die stadt neu denken

es war eine gediegene atmosphäre. im hotel bellevue tafelten, wie jeden dienstag, die berner rotarier. dazu erhalten sie einen vortrag. gestern nun war ich an der reihe. um über die stadt in geschichte, gegenwart und zukunft nachzudenken.

tschaeppaet_berngelingt bern der sprung aus der tiefe nach ganz oben, wie es die hauptstadtregion beabsichtigt?

peter ziegler, präsident der vereinigung, selber politikwissenschafter und ex-chefredaktor des “bund”, hatte mich als stadtwanderer eingeladen, beflügelt von den sensibilitäten für das urbane, etwas über die lage in bern zu berichten. die jüngste entscheidung, die haupstadtregion schweiz zu gründen, bildete einen unerhofft eindrücklichen rahmen.

meine these zum gestrigen vortrag lautete: in der schweiz dominiert das selbstverständnis als ländliche kultur. die gemeinde ist die kleinste zelle der politischen gemeinschaft. letztlich würde sie sich gerne autonom verwalten. doch sie hört zum ämtern, kantonen, zum bund, und sie teilt sich ihre aufgaben mit den verschiedenen staatlichen ebenen. ihre überragende bedeutung erhielt die gemeinde in den 1830er jahren. die herrschaftlichen verhältnisse des ancien régimes wurden durch das aufbegehrende volk gründlich zerschlagen. das zentralistische modell, das die franzosen während der helvetischen republik einführen wollten, wurde abgelehnt, denn das dezentrale galt sichere bremse gegen die ansprüche der partrizier, zünfte und städtbürger, die sich immer als etwas besseres sahen.

damit geriet auch die schweizer stadt, politik-, verwaltungs- und wirtschaftszentrum in einem gewesen war, in die krise. ihre zukunft lag nicht mehr in der politisch abgesicherten sozialen herrschaft, denn mit der trennung von stadt und kanton und der gleichsetzung von stadt und gemeinde verlor sie ihre herausragende stellung. für die wirtschaftliche entwicklung in die breite, auch für die demokratisierung der politik war das unerlässlich – und anfänglich auch verkraftbar, lebten doch in der agrargesellschaft nur 10 prozent der menschen in der schweiz in einer stadt.

doch heute ist das alles ganz anders. mehr als vier fünftel der ökonomischen wertschöpfung werden in den urbanen gebieten erbracht. mehr als zwei drittel der einwohnerInnen leben in einer stadt oder in einer agglomerationsgemeinde rund herum. die industrialisierung hat die städte vergrössert, verstärkt, aber auch verändert. um den mittelalterlichen kern vieler städte sind neue quartiere entstanden, bisweilen sozial gehoben, bisweilen sozial bescheiden. die verlagerung der ökonomischen aktivitäten vom zweiten in den dritten sektor hat die gerade in den städte die neuen dienstleistungen im gesundheitswesen, in bildungsstätten, im handel, in banken, in versicherungen rasch anschwellen lassen. das leben auf dem grünen wurde lebensinhalt der städterInnen und hat das urbane von den zentren hinaus in die peripherien getragen. aktuelle schlägt das pendel wiederum. nicht zuletzt mit der neuen migration ist die kernstadt wieder attraktiver, wirtschaftlich, sozial und kulturell, und sie boomt, mit allen vor- und nachteilen.

mit dieser rasanten entwicklung von der stadt des 18. zu jener des 21. jahrhunderts hat die politische entwicklung nicht mitgehalten. sie ist im wesentlichen im volksdenken des 19. jahrhunderts stehen geblieben, verbunden mit einigen, eher technokratisch ausgerichteten neuerungen, die in der nachkriegszeit schrittweise eingeführt worden sind. die probleme hat das nicht wirklich behoben: so fallen die steuern dort an, wo man wohnt, nicht aber wo man arbeitet oder die freizeit verbringt. mit querfinanzierungen versucht man das gröbste zu vermeinden. doch kann das nicht darüber hinweg täuschen, dass wir in vielem über quartierfragen entscheiden, nicht über kernfragen.

den versuch, das alles wieder ins lot zu bringen, erleben wir gegenwärtig, insbesondere in bern. der kanton hat sich dezentralisiert, aber auf mittlerer stufe, denn er will mit regionalkonferenzen übergeordente fragen wie verkehr, soziales und kultur besser koordinieren. idealistInnen halten das für ein viel zu schwerfällige staatsreform, fordern, bern neu zu gründen, das heisst durch fusionen starke kernstädte in den wichtigen agglomerationen entstehen zu lassen. noch findigere zeitgenossen haben ermittelt, dass es dem kanton bern besser gehen würde, wenn er sich nach basler vorbild in bernstadt und bernland teilen um noch mehr subventionen zu erhalten. das alles zeugt davon, dass man nach neuen politischen strukturen sucht, die der gewandelten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen realitäten rechnung tragen. weil die jetzigen nicht mehr greifen.

eines wurde mir bei den vorbereitungen zum gestrigen vortrag klar: die urbanität der schweiz hat sich in den letzten 15 jahren stark entwickelt. die ruralität ist in die defensive geraten. gerade deshalb erhebt sie sich in den hergebrachten strukturen so kraftvoll – vor allem aber als abwehr alle dessen, was man mit stadt und abstieg auf dem land in verbindung bringt, dem der abstieg effektiv droht. das blockiert uns gegenwärtig, was der bewältigung von stadt/land-konflikten wenig dienlich ist. es blockiert aber auch die perspektivische betrachtungsweise. man denkt nicht mehr an das, wass die städte in zukunft für den staat bedeuten werden, was sie brauchen, um international zu bestehen, und innerhalb der schweiz ihrer effektiven rolle gerecht zu werden.

man denke, hörte ich nach meinem vortrag einen kommentar, stadtführungen seien fürs gemüt, dabei seien sie eine herausforderung für den intellekt.

stadtwanderer

übrigens: die informativsten politische städteporträts der schweiz findet man auf dem web unter badac.