zürcher financier stürzt kanton bern in die krise

es ist ein stück erlebter geschichte, die stefan von bergen in der heutigen bernerzeitung ausbreitet: die wahl von 1986, der konkurs von werner k. rey 1991 und die schlimmen folgen für die kantonsfinanzen sind mir in guter erinnerung. zwar ist der tiefpunkt überwunden, doch sind die folgen nachallend.

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aufstieg und fall von werner k. rey, dessen geldspekulationen den kanton bern viel gekostet haben.

in vielem sind die berner wahlen von 1986 ein einschnitt. unterschätzt hat man aber den wechsel in der finanzpolitik. die alten machtverwalter wie werner martignoni traten unfreiwillig ab, dafür gab es mit ueli augsburger einen finanzdirektor der nicht minder schlimmen sorte.

augsburger, dynamischer svp-regierungsrat, puschte die ansiedlungspolitik der neu geschaffenen wirtschaftsförderung durch eine senkung der unternehmenssteuern. hofiert hat er vor allem dem zürcher financier werner k. rey, dessen omni holding durch die übernahme der thuner selve im kanton aktiv wurde. doch die rechnung ging bei weitem nicht auf. 1991 meldete rey privatkonkurs an, seine omni musste um nachlassstundung ersuchen. das ging nicht spurlos an der kantonalbank vorbei. deren generaldirektor peter kappeler kündigte 1992 in einem brief an die kantonsparlamentarier einen dramatsichen abschreiber von 2 bis 3,5 milliarden franken an und forderte eine kapitalerhöhung für sein geldinstitut. mit der gründung der dezennium ag wurden die schuldner vor ein sofortigen kunkurs bewahrt und der kanton konnte einen massiven verlust vermeiden. bezahlen mussten die sanierung aber die steuerzahler: 1,5 milliarden franken ungedeckte schulden übernahmen sie, als die dezennium ag nach 10 jahren aufgelöst wurde. und beim kanton häuften sich schulden in der höhe von 11 milliarden franken an.

stefan von bergen, der die geschichte in der heutigen bz zusammenfasst, lässt christian pfister, emeritierter professor für wirtschaftsgeschichte, die schreckensbilanz ziehen: “Die Krise der Kantonalbank ist eine tiefe Zäsur und eine Ueberlebensübung, die den Kanton zurückwirft und der Politik jeglichen finanziellen Spielraum für Innovationen und Investitionen raubt.” bern sei, so der schluss, in den 1990er jahren gefangener seiner situation gewesen, ähnlich wie das heute in griechenland, irland oder portugal der fall ist.

wer mehr wissen will, liesst im fünften und letzten teil der berner geschichte nach, wie sich berns finanzen, wirtschaft und hauptstadt vom grossen schlag erholen, die hauptverantwortliche bernische svp darbt, in den sog der zürcher partei gerät, krampfhaft zusammengehalten wurde und sich schliesslich in einen kantonal ausgerichtete bdp und eine schweizerisch integrierte svp spaltete.

meine these ist, dass der kanton, zu stark mit sich selbst beschäftigt, den aufbruch, der 1986 möglich gewesen wäre, nur zögerlich an angriff nahm, insbesondere bei der zentralen frage, dem verhältnis zwischen einem oder mehreren aussenorientierten zentren und dem binnenorientiertem umland, für lange zeit in rückstand geriet. erst mit der hauptstadt-debatte wird man sich schritt für schritt der grösseren zusammenhänge bewusst, die zeithistoriker von bergen in verdankenswerter weise rekonstruiert hat.

stadtwanderer

die serie im original – leider nicht ganz aktuell.

von grossen ideen, meisterhaften erzählungen und dem leben im kleinen raum der geschichten

es ist ein anspruchsvolles, aber spannendes buch. übertitelt ist es mit “Geschichtsphilosophie zur Einführung”. verfasst hat es johannes rohbeck aufgrund von vorlesungen, die er in dresden für technikerInnen gehalten hatte. seit einigen tagen lese ich mit gewinn darin – wenn mir zeit bleibt.

12912052nfür mitte 2011 ist ein weiteres buch des gleichen autors unter “Technik – Kultur – Geschichte. Eine Rehabilitierung der Geschichtsphilosophie” angekündigt.

bis zur aufklärung haben sich philospophen nicht systematisch mit geschichte beschäftigt, ist der ausgangspunkt des buches. das ist zwar eine mutige annahme, denn in den antiken kulturen dominierte die vorstellung des (immer)wiederkehrenden die gechichtlichkeit, während die christen mit ihrer heilsgeschichte das zeitliche als wirken gottes deuteten bis zum jüngsten tag deuteten. rohbecks entschied, das einleitend zu seinem buch zu erwähnen, dann aber wegzulassen, beschleunigt das lesen. es bleibt auch so voll von tücken, wenn auch im grossartigen überblick vortrefflich vereinfacht und meisterhaft dargestellt.

vom fortschritt in der geschichte
die wichtigste geschichtsphilosophische frage der aufklärung ist die nach dem fortschritt: techniker neigen seither zu einem ja, denn neue technologien setzen sich nur dann durch, wenn sie einen mehrwert haben. kulturhistorikerInnen sind da vorsichtiger. sie verweisen auf das werden und vergehen menschlicher zivilisationen, die immer wieder neue antworten suchen und damit vorübergenden erfolg haben, ohne dass sich ist, ob sich daraus ein fortschreiten der menschheit ergibt.

im ersten buchteil schliesst sich rohbeck der fortschrittsidee voll und ganz an. analysiert wird das entstehen der universalgeschichte im späten 18. und frühen 19. jahrhundert, auf der denker wie rousseau, kant, insbesondere aber auch hegel und marx ihre je eigenen fortschrittsgeschichten verfasst haben. voraussetzung hierfür war die säkularisierung, die kritik am dogmatischen christentum und seiner verfestigung in kirchen, was den raum für aufgeklärte weltbilder eröffnete. die menschheitsgeschichte beginnt seither nicht im judentum als erstem buchvolk, sondern in den frühen hochkulturen, wie der ägyptens. mit der zivilisationsgeschichte des 19. jahrhunderts verlagert sich der ort der ursprünglichen geschichte immer weiter ins ungewisse, während die zeit eine beschleunigung erfährt. weit zurückliegendes veränderte sich in der retrospektive kaum, während die zeitgeschichte durch rasanz bestimmt wird. begründet wird dies alles im fortschreitenden fortschritt. diesem naturwissenschaftlichen verständnis vor allem von entwicklung steht eine neue teleologie gegenüber, die sich im wirken der vernunft zeigt. diese ist seit den alten griechen dort am weitesten ausgebreitet, wo auch immer auf dem erdball die spitze des fortschritts angelangt ist.

von der wissenschaftlichkeit der geschichte
in der folge analysiert rohbeck zwei strömungen, die daran zweifelten: den historiums, der das konzept eine materiell sinnvollen geschichte zugunsten methodischer sicherung der geschichtswissenschaft aufgab, und die posthistorie, die ganz allgemein die möglichkeit von geschichte negiert. ersteres verortet er als typische strömung der zweiten hälfte des 19. jahrhunderts, zweiteres als phänomen des späten 19. und des ganzen 20. jahrhunderts. beide, ist rohbeck überzeugt, haben ihre berechtigung in der gegenwart, weshalb er auch nach aktuellen vertretern sucht und sie auch findet.

der historismus reflektierte die erfahrung des industriezeitalters, mit dem sich mehr als je zuvor alles änderte. ewige werte wurden diskreditiert, der wandel der menschlichen lebensbedingungen zum neuen massstab. geschichte sollte zur fundmentalsten aller wissenschaften werden, welche das geschichtlich gewordene im menschlichen dasein immer wieder neue darstelle. zentrale autoren wie droysen, dilthey und troeltsch werden hierfür vorrgestellt, weil sie der frage nachgingen, wie historische erkenntnis möglich wird. unzweifelhaft ist geschichte so zur geisteswissenschaft geworden, die nicht mehr spekulativ den fortschritt bestimmt, dafür die quellen sichtet, kritisiert und interpretiert, um zu gesichterten aussagen zu gelangen. die aktuelleste form des historismus ortet rohbeck in den darstellungen des menschlichen bewusstseins von hayden white, der ganz den liguistic turn in den geisteswissenschaft vorwegnehmend, geschichte als poetik neu bestimmt hat. ohne erzählung keine gesichte, und ohne helden keine erzählungen. was die helden in der geschichte geleistet haben, sei aber verschieden, bestimmte white, und gäbe es romanzen, komödien, tragödien und satire nicht nur literatur, auch in der geschichte.

vom ende der geschichte
radikalere noch kritisiert die posthistorie das moderne programm der geschichtsphilosophie. denn die verheissung der aufklärung – fortschritt, wohlstand, demokratie, emanzipation – hätten sich alle nicht erfüllt. begonnen hat alles mit burckhardt weltgeschichtlichen betrachtungen, gesteigert wurde es mit nietzsches abrechnung mit der kultur, und mit adorno erreichte die posthistorische kritik ihren höhepunkt, der angesichts der katastrophe der weltkriege radikal mit dem optimismus der aufklärer abrechnete.

posthistorie meint man natürlich nicht, dass es keine zukunft mehr geben würde. doch bleibt von dem, was man mit der säkularisierung der geschichte in sie hinein proijzierte, nichts übrig. da kommt keiner am geschichtsbild von jean-francois lyotard nherum. nach ihm hat sich der fortschritt nicht in licht, sondern neue dunkelheit gebracht. die menschen seien in der moderne nicht befreit worden, sondern gesellschaftet. ihr horizont habe sich nicht erweitert, vielmehr sei er verstümmelt worden. damit verbunden ist die kritik am ökonomismus, denn “der weltmarkt macht keine allgemeine geschichte im sinne der moderne”. wie viele der posthistoriker misstraut er überragenden erzählungen, aber auch ihren kritikerInnen, weil sie die entwicklung der menscheit nicht mehr beeinflussten – und empfiehlt, sich von den grossen dingen abzuwenden, und sich dem lokalen zuzuwenden, um die entstehung von geschichte im konkreten neu zu bestimmen.

von der faszination geschichte immer wieder neu zu erfinden

während meines studiums der geschichte habe ich mich immer wieder mit fragen der “theorie der geschichte” herumgeschlagen. einerseits stand die herausforderung der sozialwissenschaften an, die theorien für neuen formen der wirtschafts- und sozialgeschichte anboten. anderseits faszinierte die alltagsgeschichten der ethnologie und psychoanalyse, die verhiessen, dass es jenseits der geschriebenen quellen neues material zu entdecken gäbe. selbst wenn ich die theorie der geschichte zum thema meines abschlussexamenes bei walther hofer gemacht hatte, musste ich mir eingestehen: die geschichte als erzählung, als wissenschaft, als philosophie neu zu entdecken, ist mega schwer.

das ist mir beim lesen von rohbeck vorzüglicher einführung wieder in den sinn gekommen: denn so treffend seine übersichten in den drei teilschritten sind, so flach bleibt seine synthese zur zukunft der geschichtsphilosophie. das ist denn auch die einzige kritik, die ich hier äussere, verbunden mit dem gedanken: dass die grosse idee in der geschichte immer noch fasziniert, die kritik an der mangelnden wissenschaftlichkeit der geschichtsphilosophen begründet bleibt und der zweifel am sinn des unterfangen auch mich nagt, aber nicht soweit, dass ich nicht mit wiederkehrender lust erzähle, den kleinsten raum schätze, ohne die grosse geschichte aus den augen zu verlieren.

