stadterweiterungen – dorferweiterungen: andermatts neubau im spiegel desjenigen von bern

1255 erweiterte man die stadt bern ein erstes mal gründlich. gleiches geschieht seit heute in andermatt. mit welchen risiken, und mit welchen chancen? ein kleiner vergleich.

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alt-andermatt rechts – neu-andermatt links: das dorferweiterungsprojekt samih sawiris im urserntal

gestern noch fuhr ich durch andermatt. alles schien ruhig. doch heute ist alles anders. denn es wird mit dem grossbauprojekt des ägyptischen investors samih sawiris begonnen. neben alt-andermatt mit 1300 einwohnerInnen soll ein alpen-ressort als neu-andermatt entstehen – mit doppelt so vielen bewohnerInnen.

die enorme dorferweiterung im urserntal tönt ein wenig wie die stadterweiterung in bern, als aus der zähringischen gründungsstadt von 1191 zwischen aare und zytgloggen um 1255 ein savoyisches herrschaftszentrum wurde – mit doppelt soviel einwohnerInnen und einem stadtbann, das jetzt bis zum käfigturm reichte.

in andermatt treiben die bisherigen wirtschaftskräfte die dorfentwicklung nicht mehr an. die schweizer armee hat den ort nach 130 jahren verlassen. und dieses gibt es erstmals keine viehschau mehr. das sind untrügerische zeichen, dass die bauern&soldaten-schweiz selbst an ihren ursprünglichen orten zu absterbenden mythos wird.

die anstehenden veränderungen werden gegensätze zwischen den generationen mit sich bringen: namentlich die alteingesessenen fürchten um andermatts identität, könnte der ort doch zur mittelstation des glacier expresses verkommen, wenn die reichen zwischen st. moritz und zermatt pendeln. und auch bei den natürschützern mehren sich die bedenken, dass die wichtigste ressource der gegend, die naturm einen kahlschlag erleben könnte.

die jüngeren menschen haben sich schon länger aus der reduit-schweiz verabschiedet. gemeinsam mit sportlegende bernhard russi sehen sie in der dorferweiterung mehr chancen als risiken. sie hoffen auf eine zukunft vor ort, nicht nur im altersheim, sondern in unternehmen, in denen man in den jahren vor der pensionierung aktiv sein kann. die stimmung unter ihnen ist gut, ja, ein wenig goldgräber-mentalität entwickelt sich im urnerland.

der rückblick auf bern lässt erkennen, dass stadterweiterungen viel liebgewordenes verändern. nebst der leutkirche des deutschordens traten klöster mit südlichen regeln. und anstelle der informellen politischen entscheidungen braucht es nun eine stadtregierung und einer stadtparlament. doch erst alle dies liess aus dem dörflichen bern ein städtisches gemeinwesen entstehen, dem der deutsche könig seinen jahrhunderte lange gültigen schliff verlieh: denn nur ein prosperierenden urbanes zentrum kann im ruralen umland aufgaben der verwaltung übernehmen.

was aus andermatt wird, weiss wohl niemand so genau. sicher ist aber, dass die veränderungen rascher gehen werden als seinerzeit in bern. und dennoch kann man die dorferweiterung im obesten teil des kantons uri als biotop verstehen, das züge zeigen wird, wie sie sich an vielen andern orten auch ergeben, wo man wirtschaftlichen und gesellschaftlichen grossbauten realisiert(e).

eines hat man in vielen dieser projekte nicht gemacht, das jetzt in andermatt initiiert wird: ein monitoring der bevölkerungsmeinungen zum ganzen geschehen, das als frühwarnsystem dienen soll, um tiefgreifende konflikte rechtzeitig zu ersehen und ihnen damit auch bald möglichst begegnen zu können.

ich bin gespannt, wie sich die dorferweiterung in andermatt anlässt und entwickeln wird – und was wir aus dem innenleben alles erfahren werden.

stadtwanderer