willkommen in der neuzeit

1498 gilt in bern als syphilis-jahr. söldner, die wenige jahre zuvor in neapel gekämpft hatten, brachten die “mal de naples”, auf gut berndeutsch “blattern” genannt, mit nach bern. das siechenhaus, das man 1491 vom heutigen rosengarten an den standort der jetzigen waldau verlegt hatte, reichte nicht mehr aus. man musste ein neuen siechenhaus, das “blatternhaus”, extra für die an syphilis erkranken rückkehrer einrichten.


blick von der untertorbrücke, dem wahrzeichen des spätmittelalters, auf den altenberg 6, wo heute das restaurant landhaus steht, früher, das blatternhaus, wo die kranken der neuzeit versorgt wurden (foto: stadtwanderer, anclickbar)

“mal de naples”

zwischen 1495 und 1500 breitete sich die geschlechtskrankheit, deren symptome sich bald überall an der haut und im gesicht zeigen, schnell über halb europa aus. seinen anfang nahm die neuartige seuche, die auf die pest folgte, 1494 in neapel. der spanische könig hielt seit längerem das süditalienische königreich besetzt, während der französische könig die erbschaft des hauses anjoux antrat, und deren königreich neapel und sizilien für sich beanspruchte.

könig karl viii. intervenierte deshalb in italien, und versicherte sich hierzu der unterstützung der eidgenössischen söldnern. seit dem sieg der eidgenossenschaft über burgund waren diese heiss begehrte krieger zu fuss. berns truppen beteiligten sich an diesem ersten krieg der neuzeit, das heisst nach der entdeckung amerikas durch christoph columbus.

und sie brachten die “blattern” mit nach hause, die hinfort der namen hatten, von sie kamen: der krankheit aus neapel!

prä-columbianischer oder columbianischer ursprung in europa

bis heute gibt es in der medizingeschichte eine kontroverse, wie es zur rasanten ausbreitung von neapel aus kommen konnte. zwei hypothesen werden verfolgt: die “vor-columbianische” und die “columbianische”.

die erste annahme geht davon aus, dass es sich um eine krankheit handelt, die schon in der antike bekannt war. hippokrates beschreibt die symptome von syphilis, ohne das sie eindeutig bestimmbar sind. und in pompeii hat man skelette gefunden, die syphilis-ähnliche spuren aufweisen. demnach wären gerade im mittelmeer raum mindestens vorläufer-krankheiten von syphilis nichts ganz unbekanntes gewesen. unerklärt bleibt aber, weshalb sie sich erst am ende des 15. jahrhundert über den kontinent ausbreiteten.

die zweite annahme macht einen direkten bezug zur entdeckung amerikas durch columbus im jahre 1492. demnach ist syphilis eine krankheit aus der neuen welt, die mit der rückkehr der expeditionen der spanier in die alte welt gebracht wurde. von spanien aus breitete sie sich rasch nach neaples aus, denn sie wurde durch den internationalen geschlechtsverkehr, beginnend bei den überseefahrer und ihren prostituierten, übertragen. diese wiederum wären für die verbreitung in neapel und vor dort durch söldner der siegreichen heere frankreichs, die nach haus zurückkehrten, schnell weiter verbreitet.

nun hat eine neue studie der biologin kirstin harper von der emory university in atlanta gerade letzterem auftrieb gegeben. ihre forscher haben einen stammbaum des syphilis-erregers ausfgestellt. dazu untersuchten sie weltweit 26 stämme des bakterium. sie verglichen die ähnlichkeiten im erbgut und schlossen daraus, in welcher reihenfolge die stämme entstanden sein müssen. das resultat der untersuchung wurde dieser tage verkündet: “Syphilis oder ein Vorläufer der Krankheit kam von der Neuen in die Alte Welt”, lautete es ohne wenn und aber.

die erinnerung in bern an die beginnende neuzeit

bis heute ist syphilis nicht nicht verschwunden. in europa ist die zahl der erkrankten zwar stark zurückgegangen. doch bleibt die erinnerung an die krankheit der neuzeit wach. friedrich nitzsche, niccolo paganini, franz schubert und al capone gelten als die berühmten syphilis-toten der neuesten zeit, und werden selbst in aerztezeitschriften gerne gezeigt, um vor der neuen ausbreitung der krankheit durch die internationalisierung der prostitution zu warnen.


die berühmten syphilis-opfer der neuesten zeit: al capone, franz schubert, niccolo paganini und friedrich nietzsche.

wenn sie sich erinnern wollen, wo und wann die neuzeit in bern begann, dann habe ich einen vorschlag: machen sie einen spaziergang an die aare. gehen sie über die brücke, die als steinbrücke aus dem jahre 1468 stammt. erinnern sie sich dabei an das ausgehende spätmittelalter. und kommen sie beim heutigen restaurant landhaus in der neuzeit an. denn genau da war, vor dem bau des aargauer stalden, die sandflue, eine grube, in die man 1498 das neue siechenhaus stellte, das den namen blatternhaus bekam.

stadtwanderer

mehr dazu unter:
http://science.orf.at/science/news/150485