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die neu-alte mission

reformiert” – die zeitschrift der reformierten im deutschsprachigen raum, hat mich gebeten, eine analyse der rolle der kirchen in der politik zu schreiben. hier meine these zur unbestrittenen und zur umstrittenen mission.

Druck“Es gibt keine einheitliche Antwort auf die Frage, wie der Konflikt zwischen dem Eigenen und dem Fremden zu lösen ist. Die Polarisierung zwischen vermittelnden Institutionen und populistischen Akteuren ist scharf; und die Bevölkerung neigt in wirtschaftlichen und kulturell angespannten Situationen dazu, letztere zu unterstützen. Positionen, Angehörige fremder Kulturen per se auszustossen, werden jedoch nur von Minderheiten getragen. Mehr Unterstützung haben Forderungen, die Dominanz der traditionellen Kultur einzufordern, derweil liberale Multikultur-Konzepte im grossstädtischen Umfeld attraktiv sind.
Für den Staat bleibt es ein Gebot, sich nicht in konfessionelle und religiöse Fragen einzumischen. Zwar erlangte er seit dem 19. Jahrhundert Identität, wenn er das tat, jedoch um den Preis, nationalistisches Gedankengut zu unterstützen. Dem modernen Dienstleistungsstaat, der Regelungen zu finden hat, die ausnahmslos für alle gelten, ist das nicht mehr angemessen.
Hier sehe ich die Aufgabe der Landeskirchen. Sich in gemeinschaftlichen Fragen zu engagieren, ist ihre unbestrittene Mission. Politisches Engagement wird immer umstritten sein, wo es die Aufgabe der Parteien tangiert. Gesellschaftliche Aktivität wird dann akzeptiert sein, wenn sie eingreift, um das friedliche Zusammenleben Vieler und Verschiedener in der Schweiz zu ermöglichen.”

den ganzen artikel findet man hier; er leitet ein streitgespräch zwischen gottfried locher und christoph mörgeli zum gleichen thema ein, das nach der letzten abstimmung zur innerkirchlichen kontroverse geworden ist.

berner cafe postgasse – die hinterste beiz in aussenbezirk von marseille

sie hat “ja” gesagt, gab die wirtin ihrer freude ausdruck. die gäste in der strasse fragten sich zu was?
es hat geklappt, bald schon wir sie königin sein. da war es uns an den mittagstischen klar, dass es um kate, äxgüsi, herzogin catherine ging.

lange lenkte mich das thema nicht ab. was die gegenwart betrifft bin ich republikaner – und demokrat. wenn es um monarchien geht, faszinieren mich die, bevor die revolutionären gedanken von jean-jacques rousseau, alexis de tocqueville oder benjamin barber staats- und regierungsverständnis prägten, indem es nicht nur feiernde untertanen, auch anspruchsvolle staatsbürgerInnen gibt.

uns so wandte ich mich von den grossen geschehennisse der zeit ab und dem wunder des kleinen ortes wieder zu. denn aufgetischt wurde ein prächtiger postgass-salat. frische blätter, einige pilze und etwas gebratenes poulet lagen schön zubereitet vor mir, sodass ich nur zustechen musste. dazu gab es ein herrlich gekühltes bier. genauso wie ich es an einem solche warmen frühlingstag liebe.

im winter versteckt man sich gerne im engen berner café postgass. das ist es schön warm, vom grossen offen, von der küche und von den gästen zwischendrin. im sommer bleibt man lieber draussen. ein paar kunstbäume markieren den bezirk, wo man auf sonst offener strasse essen und trinken darf. die wirken ein wenig wie eine alte stadtmauer, mitten in der stadt.

die tische im cafe postgasse sind aus einfachem holz, die stühle nicht minder so. dafür ist die bedienung stets fix und herzlich. und die kleine karte hat immer was grosses aus der hausmansskost. als koch amtet stephan hofmann, den service macht regula hofmann. seit ich das cafe besuche, sind sie das wirtepaar. wie lange das genau her ist, weiss ich nicht wirklich, 10 jahre, vielleicht auch 20.

die spezialität der beiden sind fischsud mit muscheln. im kalten tagen seien sie aus der normandie, sagt man, im heissen aus dem mittelmeer. die bouillabaisse ist in bern und einiges darum herum bekannt – und beinahe so berühmt wie in marseille.

das sage ich meinen gästen bei stadtwanderungen denn auch immer: kulturell ist bern eine brückenstadt, ein ort der vermittlung zwischen den nachfolgern der alemannen rechts der aare und den burgundern links der aare. die nydegg ist seit menschengedenken der hauptsächliche übergang – nur wenige schritte vom postgässli entfernt. und da man in dieser altstadtgasse auf ehemals burgundischem boden ist, ist das cafe postgasse sowas wie die hinterste beiz von marseille. womit wir doch wieder bei erinnerungen an grosse zeiten wären.

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kaffeehaus einstein in bern

wenn sich der berner theatermann lukas leuenberger etwas in den kopf setzt, macht er was draus. vor ein paar jahren war es die inszenierung von schillers “wilhelm tell” auf dem legendären rütli. jetzt ist es das restaurant “einstein”, im parterre des einsteinmuseum in berns altstadt.

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bis vor ein paar jahren hiess das restaurant zum “untern juker”. das angebot war mässig, und die bedienung abweisend, wenn man nicht zur stammkundschaft zählte, die immer mehr ausblieb.
eigentlich war das schon eine katastrophe. denn im gleichen haus hatte albert einstein vor gut 100 jahren gelebt und geforscht, und aus seiner wohn- und arbeitsstätte ist seit dem jubiläumsjahr 2005 das einstein-museum geworden.
dann ging der untere juker ganz zu, und das war nicht minder schlimm: ein museum ohen kaffee – das gibt es nicht!

seit anfangs april ist alles anders. “relatively the best”, führt das “einstein“, wie das neue kaffehaus heute heisst, im untertitel. das ist anspruchsvoll und vielversprechend zugleich.
wer die probe aufs exempel macht, wird nicht enttäuscht. der innenraum quer durch die häuserzeile wurde gründlich ausgeräumt. die küche ist jetzt im ersten stock, was einen durchblick erlaubt.
von der kramgasse aus gibt es ein paar plätze für passantInnen, die es eilig haben. sie bekommen einen sitzplatz in reihe, und einige lokalzeitungen zum schmökern. in der mitte ist die bar, mit eigenem kaffee, soft- und harddrinks.
und wer von der münstergasse her kommt, findet eine gemütliche lounch mit kamin und ledersesseln vor, samt einigen tischen zum verweilen und essen.

der service ist noch etwas holperig, dafür aber freundlich. meine tagliatelle mit spargel und morcheln sind im nu serviert, dampfen ganz heiss und schmecken hervorragend. nur als man den käse reicht, um alles zu verfeinern, zerfällt er der trockene in zwei teile – einen davon mitten im teigwarenteller. der kellner getraut sich nicht in mein essen zu greifen, und ich wage es kaum, seinen käse herauszufischen …

das publikum im einstein ist grossmehrheitlich jung und international. genauso wie es einstein war, als er in den oberen stockwerken des hauses seine kleine bleibe für sich und seine familie hatte. neben mir spricht man spanisch, vor mir schriftdeutsch, und ich unterhalte mich mit einer dame, die fotos vom neuen lokal macht, auf gut bernischem dialekt.

ein gewinn für die berner altstadt, denke ich mit, als ich den hauseigenen kaffee gekippt habe, und mich daran mache, die mittelteure rechnung zubegleichen.

dank der zündenden idee von lukas leuenberger ist schon mal ein guter startschuss gemacht worden. ost daraus auch im vergleich das beste angebot wird, wird man am besten bestens daran bestimmen, dass die besucherInnen des museums nicht nur vom brühmten wissenschafter, sondern auch vom berühmten kaffeehaus in aller welt erzählen werden.

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tschäppäts tschäppu und metzlers frisur

heimfahrt im poschi. 12 personen in meinem blickfeld. 7 davon mit dem blick am abend. ich muss unweigerlich mitlesen. informiert werde ich über tschäppäts tschäppu und über metzlers frisur. was das mit politik zu tun hat, frage ich mich, während ich die treppen nach hause hochsteige.

gut, die lentikularkarte von alexander tschäppät erinnert auch ein wenig an spasswahlkämpfe. denn tschäppäts tschäppu besteht aus der renovierten kuppel des bundeshauses. je nach winkel der karte, wackelt der hut. mal sitzt er gerade, mal schepps auf dem haupt des berner stadtpräsidenten. ganz ernst kann man das nicht nehmen.

nehmen können wird man sie im herbst als giveaway im strassenwahlkampf des stadtpräsidenten, denn im oktober möchte er als volksvertreter auf bundesebene gewählt werden. von facebook hält nichts. interaktion findet nicht im nirwana des www statt, sondern in der direkte begegnung in berns gassen, lässt er verlauten.

tschäppäts wahlkämpfe haben etwas eigenes bewahrt. auf sein lebenszentrum bern ausgerichtet, häufig spontan konzipiert und immer mit humor durchsetzt, fehlt es ihnen nicht an themen. die stadtentwicklung gehört dazu, und es ist dringend nötig, hier weiteres zu deblockieren. mit dem westside hat man akzente gesetzt, offene läden in der altstadt zu ungewohnten zeiten harren noch der behördlich nötigen dinge. geklappt hat es letzten november dafür mit dem ausstieg aus der kernenerige. im letzten moment hat tschäppäts bern die richtige perspektive angepeilt.

