichen bedeutung der hauptstadtfunktion und definition von massnahmen zur stärkung der entsprechenden wertschöfpungskette,
• s-bahn: aufbau eines integrierten öv-gesamtsystems mit einer leistungsfähigen s-bahn als rückgrat,
• öv-knoten bern: vertretung des projekts «Zukunft Bahnhof Bern» durch gemeinsame lobbyarbeit auf aundesebene,
• raumkonzept schweiz: zusammenarbeit bei stellungnahmen und gemeinsame lobbyarbeit bei der umsetzung des raumkonzepts,
• universitätsspital insel und weitere allianzpartner»: positionierung der hauptstadtregion als kompetenzregion für ein anwendungsbezogenes gesundheitswesen im in- und ausland,
• mehr- und fremdsprachige und internationale matura: schliessung einer lücke in der hauptstadtregion.

ich freue mich, dass das netzwerk noch knapp rechtzeitig fertig geworden ist, um die wichtigste aufgabe zu erfüllen, wie ich sie auf der website formuliert habe: “Berns Stärke als Politzentrum hat nationale Reichweite. Darauf muss man setzen und Berns Rolle national ausrichten – als zentrale Schaltstelle der drei schweizerischen Metropolitanräume Zürich, Basel und Genf/Lausanne.”

stadtwanderer

über immer mehr immer weniger entscheiden zu können.

im kurs der gemeindepolitikerInnen zur politischen theorie blieben wir eigentlich bei der ersten frage stehen: was ist eine demokratie? dabein entwickelten wir einen gedanken, der aus der eigenen erfahrung stammt, und sehr wohl mit den vorstellungen führender politikforscher der welt standhalten konnten.

Global Networkdie erste antwort an diesem abend war noch etwas verhalten, aber typisch: wenn das volk entscheiden kann, und die politiker doch machen können, was sie wollen! danach sprudelte es antworten: wenn man wählen, ja wenn man auswählen kann. wenn man abstimmt, in der sache entscheidet. wenn alle gleichberechtigt sind. wenn ethik und moral gewährleistet sind.

ich habe versucht, die antworten auf eine grosse schiefertafel zu schreiben – vorsortiert, ohne das unterschiedungskriterium direkt zu nennen. doch waren rechts alles verfahren, die auf institutionen basieren, und links waren alle werte und soziale grundlagen, welche diese institutionen gewährleisten.

in der diskussion dieser beiden richtungen der demokratietheorie merkten wir bald. die schweiz hat ausgebautete institutionen der demokratie, ja der direkten demokratie. wenn die so festgelegten verfahren der entscheidung funktionieren, halten wir die ergebnisse für demokratisch hergestellt und damit korrekt, egal, was dabei herauskommt. das entspricht letztlich dem denken des österreichisch-amerikanischen ökonomen joseph schumpeter, der die demokratie in radikalster art und weise als rine methode definiert hat.

das gegenstück dazu ist die materielle demokratietheorie. sie ist bei uns unterentwickelt. beispielsweise wurden die grundrechte in unseren verfassungen des 19. jahrhunderts nur beschränkt aufgenommen, und sie galten anfänglich beispielsweise für die juden nicht. vor einem jahr, bei der abstimmung über die minarett-initiative, kümmerte sich die mehrheit nicht um so solche grenzziehungen demokratischer entscheidungen. auch das ist typisch schweizerisch.

die entwickler des grundrechtskataloges in der schweiz waren die gerichte, es war nicht das volk. unter ihrem einfluss sind sie in die geltenden verfassung vom 1. januar 2000 aufgenommen wurden. und exponenten unter unseren (ehemaligen) richtern gehören heute zu den wichtigsten verteidigern der grundrechte, im namen des universalismus und der demokratie.

john keane, ein australischer politikwissenschafter, äussert sich – zufällig oder nicht – zu unserer thematik vom donnerstag abend im heutigen “magazin“. auch er unterscheidet zwischen demokratie als institution, und demokratie als geist. ersteres hätten die griechen erfunden, wie ich es auch gesagt habe. letzteres, nimmt keane an, sei mit der ausbreitung des denkenden menschen entstanden.

demokratie, so ist keanes definition, ist nicht, wenn man wählen oder (wie in der schweiz) abstimmen kann, sondern wenn die macht möglichst aufgeteilt in einer gesellschaft vorkommt. die krise der repräsentativen demokratie, die er diagnostiziert, sei eine krise gegen die konzentration der macht im parlament der nationen, weil diese angesichts der rasanten entwicklungen der globalisierten wirtschaft über immer weniger immer mehr zu entscheiden versuchten, während die bürgerInnen spürten, dass die politik zu immer mehr immer weniger zu sagen hätten.

keane glaubt, dass eine neue form der demokratie aufkommt, die monitory democracy, wie er es nennt, die beobachtete und kontrollierte demokratie, in der nicht neue institutionen des staates entstehen, aber neue formen der zivilgesellschaft. deren träger sind akteure, die parlamente und die regierung kontrollieren und kritisieren, grenzüberschreitend vernetzt sind, global kommunizieren, und lokal agieren.

