in 84 kapiteln längs und quer durch europa

er wurde am 1. januar 1924 geboren, stieg zum führenden historiker frankreichs auf, und verfasste kurz vor der jahrhundertwende vom 20. zum 21. ein bemerkenswertes bändchen über die geschichte europas. bei einigen regenwolken über dem schwedischen sommer ist die formidable übersicht, die jacques le goff über den stoff bietet, eine ideale lektüre für einen neugierigen.

22807185njacques le goff, einer der wohl renommiertesten, lebenden historiker frankreichs, schrieb 1997 seine „geschichte europas“. gerade mal 110 seiten brauchte er für den wurf, der sich an unerfahrene jugendliche wendet, letztlich aber auch von erwachsenen mit vorteil gelesen werden kann.
geografie und geschichte, mentalitäten und verhältnisse, vergangenheit und gegenwart, das sind die grossen interessen des paris mediävisten. mit 75 verfasste er die kürzeste komplette geschichte europas, die ich kenne.

am liebsten reist er, und erzählt, wie wenn es um ein umfassendes kaleidoskop ginge, was europa ist: wie es, von den griechen zur abgrenzung erfunden wurde, unter der führungen der franken entsteht, zum kaiserreich der christlichen völker wird, wie die renaissance den geist aus den antiken quellen speist, wie sich das weltbild durch die reisen nach amerika verändert, die die konfessionen den kontinent spalten, wie sich die barocke lebens- und bauweise über den ganzen kontinent ausweitet, wie die wissenschaft weltweit einmalige enteckungen ermöglicht, wie napoleons versucht einer einigung europas scheitert, wie die industrialisierung und elektrifizierung den alltag verändern, und wie die so vorteilhaften nationalstaaten internationale ordnungen brauchen, damit sich die katastrophen der weltkriege nicht wiederholen.

bildhaft ist der gereifte gelehrte, der mit leichter und dennoch präziser feder schreibt, wenn er es um kulturen geht. so treffen im mittelalter nicht nur die niedergehende römische und die aufkommend germanische kultur aufeinander. nein, es begegnen sich auch menschen, die wein und brot resp. bier und fleisch bevorzugen. Während durch die verbreitung des getreideanbaus heute fast alle europäerInnen brot essen (und nicht reis wie die asiatInnen, mais wie die uramerikanerInnen oder maniok wie die afrikanerInnen) und die meisten von ihnen fleisch konsumieren, sind die grenzen mit vorherrschenden wein- und biergebrauch weitgehend geblieben. Treffend wirken seine klaren und dennoch nicht simplen sätze, wenn le goff die konfessionen nach der reformation charakterisiert: den protestantismus aus sittenstrenger im alltag, jedoch liberaler im geist, und der katholizismus als larger im tägtäglichen umgang, jedoch konservativer in seinen weltbild.

wer wenig weiss über die entwicklung des kontinents, wird mit diesem buch gut bedient. stets klar angekündigte, thematische kapitel hat das bändchen, die in chronologischer reihenfolge europas geschichte erzählen. das kürzste ist 6 zeilen lang und handelt von der verschiedenheit der europäer, was le goff mit den persönlichkeiten der angehörigen einer familie vergleicht, die darüber hinaus aber eine gemeinsame abstammung haben. das längste ist wohl der schluss, wo der historiker auf drei seiten der frge nachgeht, „welches europa?“ wir europäerInnen brauchen. Ein gegengewicht zur den usa, zu china soll es sein, eine wirtschaftsmacht mit einer gemeinsamer währung, eine zivilisation, die menschenrechte, freiheit, gerechtigkeit und ökologie hochhält.

eindringlich wendet sich der französische europäer an die nächsten generationen. deshalb hat er das buch auch vorsichtig, aber anschaulich illustrieren lassen – genau so, wie man es sich wünscht, um kein gelehrtes gelaber vor sich zu haben, sondern ein handfestes kursbuch zur europäischen kultur, das ausflüge in und aus der geschichte bis in die gegenwart ermöglicht.

sogar über schweden habe ich darin etwas gelernt: vorgestellt wird pehr henriki ling, der anfangs des 19. jahrhunderts die körperliche ertüchtigung der jugend einführte, dafür die (schwedische) gymnastik und (klassische) massage erfand, die es heute noch in schulen, militär und sport gibt.

