Der 11. September (1709)

Die Niederlande in Bern (Teil 4)
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Ihre Heimat war das osmanische Reich, heute vereinfacht gesagt die Türkei. 1592 schrieb der niederländische Gelehrte Carolus Clusius ein Buch über sie, das sie über Nacht begehrt machte. Die Rede ist von den Tulpen aus Holland. Sie sollten Wirtschaftsgeschichte schreiben, und das bis nach Bern.
Angefangen hatte alles mit der Eröffnung der Amsterdamer Börse 1612. Gehandelt wurden da unter anderen Tulpeneinkäufe. Eine eigentliche Tulpenmanie entstand. Namentlich in den 1630er Jahren erreichte sie bisher unbekannte Ausmasse. Sie liess die Preise ins Unermessliche steigen. 1637 stürzten sie jedoch ebenso unermesslich ab.
Geplatzt war damals die erste Spekulationsblase der Geschichte. Nun war nur noch vom Tulpenschwindel die Rede. Selbst in Bern zeitigte er Auswirkungen. Denn auch hier hatte man sich fleissig an der neuen Einkommensmöglichkeit in Amsterdam beteiligt. Verdienen ohne zu arbeiten kannte das Berner Patriziat ja bereits bestens.
Oekonomisch wichtiger und politisch umstrittener waren im 17. und 18. Jahrhundert jedoch die fremden Dienste. Da man selber kein stehendes Heer hatte, könnte man reichlich Söldner liefern. Traditionellerweise war das für Frankreich der Fall. Allerdings gab es kein Monopol, nicht zuletzt, weil Frankreich katholisch war. Die calvinistische Niederlande bot da für reformierte Orte wie Bern eine willkommener Ausweg.
Tragischer Held meiner Ortsgeschichte ist Gabriel von May. Seine Familie war Ende des 15. Jahrhunderts als Zitronenhändler aus Norditalien nach Bern gekommen. Da steig sie wegen des unternehmerischen Talents rasch in die führenden Kreise auf. Das von Mayhaus mit dem prunkvollen Erker zeugt bis heute davon.
Gabriel wurde 1661 als Sohn eines Kleinrats und damit Regierungsmitglieds in Bern geboren. 32jährig trat er auf niederländischer Seite in das Berner Regiment von Müllinen ein. Als dessen Eigentümer avancierte er nach mehreren Feldzügen im Span. Erbfolgekrieg 1709 zum Brigadier.
Da führte er im gleichen Jahr in Malplaquet, heute in Belgien gelegen, sein Regiment in die Schlacht zwischen Frankreich und den Niederlanden. Und er traf am 11. September 1709 auf seinen Vetter Hans-Rudolf, ebenfalls Brigadier, aber für Frankreich arbeitend.
8000 Eidgenossen blieben an diesem Tag für das Königreich resp. die Republik auf dem Feld liegen.
Das Ereignis sorgte für beträchtlichen Wirbel in der europäischen wie auch eidgenössischen Oeffentlichkeit. Selbst die Tagsatzung musste sich mit dem ausserordentlichen Fall beschäftigen und erliess eine Weisung. Fast 100 Jahre kämpften danach Eidgenossen in einer Schlacht nicht mehr auf beiden Seiten.
Gabriels Aufstieg im aristokratischen Bern trug das Desaster jedoch keinen Abbruch. Er quittierte den Militärdienst nach der Schlacht, heiratete Juliana Effinger aus gutem Hause und politisierte als Grossrat. 6 Jahre lang war er zudem Landvogt in Moudon. 1735 wurde er, wie sein Vater es gewesen war, Kleinrat.
Eine richtige Katastrophe für das damals überaus reiche Berner Patriziat ereignete sich noch zu seinen Lebzeiten. Wiederum stand 1720 ein Börsencrash am Anfang, diesmal aber nicht in Amsterdam, sondern in Paris und London gleichzeitig. Das florierende Privatbankenwesen Berns wurde dabei arg in Mitleidenschaft gezogen. Es sollte sich nicht mehr wirklich erholen und ist seither keine führende Branche mehr, wenn es um Geschäfte in Bern geht.
Bild: Schlacht von Malplaquet, 11.9.1709 (Sammlung Online-Belvedere)

Republiken, Republiken, Republiken

Niederlande in der Schweiz (Teil 3)
Zurück zu Teil 2: Wie die Reformation die frühe Niederlande begründete.