soweit kamen wir in unserer theoriediskussion nicht ganz. die symptome waren aber aufgezeichnet. die bürgerInnen bringen sich ein, wenn die behörden machen was ihnen passt. aber sie wollen nicht mehr in die institutionen. sie wollen, dass ihre interessen einfliessen, wo und wie auch immer.

beachtlich, würde ich sagen, für einen kurs unter bernischen gemeindepolitikerInnen, die bereit sind, sich nach einem arbeitstag politisch weiter zu bilden, und durchaus ebenso spüren, wie die essenz der politik, ja der demokratie, die an den nationalstaat geknüpft ist, ins wanken geraten ist, ohne dass sich eine eindeutige alternative hierzu abzeichnet.

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politische theorie für den abend

heute abend haben ich meinen kurs für gemeindepolitikerInnen aus dem kanton bern. ich bin gespannt. die aktualität hat mich momentan stark gepackt, und deshalb versuche ich heute abend etwas ganz anderes.

415867361_ff016246eddas bwd – vis-à-vis des stade de suisse, wo ich politische theorie für praktikerInnen unterrichte
politische theorie soll ich den kommunalpolitikerInnen beibringen. drei stunden habe ich dafür. das geht sicher nicht. nur schon weil die abgrenzung zwischen politischer philosophie und politischer theorie schwierig ist, aber auch zwischen politologischer theorie und politischer theorie gibt es keine scharfe trennlinie.

so habe ich mich entschieden, meine leute abend zu fragen: was ist eine gute politik? darüber sollen sie mal nachdenken, sich ausdrücken, und sie sollen versuchen, ihre vision zu formulieren. dann, im zweiten teil will ich fünf fragen behandeln, die aus der griechischen politphilosophie, aus der aufklärung und aus den gegenwartstheorie stammen.

das sind sie:

erstens, was ist besser: die weisheit des königs oder die weisheit aller?
zweitens, was sind die vor- und nachteile des kleinen und des grossen raumes in der politik?
drittens, soll sich der staat konfessionelle neutral verhalten, oder in konfessionalen fragen stellung beziehen?
viertens, haben wir heute noch gewaltenteilung oder nicht mehr wirklich?
fünftens, kann man gerechtigkeit überhaupt definieren?
sechstens, leben wir heute in der ersten oder in der zweiten welt, der realität oder fiktionalität?

mal sehen, wie die politiker und politikerinnen darauf reagieren? – diskussionsbeiträge auf dem stadtwanderer sind durchaus erwünscht!

stadtwanderer

polit-talk an der poschi-station

ich wartete auf mein poschi. da spricht mich eine ältere frau im wartehäuschen in der berner länggasse an. doch sie verwechselte mich, mit einem beamten bei der gewerbepolizei. als ich mich vorstellte, sagt sie, sie würde mich trotzdem kennen. vom fernsehen. und den abstimmungen. und so ergibt das eine wort das andere.

los ging es mit der ausschaffungsinitiative. sie sei taxifahrerin gewesen, sagte sie mir meine gesprächpartnerin. “wenn du einmal das messer am hals hattest”, fuhr sie fort, “und du nicht mehr weisst, ob du deine familie noch einmal siehst, machst du dir nicht lange gedanken, wie du da stimmen sollst.” sie sei für die initiative, bekannte sie, während sie ein wenig an ihrem wägelchen zog, das aussah, wie eines der post, mit dem man die grossen postfächer lehren kann.

als ich auf den gegenvorschlag zur ausschaffungsinitiative zu sprechen kam, waren wir sofort bei karin keller-sutter. der name sei ihr zu kompliziert, gab die ex-taxichauffeuse offen zu. was sie wolle, sei aber gut. da wisse man, was man habe. sie hätte es gerne gehabt, wenn die st. gallerin bundesrätin geworden wäre. mit simonetta sommaruga sei sie aber auch zufrieden. dass sie keine juristin sei, sei sowieso ein vorteil. die meisten seien keine juristen, fügt sie mit einem augenzwingern bei. gerne möchte ich antworten, ich auch nicht.

doch da wird mir das wort gleich abgeschnitten: der bundesrat sei nicht mehr viel wert. er verpasse jede gelegenheiten, sich beim volk zu empfehlen. er lebe wie die sieben zwerge. dann entschuldigt sie sich umgehend. so habe sie das nicht gemeint, aber viel vertrauen können man da einfach nicht mehr haben. selbst wenn der wirkliche zwerg nicht mehr dabei sei.

