nicht das abnormal-exotische, aber das unerwartet-herausragende würde mich interessieren

der medien liebstes thema ist das abweichende. nicht das herausragendste, sondern das abnormale. das exotische, das einen fassungslos erstarren lässt, nicht aber das unerwartete, das einen zum hinterfragen anregen würde.


die scheinbar verschwundene gabriele schulze wird in ihrem familienkreis wieder aufgenommen

die waldfrau aus bolligen

das haben die berner und bernerinnen dieser tage im zusammenhang mit der waldfrau aus bolligen so richtig mitbekommen. die frontseiten, die hintergrundseiten und die lokalseiten waren tage lang gefüllt mit der geschichte zu gabriele s. aus deutschland, die seit dem letzten sommer in wald auf bolliger gemeindeboden lebte.

trotz, vielleicht auch wegen der grossen lettern, die in diesem zusammenhang gebraucht wurden, haben wir eigentlich wenig über die frau erfahren, welche die die sesshaftigkeit hinter sich gelassen hatte und durch europa gewandert war, bis sie in bolligen ankam. dass sie nicht in einem haus, sondern in einem erdloch hauste, las man. dass sie ihren “hausrat” nicht aus nahe gelegenen shoppyland, sondern direkt aus dem wald hatte, erfuhr man. und dass sie meist nicht von fleisch und teigwaren, sondern von selbstgemachten suppen und tees lebte, wissen wir jetzt. das alle machte sie zur aussenseiterin, die lebt, wohnt und sich ernährt, wie man das normalerweise nicht tut.

doch was die frau bewogen hat, ihre familie zu verlassen, bleibt verborgen. von einem beabsichtigten papstbesuch war schemenhaft die rede. mehr nicht, ausser, der selbsteinschätzung, dass sie keine aussteigerin sei, wie man meinen könnte. denn sie bewegte sich wie andere auch, spazierte in bern, um zu sehen, wie sich die mode entwickle. sie war auf der autobahnraststätte grauholz, um menschen zu treffen und von einem aufenthalt im süden zu träumen.

nun hat diese geschichte ihr ende. ohne dass jemand damit seine grosse exklusive medienstory machen konnte. den film “die frau, die aus dem wald kam” wird es wohl auch nicht geben. doch haben alle davon berichtet, mainstreamig, lemminghaft. die hälfte der beiträge, die ich gelesen habe, betraffen gar nicht die waldfrau, sondern den medienrummel, der rund um sie herum entstand, und wie sich der journalisten-gemeindepräsident, den bolligen seit drei wochen hat, darin profilieren suchte.

die stadtfrau aus zürich
genau deshalb frage ich nach: warum nur dies aufgemachte medienhype über ein randphönomen in bern. statt dem abnormal-exostischen würde mich das unerwartet-herausragende viel mehr interessieren.

zum beispiel ein ebenso breit aufgemachtes porträt über eine andere frau. genauso unerwartet, aber typisch, und herausragend. zum beispiel über die eine kandidatin für das zürcher stadtpräsidium, die in zürich keine arbeit fand, und bis zu ihrer allfälligen wahl an die spitze der grössten schweizer statt täglich nach bern pendelt, um hier zu arbeiten. wer hätte das gedacht? niemand, wenn man nur konsumiert, was der mainstream berichtet. und genau deshalb ist es von bedeutung. weil es helfen würde, unsere lieb gewonnenen gewohnheiten bei der medienlektüre zu hinterfragen.

eigentlich müsste das auch die zürcherisch-bernischen medien interessieren. allerdings nicht um belanglose geschichte über den wald, sondern über das reale leben in den schweizer städten zu schreiben.

stadtwanderer