von der realität und von der wirklichkeit

gestern noch kritzelte ich in meinem notizbuch, heute mache ich harte sätze. zum realen und zum wirksamen. in sachen rücktritt des nationalbankpräsidenten.


der mann und sein schatten

realität und wirklichkeit sind nicht das gleiche – auch wenn beides immer wieder in einen topf geschmissen werde, notierte ich am sonntag, zögerlich nachdem ich die presse gelesen hatte.

realität sei sachlich und entstehe aus dem realen, den werken der menschen, während sich wirklichkeit aus dem wirken der menschen ableite. realität ist objektiv, wirklichkeit subjektiv. in der mediengesellschaft sei das wirkliche jedoch nicht mehr persönlich, sondern konstruiert. es sei wichtiger als das reale, habe aber den nachteil, dass der wahrheitsgehalt nie erbracht werden müsse (und könne). genau deshalb gehe es um glaubwürdigkeit.

heute habe ich philipp hildebrand zugehört, wie er seinen rücktritt mit seinem glaubwürdigkeitsverlust begründete. zuerst fast scheu, dann souverän. er unterschied drei dimensionen des gleichen:

das inhaltliche, bei ihm, was er gemacht habe und wo er mit sich im reinen sei.
das gelte auch für das juristische, der zweiten dimension, was ihm bestätigt werde.
die dritte aber sei die perzeption, die wirkungsweise der sache. das gehe es um seinen guten ruf.

im kommentar zu dieser analyse sagte der scheidende nationalbankpräsident: zwar habe er mit seiner medienkonferenz vom donnerstag punkten können, doch habe die veranstaltung die geschichte, um die es ging, nicht gestoppt, eher noch befördert. die sonntagspresse habe in einmaliger art und weise nachgezogen. wenn sogar das essen im restaurant interessant sei, stimme etwas nicht mehr.

die wirkung sei, sagte hildebrand, dass er, nach allem was geschrieben und gesagt worden sei, nicht mehr sicher sein könne, wem er in die augen sehen dürfe, ohne zu vermuten, er werde als lügner angesehen. denn, meint er sinngemäss, er habe durch das öffentlikche interesse, das entstanden sei, die definitionshoheit über seine reputation verloren. deshalb bleibe ihm nur die offenlegung der relevanten unterlagen und sein ehrenwort, das laute: er habe in dieser geschichte nie gelogen – im vergleich zu vielen anderen.

das alle macht einen nachdenklich: das reale interessiert kaum mehr, dafür das wirkliche, das so unwirklich geworden ist, weil niemand es wirklich sagen kann, was das ist. es kann sein, dass es stimmt, was hildebrandt sagt; es kann aber auch sein, dass es nicht ganz stimmt.

ach ja, die nationalbank handele unabhängig und im interesse des landes. das gilt zunächst für die politik. aber auch für die öffentliche meinung. glaubte ich bis jetzt.

soviel zum meiner realität, die nicht mehr wirklich ist – oder zur wirklichkeit, die so unreal geworden ist.

stadtwanderer