damit sind wir nahtlos bei der steuergerechtigkeit. da dampft es gleich von neuem aus dem gesicht meines gegenübers. es sei ja schlimm, dass der villiger nochmals arbeit angenommen habe. nötig habe er es ja nicht mehr gehabt. darum sei es besonders schade, dass er seine unabhängigkeit gegenüber der ubs nicht mehr genutzt habe. es sei beschämend, dass er die ganster habe laufen lassen. doch das sei wohl typisch für die fdp. die nehme es von den kleinen und gebe es den grossen. pelli gehöre auch dazu: sein generalabonnement als parlamentarier habe er gratis. von den anderen wolle er nun mehr geld. nach einer kurzen gedankenpause führt sie aber bei. “ich bin in keiner partei. ich wüsste auch nicht wo. denn darin sind sich alle politiker von links bis rechts einig: dass das volk für ihre dummheiten bezahlen müsse!”

wir verabschieden uns, denn unsere busse fahren in verschiedene richtungen. mir entgeht der nebensatz in der abendkonversation nicht: “machen sie es gut, wenn sie das nächste mal sagen müssen, wie es rauskommt!”

ich werde mich ihrer erinnern …

stadtwanderer

nochmals volltanken

schon der frühe morgen war vielversprechend. der nebel über der aare lichtete sich, und der himmel über hinterkappeln färbte sich in ein helles blau. die temparatur stieg rasch an, als wollte sie einen herbsttag im september ankündigen.

doch es war sonntag, den 14. november 2010.

uns hielt der prachtstag nicht lange zuhause. biel/bienne war das ziel, genauer gesagt magglingen/macolin. da multiplizierte sich die angesagte pracht ins x-fache. zu füssen lag die stadt, dahinter lyss-aarberg, und selbst bern konnte man knapp erkennen. rechter hand glizzerte das seeland mit wiesen, wäldern und seen. allen voran der bielersee, sogar mit segelbooten, die vielleicht ein letztes mal noch ausliefen. hinter der ganzen kulisse reihten sich die alpen auf, schneebedeckt, daran erinnernd, dass es bald überall winter sein wird. heute glänzten alles von den freiburger bis luzerner alpen im klarsten sonnenlicht, sodass man die berge für ein herrliches zuckergebäck hielt, in das man am liebsten gebissen hätte.

der spaziergang hinunter nach biel/bienne wärmte uns so richtig, womit der mitgebrachte schal bald überflüssig war. das galt bisweilen auch für die lederjacke, die man lieber über der schulter hängend durch denn leichten wald nach unten trug. die frage, ob wir an der mittelstation die bahn nach ganz unten nehmen sollten oder nicht, war rasch beantwortet: keine sekunde würde man an einem solchen tag freiwillig die würzige luft, den wärmen wind, das tolle gefühl der natur missen wollen. so führte uns die wanderung um verschiedene wegkurven hinunter zum pavillon über biel/bienne, von wo aus wir die übersicht über hafen, stadt und umland ein letztes mal genossen.

wieder zu hause kam gar zur premiere: gegessen wurde auf der dachterrasse, zum ersten mal 2010, fröhlich lachend, den tag, die woche, das jahr revue passierend lassen. denn so fantastisch wie heute fallen die bilanzen wohl nie mehr aus. es war, als sei man nach einer langen wanderung, in einer oase angekommen, um sich zu laben, ob sie wirklich war, oder nur eine fatamorgana interessierte dabei kaum mehr. hauptsache man konnte nochmals voll auftanken!

stadtwanderer

mein erstes date in bern

es war der 1. august 1980, als ich nach bern zog. die stadt war mir damals alles andere als vertraut. der grüngraugelbe sandstein der häuser prägte den ersten eindruck – und die langen, langen gassen der altstadt, die alle gleichgerichtet von osten nach westen zeigten.

stadtplanbern1_4endlich hatte ich nach einigen wochen auch mein erstes date. eine nette kollegin, die ich seit dem gymnasium nicht mehr gesehen hatte, erwartete mich in der aarbergergasse. ich freute mich, putzte mich ein wenig heraus und ging erwartungsfroh in die stadt.

doch um himmels willen, welches war denn nun die aarbergergasse? – die in der mitte? die im süden? oder die im norden? schlimmer noch, ich wusste nicht einmal wo norden und süden war. denn alle sahen sie gleich aus, eng, verwinkelt, fast so wie in einer orientalischen stadt!

so wartete ich – an der falschen kreuzung. eine viertelstunde. eine halbe stunde. eine ganze stunde! bis ich merkte, dass ich gar nicht am abgemachten treffpunkt stand, die falsche strasse erwischt hatte, und mein date schon längst verspielt war.

damals gab es noch keine handies, über die man sich hätte verständigen können. es gab nur ein leicht vorwurfsvolles telefonat, spät abends, wo ich denn geblieben sei, die enttäuschung sei gross gewesen, und ich müsste mir nun schon was spezielles einfallen lassen, dass es zu einer weiteren verabredung komme.

