Murten in 10 Stationen

„Murten in 10 Stationen“ heisst meine neue Stadtwanderer-Tour. Sie ist meiner grossen Liebe gewidmet, dem heute freiburgischen Städtchen Murten/Morat, am lauschigen See mit gleichem Namen, vormals eine Zähringerstadt im Einflussgebiet zwischen Savoyen und Bern, die auf einen mythologischen Ursprung im burgundischen Königreich verweisen kann. Hier das Programm, das ich am 2. Juni erstmals vorführe.

murten
Murten aus der Luft

Murten hat Ambiente, strahlt mediterane Lebensweise im germanischen Umfeld aus.
Ob die Römer hier waren, weiss man nicht. Das meiste spricht dagegen. Halbwegs sicher ist, dass die Burgunder, Einwanderer aus dem Norden, in Murten bauten – und zerstörten. Die schwäbischen Zähringer richten das Städtchen wieder auf, der römische König ummauerte es, die Savoyer bauten Turm den Turm und brachten urbanes Leben in die Gegend. Höhepunkte der Geschichte ist die Schlacht von 1476, der Sieg der Eidgenossen über die Burgunder, der Murten zu Bern und Freiburg brachte. Napoléon Bonaparte entschied schliesslich, dass sich der Seebezirk dem Kanton Freiburg anzuschliessen hatten, in den konservativer Umgebung sich das liberal gesinnte Bürgertum nie sonderlich wohl fühlte.
Wer mehr darüber wissen möchte, komme mit auf meine Tour durch Murtens Geschichte und Strassen!

1.Station “St. Mauritius Kirche”
Wo das alte Murten stand, weiss man nicht mit Sicherheit. Man nimmt an, der ursprüngliche Name “Moriodunum” leite sich von einer Holzfestung im sumpfigen Gebiet ab – an der heutigen Stelle oder einer benachbarten.
So viel man aus der nachträglichen Ueberlieferung weiss, gab es im frühen Murten einen burgundischen Königshof, der seit dem 6. Jahrhundert dem Kloster in St. Maurice gehörte. Dieses wurde 515 gegründet, ein Jahr danach übernahm König Sigismund die burgundische Königkrone und machte St. Maurice zum religiösen Zentrum seines Reiches. Murten war also mit dem der Macht der romanisierten Germanen, die für mehr als 500 Jahre im Gebiet der heutigen Westschweiz den Ton angeben sollten, direkt verbunden.
Bei der Einverleibung des burgundischen Königreiches ins römische Kaiserreich nach 1032 kam es zu einem kurzen, aber heftigen Erbfolgekrieg, während dem das alte Murten besetzt und zerstört wurde. Nichts davon ist den Archäologen wiederbegegnet, sodass alles ein wenig unsicher bleibt, wo was war.
An die engen Beziehungen zwischen Murten und St. Maurice erinnert seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die katholische Kirche mit diesem Namen, die allerdings ausserhalb der Mauern des heute reformierten Städtchens errichtet werden musste.

2.Station “Mitten in der Stadt”
Das heutige Murten ist unter den Herzögen von Zähringen entstanden. Sie wurden 1127 bei der Regelung des Investiturstreits zu den Rektoren Burgunds ernannt, den weltlichen Herrschern über Burgund bei Abwesenheit des Kaisers. Dazu bauten sie eine Strasse zwischen Rhein und Rhone, die sie von Rheinfelden bis Moudon mit mittelalterlichen Städten sicherten. Ganz ans Ziel kamen die Zähringer nicht, denn 1191 wurden sie bei Payerne von den Truppen des Bischof von Lausanne besiegt, sodass ihr Einflussgebiet auf das westliche Plateau des Mittellandes beschränkt blieb. 1208 verloren sie zudem in St. Ulrichen gegen die Herren von Raron, beim Versuch über Grimsel und Griespass, sodass ihr Ziel, an Mittelmeer zu gelangen, nie in Erfüllung ging. Das Rektorat über das weite Burgund erstreckte sich faktisch im Dreieck von Grimsel, Moudon und Solothurn, mit Murten an der westlichen Grenzlage.
Zähringisch sind am Stadtgrundriss Murtens die eindrückliche Längs- und sichtbare Quergasse sowie das Fehlen eines eigentlichen Marktplatzes. Bis heute prägt diese Ausgangslage den Grundriss der Altstadt Murtens. Wann genau die Stadt gegründet wurde, weiss man nicht, denn die älteste Quelle hierzu ist aus dem 13. Jahrhundert. Angenommen wird eine Stadtgründung in den 1160er oder 1170er Jahren, also nach Freiburg, aber vor Bern.
1218 stirbt das Herzogsgeschlecht aus, und Murten kommt als eine der frühen Reichsstädte in den Besitz des Königs. Dieser gibt 1238 den Auftrag, die Stadt mit einer Mauer zu befestigen und privilegiert Murten unter anderem bei den Steuern. Damit sichern sich die Staufer ihre schwindende Macht in der Region vorübergehend.

