kultur i tiomilaskogen (kultur im 100-meilen-wald)

„kultur i tiomilaskogen“ ist der höhepunkt des festjahres, der die menschen im grenzgebiet von värmland und dalarna verbindet. ein stimmungsbericht von der 10. auflage aus dem 100-meilen-wald zwischen hagfors, vansbro und malung.

P7300161meist wirkt die kirche von tyngsjö etwas verlassen. selbst an sonntagen ist die gemeinde im christlichen langhaus am see bisweilen klein geworden. jedenfalls kann man sich dieses eindrucks nicht erwehren, wenn man den grossen friedhof rundherum sieht, der von den zeiten berichtet, als hier die nilssons, olssons, perssons und larssons am alten platz der traditionellen bauernversammlungen noch zahlreich waren.

doch wenn „kultur i tiomilaskogen“ angesagt ist, stehen so viele autos auf dem parkplatz vor der kirche wie sonst nie während des jahres. der frisch renovierte prästgard, das pfarrhaus aus dem jahren 1858, ist unser beliebtester beliebter treffpunkt. waffeln werden draussen gebacken, kaffee und bröd drinnen gereicht. da trifft man schon mal auf einheimische, die, sonst meist verschlossen, an diesem langen wochenende viel zu erzählen haben. Oder man begegnet zugewanderten, die hier in der wildnis ihr glück versuchen, wie meine holländischen nachbarn am tisch in der pfarrstube, die, als sie meine herkunft erfahren, umgehend von der euro ‚08 und der belagerung berns durch die niederländischen fans zu schwärmen beginnen.

im geräteschuppen vis-à-vis ist einer der zahlreichen trödlermärkte, hier loppis genannt. davon gibt es in värmland fast so viele wie seen. doch der in tyngsjö am festival ist einer der erlesensten. die alte kakaobüchse kostet 20, die elegante cola-flasche dreissig und das wiskey-glas glatte 50 kronen. wer es kauft, macht es jedoch kaum des preises wegen, mehr, weil es ihn oder sie an das warme getränk der mutter am morgen, den ersten konsumtripp in die nahe gelegene stadt oder den schlimmen vollrausch mit 18 erinnert.

das kleine haus daneben gehört voll und ganzden künstlerinnen. die jüngere generation, meistens auswandererinnen aus deutschland, präsentieren hier ihre töpferwaren, die sie wärhend der auszeit aus der alltag prdouzieren, um sich selber zu verwirklichen. die preise sind entsprechend urban. Im raum nebenan spricht man indes nur schwedisch, denn da ist die alte generation, die noch mitten im leben steht. nützlich-schön ist ihr handwerk aus wollwaren. hoch im kurs der kinder sind ihre sachen aus schaffällen, in die man sich kuschlig einschmiegen kann.

für uns ist es zeit, sich zu stärken. der zentrale hamburgerstand ist ein eigentlicher familienbetrieb. erhältlich sind skogstofflan och het sulan, heisse teigtaschen mit fleisch oder käsefüllungen, die der junge in seinem schulenglisch anpreist, die mutter liebevoll zu bereitet, nachdem der vater beim schwatz mit besucherInnen alles vorgewärmt hat.

einige strassenzüge weiter ist ein altes, ehrwürdiges ökonomiegebäude um vorübergehenden kulturpalais umgebaut worden. die vielen besucherInnen finden hier kaum platz zum parkieren, denn die wiese ist vom regen der woche immer noch aufgeweicht. der schober selber ist dreigeteilt: in der mitte befindet sich eine fotoausstellung mit schwarz-weiss-bildern aus schweden und der ganzen welt von einer einheimischen fotografin; links davon, im alten geräteteile, gastieren fünf frauen mit ihrem haushaltskram, und am rechten ende ist eine ausstellung mit frischem garn, farbigen seifen und und duftenden ölen. davor trauert ein alter mann ein wenig dem leben nach. er verkauft wassermelonen und summt zu eigenen guitarreklängen ein paar nordische lieder. im wind hängt ein mobile mit trollen, seinen einzigen zuhörern.

am schluss des ausflugs ist der hintersitz unseres autos randvoll. keine gedanken haben wir uns gemacht, wo wir das alles verstauen werden. doch das ist so, wenn man ans kulturfestival geht, denn es ist die seele, die das handeln treibt.

