Bern, die Brückenstadt, wird eidgenössisch und löst sich vom Kaiserreich (2. Station meiner nächsten Stadtwanderung)

Vor dem Zähringerdenkmal im Nydegg-Quartier
Meine Damen und Herren, ohne es zu ahnen, sind Sie eben über den Ort gewandert, der Bern effektiv den Namen gab. Denn fast alles in der Stadt hängt mit der Aare zusammen. Ihren Lauf hat sie über die Zeit hinweg mehrfach geändert. Vor gut 10000 Jahren wählt sie den jetzigen Weg. Der begrenzt sie in der Kurve, die sie unter uns machte, durch zwei mächtigen Felsbrocken. Egal, ob die Aare viel oder wenig Wasser hat; durch diesen 60 Meter breiten Schlitz muss sie durch.
Brücken über die Aare gibt es erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, belegt ist aber, dass es davor während vielen Jahrhunderten eine Fähre gab, mit der man das wichtigste Hindernis im Mittelland, wie wir den Streifen zwischen Alpen und Jura nennen, überqueren kann. Nun ist Berna nicht nur der Namen einer unserer Jungbären. Es ist, in Analogie zur Germania und Helvetia die allegorische Darstellung des Staates Bern. Und in seiner ursprünglichen Bedeutung meint Berna nichts anderes als “Schlitz”. Bern ist also eine Ortsbezeichnung, der verschiedentlich zu einem Quartier- oder Stadtnamen geführt hat. So gibt es ein Bern in den Niederlanden, ein Berne bei Hamburg und selbst Brno, zu deutsch Brünn, könnte den gleichen Wortsinn haben.

Germanische Einwanderer zwischen Integration und Eigenbrötlertum
Bevor es eine Brücke über die Aare gab, war der Fluss nur schwer passierbar. Deshalb diente er lange Zeit als natürlich Grenze.
Als sich die Römer, die im 2. und 3. Jahrhundert hier schon einmal ein Oppidium, einem Vorläufertyp der Stadt, erbaut hatten, im 5. Jahrhundert über Richtung Süden zurückzogen, füllte sich die Gegend mit germanischen Völkerschaften. Als erste kamen die Burgunder. Das waren keine Weinbauern mit Ländereien rund um Beaune und Dijon, vielmehr war es ein Wandervolk aus dem Gebiet des heutigen Thüringen. Sie hatten sich im 3. Jahrhundert nach Süden aufgemacht, mit dem Ziel, gute Römer zu werden. Trier, die damalige Kaiserstadt nördlich der Alpen, hiess ihre Destinantion. Doch als sie den Rhein bei Mainz überschritten, wurden sie von der römischen Armee gestoppt und militärisch besiegt. 443 wies man ihnen einen neue Aufgabe zu: Sie wurden Grenzwächter der Römer, die weitere Germanen abhalten sollten. Der wichtige Durchgang nach Süden war bei Genf; genau den sollten sie dicht machen, und dafür wurden sie zu Herren zwischen Jura und Alpen, zwischen Genf und Aare gemacht. Saupaudia hiess diese Gegend, uns sie wurde das Kerngebiet der Burgunder.
Mit dem Zerfall des römischen Reiches nach 476 dehnten sich die Burgunder rasch auf das ganze Rhone- Saone- und Doubstal aus, sodass dieses mächtige Flussgebiet im Mittelalter “Burgund” genannt wurde und eine eigenes Königreich bildete. Obwohl ursprünglich Germanen, assimilierten sich die Burgunder rasch mit der spätrömischen Kultur. Sie sprachen spätantikes Latein, wurden vorbildliche Katholiken, liebten die Bischofsstädte, assen vorzugsweise Geflügel und tranken gerne Wein.
Ganz anders waren die Einwanderer, die nur 100 Jahre später in unsere Gegend kamen. Von wo sie stammten, weiss man nicht genau. Alemanii nannte sie die Römer, was so viel bedeutet, wie das zusammengewürfelte gemeine Volk. Aus dem Schwarzwald kommend kamen sie ins Mittelland, als die Römer schon weg waren. Ihre Sprache lernten sie nie; sie blieben bei ihren kleinräumig gefärbten Dialekten. Auch die römische Kirche war ihnen fremd; sie blieben noch lange Zeit Arianer. Ueberhaupt, die Bischofsstädte hassten sie; entweder zerstörten sie sie oder sie liessen sie nach der Flucht des Stadtoberhauptes einfach verkommen. Denn am liebsten lebten die Alemannen im Wald, gemeinsam mit ihren Schweinen und dem Met, einer Art Bier, das sie aus Bienenblütenstaub brauten. Die Aare wanderten sie zwar hoch, doch bevorzugten sie ab Solothurn die östliche Seite.
Zwischen beiden Einwanderungsgruppen kam es anfangs des 7. Jahrhunderts zur grossen Schlacht, und es siegten die Alemannen. Die fränkische Oberverwaltung, die sich im 8. Jahrhundert in der Pampa etablierte achtete darauf, die verfeindeten Germanen mit unterschiedlicher Kulturentwicklung getrennt zu halten. 843, bei der Reichsteilung unter den Enkeln von Karl dem Grossen, machten sie die Aare zur politischen Grenze. Links davon gehörte man zu Burgund, rechts davon zum Schwaben.

