die stadt des wandels

es ist 5 uhr, – morgens. draussen ist es schon hell – und recht laut. ich erwache, stehe auf, sehe aus dem fenster: „guten morgen, berlin!“

ja, ich bin in berlin, nicht in bern. bären hat’s ja auch hier im wappen, und hauptstadt ist man ja auch. also bin ich hier schon fast zu hause …


“checkpoint c”, wie der checkpoint charlie effektiv hiess im der heutigen, originalgetreuen nachbau des ursprünglichen wachthäuschens, das im nebenstehenden museum zu sehen ist (fotos: stadtwanderer)

checkpoint geschichte

„checkpoint charlie“ ist mein stadtwandererziel heute. zu fuss sind vielleicht 15 minuten des weges ins zentrum, historisch aber einige jahre zurück: 1989 fiel die berliner mauer, und damit verschwand die bedeutung des berühmten treffpunktes, wo man spione und gefangene getauscht hatte, wo geschäfte aller art quer über die mauer abgeschlossen wurden, und wo 1989 dissidente vor den aufgebrachten massen musik spielten und den fall der mauer einläuteten.

damals, ende 1989, hielt ich erstmals einen vortrag in berlin. drei tage vergingen, und die mauer wurde gestürmt. 2005 war ich zum zweiten mal an der spree, um zu referieren. da folgte mir die geschichte noch schneller auf den fuss, denn nur zwei tage später kündigte gerd schröder seinen rücktritt als deutscher bundeskanzler an. und heute, heute halte ich meinen dritten berliner vortrag, – und es bleibt die bange frage: was nur geschieht morgen?

der checkpoint wirkt heute nicht nur verlassen; er ist fast schon ein wenig kitschig. nur wenige blumen auf sandsäcken hinter dem wachthaus erinnern an die grausamkeiten mitten in einer grossstadt, die der mauerbau auslöste. das kabäuschen selber davor wirkt unscheinbar, anachron. hoch darüber hängt eine russischen general im grossbildformat. er wirkt fast schon wie die gängige, überdimensionierte werbung von heute, – aber im outfit von gestern. doch er verblasst ob der tatsächlichen werbung: „check in, charlie!“ wirbt eine wohnungsvermittlungsagentur aus berlin, just, nebenan.

man wirbt auch für das check point charlie museum. man erinnert an der strasse an das kriegsende. die vier flaggen der usa, grossbritanniens, frankreichs und der sowjetunion hängen träge im lauen morgenwind. irgendwo dazwischen wird noch das emblem der “ddr” sichtbar. besuchen kann ich das museum aber nicht, – zu früh, viel zu früh bin ich dafür unterwegs.

dafür bin ich goldrichtig für den japanischen jogger, der den check point heute problemlos und spasseshalber überquert: „do you take a picture?“, fragt er mich und hält mir seine kamera hin. klar mitte ich ihn ein, – in die fahnen, die werbung und die erinnerung; vielleicht sehe ich das bild einmal in einer flickr galerie und mache dann einen kommentar dazu. mein gegenüer fragt noch höflich, ob er von mir auch eins machen soll? – ich winke ab, und der unbkannte japaner dreht ab, um seine runde um die welt fortzusetzen.


vergangene gegenwart an historischer stelle: viermächteabkommen über berlin und flagge der ddr am chepckpoint c (fotos: stadtwanderer)

checkpoint gegenwart

in der „berliner morgenpost“ setzt man sich ganz für die fortsetzung der geschichte ein: “die stadt des wandels”, das ist der neue slogan der deutschen hauptstadt. klaus wowereit, der populäre, und seine administration, die unpopuläre, waren auf retraite, wollten wissen, wie man berlin neu lancieren können. die gewollte fusion mit dem land brandenburg ist vorbei; und jetzt soll es auch vorbei sein mit dem berlinimage: „pleite, aber sexy“.

man bemüht sich sichtlich um einen neuen auftritt. die stadt hat eben in einem rating bestnoten erhalten für wissenschaft, für verkehr und anderes. und die pressesprecher verkünden selbt etwas morgenröte in den finanznöten. das pleitebild muss weg, den 62 milliarden euro zum trotz!

“die stadt des wandels” ist sicher gut; berlin steht für den wandel des wiedervereinigten deutschlands wie keine andere stadt. der potsdamer platz ist gebaut und strahlt neue urbanität aus. der neue bundestag tagt im luftigen glas und verbreitete einen hauch von transparenz über die deutsche politik. und die bundeskanzlerin, ein ossie, residiert in modernistischer architektur, die sich so klar von jener des deutschen reichstages abgrenzt.


1989: fall der berliner mauer: ende des realen checkpoints c und geburt der symbolisierung des checkpoints c (fotos: stadtwanderer)

checkpoint eigene erfahrung

„sachte, sachte“, denke ich mir beim frühstücken. gestern beim nachessen habe ich anfänglich nicht viel vom grossen wandel gespürt. „15 minuten-garantie“ stand da plakativ auf der visitenkarte des rastaurants, und „service bis 22 uhr 30“. also ging ich hinein, denn es war erst 22 uhr 10. die servierfrau kneifte indessen dreimal beide augen zu, als sie an mir vorbei ging; ganz nach dem motto: „vorsicht kunde, der will was!“ erst das vierte mal, es war präzise 22 uhr 30 und eine sekunde, erhörte sie mein ungeduldiges wfrage: „ich hätte gerne etwas richtiges gegessen“, sagte ich. sie jedoch äugte zur theke und fügte schnoddrig hinzu: „da muss ich sie leider enttäuschen, die küche ist schon zu“.

rund herum, wo alle gäste das offensichtlich miese spiel mitbekommen hatten, brach schallendes gelächter aus. und ich war hungrig, also direkt! husch, husch bekam ich karte, bier und schnitzel nachgereicht.

beim saubermachen des restaurants kam dann noch eine junge frau auf mich zu und fragte in gemütlichem berlinerdeutsch: „hat’s jeschmeckt?“. Ich bejahte! und sie hackte nach: „sind sie satt? oder soll ich noch was nachreichen?“. ich war nicht mehr hungrig, blieb aber direkt: „das ist wirklich aufmerksam und ausgesprochen nett!“, beendete ich das versöhnlich gewordene gespräch.

berlin braucht sich gar nicht zu wandeln, denn unter eine dünnen decke von geschichte und depression hat die stadt ihren charme bewahrt.

ich ging schlafen, „gute nacht, berlin!“, sagte ich mir noch, denn ich wusste um meinen vortrag andernstag, – und die wirkungen auf die geschichte, die solchen auftritten bisher folgten.

