tolles geschichtswerk zum weiterempfehlen

ein tolles buch habe ich im böhmischen kutna hora entdeckt. „die geschichte der stolzen tschechischen nation“ heisst es. lucie seifertova ist die autorin und illustratorin. viel erfährt man über bemerkenswerte macherin des speziellen geschichtsbuches zwar nicht. von sich gibt sie nur die www-adresse preis. dafür wird man mit ihrem geschichtswerk anschaulich und unterhaltsam zugleich in die tschechische geschichte eingeführt.

ein geschichtsbuch in form von popups

ungewohnt ist die art der erzählung, denn das buch gleicht einem grossen papierern popup. in der tat ist es auch wie ein popup gestaltet: vorderseitig das auffällige; rückseitig das vertiefende. ueberall dominieren eigene zeichnungen, ergänzt durch kurze texte. von allem hat es reichlich, sodass man ueber boehmen klar in wort und bild mehr erfährt als in den üblichen touristenunterlagen.

das buch ist seiner machart zum trotz kein comic. es ist vielmehr ein lehrbuch für kinder. und wird ganz gerne von erwachsenen genutzt. das hat seine gruende: alles wird anschaulich dargestellt. was (aus heutiger sicht) nicht selbstredend ist, wird erklärt. und genau das macht das buch zu einer willkommenen einführung in die tschechische geschichte.

die grossen momente der tschechischen geschichte

um das buch auf zu tun, muss man den bändel in den farben tschechiens oeffnen. der inhalt besteht aus 22 popups: alles beginnt mit den mammutjägern in der altsteinzeit, und es endet mit dem weg der freiheit in der gegenwart.

dazwischen erfährt man zunächst einiges über die ersten bauern, das zeitalter des metalls, die zivilisation der kelten, die einflüsse der römer und der gemanen sowie die einwanderung der slawen. hoehepunkt dieses ersten buchteils sind die ausführungen über fränkische händler, avarische reiter und mönche aus konstantinopel, die alle versuchen, auf das sattelgebiet zwischen den west- und osteuropäischen, aber auch asiatischen zentren einfluss zu nehmen. so hinterlassen sie bis heute ihre spuren in der tschechischen kultur.

im 10. jahrhundert kommt es zur ersten grossen entscheidung der tschechischen nation: die hinwendung der leute von prag, eben der tschechen, zum römischen kaiserreich. bis in die gegenwart zeigt sich dies in der kombination der slawischen sprache mit der karolingischen schrift. damals waren es die premysliden, die als erste herrschersippe die entstehende christliche kultur in böhmen und später auch in mähren mit eigenen burgen, klöstern und städten tatkräftig vorantrieben. sie begruendeten in böhmen auch die erbmonarchie, während mähren zur markgrafschaft wurde und wieder separate wege ging. das aussterben der prsemysiden anfangs des 14. jahrhundert stellte das expandierende experiment einer böhmischen nation mitten in europa in frage.

doch die bedrohung war gleichzeitig die zweite wende. es schlosse sich die grosse zeit der luxemburgischen herrschern an, die in böhmen einheirateten und im spätmittelalter vier böhmische könige sowie drei römische kaiser stellten. der neue reichtum brachte sowohl die mächtigen gotischen kirchen aus frankreich ins land. er entfachte aber auch die einheimische kritik der einfachen leute an der ueppigen katholischen kirche. jan hus, der frühe reformator der kriche, endete deswegen auf dem scheiterhaufen. die ausbrechenden hussitenkriege führen zur inneren krieg der armen gegen die reichen. die tschechische nation im 15. jahrhundert zutiefst zerrissen, bis nichts anderes mehr uebrig blieb, als das herunter gekommene land, in das die ungaren intervenierten.

in dieser vereinigung übernehmen 1526 angesichts der osmanischen bedrohung die habsburger das sagen und leiten so zur dritten wende über. die aeussere bedrohung brauchte eine innere staerkung. die renaissance brachte religiöse toleranz und die förderung der wissenschaften, vor allem der astronomie und astrologie. in prag ist das bis heute unweigerlich mit dem namen von kaiser rudolf II. verbunden, dem habsburger, der es vorzog, von lauten wien in ruhigere prag zu ziehen. doch auch diese blüte böhmens endete mit dem disput über den richtigen glauben.

