le petit déjeuner avec napoléon legrand

ich bin heute früh auf. ich war der erste gast, der auf dem wolfsberg frühstückt. ich geniesse die ungewohnte atmosphäre in der geschichsträchtigen umgebung ungemein.


bild “napoléon legrad” im schloss wolfsberg (foto: stadtwanderer)

salon bonaparte

gedeckt ist der salon bonaparte. fein säuberlich aufgereiht warten tassen, teller und besteck auf ihren einsatz. es sieht fast so wie bei einem militärischen appell vor einer völkerschlacht aus. bald schon kämpfen die französischen truppen gegen die österreichischen, kündigt die schlachtordnung auf den tischen an. “assiettes, halte!”, hört man den marschall schon rufen.

im grossen spiegel, der im saal hängt, sieht man nicht nur sich. davor steht auch die büste von napoéon I. man muss sie unweigerlich ansehen. ohne sie gibt es kein ich, auch kein mich.

der geniale feldherr aus korsika (eigentlich: buonaparte!, aber man verzichtete auf das u, denn man wollte in paris reüssieren) war zwar nie auf dem wolfsberg. dafür haftet die erinnerung an den kaiser der franzosen an jeder ecke des salons. kleine statuen von ihm stehen in grosser zahl auf dem kaminsins. und das hauptbild im saal zeigt ihn als bekränzten caesar. „napoléon legrand“ steht darunter, ganz egal ob er 160 cm mass, oder auch etwas weniger.

die waadt, der aargau, das tessin, st. gallen und thurgau verdanken napoléon bonaparte ihre existenz als gleichberechtigte kantone der eidgenossenshcaft dem grossmeister der europäischen politik an der schwelle vom 18. zum 19. jahrhundert. das heilige römische reich deutscher nation hat er gestürzt. die klöster hat er enteignet. der bürgerlichen gesellschaft hat er militärisch zum durchbruch verholfen. viele zeitungen vor ort gehen auf seine initiative zurück. sie waren die vorkämpfer der moderne, der menschenrechte, des verfassungsstaates.

als napoléon 1815 nach all seinen militärischen niederlagen nach st. helena verbannt wurde, musste auch seine familie frankreich verlassen. zuerst ersuchte man im waadtland um politisches asyl. doch das war den konservativen legitimisten zu gefährlich. deshalb gingen die bonapartes in den entfernteren, nicht minder revolutionstreuen thurgau, ganz speziell nach mannenbach auf schloss arenenberg.

charles parquin

den heimatlosen bonapartisten gewährte da königin hortense de beauharnais, napoléons tochter aus erster ehe, ihre grosszügig gastfreundschaft. dazu gehört auch der glühende verehrer des kaisers, charles parquin. eben diesem bot sich 1824 die einmalige gelegenheit, den nahe gelegenen „wolfsberg“ zu erwerben. es lockte die einsamkeit der höhe über dem bodensee. von hieraus würde man jeden tag direkt die insel reichenau beobachten können. und auf dem wolfsberg ergab sich die möglichkeit, jeden tag nach bayern und nach würtemberg zu sehen.

eine ermitage fürs nachdenken über die französische politik errichtete parquin im nahegelegen wald ein. eine kapelle baute er, um vor ort die katholische messe abhalten zu können, und die remise, die heute noch genutzt wird, liess er erstellen.

1835 liess sich der schlossherr von louis, dem sohn von hortense, zu einem ersten staatsstreich in frankreich bewegen. und selbst ein zweites mal war der herr auf dem wolfsberg ein gesetzloser putschist in frankreich. doch das war zuviel des guten: schliesslich setzte sich nur der prinz durch; er wurde als kaiser napoléon III. indirekter nachfolger seines grossonkels und grossvaters zugleich. parquin indessen hatte weniger glück; er landete in einem pariser gefängnis, wo er auch verstarb. im salon bonaparte ist er denn auch nur mit einem kleinen bild verewigt. überdimensional ist dagegen das bild von napoléon III. aufgehängt. es dominiert den blick im saal, und das wunderbare frühstück in ihm.

charles parquins bitteres ende stürzte seine familie in den ruin. die bankrotteure mussten den wolfsberg verkauf. eine turbulente besitzergeschichte folgte, bis die heutige ubs hand anlegte. jetzt ist es das ausbildungszentrum der ersten bank in der schweiz. trotz den massiven verlusten in den letzten tagen kann sie es sich auch weiterhin leisten.


