meine prognose zum bürgerlichen sechser!

der bürgerliche sechser liess sich vor dem wahlkampf vor dem berner rathaus ablichten. klaro! man wollte geschlossen dorthin. bin zufällig bei stadtwandern dazu gestossen. habe eva (desarzens) gleich gewarnt. man stehe zu weit rechts, und das komme nicht gut. denn die rechte treppe des berner rathauses symbolisiert die berner untugenden. das wusste der arme fotograf nicht. und die regierungsratskandidatInnen liessen sich von ihm drappieren …

hier der belegt, und wie sich die fdp kandidatInnen grad gewahr werden!

also hol ich nach, was die untugenden sind: erstens, die verführung, zweitens, die eitelkeit, drittens, die ungerechtigkeit und, viertens, die feigheit. die vier statuen an der rechten treppe stehen von oben nach unten dafür, und wer es nicht (mehr) weiss, der sollte wenigstens den dämon erkennen, den die berner auf der rechten seite der rathaustreppe haben. links haben sie in bern übrigens einen engel!

was die tugenden sind, die links stehen, dass lass ich die erfolgreichen regierungratskandidatInnen der linken selber herausfinden. wenn sie es nicht schaffen sollten, werde ich bis in vier jahren für abhilfe sorgen! und sie daran messen, ob sie tugendhaft regiert haben.

so und hier als beleg meinne warnung, die ich eva gleichentags, wie sie die fotos machten, schickte!

der (tugendhafte) stadtwanderer

Liebe Eva

Hier meine erste Hilfe für das Berner Rathaus. Es ist das älteste noch stehende Rathaus auf Schweizer Boden, denn es stammt aus dem frühen 15. Jahrhundert. Der spätgotische Bau wurde durch den grossen Stadtbrand von 1405 ermöglicht. Damals ging fast die halbe Holzstadt in Flammen auf. Man ist danach zum Bau von Steinhäusern übergegangen, und das Rathaus steht in renovierter Form heute noch. Nicht mehr steht, gedanklich links vom Rathaus, die alte Münzstätte. Sie wurde im 18. Jahrhundert als zu baufällig abgerissen. Zu einem Neubau gegen Westen kam es aus Finanznot (!) nicht mehr, weshalb bis heute die Mauer gegen Sonnenuntergang so kahl ist. Renoviert wurde das Rathaus im Zweiten Weltkrieg, als sozialistische Arbeitsbeschaffungsmassnahme unter Röbu Grimm. Hinten an der Fassade sieht man noch klammheimlich die Statue des Helden der Arbeit.

Eingeweiht wurde der Bau 1414 durch König Sigismund, dem zweiten Sohn von Kaiser Karl IV. Das Haus Luxemburg-Böhmen förderte Bern gleich mehrfach: Karl war als amtierender Kaiser in Bern. Er war 1365 im “Dominikaner”, der heutigen Franzosenkirche, zu Gast, und er erteilte der Stadt verschiedene Privilegien. Vor allem sicherte er Bern die lebenswichtigen Wasserübergange, so in Gümmenen, was der Stadt den Vorrang vor Freiburg im Mittelland sicherte. Er anerkannte auch die burgundische Eidgenossenschaft, wie Berns Bündnissystem mit anderen Städten, Bischöfen und Adeligen der damaligen Zeit hiess, als Teil der Kaiserreiches. Sein Sohn hatte noch Grösseres vor mit der Stadt Bern. Er erhob Bern zum königlichen Stand, erteilte der Stadt auch das hohe Gericht, womit der Schultheiss auch Todesurteile fällen durfte.

Angeklagte wurden im unteren Stock des Rathauses eingekerkert, und sie erhielten dort (auf Staatskosten) die letzte Malzeit. Heute gibt dort Apéros. Wenn von der Leutkirche her die Glocke läutete, später “Arme Sünder”-Glocke genannt (die heute noch den Abend in Bern einläutet …), musste der Angeklagte hervortreten, etwa dorthin, wo Ihr Euch abbilden liesst und dann barfuss die Kreuzgasse hoch, bis zur Gerechtigkeitsgasse, gehen. Dort war der 5 Meter hohe Schultheissenstuhl, und von so hoch herab wurde der Angeklagte verurteilt. Die Hinrichtung fand dann ausserhalb der Stadt statt, auf dem Galgenfeld oder beim Hänkerbrünnli. Heute sind das Busstationen.

