bern vom gurten aus

hier meine rede, die ich heute morgen an der medienkonfernz des neuen vereins “bern neu gründen” gehalten habe.

meine sehr verehrten damen und herren mitglieder
sehr verehrte medienvertreterInnen

sie sind entweder zu gründungsversammlung des vereins “bern neu gründen” gekommen, oder sie nehmen an der ersten medienkonferenz des jüngsten vereins der region bern teil. ich beglückwünsche sie dazu.

zwangsläufig sind sie, als sie diesen raum im treffpunkt auf dem gurten betraten, am einen bild vorbeigelaufen, das auf die tradition des berner hausberges als skiort verweist. “vergänglich” steht ihn grossen, ehrwürdigen lettern darauf geschrieben. wenn sie umgekehrt den blick aus dem fenster wagen, sehen sie die sprungschanze auf dem gurten. sie könnte den titel tragen: das alles ist möglich. wer den mut hat(te), sie zu besteigen, hatte einen wunderbaren blick über die region bern, flog eine kurze weile in luftiger höhe und wusste nicht genau, wo er landen würde. das ist unser motto auch für heute.

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“ihr seid alle herzlich willkommen”, sagt gemeinderätin regula rytz während der gründungsversammlung

wir sind hier, um bern neu zu gründen. selbstverständlich hat uns der berner stadtpräsident alexander tschäppät wegen dem namen widersprechen müssen, in der sache geht er indessen mit uns einig. sein argument: bern ist schon gegründet. das vollbrachte herzog berchtold v. von zähringen 1191.

doch ist das alles nicht so sicher. lange glaubte man, bern sein 1156 von berchtolds vater gegründet worden. der zahlensalat entstand, weil es kein gründungsdokument gibt. städtegründungen im 12. jahrhundert waren ein pragmatischer akt, einfacher als vereinsgründungen heute! an einem strategisch wichtigen ort, an dem man die aare relativ sicher überqueren konnte, baute man eine kleine holzsiedlung, mit der man die fähre und den aarehandel sicherte, die das westliche hinterland erschliessen sollte.

bern ist mehrfach neu gegründet worden: von den zähringer herzögen, von den savoyer grafen und vom deutschen könig. dieser bestimmte, die stadt solle im mittelland zwischen ost und west vermitteln, – ein ausgesprochen weise vorschlag. die neugründung von 1293 durch adolph von nassau war denn auch die erfolgreichste. die stadt bern bekam aufgaben, die bisher adeligen vorbehalten waren. sie übernahm die verwaltung königlicher güter, kirchlicher einheitlichen und wuchs so ins weitere umland hinaus. 1798 reichte die erfolgreiche stadt bern bis nach brugg vor die tore zürichs und bis nach coppet vor die stadtmauer von genf.

machen wir uns nichts vor: dieses bern war zu gross, und es wurde undemokratisch regiert. das ist nicht das vorbild des vereins “bern neu gründen”, wie ich ihn in den vorbereitungssitzungen erlebt habe. denn der verein will einen demokratische denkprozess auslösen. damit unterscheidet er sich vom alten bern. und es gibt aber auch unterschiede zum neuen bern. denn dieses entstand in den 1830er jahren mit der definitiven trennung von stadt und kanton, wobei die stadt zur einer ganz normalen gemeinde des kantons reduziert wurde. daran hat sich seither nichts wesentliches geändert. deshalb ist es die überzeugung der vereinsmitglieder: bern soll inskünftig grösser und stärker werden, um sich noch besser im veränderten umfeld behaupten zu können.

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der gut durchmischte vorstand ist von einer vorbereitungsgruppe bestellt worden.

ein kerngruppe, welche die vereinsgründung vorbereit hat, formulierte ein vision: die zentrumsfunktionen der region bern müssen gestärkt werden, wie auch immer. das ist kein selbstzweck, sondern der versuch, die drohende leere im westlichen mittelland aktiv zu füllen.

aufgerüttelt wurde die kerngruppe durch das populäre bern-bashing. dabei hauen meist auswärtige politiker oder medien ziemlich wahllos auf bern ein. schmutzig sei die stadt. und in ihrer geschichtlichen grösse erstarrt, sei sie. das wird meist mit emotion vorgetragen. negative imagegestaltung sollte man das nennen. denn bern schneidet in internationalen ranking von städten meist top bei der lebensqualität ab, und auch wirtschaftlich lässt sich ihr leistungsausweis weltweit sehen.