ich weiss, bisweilen ist tschäppät leutselig, dann wieder eckt er an. vor allem wenn es um christoph blocher geht, kann der sp-stapi die facon verlieren. das spricht sich dann schnell herum, und findet so eingang in die klatschpresse, sodass der magistrat sich gebührlich entschuldigen muss. weil er gerne über fussball redet, verübeln ihm viele solche ausfälle nicht. denn alle erinnern sich an die holländer in bern, und tschäppäts eingreifen, um dem unerwarteten anstrum herr zu werden. seine wendigkeit in fast auswegslosen situationen hat er mit seiner schlagfertigkeit in satiresendungen wie die von giacobbo bewiesen mehrfach bewiesen – und national applaus erhalten. ganz anders, als wenn er in bern zu tief ins glas guckt und vielsagend den mädchen nachschaut.

die amerikanische politologin pippa norris hätte ihre helle freude an tschäppät. vor 14 jahren veröffentlichte sie einen seither viel zitierten wissenschaftlichen aufsatz über die entwicklung von wahlkämpfen. vieles von dem, was sie damals über “pre-modern campaigning”, vormoderne kampagnen also, schrieb, kann man beim berner stadtpräsident noch heute miterleben. vom politischen leader selber getragen, seien solche wählkämpfe lokal verwurzelt, um freiwillige aktivisten vor ort zu gewinnen, hielt sie für alle zeiten fest. typisch sei, dass sie stark der eigenen partei angepasst seien, was schliesslich zu machen sei, letztlich aber spontan entschieden werde. poch würde man auf anlässe mit viel volk, denn das spreche sich mit der mund-zu-mund-propaganda am besten herum, was wirke und keine wahlkampfkosten verursache.

ganz anders beschreibt die harvard professorin den postmodernen wahlkampf. er sei teuer, auf website und tv-sendungen ausgerichtet, mit denen man zielgruppenspezifisch kommunizieren könnten. getrieben würden sie nicht mehr von den politikerInnen selber, sondern von politikberaterInnen im hintergrund, die einen permanenten wahlkampf für die mandantInnen führen würden. zu diesen consultants zählt seit neuestem auch ruth metzler, die abgewählte justizministerin der schweiz, die 2003 den zweiten bundesratssitz der cvp nicht mehr halten und ihn an die svp abgeben musste. danach hatte sie sich von der politik verabschiedet, während sie sich gestern mit einem politischen statement, wie der “blick am abend” schrieb, wieder vorwagte.

typisch für den postmodernen journalismus ist, dass man ausser dem titel nichts inhaltliches erfährt. so weiss ich zwar, dass es um “konkordanz in der umbruchphase” ging. wohin das führen werde, ist zwar die einzig relevante frage, doch das blatt berichtet darüber mit keinem wort. dafür las ich viel über die neue frisur der appenzellerin, das elegante kleid, das die wahlbaslerin beim vortrag trug, und den ubs-banker, mit dem sich das unschuldslamm von einst neuerdings in der öffentlichkeit zeigt. gereift sei sie, meint das boulevardblatt im pr-artikel von irene harnischberg, der für für mich wie kaum ein anderer die entleerung der politik steht.

echt, da sind mir lentikularkarten lieber.

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st. galler frauen

diese woche bin ich in st. gallen. zwei frauen beschäftigen mich.

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meine lehrveranstaltung an der hsg halte ich diesmal als blockseminar ab. es ist den ständeratswahlen gewidmet. prominenter gast am mittwoch ist regierungsrätin karin keller-sutter, eine der vier kandidatInnen für die wahl im kanton st. gallen. mehr dazu auf meinem berufsblog.

natürlich interessiert mich in st. gallen eine andere frau ebenso. wiborada wird sie geheissen. ob das ein wirklicher name ist, bin ich mir nicht ganz sicher. denn unzweifelbar steckt “weiberrat” in diesem althochdeutschen wort. das kann eine person gewesen sein, aber auch eine eingebung.

gemeint ist die legendäre figur, die beim einfall der ungarische reiter 926 das kloster auf unkonventionelle art verteidigte. es soll ihr gelungen sein, wertvolle schriften vor der verbrennung zu schützen. deshalb ist sie bis heute die schutzpatronin der bibliotheken und bücherfreunde. das macht sie mir sympathisch.

wiborada soll die letzten 10 jahre als inklusin gelebt haben. gemeint ist damit, dass sie in einem enge gemäuer, das sie nicht verlassen konnte, hauste. in ihrer zeit war das keine seltenheit, vor allem bei frauen. denn es schützte vor überfällen, war es doch kaum einzunehmen. 1047 wurde sie, als erste frau überhaupt, von der katholischen kirche heilig gesprochen. bis heute ist der 2. mai im bistum st. gallen ein lokaler feiertag, an dem man ihr gedenkt.

und so werde ich, wie in früheren zeiten viele vor mir, am donnerstag zwischen rosenberg und kirche st. mangen pilgern, dem ort, wo die strenge asketin von damals gelebt haben soll.

jetzt muss ich aber schlafen gehen, denn morgen werde ich dem rat der regierungsrätin horchen, die in die kleine kammer nach bern will, um den überfall der svp-auf den ständerat wenigstens in st. gallen zu verhindern …

mehr zu alledem im verlaufe der woche.

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bärn – seit 1191

bern hat einen neuen film über sich und seine bären. heute war premiere in der cinematte. ein gelungener auftakt für “bern – seit 1191”.

HBlUw14N_Pxgen_r_900x588das ende einer stadtgeschichte: pedro, der letzte bär im alten bärengraben, seit 1513 ein fester bestandteil des berner stadtlebens, wird 2009 krankheitshalber eingeschläfert.

der film “bärn – seit 1191” beginnt mit der bekannten stadtlegende. gründer herzog berchtold v. von zähringen habe beschlossen, die stadt nach dem ersten tier zu nennen, das im eichenwald an der aare erlegt würde. und das sei ein bär gewesen. eine stimme auf dem off widerspricht, und sie erzählt, filmisch unterstützt, die wenig geläufige fassung der gründungslegende. mechthild, eine edle, sei mit ihren kindern von einem wolf angegriffen – und von einer bärin verteidigt worden. diese habe sie, vom kampf verletzt, in ihre höhle zu ihren jungen geführt, wo sie verstorben sei. der herzog habe, als er vom opfermut der bärin gehört hatte, die jungen adoptiert und die stadt nach der heldin benannt.

unweigerlich fühlt man sich an die dramatischen tage im frühwinter 2009 erinnert, als finn, das männchem im neuen bärenpark von der polizei angeschossen wurde, nachdem er einen eindringling angegriffen hatte. die geschichte bewegte die stadt, wie kaum eine andere, ging medial um die welt, und die aufmunternde post samt honig liessen finn wieder stark werden. zwischenzeitlich hat björk, das bärenweibchen, zwei junge geworfen, berna und ursa, die bald schon ein neues zuhause brauchen. dann wird der erste rummel vorbei und vielleicht wieder etwas normalität einkehren.

der dokumentarfilm über das geradezu symbiotische verhältnis von bär und mensch in bern, den daniel bodenmann 2010 gedreht hat und der heute in der berner cinematte premiere hatte, geht den unzähligen bärengeschichten in der bundesstaat nach – in der gegenwart wie auch in der vergangenheit. zu wort kommen zum beispiel bärenwärter, die früher mit bären bis zum bahnhof spazieren gingen. ihr prestige war mit dem des stadtpräsidenten vergleichbar. der macht im film auch mit, meint kurz und bündig, man hätte den neuen bärenpark kaum gebaut, hätte man gewusst, wie kostspielig das werde. dem widerspricht der ceo der mobiliar, hauptsponsor der neuen touristenattraktion in bern. ganz manager aus zürich, lobt er das ziel, zu dem man von beginn weg gestanden sei, und es auch nicht aus den augen verloren habe, als es schwierigkeiten gab. barbara hayoz, die unglückliche mutter des bärenparks, bleibt da noch anzufügen, dass die stadt so unfreiwillig zum handkuss in millionenhöhe gekommen sei.

das alles ist in bern bekannt, und diese geschichten hätten kaum einen ebenso spannenden wie informativen dokumentarfilm abgegeben. denn der streifen erzählt auch geschichten, die kaum herumgeboten werden: wie die von der bärenjagd im bärengraben. lange erlegte man alte bären mit gewehren, wobei der präparator des naturhistorischen museums höchstpersönlich von der balustrade schoss, um das tier fachmännisch zu erledigen, ohne das fell zu beschädigen. anschliessend verzehrte man, bei einem kleinen fest im kleinen kreis, das bärenfleisch im benachbarten hotel adler. das beste stück ging an den stadtpräsidenten. alex tschäppät erinnert sich, dass es bären gab, die nach seinen eltern benannt worden seien. das habe ihn als junge gefreut. wenig erbaut war er jedoch, als dann auch sie geschossen und gefuttert wurden. diesen brauch pflege man in “seinem” bern nicht mehr, hält der stapi fest.

an der heutigen premiere waren viele, die den film miterzählen, anwesend – vom letzten bärenmetzger bigler bis zum jetzigen bärenparkdirektor schildger. der stand dem projekt der filmemacher anfänglich ziemlich negativ gegenüber. nach dem turbulenten start mit dem neuen gehege wollte er keine unnötige publicity durch sensationsjournalisten mehr, die nur geld machen wollten. davon ist nichts geblieben. bodenmanns team ist alles andere als reich geworden, und der oberste bärenwärter in bern lobte das einfühlsame werk beim apéro. die konrahenten von damals machten ob ihrer gemeinsamen freude spontan duzis.

ich kann mich dem positive urteil von höchster warte nur anschliessen. entstanden ist ein film mit rhythmus, ohne chichi, dafür mit gehalt. am 17. april kommt er in die kinos, und im herbst soll er als doc-film im schweizer fernsehen ausgestrahlt werden. vorgesehen ist, dass eine dvd entsteht, und das material von bern tourismus weiterverwendet wird.

mich freuts, auch für die einfälle zu berns bären und geschichte(n), die ich in verschiedenen interviews während mittagspausen und stadtwanderungen beisteuern durfte. berna, lüfte ich das geheimnis um den stadtnamen im abspann, sei nicht schwäbisch und komme auch nicht von den zähringern. vielmehr sei es das keltische wort für schlitz, geformt durch zwei grosse molassebrocken unter der nydeggbrücke, durch den die aare seit menschengedenken fliesse. das würde einen weiteren film füllen, über bern – vor 1191.

