“ein modernes land hat keine minarette.”

das sagt svp-nationalrat lukas reimann, mitinitiant der anti-minarett-initiative im blog von nzz-votum. ich gebe ihm drei verschiedene antworten.

225807-reimann
bei den minaretten ein vordenker der moderne schweiz? – traditionalist lukas reimann aus wil, wo die lokale islamische gemeinde ein minarett plant, die bewilligung einer kontroverse wegen aber aussteht.

jawohl.
die säkularisierung religiöser werte und normen in der modernen gesellschaft ist wohl eine der wichtigsten folgerungen auf der aufklärung. diese betrieb eine gründliche religionskritik und erfand die menschenrechte. die französische revolution trennte zudem den laizistischen vom kirchlich-feudalen staat. und die europäischen kirchen vollzogen nach dem zweiten weltkrieg die wende zur ökumene, um gemeinsam seelsorge und nicht gesellschaftspolitik zu betreiben. das alles sind fortschritte, die wir der philosophie, der wissenschaft und der politik fernab von konfessionen verdanken. kirchen sind damit nicht verschwunden, haben aber keine leitfunktionen mehr. sie sind noch sichtbar, aber nicht mehr aufdringlich. jawohl, man sollte eigentlich noch weiter gehen. die kirchen sollten sich auf den privaten bereich ihrer mitglieder beschränken. kirchtürme bräuchte es da nicht mehr, – vielleicht ausser als erinnerung an die tradition. und minarette haben in der schweiz nicht wirklich tradition. ergo braucht es keine minarette.

jein.
den sozialwissenschaften ist der religiös-kulturelle wandel der im letzten vierteljahrhundert nicht entgangen. durch migration weichen sich die räumlichen grenzen von religionsgemeinschaften auf. die individualisierung der religion führt dazu, dass man sich die präferiert aussucht und ausübt, wo auch immer man ist. wanderungen und wahlreligionen haben zur viel zitierten pluralisierung der religiösen landschaften geführt. renommierte sozialwissenschafter halten fest, dass das aber keine fortsetzung der säkularisierung ist. vielmehr sind wir in eine post-säkulare phase eingetreten. religionen werden zur gemeinschaftsbildung wieder wichtiger. religiöse selbstdefinitionen nehmen zu, je vielfältiger das zusammensein von konfessionellen bekenntnisse ist. minarette kann man als ausdruck der pluralisierung religiöser lebenswelten sehen, genauso wie türme zu kirchen, säulen zu tempeln. die analytiker der religiösen gegenwart halten fest: es gibt zwei perspektiven der postsäkularen welt: die des friedlichen nebeneinanders von religionen unter veränderten bedingungen, und die des konfliktreichen gegeneinanders. darüber muss man in aller toleranz und aller verantwortung, die uns eigent ist, entscheiden.

nein danke.
was lukas reimann in seinem kolumne betreibt, ist kein vorschlag, wie wir angesichts der säkularisierung unserer gesellschaft leben sollen. es ist auch kein abwägen, wie man sich angesichts post-säkularer trends entscheiden soll. es ist bloss ein guter titel. wer den blogbeitrag liess, merkt schnell heraus, dass es ihm um einen kulturkrieg geht. und da sage ich klar: jeder kulturkrieg ist schädlicher als die vier minarette und zwei baugesuche, die es in der schweiz gibt. denn den kulturkriegern geht es letztlich nicht um minarette. vielmehr geht es ihnen darum, angst zu schüren, politische ambitionen zu unterstellen, und – feindbilder zu pflegen. “Das Minarett ist das Symbol des politischgesellschaftlichen Machtanspruchs des Islam”, ist die kürzestfassung des bloginhalts. und da füge ich bei: wenn es eine “politische islamisierung” in der schweiz gibt, dann muss diese diskutiert werden. wenn teile ausserhalb des rechts stehen, können diese mit dem bestehenden recht bekämpft werden. das ist die antwort der aufgeklärt-modernen schweiz. nicht das bauverbot von minaretten der kulturkrieger.

stadtwanderer