Die Zähringer, die Statthalter des Kaisers
Im 9. Jahrhundert zerfiel die Macht der Karolinger schrittweise; erst 962 begründeten die Ottonen das Kaiserreich neu. Schwaben gehörte von Beginn weg dazu; doch Burgund liess sich er erst im 11. Jahrhundert intergrieren. Dabei zerfiel das burgundische Königtum, bis es Mitte des 12. Jahrhundert vom Kaiser neu organisiert wurde. Friedrich I, bekannt als Barbarossa, machte sich selber zum burgundischen König, derweil er die Grafen von Zähringen, in Staufen im Breisgau heimisch, zu Vizekönige machte.
Nun begann die grosse schwäbische Kolonisation Richtung Süden. Denn ohne gute Verbindungswege wäre es unmöglich gewesen, von Staufen aus das westliche Mittelland, ja das riesige Rhonetal mit seinen weitverzweigten Flusszubringern zu beherrschen. Die Zähringerstrasse sollte, so der Plan, den Rhein mit der Rhone verbinden. Zur Sicherung der Strasse baute man meist mit 30 Kilometer Abstand Raststätten, wo man Pferde wechseln konnte, und wo Leute waren, die den Strassenunterhalt besorgten.
Aus diesen Raststätten entstanden zahlreiche mittelalterliche Zähringerstädte: Rheinfelden, Herzogenbuchsee, Burgdorf, Bern, Murten, Thun, Freiburg und Milden, das heutige Moudon, gehören dazu. Dann allerdings war Schluss mit der schwäbischen Kolonisation, denn der Bischof von Lausanne, einerseits Herr über die Seelen, anderseits aber auch über den Boden im Gebiet nördlich des Genfer Sees, stellte sich ihren Expansionsplänen entgegen. Es kam zu mehreren Schlachten, bei denen die Neusiedler aufliefen. 1208 kam die Zähringische Expansion zum Stillstand. Zu allem Uebel starb Berchtold V. 1218, ohne dass einer seiner Nachfahren ihn überlebt hätte.

Die Herrschaft der Savoyer – die eigentlichen Brückenbauer
Heute ist man sich einig: Die Zähringer haben in unserer Gegend Historisches geschaffen. Denn erstmals seit Römerzeiten waren wieder Städte gegründet worden. Freiburg im Uechtland war 1146 die erste gewesen, Bern war 1191 die letzte. Kaiser Friedrich II., der Sohn Barbarossas, erkannte die heikle Lage nach dem Ableben der Zähringer sofort. Er erhob Bern an der zentralen Stelle über der Aare zur Königsstadt, ebenso Zürich an der Limmat. Verwaltet wurden sie zuerst von seinem Sohn Heinrich, dem deutschen König, bevor der Deutschorden nach Bern kam und die kaiserlichen Rechte wahrnahm. Indes, auch die waren nach dem Ableben von Friedrich II. nicht mehr gesichert, denn mit dem Ende der Staufer-Dynastie kam es zum grossen Interregnung. Diese nutzten die burgundischen Savoyer, gefördert vom englischen König, um ihren Einfluss im westlichen Mittelland zu mehren. Faktisch übernahmen sie in Bern die Macht. Sie nutzten die Aarestadt als Sprungbrett für ihre Ausdehnung ins alemannische Gebiet. Dazu verstärkten die offene Zähringerstadt mit einer Stadtmauer, brachten Klöster ins Innere, belebten mit Juden den Handel aus dem Süden, und bauten die erste Holzbrücke über die Aare. In der Folge kam es zum Krieg mit den alemannischen Grafen von Habsburg, in Brugg ansässig, ohne mit einem eindeutigen Sieg einer Partei zu enden. Immerhin, den Habsburgern ebnete das Unentschieden den Weg zur deutschen Königskrone, denn die Kurfürsten fürchteten, denn ihre Positionen im Mittelland ganz zu verlieren.
Mit dem Tod von König Rudolf I. von Habsburg ordnete sein Nachfolger, König Adolph von Nassau, die Verhältnisse im Mittelland neu. Den zerstrittenen Adel drängte er zurück, und er wertete die Königsstädte auf, indem er beispielsweise Bern die Verwaltung seiner Güter im oberen Aaretal überliess. Das wiederum war der Beginn der Territorialbildung gegen den Adel, der das Mittelland prägen sollte. In den 1380er Jahren, als in ganz Schwaben der sog. Städtekrieg tobte, verloren die Städter gegen den Adel nördlich des Rheins. Südlich davon setzten sich die stark gewordenen Städte Bern, Luzern und Zürich durch und vertrieben die Habsburger definitiv aus der Gegend. Kaiser Sigismund besiegelte diesen Wandel 1415. Er machte Bern und Zürich zu freien Städten in seinem Kaiserreich. Man konnte nun über Leben und Tod in der Stadt selber entscheiden, Güter rund herum erwerben und selbständig Krieg führen.

