ich bin dann schon mal überall

ist irgendwo im überall zu sein nicht gleich wie nirgendwo hier zu sein, fragt der stadtwanderer.

der auslöser
ich war referent im generalsekretariat einer nationalen politischen organisation. thema und gruppe sind für das, um was es mir hier geht, unerheblich. es hätte auch bei anderer gelegenheit “klick” machen können.

anwesend waren die verantwortlichen der organisation und die fachleute zum thema. total rund 15 personen. meine präsentation dauerte mit der diskussion eine stunde. das kenne ich, und deshalb nehme ich mal an, dass das was passierte, nicht mir mir und meinem vortrag zu tun hatte.

das problem war: am ende der stunde niemand, der nicht ein- oder mehrfach den raum verlassen hätte. bei einzelnen war die abwesenheit nur einmal und für kurze zeit, bei anderen fast schon der immer wiederkehrende normalzustand.

was ist?
nach dieser stunde zog ich bilanz: mein publikum war zwar wie abgemacht gekommen, aber gar nicht präsent. die meisten gingen hinaus, um ein handy-gespräch zu führen. andere wiederum berieten sich in kleinen gruppen vor der tür zu weiss ich was während der sitzung. schlimmer noch: ein teil, der da war, hing derweil am labtop oder blackberry: news-kontrollierend, faktenrecherchierend – irgendwo im worldwideweb rumhängend.

als ich ging, fragte ich mich, wo ich eigentlich war, was ich wirklich gemacht habe, und was, von dem, was ich kommuniziert habe, einen empfänger gehabt hat? – wohl nicht viel, war meine ernüchternde bilanz, und ich begann zu suchen, wie man den film, indem ich war, beschreiben könnte.

diagnose
“entortung” ist ein begriff zwischen literatur und soziologie. er meint verschiedenes: zuerst die migration, meist von einem herkunfts- zu einem arbeitsort. dann die mobilität, die möglichkeit also, dank physischer beweglichkeit in rascher folge an verschiedenen orten zu sein.

und schliesslich meint der begriff, dass wir dank neuen informationstechnologien zeitgleich in verschiedensten welten, gesellschaften und gemeinschaften sein können, denn sie alle sind zu fast beliebig austauschbaren interaktionssystemen geworden, in den wir uns kommunikativ technisch leicht aufhalten können.

wenn wir physisch an eine ort sind, gleichzeitig aber mit vielen anderen orten verbunden sind, beginnt das problem: unser körper löst sich nicht auf, wenn sich unser geist verflüchtigten. er bleibt, wo er ist, aber es ist niemand mehr in ihm!

fragen

die überwindung des leiblichen ist das grosse thema der griechischen philosophie. doch geschafft haben es die meisten alten griechen nicht zu transzendieren. wer das konnte, galt als mensch mit übernatürlichen fähigkeiten. als mensch, der sich in der vergangenheit oder zukunft leben kann, wie wenn er oder sie in der gegenwart wäre. oder der andere kulturen so gut kennt, dass er oder sie in ihn leben kann wie in der eigenen.

in unserer gegenwart können wir massenweise transzendieren. doch frage ich mich: ist das, so wie heute geschieht, übernatürlich und bewundernswert, oder unnatürlich und korrektur bedürftig?

stadtwanderer

ps:
eigentlich wollte darüber beim heutigen stadtwandern sinnieren, ich hab’s aber gelassen, und mich direkt mit der stadt beschäftigt. doch bloggen hierzu kann man ja problemlos, den auch das ist eines der so verführerischen interaktionssysteme ohne ort!