der banause, der ich damals war, entschied sich: entweder die stadt umgehend zu verlassen, oder aber sie kennen zu lernen. ich entschied mich zu letzteren. nach vielen jahren des unbewussten bewohnens von bern begann ich mich auch aufzumachen, die stadt bern bewusst zu entdecken, unter anderem deshalb, dass ich nie mehr ein date verpassen würde.

mehr über diese und andere geschichten in bern gibt es auf der neuen website “bern – der film” zu sehen, die der berner filmemacher daniel bodenmann mit seinem team gemacht hat, um auf die spezialitäten der bärenstadt und ihres bärenparkes aufmerksam zu machen.

es berichten der stadtpräsident alexander tschäppät, barbara hayoz, reto nause, bernd schildger, urs berger, heinz stämpfli, walter bosshard über ihr gänz besonderes bern, genauso wie der

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zum beispiel kirchberg an der emme

wer im ersten, kleinen bahnhof auf der linie burgdorf-solothurn aussteigt, wähnt sich im bernischen kirchberg. effektiv steht die haltestelle in alchenflüh, genauer noch in rüdlingen-alchenflüh, durch die emme räumlich von kirchberg getrennt, topografisch aber eine einheit bildend.

Kirche_Friedhof_ganz_mit_Waeglider kirchberg von kirchberg
kirchberg hat seinen namen von der markanten felswand über der emme, auf der die weitherum sichtbare kirche steht. 1506 wurde sie von bern aus errichtet, noch bevor die reformation bisher unwiderrufen einzug hielt. die streng-geraden wege durch den friedhof drücken das unverkennbar aus, die fein-säuberlich geschnittene rasen und die die ebenso behandelten bäume ebenfalls. im kirchgemeindezentrum ist man bemüht, dass tradition weitergegeben wird. gross ist die werbung für das teenagerlager 2010, mit fotos und erlebnisberichten, die sich an die jugend wenden.

es ist 12 uhr, als ich vom kirchberg aus in die landschaft schaue. vor mir ist der weissenstein im solothurnischen jura, und hinter mir ragen die verschneiten alpen in den himmel. alles wirkt friedlich, bis die sonore glocke die ruhe mit mächtigen getöse durchschneidet. anschliessend zwitschern ein paar aufgeschreckte vögel, um sich zu gewissern, dass die ihrigen noch leben. unmittelbar danach tönen frauenstimmen aus dem kirchgemeindehaus. sie stimmen kirchliche lieder an, und aus dem benachbarten stöckli hört man männerstimmen das gleiche tun. es ist, als kündige der ewig wiederkehrende gesang das wochenende an.

die geschichte von kirchberg

die frühesten archäologsichen funde sprechen für einen flussübergang seit 3000 jahren in kirchberg. urkundlich bezeugt ist die gegend seit gut 1000 jahren. der name rüdlingen wird als ort des sippenführers ruodilo interpretiert. die erste erwähnung im jahre 894 bezeugt daselbste eine gerichtsstätte. 922 wurde rüdlingen unter könig rudolf ii. und seiner schwäbischen gemahlin, könig berta, burgundisch. deren tochter adelheid, mitbegründerin des hochmittelalterlichen kaiserreiches im jahe 962, vermachte ihre güter im simmen-, aare- und emmental 994 dem elsässischen kloster selz, das sie kurz zuvor gestiftet hatte, und in das sich die kaiserin zum sterben zurückzog.

100 jahre nach ihrem tod kam selz zum burgundischen kloster cluny, und wurde so zu einem teil des gottesstaates des papstes, der den kreuzrittern im nahen osten als wichtige rekrutierungsbasis diente. auch kirchberg gehört dazu, wurde aber vom 13. jahrhundert an von den einheimischen herren von thorberg verwaltet. diese erwirkten 1283 von könig rudolf von habsburg die stadtrechte, ohne dass der erhoffte aufschwung eingesetzt hätte. so kam der ehemalige klosterbesitz 1429 zu bern, das 1481 die rechte, die noch fehlten, mit geld erwarb, und kurz darauf auf dem kirchberg die heutige kirche errichten liess.

1640 baute man von bern aus den bestehenden fussgängersteg zu einer hölzernen fahrbrücke aus, die 40 hochwasser überstand, bis sie 1865 durch eine eiserne, 1963 durch die bestehende betonbrücke ersetzt wurde. 1965 kam der anschluss an die autobahn n1 hinzu. die beabsichtige fusion zwischen kirchberg und rüdlingen-alchenflüe scheiterte 1973 in der volksabstimmung, obwohl man längst eine kirchgemeinde war und gemeinsam infrastrukturen unterhielt.

die ältesten gewerbebetriebe in kirchbern sind bleichereien, druckereien und der engroshandel, allesamt von unternehmerisch denkenden kaufleuten lanciert, die in burgdorf abgewiesen worden waren. mit ihnen änderte sich die fast ausschliesslich landwirtschaftlich geprägte umgebung. 1871 wurde in kirchberg ein eigener handwerker- und gewerbeverein begründet, die spar- und leihkasse sowie der eisenbahnanschluss eröffnet, was die industrielle entwicklung mit tuchfabriken, webereien und aluminiumwalzwerken einleitete. heute leben gut 5000 menschen in kirchberg, und in rüdlingen-alchenflüe sind es mehr 2000. auf zwei einwohnerInnen kommt eine arbeitsstelle vor ort, verteilt auf 270 betriebe.

