“mama, wär’ ich doch nur auch ein touristenkind!” (brenner geschichten 5)

ein land ist entstanden, das sich erfolgreich inszeniert. das ist der satz aus dem meraner touriseum, der mir bis jetzt geblieben ist. mir gutem grund: denn das touristenmuseum zeigt beispielhaft, wie man tourismusgeschichte verständlich machen . für das eigene land werbung betreiben kann, und dennoch raum genug ist, um eine persönliche note entstehen zu lassen!

sehnsuchtin der ausstellung beginnt alles mit grössen der europäischen geistesgeschichte wie jean-jacques rousseau und albrecht von haller, welche im 18. jahrhhundert angesichts der veränderungen in wirtschaftszentren die unveränderten schönheiten der natur entdeckten und das leben in den alpen priesen. ihnen folgten englische und deutsche schriftsteller, die mit ihren beschreibungen der bergvölker romantischer sehnsüchte verläufern der reiseführer wurden.

hoehepunktrichtig in schwung kam der tourismus im tirol dank der eisenbahn in den 1860er jahren. die katholischen geistlichen sahen angesichts der fremden den untergang des landes voraus, doch ihre kirchgängerInnen faszinierte der dienst für eben diese fremden, die berge bestiegen oder dem luxus fröhnten, und die in der reichlich arbeit in die gegend brachten.

kriegder ausbruch des ersten weltkrieges beendete die belle epoque. am brenner wurde gekämpft, schliesslich kam der südliche teil des tirols nach der niederland von österreich-ungarn zu italien. visitate l’alto adige – besucht das südtirol tönte es jetzt bis ganz in den süden der halbinsel. bergesteigen à la deutschland und skifahren à la italienne werden nun kult.

freiheitder zweite weltkrieg unterbricht die tourismusentwicklung erneut, befördert aber mit seinem ende auch den freiheitsdrang. das wirtschaftswunder macht den tourismus in allen schichten populär. ein hauch des südens kann man jetzt in den dolomiten geniessen. der aufschwung erfasst nun auch die einheimische bevölkerung, die ihre heimat zu verkaufen beginnt. die automobile kommen von überall her, nach den anschlägen gegen italien aber zunehmend aus deutschland und der schweiz.

tourismusdie 70er und 80er jahre bringen eine art goldrausch ins südtirol. bauernhöfe werden zu bettenburgen, stille dörfer zu touristenzentren, und lauschige bergtäler, die rousseau und haller so fasziniert hatten werden mit autobahnen und zufahrtsstrassen zugestopft, sodass man sich im südtirol erneut an individuellen entdeckungen der verbliebenen natur zu freuen beginnt.

in 20 einfach und eindrücklich gestalteten räumen zeichnet das meraner touriseum diese entwicklung auf einzigartiger weise nach, sodass man sich in vielem wiederfindet. denn einiges ist eine allgemeine geschichte des tourismus alpengebiet, und anderes lässt erinnerungen an meine ersten ferien als bub in den dolomiten wieder wach werden. joseph rohner, chefhistoriker im museum, der meinen jahrgang hat, erinnert sich im gespräch an die gleiche zeit, wenn auch mit umgekehrten vorzeichen. seiner im sommer mit touristenkindern viel beschäftigten mutter soll er einmal gesagt haben: “mama, wär’ ich doch nur auch ein touristenkind!”

ich hoffe, ich war nur jetzt, nicht damals, in seinem hause gast …

stadtwanderer

entscheid über das herz einer stadt

bern entscheidet am 17. mai 2009 in einer komplizierten volksabstimmung über die zukunft des städtischen progr im herzen der stadt bern. gesunde herzen sind wichtig, sagt der stadtwanderer, damit sie den körper mit leben erfüllen können, fügt er bei.

dieser abstimmungskampf in der stadt bern hat seltenheitswert: zunächst kämpfen befürworter und gegner der künstlerischen resp. medizinischen nutzung des berner “progr” je für ein ja. das sind schon zwei vorlagen, die es in einer variantenabstimmung zu beantworten gilt, ergänzt durch eine stichfragefrage, die nur dann gilt, wenn beides angenommen werden sollte; denn dann müssen die berner und bernerin definitiv entscheiden, ob sie das früherer progymnasium wie bisher als kulturzentrum oder neu als gesundheitszentrum geführt haben möchten.

