was tun gegen die krise der konkordanz?

gerufen hatte die münstergass-buchhandlung in bern. seit neuesten stellt das team einmal pro monat ein buch vor. geladen sind die autorin oder der autor und ein kritiker oder eine kritikerin. eine gute formel, denke ich.

am diesen montag nun ging es um das buch von michael hermann zum titel “krise der konkordanz“; der part zu gegenrede war mir übertragen worden. ich glaube wir hatten einen anregenden und vergnüglichen abend.

hermann, als politgeograf an der uni zürich tätig, hielt zuerst ein plädoyer zugunsten der konkordanz. das war aus zwei gründen nicht zu erwarten: erstens ist michael keine vierzig; er hat seine ganzen jahre als bürger aus dem bernischen huttwil und als politbeobachter in der krise der konkordanz erlebt. sein schluss: nicht mehr polarisierung, mehr integration wäre besser. und zweitens wurde das buch von avenir suisse bezahlt, der denkfabrik der schweizer wirtschaft, die in der regel die effizienz der politik höher bewertet als die suche nach dem ausgleich. differenzen hatten wir in diesem punkt kaum. denn auch für mich ist konkordanz eine folge der abwesenheit von herrschaft, ein mittel der selbstorganisation, das unter einbezug aller relevanter kräfte funktioniert. in einem plurikulturellen land halte ich konkordante politik für unabdingbar, angesichts unserer aversion gegenüber starken parteien oder politikerInnen durchaus auch eine probate form, möglichst viele kräfte für den staat zu mobilisieren.

mehr unterschiede traten in den punkten hervor, die der revitalisierung der konkordanz in der krise gewidmet waren: von den drei reformen, die hermann propagierte, hatte eine meine unterstützung, war ich bei einer gespalten, und lehnte ich eine ab.

die grösste übereinstimmung hatten wir bei der regierungsorganisation. in unserem beider verständnisse hapert es da. denn das kollegialsystem ist in den letzten 20 jahren stark umgestaltet worden. ausgebaut wurden die generalsekretariate der departemente, die in erster linie darauf aus sind, sektoriell gute lösungen zu finden und umzusetzen und mehr und mehr den oder die departementsvorsteherin ins beste licht zu rücken. mit integrationsleistungen hat das nichts mehr zu tun, wie es für einen bundesrat im konkordanzsystem zwingend ist. zudem fehlt im bundesrat eine stelle, die sich querschnittsaufgaben in der übersicht annimmt. denn wenn es departementsübergreifend ist, setzt man auf freiwillige zusammenarbeit unter bundesrätInnen, die mal leidlich, mal glücklich funktioniert. hermanns vorschlag ist hier, die bundeskanzlei aufzuwerten und den oder die chefInnen dieses amtes zum regierungspräsidenten zu machen, der oder die in krisenzeiten mit besonderen kompetenzen ausgestattet wird. die diagnose teile ich weitgehend, persönlich befürworte ich indessen einen bundesrat mit 9 departementen, einem mehr als bisher, nämlich einem bildungsdepartement, und einem regierungsdepartement für alles übergeordnete. die besetzung der departemente sollte meines erachtens auf vier jahre geschehen, das regierungsdepartement von einem erprobten mitglied geführt werden.

geteilter meinung bin ich beim zweiten reformvorschlag von hermann. er sieht vor, dass bisherige bundesrätInnen, die weiter amten wollen, gleichzeitig mit der parlamentserneuerung durch eine volkswahl gehen müssen. wer 50 prozent der wählerInnen hinter sich hat, geniesst das vertrauen des souveräns und muss nicht mehr durch eine parlamentswahl. wer das nicht erreicht, muss sich zurückziehen oder dem neuen parlament stellen. hermann hofft, dass damit ungeordnete bundesratswahlen, die dem funktionieren der konkordanz schaden, selten werden oder ganz verschwinden. letzteres möchte ich auch, und dennoch zögere ich. die volkswahl des bundesrates ist mir nicht geheuer. ich befürchte, dass die politikerInnen, die auf volkswahlen angewiesen sind, zu stark auf den support der medien und der werbung setzen, womit die anfälligkeit für populismus und geldmaschienen statt programmen und parteien wächst. ob so ein gutes team mit verschiedenen kompetenzen geformt werden kann, bezweifle ich nämlich. ich ziehe es deshalb vor, wenn erfahrene regierungs- oder nationalrätInnen für den bundesrat kandidieren, und das parlament nach verbesserten konventionen die richtigen mitglieder bestimmt. allerdings habe auch ich da einen reformvorschlag: nach 8 jahren im bundesrat soll schluss sein, um die regelmässige erneuerung des gremiums zu befördern.

wenig anfangen kann ich mit dem dritten vorschlag. hermann möchte die gelegentliche blockierung der parlamentsarbeit, insbesondere dann, wenn national- und ständerat andere mehrheiten haben, durch eine neue art der volksabstimmung entschärfen. seiner meinung nach sollten die bürgerInnen schiedsrichter spielen, wenn das parlament uneins ist. ehrlich gesagt, mir graust davor, denn ich finde, wenn die grosse und die kleine kammer eine differenz produzieren, sollte sie den knopf selber lösen. die stellungnahme des volkes sollte eher richtung grundsatzentscheidungen ausgebaut werden, nicht um die parlamentarischen restposten aufzuräumen.

gerne hätte ich es gehabt, michael hermann hätte sich im knapp gehaltenen platz für ein buch auf die regierungsreform konzentriert, dafür am schluss kapitel angefügt, das über die institutionellen reformen auch anforderungen personeller und kultureller natur zur revitalisierung der konkordanz ausgelassen hätte.

so, wie ich den abend mitbekommen habe, war das eine spannende diskussion. statt der vorgesehenen stunde für die buchbesprechung argumentierten wir zweieinhalb stunden hin und her. auch das publikum beteiligte sich, sodass wir um 10 uhr abends beschlossen, unsere debatte in der beiz fortzusetzen. als symbolisch geeigneten ort schlug ich das cafe fédéral vor dem bundeshaus vor. da nahmen wir am grossen tisch in der veranda platz, und grad nach uns setzen die corona der svp an den nachbarstisch: christoph blocher, toni brunner, caspar baader und christoph mörgeli waren unsere zaungäste, als wir, bei einem glas roten, unserem bürgerInnen-sinn folgend, nach dem besten argument für die beste regierungsform der schweiz suchten.

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