vom gedächtnis der ortsnamen

teil 4 der serie: “burgund in bern”

teil 3 der serie: “burgund in bern”
teil 2 der serie: “burgund in bern”
teil 1 der serie: “burgund in bern”
vorschau zur serie: “burgund in bern”

viel weiss man nicht über die frühen burgunder und ihre leben auch in unseren breitengraden. aber eines fällt bis heute auf: der charakter der unübliche charakter von ortsnamen, vor allem im heutigen kanton freiburg und waadt. und der hat burgundische ursachen: ortsnamen, die auf -ens enden, entsprechen den -ingen-ortsnamen auf deutsch, die germanischen ursprungs sind, sie kommen auf französisch aber nur im gebiet der alten burgundia vor und haben entsprechend burgundische wurzeln.


sah es so in aventicum aus, als die burgunden in unsere gegenden kamen? – bild der untergangenen römischen stadt pompeii, die bei einem ausbruch des vulkan vesuv verschüttet wurde und deshalb heute noch fast unverändert wie beim untergang aussieht (anclikcbar)

das entstehen der multikulturellen gesellschaft in der sapaudia

wie viele burgunden 443 in die sapaudia kamen, weiss man bis heute nicht so recht. im vergleich zu den heutigen bevölkerungszahlen, waren es sich er wenige; in bezug auf die damalige population von 300000 im alten gebiet der helvetier war es sich ein respektabler anteil.

die römischen berichte sprechen von 20’000 einwanderern. die zahl ist jedoch wenig wahrscheinlich, wenn man daran denkt, dass die burgunden nur eine halbe generation nach ihrer verfrachtung in den süden in der völkerschlacht auf den katalaunischen feldern eine entscheidende rolle spielten. und wenn man an die rasche expansion der burgunden ins rhonetal denkt, dünkt einem die zahl erst recht viel zu klein.

die burgunden waren in der untergehenden imperialen welt auf jeden fall nicht zu vernachlässigen, denn sie erhielten einen föderatenvertrag, der sie nicht nur zu militärdienst verpflichtete. er gab ihnen auch land zur eigenen nutzung in der sapaudia, und selbst an den steuereinkünften wurden die burgunden, die sich niedergelassen hatten, beteiligt. damit teilten die verbliebenen galloromanen nicht nur ihren besitz, sie schufen auch eine voraussetzung für das zusammenleben verschiedener kulturen auf engstem raum.


verteilung von ortsnamen, die auf -ens enden, in der alten burgundia von gundobad (anclickbar)

das gedächtnis der ortsnamen

einen hinweis, wie man sich das vorzutellen hat, kann man heute noch beim kartenlesen bekommen. speziell in den kantonen freiburg und waadt häufen sich ortschaften mit einer endung auf -ens. und sie liegen in unmittelbarer nähe von orten, die auf -y oder -iez aufhören.

die namenskonstruktionen auf dem land sind eigentlich immer gleich. der erste teil des ortsnamens ist der eigenname des sippenführers oder gutshofbesitzers, im einen fall keltisch oder römisch, im andern fall germanisch. endungen auf -ingen sind im deutschen häufig die zentren der frühen besiedelung durch alamannen im 6. jahrhundert, und wortausläufer auf -ens im französischen verweisen auf das gleiche durch die burgunden.

echallens, von wo ich komme, ist ein typisches beispiel hierfür: die wortendung verweist an sich auf eine burgundische namensgebung; der eigenname ist höchstwahrscheinlich “charles”; abgeschliffen hat sich indessen mit der das “r”, das zu einem “l” geworden ist, und aus dem wort “challens”, dessen bedeutung man im 13. jahrhundert nicht mehr kannte, wurde e-challens, “aus challens”. oder ganz zurück übersetzt: echallens ist “aus challens” resp. “aus dem ort, wo die leute des charles wohnen”. wie “charles” auf burgundisch hiess, ist nicht so eindeutig klar. meist nimmt man an, dass es “car(a-o)lingos” war, dem am anfang des ortsnamen steht. das wiederum ist ein untrügerisches zeichen, dass es ein spezieller sippenführer war, den namen wie karl sind in allen kulturen herausgehobene. herausgehoben ist schliesslich auch der ort von echallens: auf dem plateau ist der ort nicht nur leicht erhöht und deshalb sei der bronzezeit bewohnt, er ist auch für verkehrverbindungen von südwesten nach nordosten resp. von nordwesten nach südosten ein wichtiger kreuzungspunkt.

die exklusive verbreitung der endung -ens in der alten burgundia

das witzige an dieser ortsnamentheorie ist nun, dass sich namen, die auf -ens enden, nicht nur in der heutigen romandie gehäuft finden, sondern mit schwerpunkten im ganzen gebiet der burgundia von gundobad vorkommen. das ist ein untrügerischer hinweis dafür, wo die einwandernden burgunder ausgehend vom 5. jahrhundert ihre sippen hinführten, land nahmen und bewirtschafteten, und mit der nahe gelegenen römischen stadt in verbindung traten.

in gegenden mit massierungen von ortsnamen, die auf -ens enden, dürften die burgunden gehäuft vorgekommen sein und ihre eigene kultur gepflegt haben, während sie an anderen orten schneller in die gallorömische integriert wurden. vorangetrieben wurde die assimilierung sicher auch durch die sippenführer, die – wie gundobad selbst – in einer art doppelwelt lebten: im römischen militär stellten sie nicht selten die führer und waren stark angepasst, bei sich zuhause lebten sich nach alten regeln und war der könig.


verbreitungsgebiet des heutigen frankoprovenzialischen im gebiet der alten burgundia (anclickbar)

vom frankoprovenzialischen und dem patois im burgundergebiet

die assimilierung der burgunden in ihrem kerngebiet geschah gerade in der sprache, dem eigentlichen träger von kultur, nie ganz. im 19. jahrhundert entdeckte man, dass das französisch gerade im erweiterten im rhonetal eine eigene wendung hatte und sich allen französisierungen zum trotz von der sprache des nordens und des ostens unterschied. geboren wurde damals die bezeichnung des frankoprovenzialischen, der französischen sprache der mont blanc leute, die sich vom okzitanischen (lange d’oc) und nordfranzösischen (langue d’oil) unterschied.

zu diesem frankoprovenzialen gehört übrigens auch das schweizer französisch oder patois. zwar haben calvin, die schulen und das fernsehen in den letzten 500 jahren viel dazu beigetragen, dass es verschluckt wird. doch wird es in rückzuggebieten der romandie immer noch gesprochen oder wenigstens verstanden. es liegt nahe, dass damit eine der letzten spuren des ausgestorbenen ostgermanischen, das im burgundischen als mischung aus germanischen und romanischen elemente überlebt hat(te), langsam aber sicher ganz verschwindet …

… weshalb ich gerne daran erinnere!

stadtwanderer