wo george gallup seinen lebensabend verbrachte

es war, als läge die ruhe selbst über dem dorf. denn das präsentierte sich, wie wenn alles und jedes von der innerlichkeit leben würde, welche die gegend seit 5 jahrhunderten prägt. – bis die örtliche musikgruppe, die sich in der kirche versammelt hatte, zur grossen probe aufspielte. die eingangstüre war sperrangelweit offen, sodass der sound der zahlreichen bläser und geiger unüberhörbar in die gegend drang.

1. mai 2012 in sigriswil: was für ein erlebnis!

sicher, sozialistisches war in der svp-burg am rechten ufer des thunersees nicht zu finden. das überlässt man ganz den städtern, in paris oder zürich. hier ist man heimatverbunden, diszipliniert und kraftvoll.

in sigriswil gibt es dafür burgund(t)ergründe. denn vor tausend jahren war man an den gestaden des thunersees teil des königkreichs (hoch)burgund, dessen zentrum das kloster st. maurice im heutigen wallis lag. die lebensweise der mittelalterlichen burgunder war imperial – römisch geprägt, in der katholischen form der damaligen zeit. der 1. mai war der gedenktag von könig sigismus, der im 6. jahrhundert das hauskloster der burgunderkönige durch schenkungen zum führenden kleinod in den alpen gemacht hatte.

seither haben sich nicht nur die zeiten geändert. von der burgunderkirche in sigriswil ist nur der platz übrig geblieben. die herrschaft wechselte im 11. jahrhundert. das rechte aareufer, und damit auch sigriswil, kam zum herzogtum schwaben, wo sich das südschwäbische haus kyburg immer mehr ausdehnte und die alemannische mentalität aufleben liess. 1347 erhielt man die unabhängigkeit vom adel verbrieft, wie das gemeindegewölbe, ein kleines gedenkhaus mitten in sigriswil, bis heute bezeugt. der freiheitsbrief von damals ist programm geblieben: für die eigene sache einstehen und sich von niemanden einnehmen lassen, ist das motto lebensmotto der sigriswiler.

das siegel der kyburger ist erhalten geblieben, nicht aber das von thun und bern. das ist fast schon symbolisch, denn faktisch ist man mit dem auftrebenden aaretransithandel im spätmittelalter mindestens administrativ in den einflussbereich der beiden nahegelegenen zentren geraten. die reformation hat man entsprechend mitgemacht, das strenge stadtleben gegen das freie vom land eingetauscht. im 17. jahrhundert hat man dafür den stolzen landmann, den bauern, den gewerbler und später auch der touristiker als gegenfigur wieder aufleben lassen. so ist sigriswil bis heute ein zentrum der schweiz, die auf sich bezogen und abgegrenzt von allem urbanen lebt. karl howald, der legendäre pfarrer im 19. jahrhundert – ein hervorragender kenner der berner brunnen, aber auch ein propagandist der konservativen lebensweise – wirkte nicht zufällig in der kirche von sigriswil.

die wikipedia erwähnt howald als einen den berühmten männer aus dem dorf. adrian amstutz, der jetzige fraktionschef der svp unter der bundeskuppel, der vehement gegen die personenfreizügigkeit kämpft, gehört auch dazu. seine politkarriere begann, kurz nach der denkbwürdigen ewr-entscheidung, mitten in sigriswiler baugewerbe.

nicht zu den grossen sigriswilern zählt selbst die ubiquitär ausgerichtete wikipedia george gallup. obwohl der erfinder der opinion polls vor amerikanischen präsidentschaftswahlen (und damit ein weiter “vorfahre” von mir …) in sigriswil seinen lebensabend verbracht hatte. genug vom lob für seine legendäre prognose von 1936, aber auch für die kritik wegen seiner fehlentschätzung 1948 hatte er sich der demoskopie-professor nach seiner pensionierung in die schweiz zurückgezogen. seine ruhe fand er im tschingel, einem flecken, der zu sigriswil gehört. da studierte der neugierige, wie direkte demokratie funktioniert, die lokale politik stärkt, aber auch die abgrenzung fördert.

gallup verstarb am 26. juli 1984 er in seinem sigriswiller wohnhaus. die geschichte zwischen ihm und seinen mitbewohner sollte ein unglückliches ende nehmen. dem kauzigen amerikaner, der die stichprobenbildung in die bevölkerungsbefragungen einführt und sich so in den globalen olymp der sozialwissenschaften befördert hatte, verweigerte man nach seinem tod das grab auf dem friedhof vor der ehrwürdigen kirche in sigriswil.

einheimische und fremde sind hier zwei getrennte gruppen, dachte ich mir, als ich meinen morgenspaziergang im dorf machte. immerhin, das eine oder andere weicht sich auf! den gast in der tourismusgemeinde hat das hotel bären zuvorkommend bewirtet. und im gemeindegewölbe wird am samstag eine ausstellung eröffnet, die sich der auswanderung der sigriswiler annimmt – ausgerechent in die usa …

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