und so freuen wir uns zuhause über unsere grosseinkauf im tjomilaskogen: er bereichert uns um eine schale aus norwegischem zinn zum schenken, vier kaffeetassen mit blumenverziertem untersatz, elf löffeln, einer sauciere, zwei töpfen honig aus värmland, einem frischen quarkkuchen, einem pack tunbröd, einem alten kochbuch mit ebenso alten rezepten, einer kartoffelstampfe, einer schafschere, einem hammer für die sense, vier klungen wolle, einem paar fingerlangen pulswärmerm, einem bund tom & jerry-hefte für die toillete, einem krimi von einem mir nicht weiter bekannten einheimischen autor, 2 t-shirts mit aufgedruckten winterbildern und 5 nistkästen für die vögel, die sich hoffentlich nächsten frühling hier paaren. wenn wir von allem dem etwas nicht gebrauchen können, bringen wir es einfach auf einen loppis und tauschen es an neue liebhabern weiter.

der lutheranische pastor in tyngsjö hätte seine helle freude, würden seine schafe so einfach glücklich!

stadtwanderer

saurer regen über uns

die unendliche ruhe im schwedischen wald fand heute morgen ihr jähes ende. seekalken gegen den saueren regen war angesagt.

P7300048punkt sieben uhr gingen ein paar autotüren. durch das offene schlaf- zimmerfenster waren kurz ein paar männerstimmen zu hören. dann zischte eine maschinenzündung. ein greller ton zerschnitt die morgendliche ruhe. es setzte das tiefe brummen eines motors ein. hörbar wurde, wie erste wellen gegen ein schiff schlugen.

heute ist in unserer gegend sjökalkning, seekalken, angesagt. drei männer aus der gegend kamen gestern abend schon mit einem grossen laster und anhänger hierher. darauf waren zwei schiffe, kleinen u-booten gleich, geladen. länglich, gedrungen, mit einem grossen bauch und einem kleinen aufsatz als führerkabine. platziert wurden sie in den regnerischen abendstunden links und rechts des dammes, die nacht hindurch warteten sie auf das signal zum angriff.

heute morgen wurde die aktion gestartet. gerichtet ist sie gegen das seesterben durch algen und schlamm. schuld an allem ist der saure regen, der die vegetation im wasser überschnell wachsen lässt. gemunkelt wird, das alles seien nachwirkungen des reaktorumfalls in tschernobyl. damals kippten die schwedischen seen serienweise hinüber.

unter lautem stöhnen stösst ein lastwagen mit grossen zisternen den geladenen kalk übe r ein langes rohr aus. fixiert ist dieses an den booten, deren grosser bauch abwechslungsweise gefüllt wird, bis sie fast ganz im wasser versinken. dann tuckern sie kampfeslustig auf den see hinaus und sprühen den kalk kanonenartig über das wasser. nach einer knappen halben stunde kommen sie wieder zum damm, um geladen zu werden. einmal ist man links davon aktiv, dann wieder rechts, sodass keine zeit ungenutzt vergeht. schliesslich hat schweden 90000 seen.

jedes zweite oder dritte jahr werden die stillstehenden und damit gefährdeten gewässer so behandelt. die effekte bemerkt man gern; wir beispielsweise haben wieder seerosen in sichtweite des ufers.

das vorspiel dazu ist indessen schrecklich. die ersten vorboten sind zu sehen, wenn sich an ausweichstellen plötzlich kalkberge zu türmen beginnen. dann nimmt der lastwagenverkehr den tag hindurch hörbar zu – und plötzlich ist auch dein see an der reihe. einen tag dauert die übung, während der es faucht und spukt, dampft und nebelt, lärmt und kracht.

der mann auf dem damm nimmt seinen ohrenschutz ab, und tritt zum verwunderten frühaufsteher, der ich soeben geworden bin. er ist stolz darauf, was da unter seiner leitung abgeht. ich bin vor allem erstaunt, wie jäh die ruhe hier gebrochen wurde.

die kreuzung am ende des damms heisst im volksmund „lebensgefährlich“. Erzählt wird, zwei waldfinnen aus der gegend, die in früheren zeiten je ein stück wald bewirtschafteten, seien hier unfreundlich aufeinandern gestossen. dann habe hat es wohl auch gekracht.

mein seekalker meint zu mir: jetzt wisse ich, warum die stelle „lebensgefährlich“ heisse. weil maschinen die naturidylle zerstören, oder sonst der sauere regen das tut, denke ich mir. Als ich auf der veranda stehe, dem treiben aus der ferne zusehe und an meinem kaffee schlürfe, sage ich mir: jetzt weißt du, wie moderne legenden entstehen.

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