3.Station “Turm”
Mit dem Ende der Staufer-Dynastie 1254 beginnen unsichere Zeiten. Die Grafen von Savoyen, Vasallen des Kaiseraspiranten aus dem englischen Königshaus, nehmen 1255 Murten in ihren Schutz auf. Unter ihnen wird die Burg am Südende der Stadt errichtet, denn man steht mit den Habsburgern im Krieg. Diese werden kurzfristig auch Stadtherren über Murten, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen. 1291 wird Murten wieder savoyisch, und die Stadt wird es bis 1475 bleiben, allerdings orientiert man sich nicht nur nach Süden, sondern auch nach Norden.
An der nördlichen Grenze Savoyens gelegen, sucht Murten nach weiterer Absicherung. Diese bestand in der damaligen Zeit meist aus Städtebündnissen, einer Art Eidgenossenschaft. 1318 geht Murten in Gümmenen erstmals eine solche Verbindung mit benachbarten Städten wie Bern ein. Die Pest mitte des 14. Jahrhunderts bildet die grösste Krise in dieser Zeit. Danach baut Murten seine Beziehungen zur Eidgenossenschaft weiter aus und wird ihr zugewandter Ort.
1377 organisieren die Grafen von Savoyen die Verhältnisse in Murten neu. Die Stadt wird wieder streng in den Herrschaftsverband eingeordnet. Mit dem neuen Stadtrecht verliert Murten das Vorrecht, den Schultheissen selber wählen zu können, und das Kirch- sowie Militärwesen werden neu gestaltet. Murten bekam zu diesem Zweck ein eigenes Rathaus, der der Herrschaft der Savoyer über die Stadt diente.
Bemerkenswertester Stadtherr im Mittelalter ist Amadeus VIII. aus dem Hause Savoyen, denn auf dem Konzil in Basel wird der erfolgreiche Herzog und Familienvater zum Papst gewählt. Seine Anerkennung bleibt allerdings aber auf Savoyen, die Eidgenossenschaft, Bayern, Ungarn und Aragonien beschränkt, sodass er schliesslich zurücktritt und als Eremit seinen Lebensabend beschliesst. Mit den religionswirren beginnt unter Papst Felix V. auch die Idee der Hexenverfolgung gerade in Savoyen Fuss zu fassen.
Im 16. Jahrhundert wird aus dem Wehrturm ein Schloss, das bis heute das Stadtbild prägt.

4.Station “Hotel Adler”
1416 brennt die Holzstadt Murten nieder, und sie muss neu aufgebaut werden. Jetzt entstehen Steinhäuser mit Arkaden; das Städtchen Murten wird zunehmend so, wie man es heute kennt. Um sich vom Stadtbrand zu erholen, erlassen die Savoyer Herzöge den Murtemer die Weinsteuer, sodass das Gewerbe aufblüht und zum wichtigsten Exportzweig wird.
Murten wird zum selbstbewussten Regionalzentrum., mit den Bauern in Guggisberg gerät man 1442 einen Weinkrieg, sodass Freiburg vermitteln muss. Die Habsburger, seit dem 13. Jahrhundert Herrscher über Freiburg, verlieren in diesen Zeiten an Einfluss, Bern und Savoyen etablieren sich als Machthaber über Freiburg. Freiburg und Murten werden in einen lokalen Krieg verwickelt. Das Kloster Münchenwiler vor den Toren Murtens wird arg zerstört.
Das Ende vermitteln die Grossen aus der weiten Umgebung: der französischen König, der burgundische Herzog, die Bischof von Basel und die erstarkte Eidgenossenschaft. Der Friedensvertrag wird im Hotel Adler geschlossen. Murten steht nun unter scharfer Beobachtung nicht nur der Savoyer und Berner, sondern durch alle, die damals Rang und Namen hatten. Das sollte zum spannungsreichen Gemisch werden, welches Murtens Schicksal die grosse Wende geben sollte.

