der duft der pfeife von jean-françois bergier

jedem wissenschafter geht ein ruf voraus. bei jean-francois bergier kommt der duft von pfeifenrauch dazu.

als ich im bündnerischen santa maria aus dem volg kam, war mir klar, dass pfeifenrauch in der luft des münstertales lag. den verbreitete kein geringer als jean-françois bergier, den meisten durch die arbeit “seiner” kommission bekannt, welche das verhalten der schweiz im zweiten weltkrieg gegenüber dem deutschen reich untersucht hatte, den fachleute eher als spezialist der alpengeschichte geläufig.

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jean-françois bergier, in santa maria im münstertal, während unserer begegnung (foto: stadtwanderer)

der 78jährige historiker erzählt unvermittelt von der vierpässefahrt, die ihn dank der fahrt seiner frau catherine von lausanne ins münstertal gebracht hatte. die alpen sind beschwerlich, fügt bergier bei, denn sein rücken schmerzt ihn heute. doch seien sie nicht unpassierbar. weder für ihn, noch für sonst jemanden, fügt er bei.

mit ihren verkehrsadern haben die alpen, trotz der hürde, die sie sind, viel zum kulturaustausch zwischen nord und süd und umgekehrt beigetragen. und sie haben vor allem das bild der schweiz bis in die gegenwart geprägt, ist der historiker überzeugt. sie seien eine realität, aber auch ort des mythos.

die bevölkerung stand im zweiten weltkrieg hinter dem konzept des réduit, das sicherheit vermittelte, gegen hitlerdeutschland bestehen zu können, versucht mich bergier ungefragt zu überzeugen. der mythos sei wichtig, weil er einem volk die kraft gäbe, sagt der gealterte mann. die wissenschafter hätten das unterschätzt, genauso wie die mythenbilder gerne die realitäten ausblendeten.

in bergiers blick funkelt es, als wir fast nahtlos auf wilhelm tell zu sprechen kommen, dem der weitgereiste historiker mit anerkennungen in paris, münchen und oxford eine dicke biografie gewidmet hat. es sei klar, dass der historische nachweis des lebens unsere nationalhelden nicht gelungen sei; doch das sei nicht die entscheidende frage. denn tell sei da, lebe unter uns, fügt der ehemalige geschichtsprofessor in genf und zürich nicht ohne schalk bei.

in die erzählung des lebens von guillaume tell, wie der welsche bergier sagt, hätten sich viele fremde elemente eingeschmuggelt, vor allem solche aus nordischen sagen. es fänden sich auch hoffnungen und wünsche der schweizer, die nichts mit geschichte zu hätten. lasse man die jedoch weg, bleibe ein wahrer kern, der die erinnerungsarbeit der laien und spezialisten bis heute inspiriere.

all diese ausführungen von jean-françois bergier wollen nicht so recht zum bild passen, dass man sich von ihm während und nach der kommissionsarbeit über das verhalten der schweiz im zweiten weltkrieg macht. seine wahl sei überraschend gewesen, blickt er zurück. er habe sich sehr schnell entscheiden müssen. die pflicht, verantwortungsvoll handeln zu müssen, habe den auschlag gegeben.

die reaktionen während und nach der arbeit überraschten den historiker; zwar habe es in fachkreisen auch andere einschätzung gegeben als die der unabhängigen expertenkommission; doch seien sie stets in freundschaft diskutiert worden. in der schweizerischen öffentlichkeit hätte dagegen ein emotionale kritik dominiert, deren ziel es nicht war, einen kritischen diskurs auszulösen, sondern die kommissionarbeit zu diffamieren.

feindbilder, die nichts mit ihm und seiner arbeit zu tun hätten, will bergier gar nicht kommentieren. sich selber versteht als konservativ geprägten patrioten, der die schweiz auch mit dem blick des auslandes zu sehen gelernt habe. er sei stets der wahrheit verpflichtet gewesen – und genau deshalb lernfähig geblieben.

dann blickt der weise alte mann wieder in die alpen, die ihn seit seiner jugend faszinierten. er zündet sich eine weitere pfeife an, um die würzige luft am fusse des umbrailpasses wieder mit dem süsslichen duft ihres rauches zu erfüllen.

stadtwanderer