Bern wurde mit dem Privileg Sigismund auch politischer Partner des deutschen Königs. Es blieb dies bis zum Schwabenkrieg. Sigismund hatte der Stadt schon ein Jahr danach einen Grossauftrag: die Eroberung des Aargaus, der Stammlande der Habsburger Herzöge, mit denen der König man spinnefeind war. Die Berner machten dem stolzen Rathaus volle Ehre und nahmen den Habsburgern ihre Länder bis zur Reuss ab. Das versetzte übrigens die Luzerner und Zürich in Schrecken, und sie eroberten im Gegenzug die habsburgischen Gebiete östlich der Reuss, – um die expandierenden Berner zu stoppen! Das nennt man heute die erste gesamteidgenössische Aktion, und zur Verwaltung der gemeinsamen Beute setzte man die Tagsatzung ein, das Vorläufergremium des Ständerates. Bern brauchte das aber nicht, denn die eigenen Eroberungen verwaltete man via Grossen Rat gleich selber. Aus dem Rathaus heraus.

Bern hatte schon seit 1294, der ersten Privilegierung durch einen deutschen König, einen Grossen Rat. Der wurde eingesetzt, weil die ritterliche Obrigkeit von damals zu viel Geld für umstrittene Acquisitionen ausgab, und man hier einen Riegel schieben musste. Die 200 Mitglieder wurden aus den vier Stadtquartieren rekrutiert, je 50 an der Zahl. Gewählt wurden sie nicht, vielmehr ernannte der Kleine Rat den Grossen. Das war eben die alte, aristokratisch Republik. Schöne Zeiten waren das für Regierungen!

Mit dem Rathausbau musste der grosse Rat nicht mehr im Predigerkloster tagen. Das Rathaus war jetzt Sitz des Kleinen und Grosse Rates, und das ist ja auch heute noch so. Selbst das Berner Stadtparlament tagt im Berner Rathaus. Die Trennung von Stadt und Kanton ist halt unvollendet geblieben! Bern bekam als königlicher Stand auch eine ausgebaute Kanzlei. Der Schreiber von damals, Conrad Justinger, ein Rottweiler!!!, erhielt auch als Erster den Auftrag, die Berner Geschichte zu schreiben. Man war jetzt wer, und man wollte das auch zeigen! Die Justinger-Chronik ist ja bis heute ein Meisterstück der Schweizer Geschichte, und sie hat im 15. Jahrhundert gerade in Bern viele Nachahmer gefunden. Dem armen Justinger nahm man sein Werk aber übel. Er musste das Original der Obrigkeit abliefern, und die veröffentlichte es bis ins 18. Jahrhundert nicht. Es stand einfach zu viel drin! Justinger erhielt dafür eine tolle Pension, machte sich damit aus dem Staub und lebte fortan in Zürich.

Sigismund, der das Rathaus damals einweihte, brachte auch andere Sitte nach Bern. Das Spätmittelalter ist ja für seine Lustbarkeiten bekannt. Die Bäder, die überall aufkamen, waren gleichzeitig auch Bordells. Auch Bern erhielt damals eines, das erste, und es stand am heutigen Ryffligässli. Das ist ja heute noch leicht verrucht. Die Bordellmutter von damals war städtische Angestellte, und sie war von Amtes wegen die Frau des Scharfrichters. Wenn jemand im Bordell die Rechnung nicht bezahlte, dann au weja!

Der Erste, der das Bordell besuchte und nicht bezahlte, war übrigens König Sigismund selber. Der junge königliche Stand musste dann als eine der ersten Amtshandlungen darüber beraten, wer die Zeche begleicht. Es war – natürlich – die Berner Allgemeinheit! Und das ist bis heute im Volksmund bewusst: “Wenn sie mit der grossen Kelle anrichten, dann gibt’s schnell mal ein Bordell, und die Zeche bezahlt dann das Volk!”

So jetzt weißt du, wie der Spruch zustande kam. Das nächste Mal erzähl ich Dir die Bedeutung der acht Figuren am Aufstieg zum Rathaus. So wie Euer Fotograph Euch postiert hat, ist es nämlich gefährlich, denn der rechte Aufgang symbolisiert die negativen Tugenden Berns … doch wie gesagt, davon ein anderes Mal!

Claude