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general der botanik

den einen kennt man in bern gut, den anderen nicht. beide haben die botanik massgeblich vorangetrieben und den gedanken ausgeheckt, dass die entwicklung der pflanzenwelt selber eine geschichte ist.

carl von linné

carl von linné wurde heute vor 300 jahren geboren; bei albrecht von haller wird man nächstes jahr gleiches feiern. ich verweise schon mal auf den bahnbrechenden breifwechsel zwischen beiden protagnisten der naturwissenschaften, kollegen und konkurrenten in der frühgeschichte der botanik.


carl von linné (1707-1778), schwedens berühmtester naturforscher, der heute 300jährig geworden wäre

carl nilsson linaeus, wie carl von linné mit bürgerlichem namen hiess, wurde am 23. mai 1707 in rashult im südschwedischen smaland geboren. sein vater war theologe, und er ermöglichte dem sohn ein studium der medizin, das er in uppsala abschloss. um zu doktorieren ging carl nach holland, wo er sich für das austrebende fach der botanik interessierte und in den königlichen gärten arbeitete.

1735 legt der ers 28jährige forscher sein “systema naturae”, zu deutsch das natürliche system, vor, die schule machen sollte. 549 pflanzen hatte er hierfür minutiös erfasst. auf 10 seiten hatte er sie kurz und knapp beschrieben, und er hatte das ganze in eine systematik gebracht. es sollte der erste botanische ordnungsversuch sein, der in der version von 1758 als binominales system mit art und gattung von dauer bleiben würde! bis 1766 datierte carl, zwischenzeitlich als carl von linné nobilisiert, sein werk mehrfach auf. die letzte ausgabe umfasste bereits 7000 verschiedene pflanzen, und das werk war auf 2300 seiten angewachsen.

anfänglich ordnete carl die pflanzen, die erkannte, wie die stände, die es damals gab. die moose entsprachen den armen; die grässer waren wie die bauersleute; die kräuter verglich er mit dem adel und die bäume waren die fürsten. alles hatte seinen platz, der seinen ursprung im paradies hatte. dieses stellte sich carl ein gebirgige insel vor, auf der es alle klimata gab, die zur vielfalt der pflanzenarten führten. ab inition, von anbeginn an, gab es also die gesamte pflanzenwelt.

der entscheidende brief an albrecht von haller

sechs jahre später schrieb carl, zwischenzeitlich arzt in stockholm, seinem kollegen albrecht von haller nach bern. für einmal hatte er nicht neue pflanzen entdeckt, die sich in die bisherige systematik einreihen liessen. nein, diesmal gab es eine wirkliche sensation: carl hatte eine abart des leinkrautes gefunden, dessen blütenkrone ganz unüblich fünf sporne trug und ebenso ungewöhnlich radiäre blüten trug.

nach der aufgeregt verhandelten entdeckung wechselte carl von linné seine wortwahl. im paradies, schrieb er 1751, seien die damaligen pflanzen wohl nur in principo, ganz allgemein gesprochen, schon vorgekommen. das aber war ein bruch mit der denktradition: sollten pflanzen nicht mehr etwas gottgegebens sein, sondern kinder einer zeit? 1766, in der letzten ausgabe seines systema naturae, ging von linné noch weiter: seine vermutung 15 jahre zuvor bezeichnete er nun als tatsache: die pflanzenwelt verändere sich, wenn auch meist nur unmerklich; sie hat als ganzes eine geschichte!


albrecht von haller (1708-1777), berner universalgelehrter während seiner zeit als professor in göttingen, den von linné zum obersten der botanik erhob

die begründung der systematischen botanik

von linnés bleibende leistung als wissenschafter ist, naturphänomene wie die pfanzen geordnet zu haben. er gab ihnen einen eigenen namen, und machte sie dadurch unterscheidbar. das wiederum unterscheidet ihn nicht von anderen botanikern seiner zeit. er war es aber, der alles miteinander in verbindung brachte und dadurch das system der pflanzen, das im wesentlichen bis heute noch gilt, etablieren konnte.

diese systematik erlaubte es carl von linné auch, als ersten den wandel zu sehen der pflanzen zu sehen und den gedanken der entwicklung der natur zu formulieren. der brief an von haller von 1741 markiert die wende hierzu. – sicher die evolutionslehre des 19. jahrhunderts entstand dadurch noch nicht; doch der weg wurde auf bezogen auf pflanzen geebnet.

revolutionäre der gesellschaft waren weder von linné noch von haller. revolutionäre der naturwissenschaft indessen waren sie schon. wie klar sie noch zwischen menschen und pflanzen unterschieden sieht man von linnés ordnung der botaniker: streng militärisch ordnete er die meriten der kollegen nach seiner manier. seine kritiker brachten es maximal zum feldweibel. von haller wurde immerhin zum obersten der botanikerarmee befördert.

sich selber sah von linné, der ewige gegenspiel von hallers, selbstredend als general.

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