die soziologie von kirchberg

eingeladen vom bürger-in-forum kirchberg hielt ich am montag abend einen vortrag in der gemeinde. thema war das verschwinden der mittelstandsfamilien. dass die normfamilie und die kinderzahlen zurückgehen, ist keine eigenschaft des subzentrums an der emme. was den mittelstand betrifft, kommt es auch in kirchberg auf die definition an.

der alte mittelstand mit landwirtschaft und gewerbe ist zweifelsohne vielerorts rückläufig. das hat mit dem wirtschaftlichen strukturwandel zu tun, zum teil auch damit, dass der mittelstand sich immer klar nach oben und unten abgrenzte, die protestantische erwerbsform des familienbetriebs hochhielt und die zugehörigkeit zu gewerbeorganisationen zur voraussetzung für wirtschaftliche tätigkeit postulierte. die neuen mittelschichten – facharbeiterInnen und angestellte – sind demgegenüber wachsend, definieren sich offener via bildung, berufsposition und einkommen. sind flexibler, auch was wohn- und arbeitsort angeht. wer gut verdient, kann aufsteigen, wessen einkünfte sinken, dem droht indessen der abstieg. luxus ist nicht angesagt, ein auto aber schon, und auch auf technische ausstattung zuhause, auswertige ferien, gesicherte altersvorsorge und gute schulen für das kind will man nicht verzichten. viele kinder zu haben, ist gerade bei schweizerInnen mit guter ausbildung kein vorrangiges ziel mehr, bei ausländerInnen mit patriarchalen familienvorstellungen schon noch.

polititisch hat man sich die breiten mittelschichten von der mitte längst losgesagt; heute dominieren bindungen an die svp oder sp, je nach vorrangigem weltbild: rechts ist das die bedrohung durch die migration, links sind es die ungleichen entwicklungschancen. das ist auch in kirchberg nicht anders. bei den letzten nationalratswahlen kam die svp auf 32 prozent, die sp auf 21, wobei die frauenliste stärker abschnitt als jene der männer. mit den grünen machte das linke lager sogar 29 prozent aus, klar mehr als die ehemals staatstragende fdp, die unter einem fünftel der stimmen blieb.

der rückblick auf eine woche eindrücke aus kirchberg

im coop-restaurant, wo ich heute zum mittagessen war, um mit ganz normalen menschen zu sprechen, werde ich von hilfsbereiten frauen, die den betrieb mit verve führen, auf kindergerechte einrichtungen achten, und eine freundliche atmosphäre unter die leute bringen, bedient. das alles wirkte harmonischer als die markantesten voten, die mir vom montag her geblieben sind. denn sie beklagten die privilegien der asylsuchenden, die mehr zum leben hätten, als arbeitenden schweizer nach ihren steuern übrig bliebe, beziehungsweise nervten sich an den superreichen, welche keine gemeinschaftliche verantwortung mehr tragen wollten und damit die mittelschichten ausbluten würden.

und so mache ich mich, voll von eindrücken zu geschichte und gegenwart in kirchberg, an die emme, grüsse im vorbeigehen adelheid, die reformation, die brückenbauer, die händler und gewerbler, die mittelschichtsfamilien und die polparteien nochmals, um in ruhe ein wenig durch die landschaften zu wandern …

stadtwanderer

besuch im ottenleuebad

vor unseren füssen lag der nebel im sensetal. hinter uns war ein bergkamm, auf dem das junge holz, das nach dem lothar-strum gepflanzt wurde, ganz ordentlich wuchs. unmittelbar unter uns war der panoramaplatz von ottenleue. so weit – so klar, doch was bedeutet ottenleue?

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panoramatafel vor dem ottenleuebad

die verköstigung im garten des ottenleuebads war wunderbar gewesen. eine kalte milchschoggi hatte mich nach der morgendlichen wanderung gestärkt. ein paar jugenderinnerungen kamen auf, und die machten mich zusätzlich fit.

die nachfrage bei der servicefrau ergab, dass das bad seit längerem nicht mehr in betrieb ist. die werbung im hausgang zur toilette verweist auf ähnliches. der stil der 50er und 60er jahre des 20. jahrhunderts dominiert. das kleinkind mit nacktem po wirbt verschämt für nestlé-baby milch und barry, der bernhardiner, tut das gleiche für milka von suchard.

der name ottenleue wirkt noch älter. dass es auf den voralpenterrassen bären gab, ist gut vorstellbar. doch löwen? das wirkt sonderbar. und otto dünkt mich auch kein name, der für den rand der gesellschaft typisch ist.