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soyez curieux!

“soyez curieux!”, rief joseph deiss den schülerInnen der düdinger oberstufe auf dem gemeinsamen podium zu. damit meinte er nicht, sie sollten merkwürdig werden, wie die schweiz vor ihrer uno-mitgliedschaft war. vielmehr empfahl er der jugend neugierig sein und einen beitrag zur lösung der weltprobleme leisten.

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geladen hatte nicolas bürgisser, der gewandte oberamtmann des sensebezirkes. ins düdinger “podium” gekommen waren vielleicht 250 personen, um den präsidenten der uno-vollversammlung, den freiburger joseph deiss, zu sehen und zu hören. ein erfolg fand ich; der amitionierte bürgisser hätte gerne das doppelte für den gast aus new york gehabt.
am morgen noch war der höchste weltbürger in london gewesen. nach dem schlaf wird er nach berlin fliegen, um mit westerwelle zu konferieren, bevor es zurück an den hauptsitz der vereinten nationen geht. préfect bürgisser fasste den aufenthalt des früheren cvp-politikers in düdingen so zusammen, dass die sensler metropole international bestens positioniert sei. den lacher des heimischen publikums hatte er auf seiner seite.

161 länder hat der mundialist aus der schweiz bisher bereist. das schönste land sei immer das nächste, bewies er seine neugierde. vor ablauf seines amtsjahres werde er es nicht schaffen, alle 192 mitgliedstaate der völkergemeinschaft besucht zu haben, bedauerte deiss. was nicht heisse, dass er danach untätig sein werde.
denn der 65jährige ist munterer denn je. jeden morgen geht er um 5 joggen, um seine gedanken zu ordnen. damit gehört er zu den beweglichen unter den diplomaten. seine bodygards am uno-hauptsitz seien fitter als unter seinen vorgängern, witzelte der professor aus freiburg, dessen politische karriere als cvp-gemeindepräsident in barberêche begann.
als uno-präsident auf zeit müsse er neutral sein, dozierte der frührer uni-professor. die mitglieder sind es, welche die uno treiben, nicht der präsident, erklärt er dem publikum. der leitet die versammlungen, wirkt als netzwerker, und er kommuniziert die entscheidungen. das wirkte noch ein wenig, wie eine 1.-august-rede eines schweizer politiker.
doch dann kommt der weltbürger im freiburger mächtig in fahrt. seine leidenschaft für die globale sache spürte man an diesem abend vor allem, als er über libyen sprach. wenn sich die uno in diesem land engagiere, sei das nicht einfach einmischung in innere angelegenheiten. es habe auch mit der verantwortung zu tun, welche die uno habe, wenn der schutz der bevölkerungen nicht mehr gewährleistet sei. der ausschluss aus dem menschenrechtsrat gehöre ebenfalls dazu, warb der uno-präsident vor seinem heimpublikum. global governance, das motto seines präsidialjahres, nennt deiss das und meint, die weltgemeinschaft müsse lernen, dass sich souveräne staaten für übergeordnete ziele engagieren sollten.

vorgestellt wurde alt-bundesrat deiss durch seinen freund und kollegen in der schweizer regierung, samuel schmid. der würdigte diess unterhaltsam. die “drei k” seien typisch für den freiburger katholiken, frotzelte der reformierte aus dem benachbarten seeland: korrekt, konstruktiv und kollegial. damit war beim ernsthaften teil seiner laudatio, den thesen zur konkordanz, die joseph deiss am 20. oktober 2004 im bundesrat zu debatte gestellt habe: diese brauche institutionelle, organisatorische und personelle voraussetzungen, habe der magistrat damals gefordert. ohne namen zu nennen, wussten alle im saal, wer warum gemeint war.
den kämpfer deiss würdigte erwin jutzet, der sensler im freiburger regierungsrat. für die einhaltung der milleniumsziele in der uno mache sich ehemalige aussen- und volkswirtschaftsminister der schweiz stark. bis 2015 will man die armut halbieren, die lebensqualität nachhaltig sicher und die biodiversität fördern. gekämpft haben beide im parlamentarierfussball mit- und im murtenlauf gegeneinander.

als bundesrat sah sich joseph deiss bisweilen dem vorwurf ausgesetzt, effizient regiert zu haben, ohne farbe zu bekennen. an diesem abend habe ich einen äusserst kompetenten, überzeugten und einfühlsamen weltbürger kennen gelernt, der viel ausstrahlung verbreitete. man hatte den eindruck, er habe nicht nur von der überschaubaren enge der schweizer verhältnisse in die unübersichtliche weite der globalen konstellationen gewechselt, nein, er sei dabei neugieriger denn je geworden.

soyez curieux!

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schweizer identitäten: wohin entwickeln sie sich?

in vielem stiften die alpen schweizerische identität. wir sind die mutter der ströme europas und damit mitten drin, und dank uns gibt es verbindungen über und durch die alpen. von aussen her gesehen sind die schweizer häufig ein alpenvolk, von vor- und nachteilen: gleichzeitig gilt unsere lebensweise als urban unverdorben, sind wir aber auch das putzige land zwischen den grossmächten.

1267718343000unser pass und unsere identität: gleichzeitig unverkennbar schweizerisch und von schweizerInnen wie ausländerInnen anerkannt; mehr zum identitätsbarometer 2010 gibt es hier

in dieser optik sind wir nicht selten die erfinder der unmittelbaren demokratie, gleichzeitig auch die zurückgebliebenen im europäischen einigungsprozess. genauso oszilliert das bild vom guten und schlechten: in jedem schweizer steckt ein hirte, der darauf achtet, das die landschaft nicht übernutzt wird, während in jedem hirten auch ein sodomit steckt, wie man einsamen bergler nennt, die es mit tieren treiben. doch wehe, wenn man uns, politisch inkorrekt, kuhschweizer heisst, denn dann zahlen wir es den sauschwaben mit der gleichen münze zurück.

schweizerische identitäten – ich ziehe hier den plural bewusst vor – sind seit der finanzmarktkrise von 2008 und ihren negativen auswirkungen auf die globale krisen gefragter denn je. die globalisierung, ein projekt der wirtschaft, ist diskreditiert. die gier der banken hat zum moralischen zerfall geführt. die einfallslosigkeit der energietechniker beschert uns weltweit verstrahlte umwelten. die bocksprünge an den finanzmärkten hat das wirtschaftswachstum in der westlichen welt gestoppt, und die natur- und zivilisationskatastophen zerstören jeden sachten wiederaufbau der ökonomien.

die öffnung der schweiz, wirtschaftlich und politisch, hat das bedrohungsgefühl verstärkt und verändert. massenhaft beklagt werden nicht mehr die polarisierung und der so ausgelöst reformstau. vielmehr ist die migrationsfrage ins zentrum der aufmerksamkeit gerückt, aber auch der probleme und problemursachen. am verlorenen sicherheitgefühl sind die kriminellen ausländer schuld. an den hohen wohnungspreisen auch. vergessen geht dabei, dass sie einen viertel der erwerbstätigen ausmachen, uns geholfen haben, die krise besser als andere zu meistern, universitäre forschung auf spitzenniveau zu bewahren und den betrieb der spitäler aufrecht zu halten. unter geht auch, dass danke der zuwanderung die überalterung der schweizer bevölkerung gebremst und damit die ahv gesichert werden kann.

daraus lässt sich keine drang zu einer identität ableiten. die einheit in der vielfalt bleibt die wichigste bestimmung der schweiz. immerhin, diese hat einige gute grundlagen: stolz können wir sein, dass unsere arbeitslosenzahlen geringer sind als im ausland, wir im innovationsrating unverändert weltmeister sind und der ruf der schweiz weltweit gesehen vielerorts gar besser ist als in der heimat selber. denn wir haben eine solide basis mit unserer patronwirtschaft in den vielen kmu-betriebe, verstärkt durch einige international tätige unternehmen. schweizer uhren und angehängte akzessoires strahlen global, und künden von starken marken, die ihren ursprung in unserem land haben.

weil es uns gut geht, sorgen wir uns verbreitet um unsere eigenständigkeit. wo es konflikt gibt, wollen wir neutral bleiben. wo es etwas zu dienen gibt, sind wir aber dabei. wir rühmen uns, wenn es um das zusammenleben von sprachkulturen geht, selbst wenn wir wissen, das die harten gegensätze heute zwischen städter und landleuten auftreten. wir glauben, die einzigartigste direkte demokratie der welt zu sein, selbst wenn das wachstum an volksabstimmungen im ausland gegenwärtig höher ist als im inland. und wir halten konkordanz und sozialpartnerschaft hoch, auch wenn sich arbeitgeber und arbeitnehmer in fragen der sozialwerke unseins sind, und die brunners und levrats in bald keine punkt mehr gemeinsamkeiten haben.

bei allen unterschieden zwischen genf und appenzell, zwischen baslern und tessinerInnen: das nationale ist schweizweit wieder in, schrieb ich vor einige monaten im schlussbericht zum identitätsbarometer, den unser institut seit einigen jahren regelmässig für die credit suisse erstellt. hauptgrund: die swissness schützt uns davor, in der massengesellschaft auf- und unterzugehen.

das war noch vor der abstimmung über die ausschaffungsinitiative für kriminelle ausländerInnen. es war auch vor dem start zum wahlkampf. seither hat sich einiges zugespitzt und ich bin zwischenzeitlich nicht mehr ganz sicher, ob aus der analysierten swissness-welle nicht eine eigentlich nationalistische geworden ist. denn das ist die schwäche aller bestimmung nationaler identitäten: dass sie dazu neigen, sich mit selbstbildern begnügen und sich um fremdbilder scheren. bei einem menschen würde jeder psychologe sagen, das so keine identät entstehen kann, denn die ergibt sich aus der gewachsenen übereinstimmung von wunsch- und spiegelbild. leider gibt es kaum jemanden, der das nationen und ihren politikerInnen so eindringlich sagt.

vielleicht gelingt es morgen, wenn in der arena die schweizer identität an der schwelle zum wahlkampf 2011 diskutiert wird.

stadtwanderer

des stadtwanderers sechste saison

wer in seinen sechste wanderfrühling steigt, macht das schon seit fünf jahre. so wie ich als kombinierter wanderer-blogger!

