der holländerturm – das symbol der neuen raucherpolitik

das lob ich mir: die neue berner regierung will, dass in den restaurants des kantons nicht mehr geraucht werden darf. öffentliches rauchen soll ein wenig eingeschränkt werden. der kanton tessin ging jüngst voraus, und die erste (nicht repräsentative) umfrage von www.espace.ch ergibt applaus für die massnahme. sie wird zu reden geben: “phantasien der rot-grünen” vs. “medizinische notwendigkeit” werden sich gegenüber stshen. wie in der geschichte des rauchens und seiner bekämpfung, weiss der stadtwanderer, der den blauen dunst gar nicht mag.


erstes grosses ziel der rot-grünen regierung in bern: restaurants sollen rauchfreie zonen der öffentlichkeit werden (foto: stadtwanderer, anclickbar)

der duft der weiten welt und die folgen

es ist der 6. november 1492. columbus ist einige tage zuvor auf guanahandi, einer bahamainsel, gelandet und hat kundschafter ausgeschickt. sie kehren an diesem tag mit einer botschaft zurück: frauen wie männer würden glühende kohle in den händen halten, – von wohlriechenden kräutern getragen. auf der einen seite würden sie brennen, auf der anderen würde man den rauch einsaugen. “tabacos” seien das, und diese wort beginnt sich wie “america” im bewusstsein der europäerInnen einzubrennen.

auch die samen der geheimnisvollen pflanzen kommen bald auf den kontinent. jean nicot, ein französischer händler in lissabon, sorgt 1560 für deren verbreitung. holland ist führend, aber auch in england und frankreich gibt es nachfrage. willkommen ist das rauschmittel bei seefahrern, studenten und soldaten. nicot steht quasi stellvertretend für die ausbrechende sucht, und gibt der gefragten substanz ihren heutigen namen: nikotin.

die welle macht vor bern nicht halt. 1565 bekommt der zürcher gelehrte conrad gessner die pflanze zu sehen, kann sie aber nicht richtig bestimmen. er wendet sich an bänz marti von bätterkinden, bekannt unter dem gelehrtennamen benedikt aretius, der sich in seinem garten um verschiedene spezialitäten kümmert. er erkennt die pflanze sofort, denn er ist der erste in deutschen und schweizerischen landen, der das tabakkraut zu medizinischen zwecken züchtet.

den eigentlichen durchbruch im “tabaktrinken”, wie man das rauchen damals noch nannte, bringt der krieg, – der 30jährige von 1618 bis 1648. alle gegen habsburg!, ist das motto, alle abhängig von der sucht, ist das reale verhalten! bis kriegsende hat sich die gewohnheit, tabak zu kauen, zu schnupfen oder zu rauchen, in der kaputt gemachten gesellschaft weit verbreitet.

erste phase: immer repressiver und immer wirkungslose verbote

in bern bringt der bauernkrieg der neuen sitte den durchbruch. die obrigkeit setzt sich nicht nur gegen aufmüpfige bauern zur wehr. sie beginnt auch das “röuken” zu bekämpfen. 1659 erlässt die berner obrigkeit das erste mandat. ein verbot aus gesundheitlichen, feuerpolizeilichen und volkswirtschaftlichen gründen. man will verhindern, das geld aus der jungen republik abfliesst, das zu hauf bauernhäuser in flammen aufgehen und die untertanen süchtig statt arbeitsam werden. doch der erfolg bleibt aus, sodass es …

… 1675 zur grossen verschärfung kommt! alles verbieten hat nichts genützt. armselige landleute, männer wie frauen, rauchen, was das zeug hält! wer ertappt wird, muss eine hohe busse zahlen. 50 bernische pfund werden verlangt. wer das nicht leisten kann, kommt an die trülle, und wenn keine vorhanden ist, gibt es vier tage arrest mit kaltem wasser und hartem brot. wehe, ein amtsmann oder eine krichenperson wird bei gleichem erwischt, – dann wird die strafe gleich vervierfacht.

höhepunkt in der repressiven politik gegen den tabakkonsum ist die zeit zwischen 1697 und 1710. jetzt, wo verbote, wo bussen, wo strafen versagt haben, wird die religion mobilisiert. die reformationskammer beaufsichtigt das rauchen mit sepziellen mitteln: jedes kammermitglied kann zwei spitzel benennen, die wie feuermelder bekannt machen, wer raucht. wer die bevölkerung auskundschaftet, muss nicht bekannt gegeben werden, nicht einmal den anderen mitgliedern der kammer. so kann quasi jeder jeden observieren. die repression ist jetzt perfekt!

zweite phase: privat erlaubt, öffentich eingeschränkt

zu beginn des 18. jahrhunderts ändert man die politik. am 15. november 1709 geben rat und burger allgemein bekannt, dass der notdürftige und gemässigte gebraucht, sofern er nicht öffentlich geschähe, zugelassen sei. hauptgrund für den sinneswandel sind die offiziere aus den besseren kreisen, die in den holländischen armee dienst leisten. dabei werden sie samt und sonders mit dem tabakkonsum vertraut, und sie bringen die neue sitte nach bern. unterdrücken lässt sich das rauchen selbst in den besseren kreise nicht mehr! also besinnt man sich eines besseren: repression ist passé, besteuerung wird in! wer privat rauchen will, wird verzeichnet und zahlt jährlich eine kleine abgabe, lautet die neue devise.

