stephan von bergen, historiker und journalist, bringt historische erkenntnisse immer wieder unters volk – mit unkonventionellen artikeln und positionen. seit heute figuriert er als autor einer mehrteiligen kantonsgeschichte, in der er sich mit vergangenheit und gegenwart, mit glanz und gloria, aber auch mit destastern und defiziten des berner standes auseinander setzt.
das berner kornhaus aus dem 18. jahrhundert: der inbegriff des autarkiedenken in der alten republik, dessen grundlage mit der industrialisierung und dem eisenbahnbau so heftig unterminiert wurde.
“Das heute noch wirksame Erbe aus dem Alten Bern ist schillernd”, schreibt autor stephan von bergen. “Dazu gehören eine Staatsgläubigkeit und ein boderständiger, bäuerlicher Geist. Das immer noch virulente gegenseitige Ressentiment zwischen dem Land und der einst dominierenden Stadt Bern. Die Brückenfunktion zwischen der Deutschschweiz und der Romandie, die Bern erobert hatte. Und eine Berner Mentalität, die Vorsicht mit Unbeweglichkeit, ein Gefühl von Grösse mit privinzieller Selbstgerechtigkeit und Nüchternheit mit Gemütlichkeit paart.”
mit seiner neu erzählten berner geschichte nimmt er den faden aus der bemerkenswerten dissertation von stefan altorfer-ong, die bern im 18. jahrhundert einen überflussstaat nannte. dank abwesenheit von kriegen und aufständen etablierte sich die berner republik zum vorbild für erfolg. allerdings, so der neue star unter den berner historikern, gelang das nur als trittbrettfahrerin. bern finanzierte kriege, lieferte söldner, und die heerführer wie auch die rückkehrer verdienten damit ihr geld.
kaufleute, unternehmer und beamte gab es in der heimat kaum. obwohl die stadt von brugg bis nyon reichte, lebten nur mitte des 18. jahrhunderts nur 336’000 menschen in der republik, davon drei prozent in der mittelalterlichen stadt. viel der heute noch stehenden häuser in der altstadt stammen aus dieser zeit, der den kollektivgeist der städtischen oberschicht zum ausdruck brachte. über allem wachten das münster und die reformierte kirche, unter sich waren die oligarchen gleich, gegenüber anderen erhaben, während das land politisch ausgeschlossen blieb, wirtschaftlich aber geförderte wurde, solange man für die landwirtschaft produzierte.
1747 traf der grosse rat eine wichtige entscheidung. die führenden patrizier im zentrum sollten gesamthaft die tätigkeiten als kaufleute und industrielle unter- resp. sie ganz den minderwertigen untertanen in deer peripherie überlassen. “Staatswirtschaftlich und agrarisch, nicht privatwirtschaftlich und unternehmerisch”, fasst der berner geschichtsprofessor andré holenstein die tragende bernische mentalität zusammen. die begründung war einfach: vom getreidebau profitierte man doppelt – als einnahmequelle der republik und als sicherheit gegen hungersnöte. das kornhaus in bern, aber auch in burgdorf und langenthal war der eigentliche inbegriff des bernischen staatswesen.
alt bern entschied sich gegen die frühindustrialisierung. diese überliess man der ostschweiz, in der sich die textilindustrie ausgebreitet hatte. das brachte exporteinnahmen, mit denen man getreide aus dem süddeutschen raum importierte. entstanden ist so eine bürgerliche schicht, die ganz anders auf die industrialisierung reagierte als die berner patrizier, die in ihren autarkie-, unabhängigkeits- und souvernitätsvorstellungen verharrten, bis sie durch die französischen truppen gestürzt wurden, ohne dass eine bürgerliche schicht die entwicklung in wirtschaft und politik nahtlos hätte vorantreiben können.
immerhin kann man beifügen, die liberale und radikale bewegung der 1830er jahre gab dem risikoscheuen staat ein neue gepräge. der freisinn von 1848 entwickelte nicht nur die schweiz, auch bern bis zum ersten weltkrieg auf einer industriellen grundlage, wie beispielsweise der elektrifizierung, die in ihrer frühzeit europäisch führend war. der freisinn zerbrach mit dem ersten weltkrieg, mit dem die arbeiterbewegung einerseits, die bauern und gewerbler anderseits das bürgertum herausforderten, gemeinsam jedoch wieder einem protektionistischen staatsverhalten auftrieb gaben.
heute sind svp und sp die grössten politischen kräfte im kanton bern. bei den anstehenden ständeratswahlen treten sie mit vehemenz gegeneinander an. adrian amstutz, der rechte mann auf dem land, steht ursula wyss, der linken frau aus der stadt gegenüber. und wieder geht es um öffnung oder nicht. die konservativen sind national gestimmt, vereinfacht heisst das gegen die eu, derweil die modernistInnen international denken, wirtschaftlich offen und politisch vernetzt bleiben möchten. vom mittelstand der kleinen und mittleren zentren, der den freisinn zwischen 1890 und 1920 so stark machte, ist bei dieser ausmarchung kaum mehr etwas zu spüren. ihre kandidatin fiel schon in er ersten runde aus der wahl.
stephan von bergen bedauert das. denn amstutz kritisiert er als vorschnellen antietatisten, der so tue, als könne man einen schweren tanker mit ein paar markigen worten in eine andere richtung lenken. und ursula wyss hält er vor, zu genügsam zu sein, weil ihre klientel von der gemütlichkeit des bernischen kahns profitiere.
mal sehen, wer lotse oder lotsin wird, und ob sie oder er das schiff mit schlagseite neuen schub verleihen kann.
stadtwanderer