doch auch das ist erst der halbe abstimmungskampf. denn dem projekt, das im wettbewerb zur künftigen progr-nutzung mit dem vorschlag für ein gesundheitszentrum obsiegte, stellte das berner stadtparlament auf druck von der städtischen basis nachträglich die fortsetzung des kulturbetriebs gegenüber, sofern die kulturschaffenden das gebäude erwerben und unterhalten können. zur überraschung vieler gelang es der findigen truppe aus dem progr, eben dieses kleingeld zu beschaffen, womit auch über ihren vorschlag entschieden werden muss. und genau dagegen rekurriert nun die städtische svp, die für das gesundheits- und gegen das kulturzentrum ist, mit juristischen mitteln. erst letzte woche sind die einsprachen im regierungsstatthalteramt vom tisch gewischt worden; wenn auch mit einer weiteren rekursfrist, sodass immer noch nicht ganz sicher ist, ob die volksabstimmungen gültige ergebnisse produzieren werden.

dessen ungeachtet warben am samstag die progr-leute in der ganzen stadt für ihre sache. das war auch nötig, denn auf den plakatwänden sind sie hoffnungslos im hintertreffen. und auch die inserate im “bund” stammen alle von der konkurrenz. die redaktion schreibe entsprechend, agitiert ein aktivist aus dem progr mir gegenüber, dass ich relativieren muss: bei städtischen abstimmungen sei geld nicht ausschlaggebend. die meisten menschen wissen auch ohne werbung, worum es gehe, denn sie kennen den progr und den neuen betrieb. so dürften sie schon vor dem abstimmungskampf positive oder negative erfahrungen damit gesammelt haben.

umso kräftiger drückt mir mein engagierter gesprächspartner einen seine flyer in die hand. der haut ganz kräftig auf den putz. das berner künstlerprojekt progr sei einzigartig in der schweiz und ein vorbild für andere kulturprojekte im in- und ausland. entstand ist es, als 2004 das städtische progrymnasium geschlossen wurde, und das areal an bester lage im stadtzentrum für eine zwischennutzung freigegeben wurde. seither seien serienweise künstlicher ich-ags, die einer auswahl bestanden und eine betreuung durch einen kurator akzeptieren, im progr eingezogen, denn hier können sie zu günstigen konditionen räume mieten und nutzen. dabei treffen sie kulturellen start ups auf städtische kulturinstitutionen wie die camerata oder das kino kunstmuseum, die ebenfalls unterschlupf im progr gefunden haben. im in der turnhalle-bar oder im alten schulhof treffen künstlerInnen ungezwungen auf abendliche partygängerInnen und auch mittagspassantInnen, die hier eine stunde abschalten, leute treffen oder ein buch lesen wollen.

genau das ist es, was die stärke der progr-leute im gegenwärtigen abstimmungskampf ausmacht. die befürworter der investitionen in ein gesundheitszentrum bleiben letztlich medial-anonym. die progr-künstlerInnen dagegen sind wahrhaftig. ihre widersacher vertreten zürcher kapital, sie haben einen hiesigen mäzen, der im progr in die schule gegangen ist, auf ihre seite ziehen können. und gesundheitszentren sollen in den aussenquartieren entstehen, meinen die engagierten, während ihre sache eine des urbanen zentrums sei.

natürlich ist der stadtwanderer nicht ganz unbefangen, wenn es um den progr geht. denn schliesslich hat er beim lokalradioprojekt, das sein zentrum in den gebauden der altehrwürdigen stadtschule hatte, mitgewirkt. ein dutzend sendungen zur stadtgeschichte sind aus dem progr produziert. schade wäre es, wenn es solche gelegenheiten nur noch in der stellvertreterwelt des internets gäbe, und nicht mehr im herzen der stadt bern. denn gesunde herzen sind eminent wichtig für das leben. noch wichtiger ist aber, das gesunde herzen leben im stadtkörper entfachen, meint der

stadtwanderer