die sage von h.l., die auf der karte am panoramaplatz erzählt wird, erhellt einen in dieser sache. man wird ins hohe mittelalter zurückversetzt – die zeit der kreuzzüge. otto soll ein bauer aus dem tal gewesen sein, durch das die kalte sense fliesst. begehrt habe er die tochter eines junkers, bekommen habe er sie jedoch nicht. denn der ritter verlangte, einen ebenbürtigen tochtermann zu bekommen und sandte otto nach jerusalem. gesagt, getan! dem vernehmen nach habe otto aus dem sensetal viele moslems umgebracht und das heilige kreuz brav verteidigt, bevor er zum ritter geschlagen wurde. genützt hat ihm das in der heimat indessen nichts. den seine angebetete verstarb, kurz bevor er zurückkehrte, sodass er sich entschied, sich ins tal, aus dem er stammte, in alle abgeschiedenheit zurückzuziehen. auf den terrassen, hoch über dem wasser und wenig unter den tannen, habe er gemerkt, wie lieblich das klima da sei, wie wohltuend die luft wirke und wie günstig sich das schwefelwasser auf seine körper ausgewirke. und so habe er sein herz, das einst einer frau galt, dann wie das von richard löwenherz im nahen osten kämpfte, den wunderbaren weiden am gurnigel geschenkt.

dem bad nebenan, das 1886 aufging, diente diese sage in früheren zeiten sicher. ob’s wirklich genützt hat, kann man bezweifeln. denn die geschichte ist typisch christlich, nicht wirklich unternehmerisch. das gilt nicht nur für das bad im sensetal, es trifft auch auf die ovo zu, die ich genoss. die marke wirkt heimlig, weckte bubenträume, gehört aber längst nicht mehr dem gutgläubigen bern.

stadtwanderer

von berta zu simonetta

feier für simonetta sommaruga in königlichen köniz – ein willkommener anlass, dem volk die freude über die kommende herausforderung zu erklären.

SCHWEIZ EMPFANG SOMMARUGA
bundesrätin sommaruga, einst gemeinderätin mit dem ressort feuerwehr bei der heutige feiern in köniz

einst war schloss köniz eine der legendären wirkungsstätten der burgundischen königin berta, die im 10. jahrhundert lebte. die prinzessin, die aus dem schwäbischen kam, wurde mit dem burgundischen könig rudolf ii. verheiratet, nachdem sich die stämme bekriegt hatten. die heirat sollte den frieden zwischen schwaben und burgund sichern. berta regierte lange recht allein im aaretal, denn ihr mann war während jahren in oberitalien als feldherr und herrscher engagiert. diese zeit hat den ausgezeichneten ruf der burgundischen königin begründet, die für katholiken, später auch für protestanten ein vorbild war, und es bis in die jüngste zeit im aare-, aber auch broyetal geblieben ist.

nun könnte berta eine nachfolgerin gefunden haben. denn mit simonetta sommaruga wurde vor einer woche eine könizerin zur neuen bundesrätin gewählt. die populäre konsumentInnenschützerin und berner ständerätin begann ihre politische karriere in der berner vorortsgemeinde, notabene der grössten schweizer stadt, die nicht im zentrum einer agglomeration liegt. zugezogen ist sommaruga mit ehemann lukas hartmann vor 14 jahren. bereits nach einem jahr wurde sie in die gemeindeexekutive gewählt. dann gelang ihr 1999 der sprung in den national- und 2003 schliesslich schaffte es die konkordanzpolitikerin auch, in den ständerat gewählt zu werden.

der auflauf im könizer schlosshof heute abend war riesig. es gab musik, ein paar ansprachen, dann wurde der apéro mit dem kalten buffet eröffnet. viel prominenz war da, aber auch viel volk. denn die könizerInnen mögen ihre neue bundesrätin, die zahlreiche gratulation von jung und alt, schweizerinnen und ausländern, taxichauffeuren und müttern mit kindern, parteigängerInnen und politischen gegnern entgegen nehmen durfte.

simonetta sommaruga machte heute einen glücklichen eindruck. sie strahlte ganz anders, als man das bundeshaus seit der departementsverteilung vom montag erlebt. alle, die gekommen waren, erwarten von ihr natürlich eine stellungnahme. doch ihre rede handelte von allem, nur nicht von dem. das dachte man wenigstens, bis sie zum schluss eine treffende anekdote erzählte. als sie vor 13 jahren in den gemeinderat, wie die stadtregierung von köniz genannt wird, gewählt wurde, übergab man ihr feuerwehr und zivilschutz. nicht wenige stimmen meinten, man habe sie dorthin abgeschoben. jetzt, wo alles vorbei sei, dürfe sie auch sagen, welche departement sie damals gerne gehabt hätte. “die polizei”, sagte sie voller stolz, um beizufügen: “jetzt habe ich sie, und freu mich darauf.” die erheiterung im publikum war gross.

eine pointe mit aussage und stil, dachte ich mir, kaum mehr wie die einer taffen feuerwehrpolitikerin, aber fast schon wie die einer sympathischen königin.