der fenstersturz auf der prager burg war schlagartig die vierte wende. mit ihm brach 1618 der aufstand der böhmischen stände gegen die habsburger aus, der mit der niederlage in der schlacht auf dem weissen berg und der ausweisung der reformieten aus böhmen endete. es begann aber auch der 30jährige krieg, der halb europa zerstörte. in böhmen tobte der grosse religionskrieg bis zu schlechter letzt zwischen den truppen des reformierten schwedischen königs und des katholischen öesterreichischen kaisers. erst 1648 schloss man, mitten auf der prager karlsbrücke, frieden. prag blieb habsburgisch, und böhmen wurde, ganz im sinne der habsburgischen gegenreformation, unter ausschluss der protestanten, dafuer umso tatkaeftiger unter der herrschaft der jesuiten im böhmisch-barocken stil wieder aufgebaut.

die geschichte in diesem buch schliesst mit der fünften wende, jener zur moderne: die aufklärung, die erfindungen und die industrialisierung lassen die donaumonarchie am ende des 1. weltkrieges untergehen und die föderative tschecho-slowakischen republik als eine der nachfolgestaaten entstehen. im zweiten weltkrieg wird dieser durch das protektorat der deutschen nazis ersetzt, und nach der befreiung von der kommunistischen pareit eingenommen. 1968 und 1989 sind dann die bekannten zeitgeschichtlichen einschnitte, die zuerst zum reformkommunismus und schliesslich zur samtenen revolution führen, die föderation von böhmen und der slowakei auflösen und den weg der neuen nationen in die europäische union vorbereiten. der weg des frieden, heisst es dazu im buch ueber die tschechische nation.

ein hilfreicher zugang zur kultur der tschechischen nation

das buch von seifertova hat, wie man unterwegs erfährt, einen vorläufer. comenius, der lehrer der nation, verfasste im 17.jahrhundert neuartige textbücher, die mit vielen bildern versehen waren. anders als seifertova durfte er aber nicht in seiner heimat bleiben. zu zeiten der gegenreformation wurde er des landes verwiesen und wirkte schliesslich in den niederlanden. seifertova wiederum wirkt von böhmen aus auch im internet und strahlt auch so über ihre heimat hinaus.

ich habe die klarheit der darstellung, die auswahl der themen und die anschaulichkeit des bericht in diesem geschichtswerk sehr geschaetzt. klasse, sag ich da! ich habe auch viel gelernt: lange war mir nicht so klar, was böhmen und was mähren ist. und ich wusste nicht, dass sich tschechen und slowaken eigentlich nicht besonders verstehen. denn lange war mit die damalige tschechoslowakische republik zwar bekannt, aber eigentlich ganz fremd. ich kannte sie eigentlich nur der sportlerInnen wegen: emil zatopek, der schnellste langläufer seiner zeit, und vera caslavska, die eleganteste turnerin an olymischen spielen ueberhaupt gaben dem land, das sonst nur über spartakiaden zu greifen war, ein unverwechselbares, letztlich aber unerschlossenes gesicht. vor einem jahr habe ich mich dann zu fragen begonnen, wie die tschechische kultur entstanden ist. und gemerkt, dass ich keine einzige frage dazu beantworten kann. das buch von seifertova ist eine tolle hilfe dabei, sodass man es getrost auch anderen weiter empfehlen kann.

besonders geschaetzt habe ich den stillen humor im buch. es will die jüngen leute auf jene zeit vorbereiten, in der sie reisen werden. und in der sie die vielen neuen eindrücke, die sie in tschechien sammeln werden, missverstehen können. darauf sollen sie mit dem falzprospektbuch gleich in mehreren sprachen eingestellt werden, und zwar so, dass sie das wissen in ihrem pyjama und vor dem einschlafen verarbeiten können. das passt eigentlich ganz gut zu meinem ferientag, während dem ich mit dem trainer bekleidet im grossen lehnstuhl sitze, und abwechslungsweise im buch lese resp. auf dem notebook die rezension dazu schreibe, und so meine reale kurze reise durch die tschechische landschaft und kultur abschliesse.

waldwanderer
(alias stadtwanderer)

uebrigens:
von der gleichen autorin und im gleichen stil gibt es auch verschiedene andere buecher; mehr zu ihrem gesamtwerk findet sich unter:

www.seifertova.cz

(auch in englisch anklickbar)

die gegensaetze

mitten in den schwedenferien sind wir nach tschechien gefahren. einer heirat im familienkreis wegen: ein erlebnisreicher schock, wie sich herausstellen sollte.


