die besten seismographen der politischen kultur im wandel

die spatzen pfiffen es seit ostern von den berner dächern: unter den alt-bundesrätInnen rumore es, konnte man hören. jetzt ist klar warum; die ehemaligen regierungsmitglieder appellieren an die adresse der svp, die hetzjagd auf bundesrätin widmer-schlumpf umgehend einzustellen.


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die rebellion der alt-bundesräte

gemäss “sonntag” ist alt-bundesrat rudolf friedrich von der winterthurer fdp die treibende kraft. er soll geld sammeln, um das vorgehen der svp mittels inseratekampagne zu diskreditieren. sein statement in der sonntagspresse lässt keinen interpretationsspielraum zu: “Das Verhalten des SVP ist demokratisch gesehen unannehmbar.” der ehemalige justizminister sieht im ultimativ geforderten rücktritt von ews aus dem bundesrat “die totale Missachtung des Parlaments. Die Morddrohungen gegen Frau Widmer-Schlumpf wachsen in diesem Umfeld. Das alles erinnert mich an Vorbilder der übelsten Art.” sekundiert wird er von den ehemaligen bundesrätInnen aubert, dreifuss, stich und koller (alle deutlich) resp. cotti und villiger (zurückhaltend). nicht äussern wollten sich die kollegen furgler, deiss, ogi und schlumpf. sie ziehen es vor, sich in sachen bundesrat öffentlich nicht zu äussern. nur christoph blocher, der dem erlauchten kreis der ex-regierungsmitglieder der schweizerischen eidgenossenschaft neuerdings auch angehört, nimmt eine gegenposition ein: er verurteilt zwar die drohungen, doch kritisiert er auch den rückzieher von bundesrätin widmer vom sächsilüüte. das rufe nach neuen drohungen, denn drohungen gäbe man nie nach. von nun an trage sie die verantwortung, wenn man sie bedrohe.

die neue stufe der inneren polarisierung

die zurückliegende woche hat gezeigt: die schweiz drifftet auseinander. die parteien ziehen alle am gleichen strick “bundesrat”, aber in ganz verschiedene richtungen. die ideologische polarisierung, die wir seit der ewr-abstimmung von 1992 erlebt haben, bekommt eine neue dimension: institutionen und werte der konkordanz werden direkt attakiert und diskreditiert. wahlen in die landesregierung, die korrekt zu stande gekommen sind, werden durch parteiinterne vorgänge ultimativ in frage gestellt. parteikolleginnen, die in der sache mehrheitlich gleich denken wie die anderen mitglieder, werden öffentlich als “lügnerin” verunglimpft, wenn sie der parteiraison nicht dienlich sind. und personen, die für die sicherheit des landes, die funktionsfähigkeit der gerichte und die handlungsfähigkeit der polizei zuständig sind, erhalten selber morddrohungen.

politische kultur im wandel

von politischer kultur war diese woche häufig die rede. die einen sehen sie durch politische klasse verraten, die anderen durch das treiben der svp. in der tat, ist beides symptom des zerfalls politischer kultur. denn darunter versteht man ganz generell die grundlegenden einstellungen der bewohnerInnen zum staat, seine institutionen und repräsentantInnen. die werte, die stimmungsmässigen gefühle und die fachliche informationen, die allseits geteilt werden und so politische auseinandersetzungen in der sache erst ermöglichen, zählen dazu. doch sie versagen in der wirkung, die ihnen zukommen. vom geist der konkordanz, der sie prägte, ist kaum mehr etwas zu bemerken: nicht der wille zur zusammenarbeit, der drang zur trennung, bestimmt die lage. die bilder, die das steuern sind: die anderen wollen nicht das gute, nur die macht, und an die halten sie sich mit lügen und intrigen. feindbilder werden hüben und drüben aufgebaut, mit dem effekt, dass man sich vor allem noch mit seinesgleichen, nicht mehr aber mit andersdenkenden ernsthaft auseinandersetzen muss. damit ist die demokratie noch nicht in gefahr, wohl aber hat ihre ausgestaltung als konkordanzdemokratie tiefe risse erhalten.

zur lage der nation

die lage in der schweiz hat sich seit mittwoch vergangener woche klar zugespitzt: die svp steht vor einer zerreissprobe. sie ist gewillt, diese rasch auf ihre art zu regeln, um möglichst schnell wieder handlungsfähig zu werden. zuerst wird eveline widmer-schlumpf diskreditiert, dann wohl auch samuel schmid destabilisiert. bis mitte legislatur soll die situation mit den fraktionslosen bundesräten und der bundesratslosen fraktion bereinigt sein, denn das ziel, wird immer klarer, ist der sieg bei den parlamentswahlen 2011. und das mittel hierzu die bedingslose und unwidersprochene opposition der partei. diese aenderung der maschrichtung der svp wird auf der gegenseite nicht eindeutig gelesen: die sp sieht kaum mehr gemeinsamkeiten mit der svp, die cvp schwankt in der sache, nicht aber in der einschätzung der person von alt-bundesrat christoph blocher. und die fdp trauert den zeiten nach, als man, im gefolge der svp, die themenvorgabe für die regierungspolitik machen konnte. ein politischer gegenpol zur oppositionspartei, welche gemeinsam für die regierungsgeschäfte zuständig wäre, ist kaum zu erkennen.

stadtwandern nahe der spatzen auf den dächern

es bleibt die frage, was in dieser situation passiert? letztlich weiss es niemand. momentan ist man aber geneigt zu sagen, dass das erst der anfang der eskalation, und die nächsten wochen eine bisher nicht gekannte steigerung der innern polarisierung bingen wird. frauendemo, sächsilüüte, 100-tage-ews, parteiausschlüsse säumen jetzt schon den weg, dessen ende wenigstens gegenwärtig nicht bekannt ist.

ich werde beim stadtwandern den spatzen, welche schon seit tagen schrill von den berner dächern pfiffen, unverändert aufmerksam zuhören. sie waren bis jetzt gute seismographen der veränderungen in der politischen kultur der schweiz.

stadtwanderer

ps:
hatte diese nach noch eine idee, wie sich die blogosphäre profilieren könnte, um übersicht in die gegenwärtig zuspitzung zu bringen: hier mein vorschlag für ein eskalations-monitoring.