80 tage brauchte jules verne, um einmal um die welt zu reisen. 84 kapitel benötigte der meister der geschichte, um europa in raum und zeit zu durchqueren.

stadtwanderer

alles nur wegen telia!

ohne die schwedische kommunikationsgesellschaft namens “telia” könnte ich während den sommerferien nicht auf dem stadtwanderer bloggen. wegen telia mache ich gegenwärtig aber auch einen unwiderruflichen identitätswandel durch.

teliain schweden duzen sich alle. das schafft gemeinschaft und nähe, die in einer gesellschaft mit dem gleichzeitigen hang zum eigenbrötlertum und distanz nicht unwichtig sind. wahrscheinlich hat beides etwas mit der eigentümlichen mischung aus bäuerlichem individualismus und sozialdemokratischem kollektivismus in schweden zu tun.

so kennt man von die menschen in schweden mit den vornamen. brigitta, bengt, eric und barbro heissen sie. geschlechtsnamen hat man zwar auf dem pass; im alltag nutzt man sie nicht. die meisten lauten sowieso aus -son und sind ableitungen aus dem vornamen der vorfahren. untereinander weiss man das einfach, man braucht es gar nicht lange zu erwähnen.

bei der schwedischen kommunikationsgesellschaft telia bin ich so unvermittelt zu einem neuen namen gekommen: “claud neversil”.

daran sind zwei sachen bemerkenswert: erstens, dass man meinen lateinisch-französisch anmutendenden namen in der skandinavischen sprachkultur kaum kennt und deshalb auch nicht richtig schreibt. zweitens, dass ich einen neuen nachnamen bekommen habe.

und das ging so: vor einem jahr meldete ich mich in einem euronics laden in der schwedischen provinz, zu der auch holzhausen gehört, an, um ein modem für meinen computer zu erwerben. die gute dame – eine sehr freundlich übrigens, die in ihrem bruchstückhaften englisch mit mir sprach – notierte dafür meinen vornamen. auf ihre art eben. den geschlechtsnamen fügte sie ohne nachzufragen bei. eben auch auf ihre art. denn sie wusste aus dem mit mir gespräch, dass ich mit bärbi in holzhausen ferien mache. bekannt war ich auch, dass bärbis vater, eigentlich ein emigrierter tscheche, der vor 40 jahren in die schweiz kam, sich bisweilen auch in schweden aufhält, “neversil” heisst. und da ich bei der eintragung keinen pass bei mir hatte, aber sagte, ihn beim “schweizer” nebenan deponiert zu haben, wurde aus mir ungefragt “claud neversil”.

einmal in einem computer der führenden kommunikationsfirma eingegeben, hat man, auch in schweden, kaum mehr die möglichkeit, die eintragung zu berichtigen. denn wenn ich meine sim-kartennummer angeben, bin ich unweigerlich “claud neversil”. und wenn ich der netten verkäuferin von euronics begegne, muss ich nur sagen, claud neversil zu sein, sodass sie sofort meine ganzen kundengeschichte erinnert, was bisweilen ganz nützlich ist.

identität ist, sagen die sozialpsychologen, die übereinstimmung von fremd- und selbstbild. vereinfacht die gleichheit von fremd- und eigennamen. doch die ist nicht einfach, vielmehr entsteht sie aus der geschichte der individuen, die miteinander kommunizieren.

auf dem blog, bin ich so erfolgreich zum stadtwanderer geworden. in schweden bin auf die gleiche art schon mal zum claude neversil mutiert. alles nur wegen telia!

stadtwanderer
alias claud(e) neversil (longchamp)