ellimplakattellimplakatellimplakattellimpla

die kleine serie zu tells (vermeintlichem) 700. geburtstag:

teil 3: wilhelm tells zwei charaktere
teil 2: warum tell keine mutter und töchter hat
teil 1: tells grosser auftritt

ein wenig zucke ich immer noch zusammen, wenn schweizerische nationalbibliothek lese. für mich ist sie seit meinen studentenzeiten immer noch die “landesbiblere” (bern-deutsch für landesbibliothek). doch seit neuestem ist sie eben die “snb”.


ein typisches plakat aus bümpliz das zum ausstellungs- und buchthema “tell im visier” passt (foto: stadtwanderer, anclickbar)

die idee

wenn wir eine nationalbank haben, können wir auch eine nationalbibliothek haben. und wenn wir eine nationalbibliothek haben, können wir in ihr auch den nationalhelden ausstellen.

genau das macht die “landesbiblere” gegenwärtig mit wilhelm tell. sie lässt ihn nicht mehr schiessen, nein, sie nimmt ihn selber ins visier. das schützenblatt, das daraus entstand, hat zwei formen: zunächst die einer plakatausstellung, dann die eines buches dazu.

ein ewig wiederkehrendes thema der gegenwart, könnte man meinen. doch sollte das nicht zum schluss führen, es würde das immergleiche gezeigt.

die ausstellung

die plakatausstellung fühlt den ausstellungsraum. leider, das sei gleich vorweg gesagt, wirkt der, nur mit dachfenstern, etwas düster. fast möchte man beifügen: das kann auch fehlschüsse geben!

doch es bleibt beim verdacht: denn das gebotene ist ein volltreffer!

gezeigt werden in dieser ausstellung 150 plakate aus den letzten 100 jahren, die schillers tell-drama thematisch interpretieren. hätte es zu seinen zeiten die plakatkultur schon gegeben, wäre vielleicht kein theaterstück entstanden, denkt man sich, wenn man durch die ausstellung geht. denn die bilder, die meist grossflächige verwendet wurden, sind allemal so einprägsam wie schillers sprache.

das buch

das buch zur ausstellung führt zunächst ins konzept der ausstellung ein. man hat das schillersche grossthema in acht kleinthemen zerlegt: den tell, das rütli, den hut, den walther, die armbrust, den schützen, den treffer und die landschaft. und diese acht stichwörter ergeben den horizont der plakatauswahl: den beschützer und die ikone, den see und den schwur, die herren und die untertanen, der held und opfer, die waffen und das gütesiegel, der vater und die kinder, die taten und die parolen, sowei die mythen und die jungfrau.

und genau jene plakate, welche diese motive aufnehmen, hat man, aus dem fundus der “landesbiblere” greifend, für die ausstellung ausgewählt.

das buch selber vertieft das visuelle mit gedanklichem: der mythos, der die malerei, die grafik, die architektur und die fotografie beeinflusste, wird neu ergründet. und die literatur von schiller bis otto marchi werden hinsichtlich des themas tell aufgerissen. und fall tell all diese interpretation nicht unbeschadet überlebt haben sollte, wir er nicht ganz zuunrecht auf der couch des psychoanalytiker befragt.

der kommentar

was an dieser tell-ausstellung und an diesem tell-buch freut: beides erscheint gerade recht zu seinem vermeintlichen geburtstag. und beides wurde von zwei seiner töchter konzipiert und herausgebracht. mechtild heuser und irmgard m. wirtz haben den tell ins visier genommen und den zeitgeist dazu getroffen.

das wenigstens ist mein eindruck, als ich die landesb … tschuldigung, die schweizerische nationalbibliothek verlasse!

stadtwanderer

mehr zur plakatausstellung “tell im visier”

wilhelm tells zwei charaktere

die kleine serie zu tells (vermeintlichem) 700. geburtstag:

teil 2: warum tell keine mutter und töchter hat
teil 1: tells grosser auftritt

die entdeckung des bundesbriefes von 1291 brachte mitte des 18. jahrhunderts nur in historikerkreisen das tradierte bewusstsein um die staatswerdung der schweiz durcheinander. die breite öffentlichkeit interessierte sich noch nicht für die sich anbahnende verschiebung des wesentlichsten datums der schweizer geschichte.

doch dann kam alles anders!

als der bundesrat 1889 beschloss, die feier zur staatsgründung der schweiz auf das jahr 1891 vorzuverlegen und das parlament dem antrag ein jahr darauf zustimmte, kam bewegung in die sache. denn der staatstragende freisinn wollte den 1. august als fest des bürgerlichen burgfriedens zwischen radikalen und konservativen verstanden wissen. und die katholisch-konservativen waren erstmals bereit, darauf diesen vorschlag einzusteigen. als gegenstück sollten sie einsitz in die landesregierung
erhalten, und ihnen sollte die möglichkeit der partialrevision der bundesverfassung gewährt werden. denn die beiden wichtigsten lager im bundesstaat hatten zwischenzeitlich die politische vision der patriotisch geeinten schweiz vor augen.

