weg womit?

gut heisst er. was er heute bietet, ist schlecht.

bundesrat

hätte es noch eines beweises bedurft, dass das vulgäre an (fast) keiner mediums- grenze mehr halt macht, dann wäre er spätestens heute erbracht worden. denn in der nzz karikiert peter gut wie immer samstags den entscheid des bundesrates in sachen atomausstieg mit den vier bunderätinnen, einzig mit einem kühlturm bekleidet, in aufreizender pose. untertitel ist: “weg damit!”

selbstverständlich fragt man sich womit?

mit der kernenergie?
mit dem feigenblatt?
mit den bundesrätInnen?

machen wir uns nichts vor, in der 162jährigen geschichte der schweizerischen eidgenossenschaft ist das der erste spektakuläre entscheid, den eine frauenmehrheit im bundesrat gefällt hat. nicht nur der ausstieg ist von historischer tragweite, auch der zusammensetzung von mehr- und minderheit gebührt die würdigung. “weg damit” unterstellt, die vier zustimmenden bundesrätinnen hätte es sich leicht gemacht. in einer art kurzschlusshandlung entschieden, die folgen nicht bedacht. das sind die worte der kritikerInnen, die ehrenswert sind, solange auf die sache zielen. diese darf dabei aber nicht verstellt werden. beschlossen wurde ein geordneter, mittelfristiger ausstieg. niemand will akws sofort abstellen, denn alle wissen, dass die sicherheit der versorgung, aber auch der menschen über allem stehen muss.

war mit weg damit gemeint, unsere bundesrätinnen müssten ausgezogen, wie sklavinnen auf dem jahremarkt der belustigungen vorgeführt und einmal tüchtig gezüchtigt werden? der visuell übersättigten mediengesellschaft ist das durchaus zuzutrauen. gerade politikerInnen werden seit ruth metzler auf ihr äusseres reduziert, teilweise mit widerstand, teilweise mit augenzwinkern und teilweise auch mit kalkuliertem gewinn. wie andere formen der personalisierung ist das alles ambivalent. es kann die aufmerksamkeit für politische botschaften erhöhen, es kann sie aber auch bis zur unkenntlichkeit überlagern. das ist namentlich dann der fall, wenn politikerInnen, ja bundesrätInnen, zu sex-objekten für die männerbünde in der politöffentlichkeit werden. die aufregung war gross, als jüngst die juso die spitzen der internationalen wirtschaft in der schweiz sinnbildlich entblöste, um sie für ihre politisches anliegen ohne rücksicht auf minimalstes sittliches empfinden zur schau zu stellen. die justiz musste einschreiten, um remedur zu schaffen. bleibt abzuwarten, was mit der durchaus vergleichbar unschicklichen nzz-karikatur geschieht.

denn weg damit kann in der postfeministischen äre der politischen diskurse auch bedeuten, dass man sich der frauen im bundesrat entledigen sollte. mindestens eine ist ja schon seit ihrer wahl auf der abschussliste. von einer zweiten sagt man, ihre karriere stehe im herbst des politikzyklus’. bei den beiden anderen war man bisher noch vorsichtiger. denn mindestens in den umfragen der sonntagspresse sind sie nicht nur die mitunter bekanntesten politikerinnen, sondern auch die beliebtesten im land. soll sich das nun alles vorbei sein? haben die magistratinnen mit ihrer atomentscheidung den politischen kredit verspielt? bei der wirtschaft, sagt man jedenfalls, um beizufügen, dass auch ihre sozialmoralische integrität in der gesellschaft in frage gestellt sei. wer so skandalisiert, will wohl eines: dass die bundesversammlung der frauenförderung in der politik endlich den riegel zu schiebt und wieder männern in die höchsten posten des staates wählt.

ich habe diese woche eine längeres gespräch gehabt mit einem kollegen – einem schweizer politikwissenschafter, der lange in den usa lebte, unserem land aus der distanz eng verbunden blieb. er erzählte mir davon, wie er mitbekommen habe, dass ein präsident einer nationalen partei in der beiz schlechte witze über ein der bundesrätinnen erzählt habe. das alles war vor fukushima und der kritisierten karikatur. mein gegenüber sagte mir, er habe den parteipräsidenten zur seite genommen, sich vorgestellt, als spezialist für konkordanz und gesprächskultur, um sich über den dramatischen zerfall der schweizerischen politkultur zu beklagen, in der nicht mehr der kampf um gegensätzliche standpunkte zähle, sondern die möglichst offen zur schau gestellte respektlosigkeit.

sexistische herabstufungen politisch andersdenkender ist kein fortschritt in der entwicklung der schweiz, für den mindestens in meiner vorstellung die nzz noch steht. es ist ein rückschritt, der nicht besser wird, wenn er mit gut signiert ist. denn das bild und seine symbolik sind und bleiben schlecht.

stadtwanderer