die zünfte werden für die kontrolle in der stadt eingesetzt; die feuerschauer machen gleiches auf dem land. doch der widerstand ist gross, den patrizier wie bürger haben in aller heimlichkeit immer wieder mal geraucht. es opponieren vor allem die schmiede. man weigert sich, bei der obrigkeitlichen kontrollaktion mitzumachen, sodass 1710 das mandat schon wieder ausser kraft gesetzt wird. von nun an ist das rauchen in bern gestattet. aber eben: nur privat! und nicht übermässig! schliesslich ist man protestantisch!

dritte phase: laissez faire, bei staatlichem nutzen

der staat steigt nun selber ins rauchergeschäft ein. städtische versuchsplantagen werden nach 1710 angelegt. 1719 erscheint eine anleitung für den tabakanbau, die vor allem auf dem land verbreitung findet. 1723 wird eine hochobrigkeitliche tabakfabrik eingerichtet, welche das angebaute kraut einsammelt. ein jahr später wird die zehntpflicht hierfür aufgehoben, um die produktion anzukurbeln. 1728 wird die firma privatisiert. johann georg berseth, bernischer grossrat, ist der erste tabakunternehmer in den bernlanden. französische refuginaten, wie man sie damals nannte, setzen 1733 gar den öffentlichen verkauf von tabak durch. gegen bares, versteht sich, denn das gesetz des marktes hat sich in nur einer generation nach der liberalisierung durchgesetzt.

das rauchen in der öffentlichkeit bleibt indessen streng verboten. die geldstrafe bleibt bestehen, und sie wird im 18. jahrhundert regelmässig wiederholt. erst die allgemeine liberalisierung der gesellschaft, die industrialisierung der wirtschaft und die entwurzelung der menschen in stadt und land lässt auch diese einschränkung fallen. mit den weltkriegen nimmt das rauchen seinen grossen aufschwung. in der nachkriegszeit wird es von der werbung entdeckt, und als signifikantes zeichen des neuen lebensgefühls in der nachkriegszeit gefeiert.

holländerturm als stilbildendes symbol der gemässigten politik


die realitäten lassen sich heute nicht mehr verdrängen. die eu regelt die tabakwerbung streng, denn die gesundheitlichen schäden sind enorm. passivrauchen wurde zwar lange aus dem bewusstsein verdrängt; die medizin kennt die folgen jedoch schon lange. felix gutzwiller, der präventivmediziner und fdp-politiker, ist nicht vergebens der vorkämpfer gegen das öffentliche rauchen in der schweiz. “schmuck” sollen sie wieder werden, die privaten raucherlogen. “geraucht werden soll im privaten”, sagt er. – “wie im seinerzeit im holländerturm”, verrät der stadtwanderer dem zeitgenössischen medizinmann. denn heute begibt man sich wieder auf die nahtstelle zwischen der zweiten und dritten phase der rauscherpolitik zurück: rauchen ist erlaubt, ein privates geschäft mit gesellschaftlichen folgen. deshalb darf nur rauchen, wer sich selber schaden, nicht aber die anderen belästigt.

bernisches symbol dieser politik (das sujet des abstimmungsplakates, wenn die wirte auf dem land das referendum ergreifen sollten!) ist der holländertrum. eigentlich war er ein wehrturm aus der zeit der savoyischen stadtbefestigung. seine eigenartige form – eine mischung aus motte, wachturm und windmühle – liess ihn zu jeder zeit auffallen. den heutigen namen hat er jedoch wegen des privaten rauchens, denn die bernischen offiziere im dienste der oranier versammeln sich nach ihrer rückkehr mit vorliebe im “rauchleist”. das tabakkollegium trifft sich regelmässig im obersten stock des wehrtumrs, der durch die stadterweiterung keinen sinne mehr macht. so wird er um 1720 zum privilegierten städtischen raucherstübli! ein hauch von rauch steigt aus den fenstern auf und prägt den neuen namen: holländerturm nennt man ih seit 1896 und selbst in die wikipedia hat es dieser begriff geschaft! wahrlich, das beispiel wirkt stilbildend, – bis heute!


holländerturm, gezeichnet von karl howald “Der Turm in der alten Ringmauer, 1851”

“g o t t s e i d a n k!”, buchstabiert der stadtwanderer befriedigt, und outet sich, erstmals bedingungslos mit obrikgeitlichen sittenmandaten der berner herrschaft zu sympathisieren. egal, ob sie patrizischen oder rot-grünen ursprungs sind …

(dunstfreier) stadtwanderer

zur kulturgeschichte des holländerturms empfehle ich unverändert:
eduard m. fallet: der holländerturm am waisenhausplatz in bern. benteli verlag, bern 1976