Die grosse Pest und die Allianz Bern mit den Eidgenossen
Einige Jahrzehnte zuvor lag die Stadt noch in ihrer bisher grössten Krise. Denn im Jahre 1348 wütete die grosse Pest auch in Bern. Der Ausbau des bewohnten Stadtgebietes geriet ins Stocken; er sollte erst im 19. Jahrhundert einen neuen Schub erhalten.
In Zürich hatten kurz davor die Zünfte die Macht übernommen, in Bern hielten sich die Junker, wie man den Stadtadel nannte. Mit der Pest wurden aber auch sie aus der Stadt verwiesen, und Bern nährte sich 1353 unter bürgerlichen Führung den Eidgenossen in der heutigen Innerschweiz an. Die waren 1291 entstanden, nach dem Interregnum ihre Rechtsansprüche aufrecht zu erhalten, und hatten sich 1315 in der Schlacht von Morgarten Respekt verschafft.
Kaiser Karl IV., der 1346 die Goldene Bulle, das höchste Gesetz im Reich, erlassen hatte, gefiel die Allianzbildung nicht. Nach Zögern blies er in Bern das eidgenössische Bündnis, forderte aber, dass die Junker in die Stadt zurückkehren sollten. Das machten sie umgehend, und nur 8 Jahre später waren sie fest im Sattel. Sie verboten den Zünften, sich in die Politik einzumischen, was die Macht des Stadtadels bis in 19. Jahrhundert begründen sollte.
Das Bündnis der Berner mit den Eidgenossen sollte sich lohnen. Denn 1476 kam es in Murten zur grössten Schlacht in der bernischen Geschichte. Karl der Kühne, Herzog von Burgund, wollte das alte Burgunderreich wieder herstellen und griff, unterstützt von den Herzögen von Savoyen, die Berner und mit ihnen die Eidgenossen, militärisch an. Hätte er gewonnen, wäre die Geschichte wohl ganz anders verlaufen, doch verlor er diese Schlacht und nur ein Jahre später auch sein Leben.

Die Autonomie der Eidgenossenschaft im Kaiserreich
Der militärische Sieg über den prächtigsten Fürsten der damaligen Zeit machte die Eidgenossen militärisch begehrt. Nun wollte der französische König sie als Söldner, und auch der Papst in Rom warb um sie. Diese Konkurrenz machte die Eidgenossen wichtig, und ihre Wichtigkeit brachte viel Geld in die bisher eher ärmlichen Gegenden.
Das so gestärkte Selbstbewusstsein sollte Konsequenzen haben. Als Maximilian, designierter Kaiser, 1495 zur grossen Reichsreform aufrief, weigerten sich die Eidgenossen mitzumachen. Sie wollten ihre verbrieften Rechte behalten, und der Rechtssprechung des geplanten Reichskammergerichtes wollten sie sich nicht unterwerfen. Ob dem Zwist kam es zum Krieg. Wir nennen ihn den Schwabenkrieg; bei ihnen heisst der Schweizerkrieg. 1499 wurde er entlang des Rheins ausgetragen, und die Eidgenossen setzen sich überall durch. Im Friedensvertrag von Basel anerkannte Maximilian die Autonomie der Eidgenossenschaft im Kaiserreich, und die institutionellen Beziehungen zu Schwaben wurden gekappt.
Die Zähringische Kolonisation hatte aus Bern die Brückenstadt zwischen zwei Kulturräumen geformt, aus der eine regionale Territorialmacht entstand, die sich im Gefolg der Pest mit den Innerschweizer Eidgenossen verband, aber durch einen einflussreichen Stadtadel geprägt wurde, sich im Burgunderkrieg überraschend behauptete und damit die Grundstein legt, um in einer autonomen Provinz des Kaiserreiches eine führende Rolle zu spielen.

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