5.Station “Ringmauer”
1474 erklärt die Eidgenossenschaft unter Führung Berns dem aufstrebenden Herzog Karl von Burgund den Krieg. Während eines Präventivschlags wird seitens der Berner und Freiburger die Waadt, Graf Jacques von Romont unterstellt, erobert. Murten kommt 1475 ebenfalls unter die Herrschaft der beiden Städte. Grandson wird in der Folge besetzt, sodass der Burgunder Herzog zurückschlägt. Das erste militärische Messen geht im Frühjahr 1476 ausserhalb Grandsons zugunsten der Eidgenossen aus.
Die Burgunder sammeln sich in Morges und greifen ein zweites Mal an, nun die Stadt Murten. Bern besetzt die Stadt. Die Burgunder belagern ihrerseits Murten, werden aber nach einem Ueberfall auf Laupen von den versammelten Eidgenossen, verstärkt durch eine Städtebündnis aus Basel und den Herzog von Lothringen, angegriffen. Am 22. Juni kommt es zur Schlacht ausserhalb der Stadtmauren, während der die Eidgenossen erneute siegen. Der Herzog zieht sich aus Savoyen zurück, um das lothringische Nancy zu erobern, verliert aber auch dort und lässt dabei sein Leben.
Einige Zahlen, um sich das Treiben vor Ort vorzustellen: Murten zählte weniger als 1000 EinwohnerInnen, Berner Besatzer waren 2000 anwesend, die burgundischen Belagerer zählten 25000 Personen, und die herbeieilenden Eidgenossen waren nochmals so viele.
Die Eidgenossen werden bei dieser Gelegenheit ausserordentlich reich, müssen aber innere Spannungen austragen. Murten wird 1484 bernisch-freiburgisches Untertanengebiet, während die Waadt dem savoyischen Grafen Jacques von Romont zurückgegeben werden muss. Einzig die burgundischen Gebiete um Echallens, Orbe und Grandson werden gemeine Herrschaften der Berner und Freiburger. Das sollte bis 1798 so bleiben.

6.Station “Französische Kirche”
Zur Verteidigung Murtens wurde die damalige Kirche der Stadt ausserhalb der Mauern abgerissen. 1480 entsteht sie neu innerhalb der Mauern. Guillaume Farel sollte 1530 ihr erster festbesoldeter Pfarrer werden. Gleichzeitig war er Reformator der Kirchen in der Gegend, der im Vorfeld einer Volksabstimmung kräftig für die Sache der Neugläubigen geworben hatte.
Murten geriet damit in ein heikles Verhältnis zwischen Bern und Freiburg, den letzteres blieb beim alten Glauben, ersteres wechselte zu neuen. Zur Stärkung der Reformierten beginnt die Einwanderung aus Bern, mit der die deutsche Sprache in Murten an Verbreitung gewinnt. Dem entsprach die Arbeitsteilung unter den Herrschaften, denn Freiburg blieb für das militärische Aufgebot zuständig, und Bern kümmerte sich um kulturelle Fragen wie Kirchen und Bildung.
Hart an der Grenze von Sprachen und Konfessionen wird Murten zu einem besonderen Ort der Hexenverfolgung, die vor Frauen und Männern, die der Ketzerei verdächtigt werden, nicht Halt macht. Die Hexenprozesse fand mitten in der Stadt auf dem Schafott ihr trauriges Ende. Bis heute erinnert man sich in Murten nicht gern an diese Zeit. Im 17. Jahrhundert ist die Mehrzahl der EinwohnerInnen deutschsprachig, sodass man die Kirche trennt, nun in eine französische und eine deutsche Kirche, beide selbstredend reformiert.

7.Station “Deutsche Kirche”
Der berühmteste Herr in der deutschsprachigen Kirche Murten, Pfarrer Bitzius, wirkte kurz vor der französischen Revolution. Im Pfarrhaus nebenan wurde 1797 sein Sohn Albert geboren, später bekannt als der grosse bernischen Schriftsteller Jeremias Gotthelf.
Die französische Revolution brachte 1798 nochmals den Krieg in die Stadt. Diese wurde zuerst von Freiburger Truppen besetzt, dann von helvetischen und schliesslich von konföderierten. Murtens Sympathien waren geteilt, die Auflagen der helvetischen Truppen wogen aber schwer, sodass sich Murten den schliesslich siegreichen konföderierten Herrschaft anschloss.
Am liebsten wäre man in Murten zu Bern gekommen, doch gegen ihren Willen kam die Stadt Murten 1803 zu Freiburg und sollte hinfort dort bleiben. Vermittelt wurde der Beitritt durch den gemässigten Freiburger Aristokraten Louis d’Affry, einem Vertrauten Napoléon Bonapartes, der gleichzeitig erster Landammann der Helvetischen Republik wurde; Berns Einfluss auf den Franzosen war nach Einnahme der Stadt durch die französischen Truppen dagegen geringer.
Die neue Gesetzgebung durch die Franzosen und die Befriedung durch die Mediationsakte 1803 brachte mit der Handels- und Gewerbefreiheit Schwung ins Wirtschaftsleben der Stadt; am meisten blühten Wirtshäuser auf, von denen es heute noch zahlreiche, einzelne sagen zahllose gibt.