der tell der urner

in der innerschweiz jedoch regte sich widerstand gegen diesen modernisierungspakt – und gegen seine politische symbolik. die war den berglern zu zentralistisch, zu fortschrittsorientiert und zu stark auf das bewusstsein der städter ausgerichtet. so war man nicht bereit, auf tells herkömmliche geschichte und datierung zu verzichten. man verlangte nach dem tell der tradition, der berge und täler, nach dem tell der die föderalistische vielfalt repräsentierte.


seine armbrust weist nach hinten: der traditionalistische tell der urner in seinem denkmal von 1895 in altdorf

1891, während des jubeljahres in bern, eröffente man in uri einen wettbewerb zur erneuerung des tellendenkmals in altdorf. 30 eingaben wurden gemacht, die sich an strengen vorschriften für die charakteristik des vorbildes zu halten hatten. es obsiegte der künstler richard kissling, der unsere bildliche vorstellung vom nationalhelden genauso nachhaltig geprägt hat wie friedrich schiller mit seinem drama die literarische.

alexander muheim, der urner landammann von 1895, der das denkmal in altdorf einweihte, umschrieb das so: “Kisslings Tell hatte es von der ersten Stunden an dem Herzen, dem patriotischen Gefühl und dem ächten Kunstsinne angetan. Er zeigte Leben, Empfindung und Seele, war kräftig, muthig, entschlossen, von edlem Stolze und dennoch schlicht-einfach, ein wirklicher Urner Bauernmann, kein Theaterheld, kurz, ein Tell wie er einstmals leibte und lebte, wie er die Freiheit aus den Urner Bergen ins Thal gebracht hat.”

obwohl es dem künstler überlassen worden war, tell mit oder ohne seinen sohn walter zu zeigen, entschied sich kissling für die generationenverbindende kombination. anders als die drei weiteren prämierten entwürfe, entschied sich kissling aber, nicht den tell zu zeigen, der den gesslerhut missachtet. vielmehr ist kisslings tell der bergler, der wandernd in sich ruht und von selbstvertrauen gestärkt auf festem fels steht. seine haltung verkörpert die entschlossenheit, die kraft und den schutz. er umschlingt den sohn, der es ihm mit einem bewundernden blick verdankt.

wer die hochtrabenden geschichten über tell nicht kennt, sieht in seinem denkmal nicht den stilisierten rebellen, auch nicht den theatralischen helden. er sieht den wahrer des vaterlandes, den vater der familie, die sicherheit der schutzbedürftigen.

der tell des bundesstaates

ganz anders stellte unmittelbar nach kissling der berner ferdinand hodler seinen berühmt gewordenen tell dar. in gewissem sinne war er die reaktion der fortschrittgläubigen auf die reaktion der traditionalisten.


seine armbrust weist nach oben: der fortschrittliche tell im bild von

ferdinand hodler, 1896 an der landesausstellung erstmals gezeigt
mit holdler sollte der zeitgemässe tell zur jahrhundertwende entstehen. die ursprüngliche skizze hatte er für das landesmuseum in zürich gemacht. 1896 schrieb dieses einen wettbewerb für die ausschmückung der aussenfassade des waffensaals aus. holder entschiede sich dabei für die szene von gesslers tod. soeben vom pfeil getroffen, liegt gessler in hodlers gedankenentwurf schwer verwundet am boden. nur noch zwei diener halten zum ihm. tell, der erfolgreiche schütze, entfernt sich vom tatort, die linke hand noch an der tatwaffe, die rechte erhoben geöffnet gegen sein volk. ihn habe ich erledigt, euch will ich führen.

für seine finale darstellung löste hodler tell aus der szene des tyrannenmordes heraus. das war dann doch zu viel! er arbeitete tell aber aufgrund der ersten skizze als ebenbild aus: so wie wir ihn bis heute kennen. 1896 wurde das bild an der landesausstellung erstmals gezeigt und als höhepunkt der patriotischen schweizer kunst gepriesen.

wie anders wirkt diese gestalt des tells, wenn man an die figur in altdorf denkt. kein sohn mehr ist mehr da, der geschützt sein will. keine eindeutige landschaft mehr erkennt man im hintergrund, die heimat ist. und kein bergler wandert da, der seinen weg geht.

vielmehr hat hodlers tell einen eindringlichen blick, einen helvetischen haarwuchs – und kein socken. er ist kein tölpel, der in die welt tritt, sondern ein anführer, der sein volk einigt.

tells körper bebt bei hodler noch von der tat. seine beine sind so breit wie der schlagbaum. sein hand so eindringlich wie das signal. die politische mission dominiert und sie lautet: an mir kommt niemand mehr vorbei! ich bin das mass der kommenden dinge.

kisslings tell kam aus der vergangenheit, doch holders version hatte die zukunft vor augen.

stadtwanderer

mehr zu tells 1001 und einem gesicht:

uli windisch, florence cornu: tell au quotidien. zurich 1988