Stadtwanderer-Skulptur-Kopflos-Bern
sinnbild dafür, wie man nicht stadtwandern soll: kopflos – meine lieblingsskulptur in bern

ich habe meinen blogger-geburtstag verpasst. es war am 10. märz, vor gut einer woche soweit. in gedanken war ich ganz anderswo, und so entgeht mir weniges – aber die eigene kleinfeier!

der geburi meines blogs ist immer auch der startschuss in die neue saison. 5 jahre mache ich das kombi als spaziergänger und schreiber schon. und das sechste jahr kündigt sich schon ganz ordentlich an:

. am vergangenen samstag gabs eine tour an der alten aare zwischen lyss und aarberg. die geschichte des burgundisch-bernischen grenzstädtchen aarberg stand im zentrum.
. die nächste fixierte wanderung ist am 21. mai. die generaldirektion der srg ist mit zahlreichen nicht-bernerInnen besetzt worden, die bern zu wenig kennen. ich sozialisiere roger de weck und verschiedene seiner mitarbeiterInnen an der spitze der srg an ihrem arbeitsort mit einem ganz speziellen rundgang zum thema “tatort bern”.
. eine woche später führe ich eine delegation aus spiez durch die stadt bern, quasi auf den spuren von adrian von bubenberg, den freiherren von spiez und berner schultheissen im 15. jahrhundert.
. am 10. september gibt es dann eine spezialführung für die volkshochschule wynenthal im aargau. catherine von wattenwyl, die berühmte amazone im 17. jahrhundert in bern, lebte eine weile in der gegend meiner teilnehmerInnen. ich spinne den faden zwischen den beiden orten anhand von personen mit unkonventionellen biografien fort, um zum durchschnitt einen gegenpunkt zu setzen.

zwei weitere tourneen sind in vorbereitung, zum thema flüchtlinge und demonstrationen in bern. mehr dazu, wenn sich das alles konkretisiert.

wer interesse an einer führung mit mir hat, melde sich ruhig. etwa zwei termin habe ich meiner sechsten saison noch offen.

stadtwanderer

leben in der risikogesellschaft

ich finde zu allem worte, dachte ich mir. jetzt merke ich, wie sie stocken, wenn ich an die ereignisse in japan denke. mein versuch, mich selbst aufzurichten, vielleicht auch andere anzuspornen, gleiches zu tun.

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vor 25 jahren erschienen, durch den reaktorunfall in tschernobyl berühmt geworden, ist der band über die risikogesellschaft von ulrich beck dieser tage wieder aktueller denn je.

zuerst war die meldung vom erdbeben. wenn sie aus japan kommt, macht das nur beschränkt eindruck. dann trafen die bilder der verwüstung durch den tsunami ein. sie schockierten. schliesslich müssen wir bald täglich zusehen, wie im akw fukushima eine explosion der andern folgt, die newslage mehr verwirrt als klärt, die welt sich aber trotzdem einem ihrer tiefpunkte nähert. was tun?

ulrich beck, der wohl bedeutenste lebende soziologe deutschlands, veröffentlichte vor 25 jahren sein buch “risikogesellschaft”. es war damals schon die treffendste analyse der verkettung von gesellschaft, technik und natur. seither hat es kritiken zuhauf gegeben, wissenschaftliche, politische und mediale. und doch denkt man diese woche unweigerlich wieder an die diagnose becks vor einem viertel jahrhundert.

in einem bemerkenswerten interview mit dem heutigen “bund” nimmt der soziologe stellung zum geschehen in japan. seine überlegung beginnt beim begriff der “naturkatastrophe”. Er suggeriere, das etwas schlimmes passiere, dass der mensch nicht zu verantworten habe. das sei falsch, weil die natur dramatische veränderungen kenne, die im bezug auf die von menschen entwickelte zivilisation zur katastrophe würden. menschliches können, technologische entwicklung und ereignisse der natur seien deshalb augenscheinlich miteinander verwoben.

grosse katastrophen, wie die jetzige in japan, aber auch wie die globale finanzkrise, tendierten jedoch dazu, nicht nur metaphorisch keine verantwortlichen zu haben. versuche, ursachen und wirkungen in solchen situationen miteinander in verbindung zu bringen, würden meist ins leere laufen. das habe nicht zuletzt damit zu tun, dass es nicht gelinge, rechtsnormen zu formulieren, welche folgen auf gründe zurückführen würden, und damit die akteure für ihr handeln haftbar zu machen.

besser funktioniere da der sündenbock-mechanismus. an tschernobyl sei der kommunistischen schlendrian schuld gewesen, lautete die gängige interpretation 1986. die sicherheitsstandards seien in der kapitalistischen welt anders, denn keine firma könne solches wollen, schob man nach. jetzt, wo auch das widerlegt sei, rechnet beck damit, dass man die japanische tragödie zu einem sonderfall, bedingt durch die eigenheiten des pazifischen raums machen werden. doch sei das nur augenwischerei. unübersehbar sei, dass die sicherheitsphilosophie der kerntechnologie insgesamt zur disposition stehe.

die generelle problematik formuliert der soziologe so: risiken sind sinnlich nicht wahrnehmbar. was risikant ist und was nicht, entscheidet der gesellschaftlichen prozess der verarbeitung von risiken. dabei dprften wir nicht einfach auf die individuelle oder kollektive erfahrung abstellen, weil wir inzwischen wissen müssen, das katastrophen drohen, die wir noch nicht erfahren haben und die wir nicht erfahren dürfen. auf diese problematik habe noch niemand eine angemessene antwort gefunden, ihr auszuweichen sei aber ein trugschluss.

ulrich beck schlägt vor, die entwicklung der (un)sicherheitskultur nicht technikern und juristen überlassen. die kritik an ihnen dürfe jedoch nicht einfach ins leere zielen; sie müsse besseren techniken und märkten chancen eröffnen, die helfen, riskante techniken durch weniger riskante zu ersetzen. der deutsche anlytiker unserer gegenwart glaubt, dass durch katastrophen wie die aktuelle der trend hin zu debatten über eine alternative moderne nicht mehr aufzuhalten sei.

meine gespräche heute waren profaner, aber nicht anders. wir müssen uns der risiken, mit denen wir leben, gemeinsam bewusster werden, um vernünftig zu entscheiden, was wir haben, was wir wollen, und was wir ausschliessen müssen. das beginnt bei jedem einzelnen, wird aber unvermeidbar zu einen gesellschaftlichen prozess werden, der, wie es ulrich beck vor einem viertel jahrhundert schon sagte, die grammatik des politisch machbaren neu bestimmen wird.

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die andere stichwahl

geladen hatte der trachtenverein wohlen. gekommen waren 250 personen, die meisten aus meiner wohngemeinde wohlen. es wurde getanzt, gesungen, gegessen und getrunken – und zwischendurch gabs das theater “stichwahl”.

“aerger für herger” war das motto des volkstheater. matthias herger, berner nationalrat der stadtlandpartei, wollte seit langem kantonalpräsident seiner partei werden. die belastung durch die politik war hoch, das eigene unternehmen lief schlecht. eine eigentlichen durchbruch erwartete der gut 50jährige durch seine wahl – weniger für die partei, mehr für sich! das sah patrizia bichsel, eine dreissig jährige anwältin unter den parteimitgliedern genau umgekehrt. frischer wind durch frische leute sollte der partei neues leben einhauchen – mit ihr als präsidentin.

dramatik kam in die aufführung, als die hintergründe der stichwahl ausgeleuchtet wurden. denn herger war im vorjahr nicht mit seiner parlamentskommission in die ukraine gereist, sondern in seine heimatgemeinde, wo er sich in seinem ferienrustico auf eine liebschaft einliess. überrascht wurde er dabei von seiner erwachsenen tochter, denise, die sich danach entsetzt ins auto stürzte und unter mysteriösen umständen einen schweren unfall baute, der ihre persönlichkeit entstellte. das verhältnis hatte herger ausgerechnet mich bichsel, seiner parteikollegin, die nun gegen ihn antrat.

die wahl fand im tagungszentrum der heimatgemeinde von herger statt, gerade neben dem rustico. mit der ankunft der familie herger rekonstruiert sich die familiengeschichte, die trägödie um ihre tochter und liebschaft des mustergatten, von der nicole, die ehefrau, erst am wahltag erfährt. eilends geht sie ins wahllokal, wo sie mit der nebenbuhlerin anstösst, allerdings mit sekt, den sich vorher mit schlafmittel präpariert hatte.

so kommt es zu einer dramatischen stichwahl. herger gibt sich selbstbewusst, der parteivorstand stützt ihn, ebenso seine ehefrau, und die sonntagspresse, die beeindruckt ist, das in diesem wichtigen moment die familie herger samt tochter vereint anwesend ist. bichsel wiederum taumelt schlaftrunken ans redepult, hat nur eine vergraulte ex-nationalratskandidatin hinter sich, sagt wenig, und als sie ausrasten und die ganze wahrheit auspacken will, setzt man sie in die hinter reihe der parteimitglieder.

dr. fernando plüss, dem parteisekretär, bleibt nur noch, die stichwahl gemäss statuten durchzuführen. doch lässt er nicht die parteimitglieder entscheiden, sondern das publikum. das erhält wahlzettel, wie es sich gehört, bestimmt werden stimmenzählerInnen, wie man das kennt, und dann wird ausgemehrt.

es gewinnt die herausfordererin patrizia bichsel, die dreimal mehr stimmen macht, als der anfängliche favorit, matthais herger.

als der vorhang fällt, wähnt man sich in einem stück realität. unverkennbar gespielt wurde hier die traditionsreiche bernische svp. es mischen fast unzertrennbar das politische und das gesellschaftliche. in diesem gibt es das öffentliche und das private. dieses wiederzum zerfällt in echtes und getäuschtes. all diese ebene verleihen dem geschehen auf der bühne spannung.

regie führte wie jedes jahr bei den aufführungen des wohlener trachtenvereins annemarie schädeli. sie scheint die mentalität der landleute gut zu kennen, ohne ihr milieu mit dem theater zu brüskieren. die fassade, von der man am anfang wenig überrascht kenntnis nimmt, bröckelt mit jedem schritt, mit dem man auf die entscheidung im machtkampf zugeht. das macht das stück, durchwegs von laienschauspielerinnen gespielt, lebensnah.

an ende war ich froh, nur gast im wohlner räberhaus gewesen zu sein. denn die analyse wäre mir nicht leicht gefallen. in der stichwahl habe ich mich nämlich enthalten, nicht weil ich neutral bleiben wollte, sondern weil mich beide protagonistInnen des stücks politisch nicht überzeugten.
die unterhaltung am abend – einem stück begegnung zwischen stadt und land – habe ich dagegen ausgiebig genossen.

stadtwanderer

steht die schweiz unter dem diktat der agglomerationen?

der schock über die volksabstimmung zur waffen-inititive sitzt tief. es ist nicht einmal das ergebnis, das dies bewirkte, zeichnete sich die ablehnung gegen das ende des abstimmungskampfes immer mehr ab. vielmehr war es der stadt/land-gegensatz der einfuhr. denn nach seit dem letzten november gehen eigentlich alle volksentscheidungen zugunsten des mobilisierten landes aus.

