4. Station: Lobbyismus – Prozessmanagement, nicht Feuerwehr

Nun sind wir in der Mitte des Regierungsviertels der Schweiz. Links ist das Parlament, hinter uns der Regierungssitz. Vor uns ist der gesamte Komplex als Miniatur.

Institutionell sind Regierung und Parlament getrennt, wie es die Gewaltenteilung will. Vom Prozess der Gesetzgebung her sind sie aber eng verzahnt. Man müsste eher von Gewaltenverschränkungen reden.

Politische Entscheidungen als Prozess
Der Berner Politologe Wolf Linder hat die Stationen der Entscheidungsfindung in einem Rad-Diagramm nachgezeichnet. Er zeigt, wie Parlament und Regierung verschränkt sind und unterscheidet die vorparlamentarische Phase, die Entscheidungsphase und die nachparlamentarische Phase.
In der vorparlamentarischen Phase sind verwaltungsinterne Arbeitsgruppen und externe ExpertInnen aktiv. Das mündet in eine Vernehmlassung bei betroffenen Organisationen. Daraus entsteht die Botschaft ans Parlament.
Das Parlament bestimmt einen Erst- und Zweitrat. Zuerst beraten jeweils die Kommissionen, dann ist das Plenum an der Reihe. Kommen beide Kammern zu unterschiedlichen Schlüssen, ist eine Differenzbereinigung nötig. So oder so endet diese Phase mit der Schlussabstimmung.
Wenn eine Nachentscheidung des Volkes verlangt wird, folgt die BürgerInnen-Beteiligung mit der Volksabstimmung. Geht das zugunsten der Behörden aus, beginnt die nachparlamentarische Phase mit Verordnungen und Massnahmen. Allenfalls kommt es wieder zu einer Vernehmlassung bei den Betroffenen.
Eingriffsmöglichkeiten des Lobbyings
Transparency International hat die möglichen Eingriffe durch das Lobbying systematisiert. Hotspots sind
. Expertenkommissionen und Vernehmlassungen,
. parlamentarischen Kommissionen
. Referendumsabstimmungen
. Verordnungen.
Generell hat sich die Auffassung durchgesetzt, die Führung des Prozesses sei wichtiger als punktuelle Eingriffe. Eine geglückte Einflussnahme im vorparlamentarischen Prozess bedeutet nämlich keinen gesicherten Erfolg im Parlament, und eine Mehrheit in beiden Räten garantiert keine sichere Mehrheit in der Volksabstimmung.

Prozessmanagement ist gefragt
Meine Folgerungen: Gute LobbyistInnen sind keine Feuerwehrsleute, um Brände zu löschen. Vielmehr sind sie in erster Linie Prozessmanager. Sie müssen in der Lage sein, fachlich vertiefte Vernehmlassungen zu begleiten. Sie müssen einen direkten Draht ins Parlament haben. Und sie müssen einen Abstimmungskampf führen können.
Das grosse Programm zur Steuersenkung in den 00er Jahren des 21. Jahrhunderts war so ein Beispiel. Es dauerte Jahre, und es betraf nicht den Bund. Wer das steuern muss, betreibt Campaigning. Das ist zielorientiertes Handeln mit den Mitteln der Kommunikation, egal welche Arena gerade relevant ist. So etwas bewältigen kann zum Beispiel economiesuisse, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft.
Das Richtige im richtigen Moment an der richtigen Stelle in der richtigen Form einfliessen zu lassen, macht eben den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Lobbying aus.
Für Einzelmasken unter den LobbyistInnen ist Campaigning zu anspruchsvoll. Einfacher haben es da Agenturen, die fachlich spezialisiert sind und breite Kompetenzen haben.

Den Lebenszyklus einer Konfliktthemas kennen
Lobbyisten müssen, so meine zweite Folgerung, auch den «Lebenszyklus» eines Konfliktthemas kennen. Der muss nicht identisch mit institutionellen Entscheidungen sein.
Alles beginnt mit einer Erwachensphase, wenn ein Themen neu auftritt. Es folgt die Wachstumsphase, wenn das Thema öffentlich wird. Allenfalls mündet das in eine eigentlichen Krisenphase mit einer politischen Kontroverse. Abgeschlossen wird alles mit einer Regulationsphase, in der verbindliche Entscheidungen getroffen werden.
Die Öffentlichkeit interessiert sich meist nur für die Krisenphase. Ganz anders müssen LobbyistInnen vorgehen. Früherkennung ist ihr wichtigstes Stichwort. Sie wissen, dass man in den frühen Phase viel mehr erreichen kann als in den späten.
Ein Beispiel: Die Entscheidungsschwäche des Bundesrats zum Rahmenabkommen hat ein politisches Vakuum entstehen lassen. Genau in dieses fährt gegenwärtig die Agentur Farner ihre Kampagne gegen das InstA. Sie formiert aus der Opposition einzelner Unternehmer eine Allianz und verlangt schon mal den Übungsabbruch. Die Befürworter sind überrascht und wirken gelähmt. Das hat mehr mit geschickter Kommunikation als mit geschickter Politik zu tun.

Und weiter …
So, wir wissen nun, warum das Prozessmanagement wichtiger ist als Interventionen im Parlament. Weiter geht es mit dem Lobbyismus in der vorparlamentarischen Phase.
Das ist Sache der Exekutive – gleich hinter uns.