heiss und kalt in prag: tram mit sinniger bikini-werbung, und u-bahnstation im geschützten untergrund (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

unser anfangsschock in prag

der diesjährige schwedische sommer ist nicht so warm wie auch schon. temperaturen von knapp 20 grad regieren das klima `07. prag war das schon mal der grosse gegenpol. seit man in der tschechischen hauptstadt warm und kalt misst, waren die 37.3 grad dieser woche der wärmste 16. juli überhaupt. das ist das tschechische klima `07.

das einheimische radio warnte am sonntag abend alle: den pragerInnen sei das stadtleben zu warm geworden. niemand mehr würde sich freiwillig in praha aufhalten, – ausser den touristInnen. von denen hatte es allerdings mehr als genug. selten war die altstadt so dicht gefüllt wie in diesen heissen tagen.

von der vielfalt des generationenwandels

das stadtleben war auch so voller gegensaetze: das touristenleben in massen verdrängte unser einsiedlertum fern ab von allem. ein steinhaus löste unser holzhaus ab. moderne teer- und plasterstrasse überlagten traditionelle fuss- und schotterwege. leichte sommerkleidungen formten die körper mehr als das behäbige arbeitshemd. unser ruhiger see wiederum wurde zur strömenden moldau. und die mächtige karlsbrücke ersetzte den kleinen bootssteg.

vom neuen prag gibt es viel zu erzählen. genauso wie vom alten. überall ist generationenwandel angesagt; aber es bleibt viel skepsis!

der konsum floriert. und die internationalen markennamen sind hier so präsent wie in jeder weltstadt. es ist fast so, also wollte man sagen: schon im kommunismus seid ihr mit botschaften permanent eingeträufelt worden. im gegensatz dazu, werdet ihr heute nicht mehr verhaftet, wenn ihr daran nicht glaubt; nur eine zusatzdosis wird euch verabreicht. die jungen leute von nah und fern scheint das nicht zu stören, denn es verspricht freiheit durch reichtum in kürzester zeit. die aufbruchsstimmung ist zum greifen fest, man will die chance packen, ohne sich das lange zu überlegen. ältere menschen beklagen da schon mal den verlust der mystik des alten prags. ihnen hat die welt, die antonin dvorzak oder franz kafka von der tschechischen hauptstadt entwarfen, besser gefallen als jene, die werbung und graffiti en masse entstehen lassen.

ein zweiter gegensatz war an diesem hitzetag zu spüren. pflichtbewusst kurvten die gestandenen trambahnchauffeure und –chauffeusen durch die stadt, obwohl es in ihren kabäuschen mehr als 50 grad warm war. man sah ihnen den unmut vielleicht an, doch geäussert hätten sie ihn nicht, selbst dann nicht, wenn sie die trambahn führten, die aussen herum die überlebensgrosse werbung mit leichter kleidung und kanpper bademode zeigte. ganz anders verhielt sich die junge arbeitswelt. den zeitungsberichten zu folge gab es nirgends so viele klagen über den hitzetag wie in den klimatisierten grossraumbüros der bankenwelt.

schliesslich war auch das hochzeit voll von gegensaezten. heiraten auf dem mittelalterlichen schloss, ist gegenwärtig nicht nur in. es hat uns auch sehr gut gefallen. die fete am samstagabend mit leckerem buffet und roma-musik unter freiem himmel war wirklich super, merci! dennoch wurden wir uns gerade so bewusst, dass wir nie kirchlich heiraten würden. zu verlogen ist sind die kirchen heute, als dass man ihnen noch trauen könnte. kindsmissbrauch und schwulenpaare findet sich ja nirgends so dicht beisammen, wie in der katholischen kirche. das entgeht einem nirgendwo nicht mehr. so nützt es nichts mehr, wenn der pfarrer zeitgemäss in turnschuhen daher kommt. das mag den einen gefallen, uns hat es nicht getäuscht.

… und der anfangsschock für unsere meisen

nun sind wir wieder im hohen norden. in oslo hatte es kilometerdicke regenwolken, und hier, in värmland, weht ein kräftiger wind. unsere jungen meisen von nebenan sind ausgerechnet heute ausgeflogen.

auch sie dürften einen erlebnisreichen schock haben: statt den schutz der engen nestwärme zu geniessen, kämpfen sie jetzt gegen die weite der kühlen wälder. hoffentlich schärft das auch ihren blick für das gegensätzliche in der welt!

stadtwanderer/waldwanderer