eigentlich wollte ich nach einer strenge woche nur noch nach hause. doch begegnete ich auf dem perron des zürcher bahnhofs georg kohler, und ich kam mit dem philosophen schnell ins gespräch. ein kleiner reisebericht.
georg kohler, emeritierter professor für politische philosophie an der universität zürich
er war unterwegs ins hotel bern. dort tage die neue helvetische gesellschaft, sagte er. die hätten ihn angefragt, über die zukunft der direkten demokratie zu reden – was er gerne mache.
seit einem jahr ist der philosoph pensioniert, nicht aber arbeitslos, denn unverändert interventiert er in der öffentlichkeit.
ob es wahr sei, dass roger köppel, der chefredaktor der weltwoche, bei ihm studiert habe, will ich wissen.
“jawohl”, bekomme ich zur antwort. doch sei er beileibe nicht der einzige, der sich regelmässige in die politik der schweiz einmische und in seinen seminaren positiv aufgefallen sei, erwidert der professor mit stolz. das gelte auch für katja gentinetta, der stellvertretenden direktorin von avenir suisse, für pascale bruderer, die nationalratspräsidentin, und cédric wermuth, den juso-chef. sie alle seien schülerInnen von ihm.
“was hält die schweiz zusammenhalten?”, nimmt michnun wunder, denn die vier namen stehen bei mir für nationalkonservatismus, wirtschftsliberalismus, linksliberalismus und neosozialismus – und damit für weltanschaulich viel trennendes.
die antwort kommt rasch: die mythen würden die leute heute eher trennen als vereinen, die institutionen des staates seien für die einen sehr wichtig, während sich andere ihnen gegenüber ganz gleichgültig verhielten. “der diskurs”, kommt der philosoph in fahrt, “hält die schweiz zusammen!”. wir würden uns permanent vergewissern, wo wir stehen – und genau das verbinde.
weder sind wir ein parlamentarischen system wie grossbritannien, noch eine präsidialsystem wie die usa. wir haben zwar eine starke exekutive, doch wird die macht von bundesrat und bundesverwaltung durch den föderalismus gebrochen. das gegenstück hierzu ist weniger das parlament, mehr die direkte demokratie, denn das volk gibt mit initiativen gas und bremst mit referenden.
so sind wir ständig am erwägen: nach dem zweiten weltkrieg traten wir der uno nicht bei; in den 80er jahren änderten regierung und parlament ihre diesbezüglich haltung, und die bevölkerung votierte 2002 nach einem früheren nein mehrheitlich für den beitritt. den eu-beitritt wiederum lehnen die meisten ab, der bilaterale weg dagegen gestützt, genauso wie die personenfreizügigkeit, auch wenn die gesellschaftlichen folgen immer umstrittener werden. anders als man es im ausland sieht, belassen wir es nicht bei wenigen grundsatzentscheidungen, sondern vergewissern wir uns wiederkehrend, ob der eingeschlagene weg zum ziel führt.
“das”, so kohler, “machen wir aber zunehmend nur mit uns selber”. so halten wir selber zusammen, ohne zu fragen, ob auch andere zu uns halten. dann braucht der philosoph ein starkes bild: “wir haben mit dem bilateralismus ein schmale gasse nach brüssel gebaut, die unseren vorstellungen von autonomie und verbundenheit entspricht. doch kann der druchgang rasch gesperrt werden, wenn der elefant sich in diese gasse setzt.”
zwischenzeitlich ist es rund um uns herum mäuschenstil geworden. der eine und die andere hört wohl zwischenzeitlich zu, als wir in bern einfahren. keine fondue hält die schweiz zusammen, vielleicht auch kein geld, und fast sicher keine bundespräsidentin, habe ich erfahren. vielmehr ist es der diskurs.
wenn er nur immer wieder stattfindet, denke ich mir. denn im moment reden köppel und wermuth gar nicht miteinander, pascale bruderer und katja gentinetta vielleicht ansatzweise etwas.
wenn die these des philosophen stimmt, muss sich da einiges bessern, schon nur unter den politikerinnen, wirtschaftsfunktionären, journalistInnen und intellektuellen – geschweige denn zwischen ihnen, den sprachregionen, dem volk und dem ausland.
irgendwie will mir scheinen, dass wir da am auseinanderdriften sind, weil wir nebeneinander leben, und von einander hören und übereinander lesen. so haben die diskurse der direkte demokratie keine zukunft, würde ich vortragen, hätte die nhg mich eingeladen.
was georg kohler genau sagen wird, weiss ich nicht so genau, als wir uns auf dem berner perron in bern freundlich verabschieden.
stadtwanderer