impressionen des stadtwanderers beim frühstück im salon bonaparte (fotos: stadtwanderer, anclickbar)

le désordre du randonneur urbain

ich schlürfe meinen kaffee von der vergangenheit und gegenwart unbeeindruckt. der fruchsalat war spitze, und das gebäck danach werde ich weiter empfehlen. doch die herrschaftlich vorbereitete schlachtordnung ist empfindlich gestört, als ich gehe. alles ist noch unverändert in reih und glied, – bis auf (m)ein gedeckt.

hier war der stadtwanderer, und sein aufenthalt früh morgens hat die ganze wunderbare kulisse einbrechen lassen.

ich bin sicher, als ich hinaustrete, das legrand vor dem spiegel aufsteht, merde! schreit, und seinem prinzen-enkel sagt: “räumen sie auf, ohne ordnung wird nie was aus frankreich!” genau das hat auch der thurgau memoriert. er ist ordentlich, auch wenn ausserhalb des salons kaum mehr etwas an die ausserordentlichen bonapartisten erinnert.

stadtwanderer

geteilte zivilgesellschaft

sie war der star des tages: die deutsche bundesministerin ursula von der leyen. ärztin ist sie. sechsfache mutter ist sie auch. und familienministerin der gegenwärtigen regierung unseres nördlichen nachbar ist sie zudem. und sie hielt ein brillantes referat vor dem verein zivilgesellschaft.


bundesministerin für familien ursula von der leyen, die beim verein zivilgesellschaft eine brilliante rede hielt

deutsche familienministerin

an der tagung „jugend“ setzt die deutsche eher vorsichtig zu ihrem referat an, um den bezug zum publikum zu finden. Doch dann kommt sie bei ihrem eigentlichen thema mächtig in fahrt: die familienpolitik in der spätmodernen gesellschaft handelt sie brilliant ab. sie sprüht förmlich vor energie. die fliesst in jede ihrer gesten, und die untersützen wiederum ihre mimik. das ist wichtig, denn die grossleinwand hinter ihr schafft transparenz für alle zu allem, was die politikerin macht. Da vergisst man fast das überzeugende wort, obwohl auch dieses rhetorisch perfekt geschliffen sitzt.

sie führt das referat von der ausgangslage zu verantwortung und verwahrlosung durch die heutige familie, zu den befunden zur chancengleichheit und wahlfreiheit und schliesslich zu den massnahmen in deutschland. sie weiss um die nachteile, die bei fehlender familienstützung und später einschulung für die kinder und jugendlichen entstehen. ihre pointe ist: die bildungsrevolution seit den 70er jahren hat die werte der nachfolgenden eltern verändert, vor allem der frauen. jetzt gilt es, den veränderten werthaltungen rechnung zu tragen: arbeit, karriere und kindererziehung sollen für frau und mann in einklang gebracht werden. und da sei der staat gefordert.

geteilte reaktionen

in berlin vertritt ursula von der leyen die farben der schwarzen. während ihres fulminanten auftrittes auf dem ermatinger wolfsberg ist sie in zweigeteiltem blau gekleidet. doch angesichts ihre schlussfolgerung sehen einige der älteren semester in der mehrheitlichen männerrunde, die tito tettamanti versammelt hat, ganz einfach rot.

die jüngeren an der tagung „jugend“ haben ihre freude. den meisten unter ihnen spricht die deutsche familienministerin ganz einfach aus dem alltag und mitten ins herz. denn sie haben in ihren arbeitsgruppen über die heutige jugend zwischen 15 und 30 diskutiert.

sie haben vor und nach dem referat ihre alltagserfahrungen eingebracht. ihre lebensumstände in der heutigen gesellschaft kamen zur sprache. erziehung und bildung wurden debattiert. die berufsaussichten hat man ausgelotet. werte und vorbilder wurden einer kritischen würdigung unterzogen. selbst die gewaltbereitschaft hat man diagnostiziert, und die integrationsbereitschaft war ein spezielles workshop-thema.

liberale generationenmissverständnisse

ich bin in der gruppe über werte und vorbilder. die diskussion ist durch viele missverständnisse gekennzeichnet: da werden tugenden mit werten verwechselt. da argumentiert man, wie es sein sollte, nicht wie es ist. da spricht man von seinen erfahrungen als vater anstatt dass man die eigene tochter mitgebracht und auch hätte reden lassen. die anwenden jugendlichen repräsentieren vor allem die jugendorganisationen. doch der dialog unter den generationen, welche die 30jährige nationalrätin pascale bruderer zuleiten sucht, will nicht recht zustande kommen. symptomatisch hierfür:

ein gestandener fdp-politiker, jahrgang 1937, fragt einen jugendlich provokativ: ist die freiheit die mutter oder die tochter der verantwortung?
der antwortet nicht unüberlegt, und sagt mit überzeugung: die mutter!
sein gegenpart ist entsetzt, er repliziert wie aus der kanone geschossen: dann sind sie ein anarchist!
der wiederum zuckt schockiert zusammen. beim nachtessen offenbart mir der vertreter der generation, die in den 1980er geboren wurde, asiatischer abstimmung zu sein, an der hsg zu studieren und ein jung-liberaler zu sein.

