Stadtwanderung Ochsenbein 8: Der erste Bundesrat


Wir stehen erneut vor dem Erlacherhof. Es war von 1848 bis 1857 der Amtssitz des Bundesrats. Ueli Ochsenbein gehörte dem Gremium von 1848 bis 1854 zwei Legislaturperioden lang an, bevor er abgewählt wurde und ganz aus der Politik ausschied.

Die Verfassungskommission hatte es 1848 knapp abgelehnt, den Bundesrat durch das Volk wählen zu lassen. Beim Bi-Kameralismus folgte man dem damaligen Vorbild, nicht aber bei der Regierung. Vor allem wollte man keinen starken Präsidenten, vielmehr berief man sich auch das Prinzip der Kollegialregierung, wie es Napoleon Bonaparte 50 Jahre zuvor die Helvetische Republik eingeführt hatte.
Die Volkswahl des Bundesrats scheiterte in der Verfassungskommission knapp. Die Radikalen favorisierten die Parlamentswahl, die sich besser steuern konnte. Nach der ersten, dreijährigen Amtsperiode entwickelte man ohne Verfassungsgrundlage einen Kompromiss zwischen Volks- und Parlamentswahl, die man Komplimentswahl nannte. Erstes Opfer des eigenartigen Verfahrens war 1854 übrigens Ulrich Ochsenbein.
Mit der Komplimentswahl, die bis in die 1890er Jahre praktiziert wurde, mussten alle Bundesräte am Ende einer Legislaturperiode zurücktreten, sich in den Nationalrat wählen lassen und wurden erst dann von der Bundesversammlung im Amt bestätigt.
1851 gelang dies Ochsenbein noch, doch rutsche er vom Platz des Bestgewählten auf jenen des Letztgewählten. Es war selbst Stimmen der Konservativen nötig, damit er die Wiederwahl durch die Bundesversammlung überhaupt schaffte.
Drei Jahre später scheiterte er ganz. Denn bereits die Wahl in den Nationalrat misslang ihm. Er verstand die Lektion. Bei der Bundesratswahl war er nicht einmal mehr anwesend. An seine Stelle rückte sein ewiger Rivale Jakob Stämpfli als Berner Vertreter im Bundesrat auf.
Was war geschehen? – 1846, bei der ersten demokratischen Parlamentswahl im Kanton Bern, errangen die Radikalen eine überwältigende Mehrheit. Doch verloren sie diese im Verlaufe der Zeit. Um eine regierungsfähige Mehrheit zu bekommen, fusionierten im Vorfeld der kantonalen Wahlen von 1854 die Radikalen und Konservativen zu einer einzigen Staatspartei. Ochsenbein war einer der Förderer dieser Fusion gewesen. Zu gerne hätte er das 1850 auch auf Bundesebene so gemacht, und aus dem politische breit gefächterten «Freisinn» eine einheitliche Partei formiert.
Er kann erster Begründer einer Mitte-Partei in der Schweiz gelten. National misslang es, kantonal setzte er sich durch. Genau das trug ihm den definitiven Groll der Radikalen um Stämpfli ein, weshalb diese seine Wiederwahl vereitelten.
Wie wir heute wissen, ist das in der Schweiz sehr unüblich. Es kam erste viermal vor, letztmals bei der «Abwahl» von Christoph Blocher, der 2007 nach nur einer Amtszeit aus dem Bundesrat ausschied. Bei waren bei der Abwahl Vize-Präsidenten des Bundesrats und kurz davor, den absoluten Karriere-Höhepunkt zu erklimmen. Beiden blieb dies versagt.
Ochsenbein traf die Abwahl sehr hart. Sie warf ihn zunächst wirtschaftlich aus der Bahn, je länger, je mehr aber auch gesellschaftlich. Er war am 1. Januar 1855 der prominenteste Arbeitslose des Bundesstaates! Finanziell stand er vor dem Nichts, denn ein Ruhegehalt gab es nicht. Nicht einmal ein nachträgliches war damals möglich …
Ochsenbein versuchte, sich mit seinem wichtigsten Kapital das er hatte, durchbringen. Der abgewählte Vorsteher des Militärdepartements heuert bei der Armee des monarchistischen Frankreichs an. Für den Krimkrieg versuchte er eine Armee aufzustellen, die er als General befehligen wollte. Es war kein Erfolg, und er gab bald auf. 1871 trat er dann doch noch in den Dienst Frankreichs, nun als General für die republikanische Armee.
Dazwischen hatte er sich ins Seeland zurückgezogen. In Port hatte er das «Bellevue» erworben, wo er sich als Landwirt und Pferdehändler betätigte. Er wurde auch als Schriftstelle aktiv, so zu Juragewässerkorrektion, dem ersten grossen nationalen Bauprojekt des Bundesstaates.
Sein versuchter Wiedereinstieg in die kantonalen Politik für eine christliche Zentrumspartei misslang. Unglücklich kämpfte er vor Gericht auch gegen Anschuldigungen, die er als Verleumdungen klassiert. Zu guter Letzt löste sich ein Schuss aus seinem Jagdgewehr, als er sein Wohnhaus verlassen wollte und traf seine Frau tödlich.
1890 verstarb Ochsenbein vereinsamt in Port. Begraben liegt er auf dem Friedhof von Nidau, da wo ein halbes Jahrhundert davor sein Blickkarriere im werdenden Bundesstaat begonnen hatte.