8.Station “Schulhaus”
Im konservativen Kanton Freiburg bildete der Seebezirk rund um Murten eine sprachliche und konfessionelle Ausnahme. Auch politisch war man hier anders, denn Murten wandte sich spätestens in den 1830er Jahren ganz dem Liberalismus zu, der im klaren Gegensatz zum katholisch-klerikalen Regime in Fribourg stand.
Eine der Hauptstreitpunkte war damals die Schulfrage. Als typisches Zeichen für Murtens Position schuf man ein neues Schulhaus, bewusst ausserhalb der Stadtmauern, um die Offenheit gegenüber der neuen Welt zu demonstrieren. Hier wirkten Lehrer aus vielen Gegenden, darunter auch spätere Regierungsräte aus liberalen Kantonen.
Als Freiburg 1846 dem konservativen Sonderbund beitrat, versuchte man in Murten die Abspaltung vom Kanton, war aber nicht erfolgreich. Der 1847 in der Hauptstadt siegreiche jakobinische Radikalismus hatte in Murten eine seiner wesentlichen Stützen.
Die Gründung des Bundesstaates unter Führung der Freisinnigen 1848 wurde in Murten stark begrüsst. Teil der nationalen Mythenbildung wird Adrian von Bubenberg, ein Berner Junker und katholischer Adliger, der zum Held der Schlacht von Murten stilisiert wird, weil es ihm gelang, den Willen der Eidgenossen gegen die äussere Bedrohung zu bündeln und zu festigen. Als Held der Schlacht von Murten verkörperte er auch den entschlossenen Willen, die eigene Haltung militärisch zu verteidigen.
Die vorletzten Zuckungen davon habe ich 1977 erlebt, als ich in Murten die Rekrutenschule absolvierte und auf dem Schulhausplatz ziemlich erfolglos zum Funker der Infanterie ausgebildet wurde.


9.Station “Bahnhof”
Der Bau der Eisenbahn von Bern nach Lausanne über Freiburg benachteiligte Murten. Industrielle Betriebe gab und gibt es in Murten nur wenige. Die meisten waren und sind mit der Landwirtschaft verbunden. Das Eisenbahnwesen Murtens erschloss die Kleinstadt mit den anderen Kleinstädten, im Süden Payerne, im Norden Kerzers, dem eigentlichen Eisenbahnknotenpunkt der Region.
Grösser waren die Auswirkungen des Autobahnanschlusses im 20. Jahrhundert. Seither wächst Murten auch bevölkerungsmässig. Heute leben rund 5000 EinwohnerInnen in Murten, die Bevölkerung ist überaltert. Doch die Zahl der Arbeitsplätze Murtens übersteigt diejenige der Arbeitstätigen vor Ort, sodass es zu täglichen Zuströmen Werktätiger kommt. Doch gibt es auch Wegpendler vor allem nach Bern. Denn die Region entwickelt sich zur beliebten Wohnlage für Menschen aus der weiteren Region.
Wenn der Verkehr von aussen Murten bestimmt, ist man bemüht, den Verkehr in der Stadt einzudämmen. In den letzten Jahren hat Murten zahlreiche Strassencafés bekommen, sodass das Leben in der Stadt richtig gehend aufblüht. Berühmt sind die Meringuen in der Cheesery, gefüllt mit hartem Kirsch, übergossen mit weichem Rahm.

10.Station “Am See”
2002 wird Murten einer der 4 Standorte de Expo 02. Im See selber wird der Monolith, ein Gehäuse aus Eisen, errichtet. Er hätte gut und gerne neues Wahrzeichen von Murten werden können. Indes, nach der Landesausstellung wurde in Murten alles zurückgebaut. Eine nachhaltige Entwicklung Murtens wurde leider verpasst.
Dennoch, Murten lebt heute stark vom Tourismus. Riviera Freiburgs nennt man die Gegend rund um den Murtensee. Im Städtchen schwingt ein wenig Mittelmeeratmosphäre mit. Auf dem See gibt es im Sommer einen regen Schiffverkehr. Einmal im Jahr findet seit 1932 der Murtenlauf statt, der an die Schlacht von Murten erinnert. Gegenwärtig wird auch ein Freilufttheater zum gleichen Thema geboten. Murten hat sich der slow-up-Bewegung angeschlossen. Einmal im Jahr treffen sich hier die Langsamverkehrer. Rund um den Murtensee kann man sogar Stadtgolfwandern, hier mit dem Velo und nicht zu Fuss.
Nicht zuletzt kennt Murten Stadtführungen – seit heute ein mehr!

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