Wir stehen vor dem Gerechtigkeitsbrunnen aus dem Jahre 1543. Er steht in seiner ganzen Symbolik für die Reformation, versteckt auch für die Republik. Auf dem Postest steht Iustitia mit verbundenen Augen und der Waage in der Hand. Das meint, das Recht soll unabhängig von der Herkunft gelten. Die Frauenfigur überragt auch alle damaligen Herrscher: den Kaiser, den Papst, den Sultan und … ja, bei der vierten Männerfigur gehen die Deutungen auseinander: Die Geschichtsforscher sehen in ihm den deutschen König, die Lokalhistoriker den Berner Schultheiss. Warum?
1576 war ein einschneidendes Jahr für die damalige Staatstheorie. Zuerst veröffentlichte der Franzose Jean Bodin seine «Six livres de la République». Dann doppelte der Josias Simler mit «De Republica Helvetorium» aus der Eidgenossenschaft nach.
Bodins Werk begründete die neue Souveränitätslehre. Demnach war nicht nur der Kaiser souverän. Vielmehr plädierte er für eine wohlgeordnete Monarchie mit Gesetzen, Republik genannt.
Bodin behandelte auch die Eidgenossenschaft, die er als aristokratischen Staatenbund charakterisierte, entstanden aus einer Liga verbündeter Orte im Kaiserreich. Genau das führte der Theologe Simler mit der ältesten Landeskunde der Schweiz aus.
Traditionell geblieben seien Kantone wie Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus, Zug und Appenzell mit ihren Landesgemeinden. Bern, Freiburg, Solothurn und Luzern waren Patriziate mit Grundbesitzern in den Städten lebten. Zürich, Schaffhausen und Basel wiederum kannten Zunftregimes mit einer gewerblich ausgerichteten Führung der Stadt. Für ersteres verwendete er den Begriff der Demokratie, für letzteres den der Republik.
Simlers Landeskunde erschien, wie es sich noch gehörte, in Latein, wurde aber auch ins Deutsche und Französische übersetzt. Und, man staune,1613 auch ins Niederländische!
Denn nur drei Jahre nach Erscheinen des Buches in Zürich hatten die Niederländer ernst gemacht mit der neuen Staatsform. Wilhelm I. von Oranien, den wir bereits kennen gelernt haben, führte den Kampf gegen die herrschenden Habsburger aus Spanien an. Diese waren selbstredend Katholiken. Die niederländische Opposition hingegen war calvinistisch. Schriften eines reformierten Theologen aus der Schweiz interessierten da!
Die Geschichtsschreibung beschäftigt sich seither gerne mit dem Vergleich der Niederlande und der Schweiz. Denn nach den traditionellen Republiken in Venedig und Genua waren sie die ersten, die mit der neuen Staatsform experimentierten. Zu ihrer Zeit begingen sie also einen Sonderweg.
Die gemeinsamen Ursprünge der neuen Republiken von damals liegen im Unabhängigkeitskrieg gegen Habsburg. Die Eidgenossen fochten ihn von 1315 und 1477 in einem 160jährigen Prozess aus. Die Niederlande brauchte von 1568 bis 1648 halb solange 80 Jahren.
In den Niederlanden verliefen Reichstrennung und Reformation gleichzeitig. Das führte zum Bruch. Anders in der Eidgenossenschaft, wo beides nacheinander geschah. Die Reformation verstärkte nur die Entfremdung vom Reich in ihren Orten. Der westfälische Friede war ein Einschnitt, aber kein gänzlicher Bruch.
1648 entstand die Republik der sieben Provinzen als eigener Staat. Die Eidgenossenschaft bezeichnete der Friedenvertrag als “Corpus Helvetiorum” als “Staatenbund der Helvetier”.
Das hatte auch Gründe im Innern. Die Reformation in den Niederlanden verlief uniformer. Holland war in der Konföderation immer das Machtzentrum. Und die Oranier sahen sich stets in der Rolle eines Quasi-Monarchen. In der Eidgenossenschaft blieben die lokalen Unterschiede, der Regionalismus und die Wachsamkeit, das keine Zürcher oder Bern zu stark werden konnte.
So haben die frühneuzeitliche Niederlande und Eidgenossenschaft durchaus Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede!