bern sucht den superslogan!

bern hat ein neues gesellschaftsspiel. man sucht den besten slogan zur euro08. gefunden werden soll er auf der strasse. alle passanten können mitmachen. das interessiert natürlich auch den fussball-uninteressierten stadtwanderer.

doch eine ganz andere lokalposse ist im gespräch! stolz ist man allenthalben über das neue stade de suisse. wirklich gelungen, ist der bau. weniger gelungen ist jedoch der penalty-punkt. im neuen stadion schiesst man keine elfmeter. jeder strafstoss war bisher nur 10 meter lang. künstlerpech oder: “im penaltyschiessen war die schweiz noch nie meisterlich!”


foto: stadtwanderer (anclickbar)

diese hiobs-botschaft kommt im dümmsten moment! seit knapp einer woche versucht sich meine lieblingsstadt, mit fussballerischer slogan-suche zu profilieren. wenn das keine interferenzen zwischen der bösen aktualität und der guten werbung geben wird!

immerhin, mich hat die posse von heute bewogen, bei der morgenlektüre den gestern gesehenen und nebenbei fotografierten aufruf, zur euro08 sprüche zu klopfen, doch noch mehr oder weniger ernst mitzumachen. und das, obwohl mich fussball kaum interessiert! sollte ich im ausgeschrieben wettbewerb tatsächlich ein ticket gewinnen, werde ich es auf dem “stadtwanderer” verlosen!

hier das ergebnis:

. Der Zauber von Bern. Euro08.
. Bern. Mehr als nur ein Spiel!
. Eine geballte Ladung Bern erwartet Sie!
. Stell Dir vor, es ist Bern, und ganz Europa ist da!
. The whole Bernese story: good old days, much Young Boys, one Michelle!
. Europäische Geschichte(n), – in Bern erzählt.
. ero.bern, knab.bern, verzau.bern!
. wir tschutten liebend bern!
. Real games. Real Berne!
. Schuss-Tor-Bern!
. italien schmiert. deutschland verliert. frankreich kracht. bern lacht!
. The old and new Habsbourg connections (1291-2008).
. Tschäppät gegen Hayoz: 1:0 (nach Euro08).
. vorteil schweiz: keine nation – kein nationalismus!
. Ball-Bier-Bern!
. Laupen. Murten. Wankdorf!

natürlich kann mein absoluter favorit nicht fehlen:

. Stadt Bern: die Fan-Zone des Stadtwanderers!

der stadtfan
(gilt als bewerbungsschreiben fürs stadtmarketing …)

graffiti-city

entstanden sind sie in new york der 70er jahre. der film “wild style” hat sie in den 80ern im europäischen kulturraum bekannt gemacht. nägeli harald hiess der erste szenen künstler in der schweiz. wie jede andere stadt ist auch bern heute voll von graffiti: auf meinen 8 kilometern zwischen wohnen und arbeiten habe ich schon mal an die 400 exemplare gezählt. das sind alle 20 m oder 3 sekunden fahrt ein exemplar! eine fotografische dokumentation samt seinem gedankengang, stellt der stadtwanderer hier vor.

wanderer, nicht sprayer

nein, gesprayt habe ich nie! gedanken verschiedenster art habe ich mir jedoch immer schon gemacht. in den 80er jahren veränderten graffiti unser lebensgefühl: rebellion gegen die beton städte wurde manifest. neue ausdrucksformen entstanden mit der subkultur der hinterhöfe. und kulturphilosophen, stadtsoziologinnen und linguistInnen skizzierten, was die neue urbanität ausmachen wird.


gefallen mir am besten auf meinem heimweg (foto: stadtwanderer, anclickbar)

vieles davon gefiel mir und gefällt mir immer noch: die zerstörung der natur durch die kultur ist bei uns weit vorangeschritten. deshalb freut mich die ästehtisierung der kultur. klar, bei weitem nicht alle graffiti waren kunst. auf vieles könnte ich glatt verzichten! gäbe es sie aber nicht mehr, würde mir etwas fehlen!


hat mich irritiert: “hinterkappelen” in fast arabischer schrift (foto: stadtwanderer, anclickbar)

ich glaubte schon mal, sie gesehen zu haben und beachtete sie nicht mehr. ich glaubte sie erkannt zu haben, und verlor jede neugier. ich glaubte sogar, sie durchschaut zu haben, und wurde stumpf.

ich dachte mir: die zeichen, die ich setze, sind kulturell anders. sie sind reflexiver, sie sind kognitiver, sie sind vorsichtiger. ich wandere gerne, um mich zu entspannen, um mich auszudrücken und mitzuteilen.

urbane spuren und ihre intepreten

doch halt: auch hunde pissen, und autos stinken immer noch. menschen beschriften, was sie können, und kommunikation bezeichnet, was sie will. staaten markieren territorien, und systeme bestimmen unser leben. man hat seinen mentalen concon hierzu entwickelt und macht sich nicht jede tag gedanken dazu. bis man sich ärgert, bis man sich ertappt, bis man froh ist und bis man nachdenkt.