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politzentrum bern gestärkt

es war mit sicherheit ein berner tag gestern. zuerst schaffte es simonetta sommaruga in den bundesrat, und dann zog johann schneider-ammann mit ihr gleich. sp und fdp sicherten sich damit ihre beiden sitze in der bundesregierung. die neuen kommen aus köniz und langenthal, beides mittelgrosse städte im kanton bern.

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die beiden neuen bundesrätInnen: aus köniz und langenthal, zwei berner städten

das ist ohne zweifel ein novum, dass zwei bernerInnen gleichzeitig im bundesrat sitzen. denn seit der einführung des proporzwahlrechtes und der umgestaltung der parteienlandschaft. war die bgb resp. svp darauf abonniert – und kurz profitierte auch die bdp davon. bis das alte machtzentrum des kantons zerfiel. nun hat die berner fdp ihren bundesrat aus dem 19. jahrhundert wieder zurück, und die sp des kantons erstmals eine direkte vertretung in der regierung. mit simonetta sommaruga stellt sie auch die erster berner bundesrätin. gestärkt wurden damit jedoch weder nationale noch kantonale siegerparteien, sondern persönlichkeiten mit übersicht, die über dem kleinklein der rechner und taktiker stehen.

auch wenn man die entwicklung der wahl und wahlgänge verfolgte, kam man nicht zum schluss, dass es strategie war, zwei bernerInnen durchzudrücken. beide gewählte setzten sich gegen starke parteiinterne konkurrenz durch, und ihre wahl galt bis kurz vor schluss als unsicher. erst gestern während der wahl zeichnete sich ab, dass die beiden die favoritInnen sein würden: wegen ihrem erfahrungsschatz, ihrer kompetenz, ihrem bisherigen auftritt und ihrer ausrichtung auf sozialpartnerschaft und konkordanz, würde ich mal sagen.

ich bin froh, dass das berner-argument gestern kein negatives mehr war. gewisse zürcher medien hätschelten den einwand mit vorliebe, und übersahen gefliessentlich, dass bei einer wahl von fehr zwei zürcherInnen im bundesrat gewesen wären. es überraschte, mit welcher hartnäckigkeit an der kantonsklausel festgehalten wird, obwohl sie mit der neuen bundesverfassung eliminiert worden ist, weil sie den entwicklung des 21. jahrhunderts nicht mehr angemessen ist. zwar gibt es unverändert eine aufgabenteilung zwischen bund und kantonen, doch wächst das politikgeflecht lokal, national und internationel zusehends zusammen. nicht einmal mehr bei den parteien wird die ausrichtung auf kantone privilegiert. die sp ist schon länger (intern)national, die grünen denken gar global, die fdp ist bundesstaatsgründerin, die cvp wäre es gerne, und die svp macht allen vor, wie man ein land aus einer hand steuern kann.

die geltende bundesverfassung hält nur noch die sprachregionen als kriterium für die repräsentation im bundesrat fest. das macht wohl unverändert sinn, denn von da geht die grösste kulturelle fragilität der willensnation schweiz aus. doch selbst da wurde in der formulierung eine weiche anforderung gewählt, müssen doch die vertretung angemessen sein. in der regel interpretiert man das als proportional über die zeit. damit ist auch gesagt, dass die regionen, die üblicherweise in bundesratswahlkämpfen kreiiert werden, keinen anspruch auf repräsentation haben. dass ist beim arc lémanique gegenüber der romandie so, wohl auch beim tessin gegenüber der italienischsprachigen schweiz, und die nordwestschweiz oder ostschweizer oder das bündnerland sind alles teile der deutschsprachigen schweiz.

wenn gestern zwei bernerInnen zum zug kamen, hat diese wohl eher mit ihrer biografie und ihrer entwicklung zu tun, die extremen polarisierung aller art mied. denn mit sommaruga wurde die konsumentenschützerin der schweiz gewählt, die es fertig gebracht hatte, als vertreterin dieses teils der wirtschaft populär zu werden, politisch links fuss zu fassen, und an die notwendigkeit des staates glaubt, ohne ihn zu vergöttern. und mit schneider-ammann setzte sich einer der vorzeigunternehmer des landes durch, der sich bewusst ist, dass man als das interessen hat und vertreten muss, der politik aber nicht darauf reduziert, und selbst als freisinniger punktuelle distanz zu den herrschenden ansichten seinen verbänden markierte.

bern soll sich, jenseits der kantönlidenkens, als politzentrum positionieren, fordere ich seit langem in der metropolitandebatte. diese geht ausdrücklich nicht mehr von kantonen aus, sondern funktionalen räumen, welche die wirtschaftliche basis des erfolgsmodell schweiz legen. sie weiss zwischenzeitlich aber auch, dass es eine politische einbindung der kraftfelder braucht, in der auch andere überlegungen als wirtschaftsinteressen ein rolle spielen. die geschichte des landes, ihre vielgestaltigkeit, ihre gewachsenheit mit strukturen, die dem föderalismus und der direkten demokratie rechnung tragen, gehören genauso zu schweizerischen eidgenossenschaft wie die zürcher banken, die basler pharma und die genfer uhren.