in unserer region ist die diskussion relevante hierzu durch das bundesamt für raumplanung lanciert worden. dieses sprach vor zwei jahren der region bern den status eine metropolregion ab. da zürich, bern und basel die kriterien erfüllten, wurde bern in die zweite liga der stadtregionen delegiert. das schockte!

die stadt hat diesen frühling auf diese herausforderung bereits eine antwort gegeben. sie hat sich mit den schweizerischen metropolen rund herum verbündet, und sie will als ihr politischen dienstleistungszentrum fungieren. das ist als kurzfristige antwort richtig.

der verein “bern neu gründen” hat einen anderen zeithorizont. der verein denkt an die nächsten 10 jahre. er will in dieser zeitspanne die zusammenarbeit unter den gemeinden der region bern befördern. das ist ein komplementäres projekt zu metrobern.

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einstimmiger beschluss: “bern neu gründen”!

in vielen diskussionen in der vorbereitungsgruppen sind hierzu verschiedene modelle entwickelt worden: die verstärkte zusammenarbeit der gemeindeexekutiven, den anschluss der aussengemeinden an das zentrum, und der zusammeschluss aller gemeinden zu einem neuen gemeinsamen ganzen.

es gab bei allen modellen argumente dafür und dagegen. die regierungszusammenschlüsse wurden mit den regionalkonferenzen bereits eingeführt, sind aber demokratisch zu wenig legitimiert. anschlüsse einzelner aussengemeinde an die zentrumsgemeinde sind zwar effizient, zerstören aber die lokale identität, die dann künstlich gestützt werden muss. eine mittlerposition nehmen stadtneugründungen auf einem neuen niveau ein, doch fehlt ihnen im kanton bern das institutionelle gefüge.

es wurde diskutiert, sich für eines diese modelle zu entscheiden. die antwort lautete “nein”. deshalb wurde auch keine volksinitiative formuliert, die von sich behaupten würde, sie wisse um die richtige antwort, jetzt brauche es nur noch eine volksabstimmung, sodass man wisse woran man ist.

das wäre ein rein politische projekt gewesen. das erschien der vorbereitungsgruppe nicht für opportun. sie entscheid sich, auf der basis eines vereins einen think tank zu gründen: ein zusammenschluss von expertInnen und interessierten, der die diskussion lancieren soll, ohne rücksicht auf die position gewählter personen nehmen zu müssen.

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der frisch gegründete verein hält seine erste medienkonferenz ab (fotos: stadtwanderer)

diese denkfabrik für berns zukunft will den pioniergeist der verschiedenen stadtgründer in der vergangenheit aufnehmen. sie will die modelle konkretisieren, und sie will eine studie in auftrag geben, welche deren vor- und nachteile rational ausarbeiten soll. diese studie soll nächsten frühling vorliegen, und sie soll ein konkretes dialogangebot an alle gemeinde werden, die in diesen prozess involviert werden könnten.

ich lade sie ein, bis dann etwas geduld zu haben. vernichten sie den keim einer pflanze, der hier spriesst, nicht im voraus.

fusionen sind in bern ein reizwort, ich weiss. denn bümpliz, die einzige gemeindefusion im raum bern seit bestehen der stadt als selbständige und vom kanton getrennte gemeinde, wurde nach dem ersten weltkrieg aus sozialer und finanzieller not in die stadt integriert. das kann nicht das vorbild sein. berns aussengemeinden geht es an sich gut. es könnte der ganzen region aber besser gehen, wenn nicht jeder nur auf sich schauen würde.

ich bin überzeugt: alle mitglieder des neu gegründeten vereins wollen für die regionen einen mehrwert schaffen, der sich für alle vorteilhaft auswirkt. ich lade sie aber auch ein, mitzudenken bei der neugründung von bern, seien sie politikerin, unternehmer, wissenschafterin oder bürger.

heben sie auf der sprungschanze der gurtens mit uns ab, und seien sie besorgt, dass wir weit springen ohne auf die nase zu fallen.

und bedenken sie den titel des bildes von karin frank, das vor unserem gründungslokal hängt: ars longa, vita brevis. ich übersetze es etwas burschikos: lang lebe die kunst, bern immer wieder neu zu gründen. seien wir deshalb bestrebt, dass der neu gegründete verein keine eintagesfliege wird!

claude longchamp, stadtwanderer