drei zivilisationen auf engstem rau: staatliche signale, private werbung und subkultureller ausdruck (foto: stadtwanderer, anclickbar)

genauso geht es mit graffiti. spurenleser, welche das entstandene interpretieren, gibt es viele: archäologen vergleichen graffiti mit uralten wandmalereien. semiotiker entziffern sie, um die grammatiken des urbanen alltags aufzuzeigen. selbst die kommunikationswissenschaft nimmt sich dem phänomen an, um botschaften zwischen sendern und empfänger zu bestimmen. denn schleichend meldet sich der clash der zivilisationen an: staatliche strassensignale beherrschen den öffentlichen raum schon lange nicht mehr souverän. private werbung ist im heftigen wettstreit mit ihnen. doch damit nicht genug: graffiti verkünden den aufstand der zeichen gegen öffentliche und private herrscher.


je unbelebter der ort, desto dichter die kommunikation (foto: stadtwanderer, anclickbar)

unser strassen, unsere bahnhöfe, unser häuser sind orte der dichten symbolischen kommunikation geworden. sie sind nicht nur objekte des alltags; sie werden nicht nur auf karten repräsentiert. sie repräsentieren den stadtraum: “ich war da”, ist die wichtigste inhärente.


zentale botschaft: ich war da, stempel! (foto: stadtwanderer, anclickbar)

graffiti hat sich heute als begriff eingebürgert, wenn es um all die privat angebrachten willensäusserungen in form von bildern, schriftzügen und zeichen auf oberflächen des öffentlichen raums geht. graffiti stammt aus dem italienishen, das sich seinerseits am vulgärlateinischen verb für “mit dem griffel kratzen” ausrichtet. graffiti sind also etwas zwischen schrifttafel und grabsteinen. sie sind orte der mitteilung, und orte der erinnerung. das ist vergessen gegangen, fast so wie der sprachgeschichtliche hintergrund: ein graffiti müsste eigentlich ein graffito heissen, und graffitis im plural ergibt für den lateiner keinen sinn.

objekte, stile, writer

seit mit der 90er jahre gibt dafür eine sozialwissenchaftliche graffiti-forschung. auf dem web ist sie fast so präsent wie die graffiti in der city. wikipedia, wer denn sonst, verschafft uns the state of the art: die form der worterläuterungen, die ich für dieses blog konsultiert habe, stammte vom 4. august 2006, 21 uhr 41. ich entnehme dem, dass graffiti ein objekt brauchen, denn ohne das bleibt nichts. sie brauchen einen künstler oder eine künstlerin, denn ohne sie geschieht nichts. und sie haben eine geregelte ausdrucksform, denn graffiti ist kunst.


du sollst wissen, wie ich die stadt sehe (foto: stadtwanderer, anclickbar)

psychologen wissen, dass die writer extremsportlern gleichen. sprayer vermittelt ihnen den ultimativen kick. graffiti verschafft ihnen positive emitionen, lässt sie kreativ sein. writer streben nicht nur nach aufmerksamkeit, sie wollen ruhm erlangen. sie wollen in ihrer szene verankert sein, graffiti ist selbstverwirklichung, ist lebenssinn durch grenzerfahrung.


“slug” (ausgerechnet!) hat die am klarsten wiedererkennbare handschrift auf meinem heimweg hinterlassen (foto: stadtwanderer, anclickbar)

wer sich übt, will fortschritte machen. das gilt zunächst für den stil: erkennbar soll er sein, – wiedererkennbar. deshalb entwickeln writer eine eigene schrift. sie verwenden eigene formen, eigene farben. sie sind elegant, genauso wie der arm, der beim rotieren einen kreis, eine ellipse, einen spirale entwirft. sie sind aber auch dynamisch, genauso wie der schritt, der die spraydose schwebend davon trägt. graffiti sind meist abstrakt, ähneln mehr chinesischen, den europäischen schriftzeichen. gute graffiti sind einer herausforderung für das publikum.


eine wohltat graffiti statt betonwände (foto: stadtwanderer, anclickbar)

nicht jeder oberfläche reizt, ein graffiti zu hinterlassen. dunkle autobahnunterführungen, unbewacht am tag und des nachts wenig befahren, sind eher orte für die anfänger. öffentliche oberflächen, beobachtbar, zentral gelegen, interesieren schon fortgeschrittene. die meisterschaft ergibt sich, wenn man seine spuren an heikelsten stellen anbringen kann: unerreichbare flächen in luftiger höhe, hinter dichten abschrankungen, geschützt durch stracheldraht gelten als highlights.

die gesetze der szene


nicht alles, was man graffiti nennt, ist kunst, ist kalligrafie, ist comic oder abstrakte malerei. einiges ist auch einfach ein ärgernis, hätte allenfalls platz in einem versuchslabor finden dürfen und ist nicht raffiniert genug, um aufgestellt zu werden. doch der szene ist das egal. niemand nimmt sich die pflicht heraus, zu werten. denn darin ist man sich einig: oberflächen zu besitzen, aufmerksamkeit zu erregen, mitteilungen zu hinterlassen, soll jede und jeder dürfen.