ich denke mir, es war ein typisches gespräch für den dialog in der zerfallenden familie des freisinns, denn die konzepte der selbstverantwortung und der selbstverwirklichung, wie sie die verschiendene generationen vestanden, prallen unvermittelt, ja schon fast gereizt aufeinander.

gerne hätte ich das beim nachtessen mit roger köppel und markus somm, den führenden weltwöcheler, vertieft. sie hatten sich 2006 gegen jede form der neu finanzierung von familien stark gemacht, und waren damit in der volksabstimmung hochkant unterlegen. eigentlich wären beide an meinem tisch gesessen. doch sind sie nicht gekommen. gastgeber tettamanti, ihr grosszüger “chef”, entschuldigte sie ausdrücklich bei unserem tafelamjor andre daguet.

politischer small-talk

ja, auch über die hohe politik wird auf dem wolfsberg gesprochen. aber nur beim small-talk. „Wie geht es weiter mit dem bundesrat?“, ist die meist gestellte frage. programme haben vor allem die think-tanker von avenir suisse in der wettbewerbsorientierten seitentasche. Die familientasche ist auch bei ihnen leer.

auf dem wolfsberg bilden sie nur eine minderheit unter den tagungsgästen. die mehrheit redet lieber konkordanzkonform über rücktritte. „couchepin in eineinhalb jahren“, ist die häufigste schätzung. wer einen drauf setzt, spekuliert auch gleich über den rücktritt von merz auf ende 2009. „das ist auch der horizont für leuenberger“, äussern die misten. zu schmid schweigen sie überweigend. ein koordinierter dreier oder vierer-wechsel, sind alle überzeugt, hätte vorteile. die parameter der zusammensetzung des bundesrats liessen sich so neu bestimmen:

felix gutzwiller könnte als zürcher den ausserrhödler hans-rudolf merz ersetzen. ein welscher fdp-ler oder auch ein cvp-ler aus der romandie würde für couchepin bunderat werden können. und hilde fässler, die abgetretene sp-fraktionspräsidentin, könnte moritz leuenberger ablösen. das sind, kurz gesagt, die wettsieger des abends.

von den grünen im bundesrat sprechen nur wenige politschwergewichte. dafür reden aber unternehmer, die in ihren projekten, in ihrer firma oekologie und oekonomie schon längst auf der basis der vorherrschenden wirtschaftssystems versöhnt haben, umso lieber hierzu. sie wünschen sich ganz generell eine stärkung der ökoliberalen, diener hin oder her.

schweizer familienrealitäten

die sympathischste diskussion des tages habe ich mit einer unkonventionellen investorin. unternehmerin will carolina müller-mohl nicht bezeichnet werden. die taffe dame ist die erbin ihres früh verstorbenen mannes, die sich entschieden hat, sein werk konsequent fortzusetzen: sie ist jung. sie ist mutter. und sie erzieht ihr kind alleine. dabei zählt sie auf die unterstützung zahlreicher „tanten“. sie schaut, dass sie gut gebildet sind, aus der ganzen welt kommen, und ihr helfen, ihr kind glücklich zu erziehen. sie weiss, dass sie privilegiert ist. doch genau deshalb ist sie bereit zu kämpfen. für frauen in ihrer lebenssituation. für die integration der menschen in einer gesellschaft, in der multikulturalität ein faktum ist. und für toleranz.

die selbstbewusste investorin in die kommende wirtschaft und gesellschaft merkt, dass sie damit anstösst. häufig sei in gesellschaften die einzige ihrer generation, die einzige frau, und die einzige, die ein anderes familienmodell propagiere, meint sie, als sie mit mir anstösst.

ich spüre, dass die gelernte politologin mit einem studium an der fu berlin mit den schweizer familienpolitikrealitäten etwas hadert. aber ich merke auch die neue kraft, die von ihr, nicht von der grossväter-generation in der heutigen zivilgesellschaft ausgeht. diese ist geteilt, nicht vereint. und unverändert lebendig.

stadtwanderer