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die bevölkerung, die in den ruralen gebieten lebt, geht seit mitte der 90er jahre zurück. es wachsend die urbanen gebiete. agglomerationen im engeren sinne sind jene in der nachkriegszeit rasch gewachsenden gebiete zwischen dem land und den kernstädten.

am kommenden dienstag gibt es auf drs2 einen themenschwerpunkt. berichtet wird über den stadt/land-gegensatz in der schweiz. porträts von menschen städterinnen und landschäftlern werden gesendet. experten aus architektur, gesellschaft und politik kommen zu wort – und der stadtwanderer!

ein grösseres interview mit meiner analyse zu abstimmungsergebnissen, neuen polaritäten, entscheidenden mehrheiten, tieferliegenden motiven und generellen antagonismen kommt im “kontext”. doch es geht nicht nur um eine übersicht zu volksabstimmungen, es geht auch um grundsätzliches: bildungsunterschiede, verkehrsinvestitionen, lebensweisen zwischen stadt und land.

der titel der sendung lautet vor der aufnahme: “steht die schweiz unter einem agglo-diktat?” das war sicher als provokation gedacht, und auch mit einem fragezeichen versehen. selber bin ich skeptisch mit der damit verbundenen aussage: zwar stimmt es, dass die agglomerationen in der schweiz 50 prozent der einwohnerInnen, auch der bürgerInnen ausmachen. doch äussern die agglomerationen keinen einheitlichen willen, womit das diktat entfällt.

das werde ich im interview zu begründen versuchen.

stadtwanderer

erdöl-schock 1973 – und heute?

revolution in tunesien und ägypten, bürgerkrieg in lybien. was bedeutet das für uns? – eine erinnerung.

sriimg20060604_6779261_2es ist eine schwache, aber lebhafte erinnerung. die autobahnen waren leer. wir spazierten über brücken und sahen erstmals die weite der schnellstrassen durch unser land. denn kein lastwagen, kein personenwagen störte das bild.
fantasien kamen auf, was man damit alles machen könnte: rollshuhstaffeten, velorennen, oder gar die rückführung der strassen in natur wurden diskutiert.

erinnert wird hier an das jahr 1973. den ölschock. ausgelöst durch den jom-kippur-krieg, den aegypten und syrien gegen israel führten. der westen unterstützte die angegriffenen, die erdölfördernden staaten reagierten mit der drosselung von erdöl, um den westen in schach zu halten.

als erste massnahme führte man vier (?) autofreie sonntag ein. die bildeten die unterbrechung des rhythmus, an den man sich mit jeder eröffnung eines stücks autobahn immer unweigerlicher gewöhnt hatte. so wollte man energie, das erstmals zu einem knappen gut wurde, sparen.

ob das wirtschaftliche etwas genützt hat, zweifelt man heute. im sinne der politisierung war der einschnitt wirksam. auf der einen seite setzten wird und mit arabischen staaten auseinander, damals vor allem aegypten und saudi-arabien. beide genossen in der folge einen schlechten ruf. auf der anderen seite eroberte die vorstellung der grenzen des wachstums unser denkvermögen. vorher hatte ich glaube ich nie gehört, dass erdöl endlich sei.

im nachhinein ist es einfacher abzuschätzen, was der erdölschock von 1973 alles auslöste: zum beispiel die suche nach anderen energiequellen wie der kernenergie, aber auch erneuerbarer energieträger. müll(wieder)verwertung kam auf, genauso wie die diskussion über wärmedämmung. ja, selbst solch einschneidende massnahmen wie die einführung der sommerzeit kamen auf. im ersten anlauf wurde dies in einer volksabstimmung abgelehnt, aus ökonomischen gründen von der politik dann doch eingeführt. auf der anderen seite ist die inflation in folge steigener energiepreise ein thema. massnahmen gegen die verringerte kaufkraft wurde zu einem zentralen thema der politik. erfolgreich eingeführt wurde in der schweiz ein preisüberwacher. schliesslich änderte man die ganze geldpolitik, die darauf ausgerichtet war, die teuerung in den griff zu bekommen.

warum ich mich heute erinnere? – bei meiner morgendlichen schoggi vor dem gang in die stadt, habe ich in den zeitungen gestöbert und die neuigkeiten aus spanien gelesen. wegen den steil ansteigenden treibstoffpreisen, darf man ab nächster woche nur noch 110 stundenkilometer auf den spanischen autobahnen fahren 15 prozent des erdöls und 11 prozent des diesels will man so sparen. für spanien, das seinen energieverbrauch extrem durch importe deckt, scheint das unentbehrlich.

und selbstredend frage ich mich, ob das bald auch in der schweiz ein thema wäre. zum beispiel des angelaufenden wahlkampfes. dem stadtwanderer wäre es recht, wenn er mit seines gleichen auf den strassen mehr platz bekäme.

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frauen in politischen ämtern: höhepunkt in den städten überschritten

1993 löste die nichtwahl von christiane brunner in den bundesrat eine welle aus, von der frauen bei wahlen profitierten. ihre untervertretung verringerte sich sukzessive. doch seit einiger zeit ist wieder gegenteiliges feststellbar.

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im bundesrat hat es seit neuestem vier frauen. damit ist die mehrheitlich der sieben mitglieder weiblich. die statistik der schweizer städte von 2011 weist nach, dass ähnliches in den städten bern, lyss, und zofingen der fall ist, sowie in muri bei bern als prominentestem vorort. alles in allem sind es orte im weiteren umfeld von bern.

das alles darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die zahl der stadtexekutiven ganz ohne frauen grösser ist. in verschiedenen westschweizer gemeinden wie mancy, vernier, thonex und versoix kann man das mit der eigenheit in verbindung bringen, dass die regierungen nur drei mitglieder zählen. in wetzikon, bülach, wohlen, rorschach und st. moritz gibt es jedoch sieben mitglieder, und alle sieben sind männer. vergleichbares findet sich in davos, ebikon, oftringen, prilly und val-de-travers, wo die stadtregierung fünf mitglieder zählen und keine frau dabei ist. etwas schematisiert kann man sagen, männerbastionen in stadtregierungen kommen in der ost- und zentralschweiz am ehesten vor.

abstrahiert man von solchen regionalen eigenheiten, interessieren die grossen entwicklungslinien in der vertretung von frauen in stadtbehörden. da die schweizer stadtstatistik seit den 80er jahren konstant erhoben wird, eignet sie sich auch, um einen zeitgeschichtlichen überblick in dieser hinsicht zu geben.

das jahr 1993 ist das entscheidende, für die frauenvertretung in den städtischen exekutiven. unschwer erkennbar ist der zusammenhang mit der nicht-wahl von christiane brunner in den bundesrat. vor allem in den grossen städte führte der so ausgelöste effekt zu einem sprunghaften anstieg von frauen ist stadtregierungen. 1994 wurde ein rekordwert verzeichnet, der seither nicht mehr erreicht worden ist. die auswirkungen auf die mittelgrossen städte waren bescheidener, aber nachhaltiger, und in den kleinen städten ging es bis 1998, bis ein wendepunkt erreicht wurde.

fast alle indikatoren zeigen, dass der höhepunkt bei der frauenvertretung zwischen 2006 und 2008 erreicht wurde, seither verlaufen die mittelwerte rückläufig, ausser für die kleinsten städte. oder anders gesagt: frauen haben es wieder schwerer, an den massgeblichen stellen der stadtpolitik einsitz zu nehmen.

ähnliches lässt sich auch beim wichtigsten vergleichsindikator, dem frauenanteil in stadtparlamenten, sagen. auch hier bildeten die grossen städte lange den lead, als es aufwärts ging. und bei ihnen wurde 2007 der höchste wert gemessen. seither verringert sich die zahl der frauen in den stadtparlamenten wieder leicht. das gilt auch für die mittelgrossen städte, wo der kippunkt 2006 war, während es nicht sicher ist, ob die trendwende in den volksvertretungen der kleineres städte schon eingetreten ist.

auf jeden fall kann hier eines klar festgehalten werden: die letzten 3 bis 5 jahre brachten nur noch in einzelfällen eine verbesserte frauenrepräsentation in den stadtbehörden. mit der entwicklung der grundstimmung richtung konservative grundhaltung gehen auch die wahlchancen von frauen in regierungen und parlamente zurück. wenn das selbst in den städten der fall ist, und das insbesondere bei den trendsettern, ist von auszugehen, dass sie gleich auch in den agglomerationen und auf dem land abzeichnet oder schon der fall ist. das wäre dann auch ein fingerzeig, was am grossen wahltag im herbst passieren kann!

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berns geschichte für die gegenwart neu erzählt

stephan von bergen, historiker und journalist, bringt historische erkenntnisse immer wieder unters volk – mit unkonventionellen artikeln und positionen. seit heute figuriert er als autor einer mehrteiligen kantonsgeschichte, in der er sich mit vergangenheit und gegenwart, mit glanz und gloria, aber auch mit destastern und defiziten des berner standes auseinander setzt.

470gdas berner kornhaus aus dem 18. jahrhundert: der inbegriff des autarkiedenken in der alten republik, dessen grundlage mit der industrialisierung und dem eisenbahnbau so heftig unterminiert wurde.