schlicht schlecht: absolut unnötige sprayereien (foto: stadtwanderer)

immerhin scheint es wenige ungeschriebene gesetze zu geben: writer schützen writer; selten zerstört ein graffiti ein anderes. sprayer schützen auch denkmäler; selten bekleckern sie statuen, erinnerungstafeln, friedhofsmauern. doch writer spielen gerne mit der werbung: sie unterwandern sie, sie ahmen sie nach, und nehmen sie auf die schippe. die werbung hat die botschaft begriffen: nur zu gerne kommuniziert sie mit graffiti. kreative wären vielleicht zu gerne auch writer geworden!

reaktionen der öffentlichkeit

die öffentlichkeit reagiert geteilt auf graffiti. die hip hop szene und ihre sympathisanten sehen darin eine zentrale ausdrucksweise der gegenwart. und sie künden ihre macht schon mal an: 100 sprayer, gezielt mobilisiert, könnte das bild einer stadt über nacht nachhaltig verändern. für die svp und ihre szene ist graffiti des teufels. verslumung ist ihr stichwort. schmierereien ihre codierung von graffiti. und writer sind gesetzesbrecher, die man ins straflager putzen schicken sollte!


neue gelassenheit: graffiti am pathologischen institut der universität bern (foto: stadtwanderer)

behörden reagieren zwischenzeitlich meist etwas gelassener. klar, sie haben bürgerinitiativen, die druck machen. sie sehen aber auch die sysiphus-arbeiten, wenn man ständig putzen will. kapitulation? jein. denn das zwingt sie, architekten zu leeren, mit oberflächen nicht zu provozieren. es macht nötig, stadtgärtner anzuleiten, pflanzen einzusetzen, wo spraydosen nur warten. und selbst bauunternehmer haben ihre lektion schon mal gelernt. selbst sie machen bisweilen aus der not eine tugend, wenn sie abschrankungen anmalen oder anschreiben lassen.


selbst ein wenig graffiti: markierung der bauverwaltung auf der strasse (foto: stadtwanderer)

es gibt aber auch die harte reaktion auf graffiti in der city. writer werden verfolgt, belangt und bestraft. neuerdings setzt man sogar aufs stadt zürich, wenn es um prävention, aufklärung und verfolgung geht! und so kann die rechtsberatung für sprayer auf dem web nicht fehlen!


ausgerechnet: das coop areal, frei von graffiti bekam ein graffiti (“hoi heinz, gehe kurz gassi mit fido, martha”)als werbeplakat von “tele2” verpasst (foro: stadtwanderer, anclikcbar)

die genau beobachtung lehrt mich: die grenzen zwischen legal und illegal sind fliessend. die signale des bauamtes auf der strasse unterscheiden sich bisweilen kaum von graffiti. firmenkommunikation ahmt schon mal formen und farben nach. so könnte schriftzug “coop” fast genauso gut von einem writer entworfen worden sein. und selbst private markieren ihre häuser mit kunst am bau, und lassen die graffiti daneben schon mal stehen.

kulturschaffende etablieren graffiti

jean baudrillard, der französische intellektuelle hat sich dem graffiti besonders angenommen. er sieht in ihnen den ausbruch der zeichen aus dem lingusitischen ghetto, den einbruch der kunst in das urbane als ort der codierungen von welt. doch im graffiti zähle nicht mehr die kraft wie im zweikampf, sondern das spiel mit der differenz. graffiti-city ist die moderne form der urbanen identität schlechthin.


das spiel mit der differenz ist die urbane kultur schlechthin (foto: stadtwanderer)

wer so rühmt, ruft künstler auf den plan. sie produzieren heute moderne wandmalereien in wettbewerben, bei denen juroren beurteilen, welche graffiti stehen bleiben dürfen. wer so rechtfertigt, begründet auch das auftreten von kulturmagazinen, die dokumentieren, beschreiben, analysieren und deuten, was ist, was kommt, und warum es sein muss.


“layup” – berner anlaufstelle der graffiti kultur (foto: stadtwanderer, anclickbar)

“nonstop” ist das graffitimagzin, das drei mal pro jahr erscheint und über street art in der schweiz (und europa) berichtet. “www.nonstop.li” ist die online ausgabe dazu, die vorsichtshalber in liechtenstein erscheint. da erfährt man beispielsweise, dass es in bern weiterhin keine wand für legales sprayen gibt, die stadt jedoch die möglichkeit für einen graffiti-kult-event für jugendliche präft. dafür gibt es einen shop für writer gibt es in bern. “layup gmbh” heisst er nüchtern. wer die website besucht, bekommt “berne’s finest selection of streetwear, records, cans, and accessoris” vorgeführt. enter hier virtuell, oder gleich um die ecke, dafür reell.

stadtwanderer

ps:
paah! das ging aber flux: ich war noch kaum richtig fertig mit meinem beitrag, kam schon post aus berlin. “zueri-berlin” setzt meine betrachtungen mit einem kleinen beitrag aus dem kreuzberg, hinweisen auf literatur der szene und bürgerinitiativen gegen graffiti-city fort! schön, dass die interurbane kommunikation so gut klappt!

ps2:
unglaublich, aber den schönsten aller graffiti habe ich übersehen …

vergessener graffiti