wenn gestern zwei aus bern gewählt wurden, dann deshalb, weil es zwei sind, die weder die wirtschaft noch die politik verabsolutieren, sondern, je aus ihrer sicht, den blick aufs ganze suchen. genau das ist es auch, was mich am politzentrum bern in der metropolitanen schweiz reizt. unverändert und wieder etwas optimistischer.

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die macht der langen formeln

um es gleich zu sagen, den begriff der “nacht der langen messer” mag ich nicht. vielleicht ist das der grund, warum ich nach einem neuen terminus für den letzten moment vor bundesratswahlen suche.

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einsteins formel für energie – die berühmteste aller formeln der welt. mark balsiger macht sich auf den weg, eine solche für schweizer bundesratswahlen zu entwickeln – auch wenn es etwas länger dauert und sie etwas länger ausfällt.

die wortbedeutung der “nächtlich langen messer” ist in deutschland tod-ernst: denn 1934 liess hitler die sa-spitze ausschalten. anlass war die unterstellung, ernst röhm plane einen putsch gegen ihn. 200 menschen starben, als hitler seine vermeintlichen feinde des nachts kaltschneuzig ermorden liess.

was in der schweizer ausgabe der “nacht der langen messer” geschieht, nimmt sich demgegenüber gerade zu harmlos aus. denn es geht darum, ob die offiziellen bundesratskandidatInnen im letzten moment noch gestürzt werden, durch wilde bewerberInnen, durch herausforderer oder durch konkurrentinnen, die schliesslich obsiegen.

legendär ist vorwahlnacht des jahres 1983. damals lancierte der baselbieter freisinnige felix auer die wahl des solothurner sp-vertreters otto stich in den bundesrat. auf der strecke blieb lilian uchtenhagen, die favoritin der partei. die düpierte führungsriege der sp erwog, in die opposition zu gehen. helmut hubacher versprach, schampar unbequem zu werden. die parteibasis folgt ihm nicht, denn für sie war der direkte zugang zu entscheidungen wichtiger als der kampf um grosse worte.

unbestrittenes epizentrum ist seither die bellevue-bar. das fernsehen ist da, das radio auch. spekuliert wird in allen landessprachen. wer den tarif durchgeben oder ihn mit gerüchten einnebeln will, trifft gegen halb zehn ein. denn in der sendung 10vor10 ist man life mit der fernsehnation verbunden, und was dann nicht gesagt ist, dreht in der nacht nicht weiter. wer das richtig zu interpretieren weiss, kommt der sache schon nahe.

doch bei weitem nicht jedes mal kommt es zum sichtbaren coup: insbesondere in der nacht vor der abwahl von christoph blocher blieb fast alles ruhig in der bundesstadt. in keine bar tat sich was. bis es am anderen morgen in windeseile aus dem welschen radio drang, es gäbe einen plan gegen christoph blocher.

hochspannend war die nacht vor der bundesratswahl 2008. damals ging es um die frage, wer nach der selbstgewählte opposition neuer vertreter der svp werden würde. die spekulationen schossen mächtig ins kraut, bis sich hansjörg walther als möglicher wilder kandidat gegen die parteikandidaten maurer und blocher outete. natürlich wusste er, dass er die stimmen weitgehend aus den anderen reihen bekommen würde, sodass er sich am ende nicht getraute, für sich selber zu wählen. schliesslich fehlte ihm genaus (s)eine stimme. bundesrat wurde ueli maurer.

wer morgen schon wissen will, ob rime chancen hat, zweiter svp-bundesrat zu werden, oder wen es wunder nimmt, ob sich sp und grüne wirklich in den haaren liegen, beginnt die nachtwanderung in den hochburgen der parteien. die svp ist traditionellerweise im hotel kreuz oder im hotel bären. die fdp zieht das café fédéral vor, während die cvp gleich nebenan bei chez edy gastiert, allenfalls auch einen flügel in der casa di’italia hat. rotgrün wiederum tummelt sich am liebsten im café diagonal. erst dann geht zur schönen aussicht ins bellevue.

einen wird man dort kaum sehen. wahlkampfforscher und pr-berater mark balsiger verzichtet ganz auf das stimmungsbild vor ort. dafür lässt er seinen computer rechnen. den füttert er zu 17 faktoren, die den wahlausgang bestimmen sollen, mit daten zu allen kandidatInnen. die macht seiner langen formel übertrifft alles, was man in der nacht der langen messer erfahren kann: denn gewählt sind gemäss wahlkampfblog jacqueline fehr und johannes schneider-ammann …

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