“Das heute noch wirksame Erbe aus dem Alten Bern ist schillernd”, schreibt autor stephan von bergen. “Dazu gehören eine Staatsgläubigkeit und ein boderständiger, bäuerlicher Geist. Das immer noch virulente gegenseitige Ressentiment zwischen dem Land und der einst dominierenden Stadt Bern. Die Brückenfunktion zwischen der Deutschschweiz und der Romandie, die Bern erobert hatte. Und eine Berner Mentalität, die Vorsicht mit Unbeweglichkeit, ein Gefühl von Grösse mit privinzieller Selbstgerechtigkeit und Nüchternheit mit Gemütlichkeit paart.”

mit seiner neu erzählten berner geschichte nimmt er den faden aus der bemerkenswerten dissertation von stefan altorfer-ong, die bern im 18. jahrhundert einen überflussstaat nannte. dank abwesenheit von kriegen und aufständen etablierte sich die berner republik zum vorbild für erfolg. allerdings, so der neue star unter den berner historikern, gelang das nur als trittbrettfahrerin. bern finanzierte kriege, lieferte söldner, und die heerführer wie auch die rückkehrer verdienten damit ihr geld.

kaufleute, unternehmer und beamte gab es in der heimat kaum. obwohl die stadt von brugg bis nyon reichte, lebten nur mitte des 18. jahrhunderts nur 336’000 menschen in der republik, davon drei prozent in der mittelalterlichen stadt. viel der heute noch stehenden häuser in der altstadt stammen aus dieser zeit, der den kollektivgeist der städtischen oberschicht zum ausdruck brachte. über allem wachten das münster und die reformierte kirche, unter sich waren die oligarchen gleich, gegenüber anderen erhaben, während das land politisch ausgeschlossen blieb, wirtschaftlich aber geförderte wurde, solange man für die landwirtschaft produzierte.

1747 traf der grosse rat eine wichtige entscheidung. die führenden patrizier im zentrum sollten gesamthaft die tätigkeiten als kaufleute und industrielle unter- resp. sie ganz den minderwertigen untertanen in deer peripherie überlassen. “Staatswirtschaftlich und agrarisch, nicht privatwirtschaftlich und unternehmerisch”, fasst der berner geschichtsprofessor andré holenstein die tragende bernische mentalität zusammen. die begründung war einfach: vom getreidebau profitierte man doppelt – als einnahmequelle der republik und als sicherheit gegen hungersnöte. das kornhaus in bern, aber auch in burgdorf und langenthal war der eigentliche inbegriff des bernischen staatswesen.

alt bern entschied sich gegen die frühindustrialisierung. diese überliess man der ostschweiz, in der sich die textilindustrie ausgebreitet hatte. das brachte exporteinnahmen, mit denen man getreide aus dem süddeutschen raum importierte. entstanden ist so eine bürgerliche schicht, die ganz anders auf die industrialisierung reagierte als die berner patrizier, die in ihren autarkie-, unabhängigkeits- und souvernitätsvorstellungen verharrten, bis sie durch die französischen truppen gestürzt wurden, ohne dass eine bürgerliche schicht die entwicklung in wirtschaft und politik nahtlos hätte vorantreiben können.

immerhin kann man beifügen, die liberale und radikale bewegung der 1830er jahre gab dem risikoscheuen staat ein neue gepräge. der freisinn von 1848 entwickelte nicht nur die schweiz, auch bern bis zum ersten weltkrieg auf einer industriellen grundlage, wie beispielsweise der elektrifizierung, die in ihrer frühzeit europäisch führend war. der freisinn zerbrach mit dem ersten weltkrieg, mit dem die arbeiterbewegung einerseits, die bauern und gewerbler anderseits das bürgertum herausforderten, gemeinsam jedoch wieder einem protektionistischen staatsverhalten auftrieb gaben.

heute sind svp und sp die grössten politischen kräfte im kanton bern. bei den anstehenden ständeratswahlen treten sie mit vehemenz gegeneinander an. adrian amstutz, der rechte mann auf dem land, steht ursula wyss, der linken frau aus der stadt gegenüber. und wieder geht es um öffnung oder nicht. die konservativen sind national gestimmt, vereinfacht heisst das gegen die eu, derweil die modernistInnen international denken, wirtschaftlich offen und politisch vernetzt bleiben möchten. vom mittelstand der kleinen und mittleren zentren, der den freisinn zwischen 1890 und 1920 so stark machte, ist bei dieser ausmarchung kaum mehr etwas zu spüren. ihre kandidatin fiel schon in er ersten runde aus der wahl.

stephan von bergen bedauert das. denn amstutz kritisiert er als vorschnellen antietatisten, der so tue, als könne man einen schweren tanker mit ein paar markigen worten in eine andere richtung lenken. und ursula wyss hält er vor, zu genügsam zu sein, weil ihre klientel von der gemütlichkeit des bernischen kahns profitiere.

mal sehen, wer lotse oder lotsin wird, und ob sie oder er das schiff mit schlagseite neuen schub verleihen kann.

stadtwanderer

über die grenzen des wachstums denkt man nach, wenn man wachstum hinter sich hat.

der umweltsurvey 2007, erstellt von der eth zürich, ist die wohl umfassendste, aktuelle standortbestimmungen zum umweltbewusstsein in der schweiz. ich habe ihn mir genauer angesehen, um mehr über die gesetzmässigkeiten zu erfahren, unter welchen bedingungen wir uns der naturprobleme bewusst werden und was seine zukunft des umweltbewusstseins ist. (m)eine kleine umweltgeschichte – dritter teil.

41H23CGPXTL._SL500_AA300_epochemachender bericht des club of rome – zwischenzeitlich mit dem umweltsurvey schweiz hinsichtlich seiner wirkungen hierzulande untersucht.

umweltbewusstsein, sagen die autoren des jüngsten umweltberichts unter dem soziologen andreas diekmann, ist eine einstellung, bestehend aus einer verstandesmässigen und einer gefühlsmässigen komponente. es geht um angst oder empörung, aber auch um kenntnisse von zusammenhängen zu umweltfragen, die zu bewertungen führen.

die umweltsoziologien schlugen schon in den 90er jahren vor, umweltbewertungen anhand dreier indikatoren zu festzustellen: erstens, der bereitschaft zu einschränkungen des lebensstandards, zweitens der zustimmung zem vorwurf, die politik tue zu wenig für die umwelt, und drittens der akzeptanz von arbeitsplatzverlusten zugunsten von umweltfortschritten. ihre untersuchungen hierzu zeigen im zeitvergleich, dass die beiden ersten meinungen mehrheitlich geteilt werden und zeitlich stabil sind, während letzteres nur eine minderheit gut findet, die über die zeit hinweg eher abnimmt.

emotional stabilisiert werden solche bewertungen durch verbreitete gefühle wie der angst, auf eine umweltkatastrophe zuzusteuern und der sorge, den kindern eine verschlechterte umwelt zu hinterlassen. beides ist verbreitet, während das empörungspotenzial durch medienberichte einiges geringer ausfällt. das geht einher mit wahrnehmungen der grenzen des wachstums, aber auch der vermutung, die anderen mitmenschen würde zu wenig für die umwelt tun.

in ihrer umfassenden analyse des wandels des umweltbewusstseins unter schweizerInnen schreiben die autoren des umweltsurveys: “Die Grundeinstellung zum Umweltproblem, die affektive Komponete, ist relativ stabil geblieben. Gewandelt haben sich aber Einstellungen über Zusammenhänge und die Bereitschaft, finanzielle Einschränkungen zugunsten der Umwelt zu leisten. Bedingungsloser Optimismus gegenüber der Wissenschaft als Lösung der Umweltprobleme ist ebenso wie der Pessimismus zu den schädlichen Auswirkungen des Wirtschaftswachstums einer pragmatisch-nüchternen Betrachtungsweise gewichen.”

in ihren vertiefenden ausführungen weise die forscher auf weiterhin vorhandene unterschiede des umweltbewusstseins im links/rechts-spektrum, aber auch zwischen frauen und männern hin. sie halten auch beschränkt unterschiedliche vorstellungen nach bildungsschichten fest. die sprachregionalen eigenheiten, die in den 90er jahren noch wichtig waren, sind weitgehend verschwunden.

das spannendste an der gegenwartsanalyse zum ökodenken sind die zusammenhänge mit anderen einstellungen: die soziologen weisen nach, dass umweltbewusstsein die entscheidungen zu umweltpolitischen forderungen recht stark beeinflusst, aber einen nur mässigen einfluss auf das umweltverhalten hat. dieses wird nicht nur durch innere faktoren der menschen besitmmt, auch durch äussere, sprich angebote und anreize. die wichtigste erkenntnis zur gegenwart betrifft aber die faktoren, die neues umweltbewusstsein fördern. der forscher schluss ist hier, dass weiteres umweltwissen keine weiteres umweltbewusstsein mehr herstellt. oder anders gesagt: wir sind, informationsmässig gesättigt, wenn es darum geht, wie wir über die umweltprobleme denken. es kann nur gezeigt werden, dass das umweltwissen beschränkt positiven einfluss auf das umweltverhalten hat.

oder plakativ gesagt: energiewerte und bio-kennzeichungen auf produkten haben die grösseren chancen, unser handeln zu verändern, als eine infokampagne zur biodiversität. diese wiederum darf kein volkshochschulkurs sein, der nur wissen vermittelt; sie muss betroffenheiten schaffen, das heisst uns bewusst machen, was die gefahr ist, dass wir unsere meinungen ändern.

übrigens: die hier besprochene untersuchung zum umweltbewusstsein im wandel der eth zürich spricht davon, dass das umweltbewusstsein in der schweiz global gesehen wohl am höchsten ist. es folgen nationen wie japan, die niederlande, dänemark und finnland. generell kann man festhalten: die höhe des wohlstands ist ein guter indikator für die ausbreitung von umweltbewusstsein. in den worten der soziologen: weil die restriktionen einer veränderung zugunsten von natur, tier und mensch, am gerinsten sind.

das sollten sich die ökologInnen merken, wenn sie eine vollangriff auf den wohlstand machen. ökonomisches wachstum ist nicht nicht das einzige, was lebensqualität schafft, füge ich bei. es ist aber eine voraussetzung dafür, dass man über die grenzen des wachstums nachzudenken beginnt.

stadtwanderer

die umweltbewegung: von der neuen sozialen bewegung zum teil der globalen mediengesellschaft

in den 80er jahren entstand die umweltbewegung als der teil der neuen sozialen bewegung. die abgrenzung zu den gewerkschaften als alter sozialer bewegung war entscheidend. heute entkoppeln sich das lokale und globale zusehends, und die umweltaktivitäten werden zum teil der globalen mediengesellschaft. (m)eine kleine umweltgeschichte – zweiter teil.

am 1. august 1983 sammelte die nationalspende für das baumsterben. ein paar gebiete in der schweiz seien von diesem problem betroffen, sagte man mir anderntags erklärten mitarbeiterInnen einer eidgenössischen forschungsanstalt, unsere wälder seien schwer krank. der wald sterbe.

jetzt malten kinder malten bilder mit sterbenden bäumen, umgefallenen wäldern, verendeter natur. die apokalypse war kein zukunftsthema mehr, sie fand plötzlich in der ist-zeit statt. die erschreckten eltern diskutierten, ob sie etwas falsch gemacht hatten, aufs autofahren verzichten sollten, inskünftig den oev benutzen müssten.

diese gesellschaftliche debatte erreichte rasch die politik. im herbst ‘83 standen parlamentswahlen an. und die beratungen des umweltschutzgesetzes waren in der schlussphase. menschen, tiere und pflanzen sollten damit geschützt werden. lebensräume sollten vor schädlichen oder lästigen einwirkungen bewahrt werden. die fruchtbarkeit namentlich des bodens sollte wieder gefördert werden. das wirkte die nachricht vom waldsterben wie eine bombe.

am 7. oktober 1983, rechtzeitig vor den wahlen, verabschiedete man das umweltschutzgesetz. damit wurde auch die verbandsbeschwerde auf eine neue basis gestellt. in den 60er jahren eingeführt, entwickelte sich das instrument zum dreh- und angelpunkt der interventionsmöglichkeiten für umweltverbände.

in meinen kursen zur schweizer politik am medienausbildungszentrum in luzern diskutierten wir zwischen 1986 und 1990 das fallbeispiel regelmässig. agenda setting, ein begriff des amerikanischen medienforschers bernhard cohen, leitete unsere debatten zu aktiver medienöffentlichkeit und institutioneller politik. anders als in früheren wirkungsuntersuchungen, unterschied cohen zwischem dem, was die medienrezipienten denken, und worüber wir denken. ersteres lasse sich durch medien kam beeinflussen, zweiteres schon.

das passte zum zeitgeist. journalistInnen verstanden sich als speerspitze im wertewandel. aufmerksam machen auf das, was ist, aber verkannt wird, war die verbreitete losung. 1987 propagierten ein dutzend prominente medienschaffende, politikerInnen und professorInnen die “hoffnungswahl” in buchform. in allen fortschrittlichen parteien sollten die ökologisch ausgerichteten, bisherigen und neuen bewerberInnen gefördert werden.

das ergebnis der nationalratswahl hinterliess eine perplexe avantgarde. zwar legten die grünen wie schon 1983 zu, doch gab die autopartei, bis dahin unbekannt, erstmals gegensteuer. die rechtskurve wirkte sich bin in meine kurs aus. die studierenden wollten jetzt mehr über die migrationsfrage erfahren als über die ökoproblematik.

das alles war symptomatisch: die umweltfrage wurde in den 80er jahren zur partei. grüne und rote nahmen sie willig auf, provozierten damit aber eine antietatistische gegenreaktion. die autopartei forderte freie fahrt für freie bürger. die automobilindustrie kritisiert das waldsterben, die bürgerlichen parteien setzten unverändert auf wirtschaftswachstum, und unterschieden zwischen technischem und ideologischem umweltschutz. zwischenzeitlich spricht man schon von verwaldung des schweizer mittellandes.

heftig politisiert wurde die verbandsbeschwerde der umweltverbände 20 jahre nach ihrer etablierung im umweltschutzrechtes. 2004 kam es zum eklat, als der zürcher vcs nach einem volksentscheid zu einem sportstadion mit einkaufszentrum eine exemplarsiche verbandsbeschwerde durchzog. das war gewagt, denn der volkswille ist den schweizern heilig. die ökoaktivistInnen wurden öffentlich als ökofundis beschimpft. die svp nahm den ball auf und setze im verbund mit den bürgerlichen parteien im parlament eine einschränkung des verbandsbeschwerderechts durch.

mit dem sogenannten schabernak aus den 80er jahren aufräumen wollte die fdp des kantons zürich. sie lancierte eine nationale volksinitiative, um das verbandsbeschwerderecht weitgehend zu kappen. vorgeworfen wurde den umweltorganisationen, zu bauverhinderen geworden zu sein. diese verwiesen darauf, dass die mehrheit ihrer beschwerden ganz oder teilweise gutgeheissen werde. das stimmvolk stellte sich schliesslich auf ihre seite. 2008 sagten 66 prozent der stimmenden in der volksabstimmg nein, alle kantone waren dagegen.

doch hat sich der kampf um die umwelt auf die globale ebene verlagert. internationale organisationen analysieren den zustand der luft, des bodes und des wassers. sie legen werte und ziele der politik fest. sie entwickeln programme des handelns. globale akteure nehmen relevanten einfluss auf das, was in der klimapolitik geschieht. al gore war der gegenspieler von georges w. bush. die erdölindustrie ficht gegen die greentech-branche. und die weltweiten medien entscheiden, ob wisenschaftssymposien oder uno-konferenz erfolg haben oder nicht.

in den 80er jahren entwickelte sich die neuen sozialen bewegungen in abgrenzung zu den alten sozialen bewegungen. heute mutiert die umweltbewegung vom lokalen akteur zum globalen netzwerk, die spezialistInnen der medienarbeit hat, lobbying in der uno und in der stadt betreibt, und grassrouts-aktionen im richtigen moment mobilisieren kann.

nicht zu unrecht spricht man in diesem zusammenhang von emergenz. denn es ist nicht mehr die kinderzeichnung aus betroffenheit, die mobilsiert, sondern das globale strategiepapier, das lenkt. umweltprobleme sind vielerorts real, ihre verhandlung entsteht aber aus der medienweltgesellschaft heraus. dabei sind die ergebnisse immer weniger vorhersehbar, entfalten sie sich aus der aktion selber heraus. den lokalen aktivistInnen hilft das gegelegentlich, gelegentlich schadet es ihnen.

stadtwanderer

mein baum. mein ärger. meine analyse.

im entscheidenden moment kannte ich ihn noch nicht. als ich seine bücher las, wurde mir klar, warum trotz vielen enttäuschungen meinen affinitäten zu ökologischen umstellungen bewahren werde. (m)eine kleine umweltgeschichte, erster teil.

buchs_agstandort meines baumes, bevor er dem autobahnzubringen weichen musste.

ronald inglehart ist ein lebender amerikanischer sozialforscher. er wirkt als professor für politikwissenschaft an der university of michigan – einem eldorado für empirische forschung.

sein erstes bekanntes buch trägt den namen “the silent revolution”, 1977 auf englisch erschienen und in unzählige sprachen übersetzt. eine der zeitgenössischen ruhigen revolutionen ist für inglehard der wertwandel im übergang von industriellen zu postindustriellen gesellschaften. postuliert wurde, dass materialistische durch postmaterialistische werthaltungen abgelöst würden.

wenn in einer gesellschaft bedürfnisse nach versorgung und sicherheit gewährleistet seien, entwickelten die menschen neue ansprüche, las ich da: solche der anerkennung und der selbstverwirklichung.

prägend sei nicht, was man habe, sondern was man nicht habe. denn danach strebe man. das gelte vor allem für das, was man in der jugendzeit nicht gehabt habe. das präge das weltbild, die werthaltungen des individuum – ein leben lang. wenn es die werte eine ganzen altersgruppe bestimme, liessen die mangelgefühle in den formativen jahren eine neue generation entstehen.

bei mir war es, was ich nicht mehr hatte: meinen baum! auf den ich als junge unzählige male geklettert war. er stand neben dem friedhof bei dem wir in buchs, aargau, wohnten.

als man beschloss, einen zubringer zur neu gebauten autobahn zu erstellen, nahm man auf gar nichts rücksicht. weder auf den friedhof, noch auf meinen baum. dieser wurde mit motorengehäul gefällt, genauso wie die grabesruhe für immer verschwand.

ich war ausser mir, zuerst wütend, dann traurig. denn mit dem baum entsorgte man auch einen teil der jugenderinnerungen. mein versteck in der astgabel, meine heimat in einsamen momenten, mein abenteurplatz, wo sich die gleichaltrigen an schulfreien nachmittagen rauften.

ich war knapp zwanzig, als man für eine volksinitiative unterschriften sammelte. in meiner erinnerung hiess das begehren “demokratie im nationalstrassenbau”. offiziell hatte die sache eine umständlicheren namen: volksinitiative «für die vermehrte Mitbestimmung der Bundesversammlung und des Schweizervolkes im Nationalstrassenbau» steht im amtsblatt. verlangt wurde, dass die politik, ja die bürgerInnen in sachen strassenplanung mehr zu sagen bekommen sollte. das wurde umgehend zu meinem programm.

an der uni hörte ich kurz danach vom wertkonflikt, der mit neuen sozialen bewegungen aufbreche. zu diesen zählte der dozent die umweltbewegungen. und ihre wichtigste analyse, die ich den soziologie-veranstaltungen kennen lernte, war die untersuchung von inglehart.

das alles machte mir mut. vielleicht war ich ja nicht der einzige, der sich innerlich empört, wenn man bäume fällt. vielleicht hatten andere in meinem alter ähnliche erlebnisse gehabt. vielleicht, so hoffte ich, seien wir viele.

inglehard zählte jüngere menschen und höhere bildungsschichten zu den vorreitern des postmaterialistischen wertwandels. er ging davon aus, sie würden immer mehr werden, wenn dank wohlstand versorgung und sicherheit für immer mehr menschen gewährleistet werden könnten. das verhiess gutes. denn es würden sich mit sicherheit immer mehr menschen finden, die auf der suche nach einem anderen leben seien.

der 26. februar 1978 brachte dann eine gewaltige ernüchterung. meine initiative, an die ich so geglaubt hatte, weil sie wenigstens nachträglich ein wenig für umweltgerechtigkeit sorgen würde, wurde an diesem sonntag versenkt. keine 39 prozent dachten so wie ich. kein kanton war dafür. im aargau war man sogar überdurchschnittlich stark dagegen.

seither weiss ich: die postmaterialistInnen sind eine fordernde minderheit, machen keine mehrheit aus. ob die postmaterialistInnen je in der mehrheit sein werden, glaube ich nicht, bezweifelt heute auch die sozialforschung.

erfolg haben sie nur, wenn sie das naturempfinden breiter kreise miteinbeziehen. zum beispiel beim schutz der hochmoore oder beim alpenquerenden verkehr.

denn die berge sind und bleiben für viele ein tabu. aus ehrfurcht, aus angst, aus freude, aus stolz. im mittelland ist davon nicht geblieben. es wächst die zivilisation in die natur hinaus. und wenn sich aktive umweltschützerInnen quer legen, ernten sie nur kopfschütteln.

mehrheit ist mehrheit, weiss ich nur zu gut. seit der lektüre der bücher von ronald inglehart weiss ich aber auch, dass ich mein leben lang aufrecht zu meiner minderheitsmeinung stehen werde.

stadtwanderer