3. Station: der direkte Draht ins Parlament

Über uns ist die Wandelhalle des Nationalrats. Vereinfacht gesagt ist das der Treffpunkt für LobbyistInnen. Im Saal sind die InteressenvertreterInnen.

Die Polarisierung verändert das Lobbying
Die Polarisierung der politischen Landschaft hat die Parlamentsarbeit verändert. Durchwegs zugenommen hat die Geschlossenheit der Fraktionen. An den Polen war sie schon immer hoch. Jetzt ist es auch im Zentrum so. Um Gewicht zu haben, muss man en bloc abstimmen.
Das verändert das Lobbying. Ein regelmässig publiziertes Rating der “SonntagsZeitung” zeigt, wer zählt. Gold ging jüngst an Christian Levrat, den Freiburger Ständerat, vormaligen SP-Präsidenten und Schachspieler. Silber erhielt Pirmin Bischof, Ständerat aus Solothurn, und Bronze bekam Thomas Aeschi, Zuger Nationalrat und Fraktionspräsident der SVP.

Interessenvertretung im Parlament
Man nennt unser Parlament Arbeitsparlament. Das steht im Gegensatz zum Redeparlament wie in England. Dreh- und Angelpunkte eines Arbeitsparlaments sind die Kommissionen. Das sind Arbeitsausschüsse. Ihre Zusammensetzung folgt der Stärke der Fraktionen.
Am bekanntesten sind die Sachkommissionen. Davon gibt es neun. Die prestigeträchtigste ist die WAK, die Kommission für Wirtschaft und Abgaben.
Nirgends wird die Interessenvertretung deutlicher als da. Eine Bachelorarbeit ergab: Wenn sich WAK-Mitglieder treffen, sitzen 150 bis 200 mandatierte Interessen mit am Tisch.
Total zählt man im Bundesparlament knapp 2’000 Interessenbindungen, verteilt auf 1’700 Organisationen. Mindestens 17 Branchen haben so einen direkten Draht ins Parlament. An erster Stelle stehen Hilfswerke, Nonprofit-Organisationen und soziale Institutionen. Es folgen Medien, Telekommunikation und Kultur. Als Drittes kommt die Bauwirtschaft, knapp vor Bildung und Forschung.
Durchwegs sind es Wirtschaftszweige, die auf Subventionen angewiesen sind.
Die zentrale Rechtfertigung leitet sich aus dem Milizprinzip ab. Unsere ParlamentarierInnen seien gewählte Bürger- und KantonsvertreterInnen, dank denen Wirtschaft und Gesellschaft direkt in die Gesetzesarbeit eingebunden werden.

Die Elite der InteressenvertreterInnen

Gemäss politikwissenschaftlichen Untersuchungen setzen unsere die PolitikerInnen rund 80% einer normalen Arbeitszeit für ihre politische Arbeit ein. Im Ständerat sind es eher mehr, denn die Kommissionsmandate sind da auf weniger Personen verteilt. Im Nationalrat haben die Mitglieder häufiger Ämter für die Partei. Die Website des Parlaments spricht denn auch von einem «Halbberufsparlament». Das Milizparlament ist adé.
Mitglieder der grossen Kammer verdienen im Schnitt knapp 150’000 CHF für ihre Parlamentstätigkeit und rund 30’000 CHF zusätzlich aus ihrer politischen Arbeit darüber hinaus. Ständeräte stehen besser da. Die mittlere Entschädigung beträgt rund 175’000 CHF; im Schnitt kommen noch 110’000 CHF hinzu.
Eine Langzeituntersuchung zeigt: Einträgliche Mandaten sind im bürgerlichen Lager häufiger als im linken. Langjährige Volks- und Kantonsvertreter, die rechts stehen, bilden die Parlaments-Creme.
Der Politologe Wolf Linder hat das auf eine griffige Formel gebracht: MilizpolitikerInnen, die ein Leben lang politisch viel gearbeitet und wenig verdient hätten, würden dazu neigen, mal wenig zu arbeiten und viel zu verdienen.

Badges für das Direkte, parlamentarische Gruppen für das Indirekte
Bis hierher ging es gar nicht um Lobbying. Das kommt erst mit den Badges ins Spiel, die Externen Zutritt zum Parlamentsgebäude verschaffen. Aktuell kann jedes Mitglied des eidgenössischen Parlaments zwei davon vergeben. Anteilsmässig am meisten Badges hat die glp im Umlauf, am wenigsten die SVP. Gemäss NZZ sind die LobbyistInnen die hauptsächlichen NutzniesserInnen, gefolgt von persönlichen MitarbeiterInnen und weiteren Gästen.
Badges haben übrigens auch alt ParlamentarierInnen, Vertreter der Bundesverwaltung und der Kantone. Total haben knapp 500 Personen einen freien Zugang zum Parlament.
Vernachlässigt werden so aber die überparteilichen parlamentarischen Gruppen, die sich einfach aus den Interessierten an einem Thema bilden. Sie tagen meist einmal pro Session etwa im Hotel “Bellevue” und werden nicht selten von einer entsprechenden Lobbyorganisation geführt.
Noch lockerer ist das Verhältnis von informellen Schnittstellen am Rande des Parlaments. Sie bilden sich um spezifische Interessen und bereiten häufig parlamentarische Interventionen unter Gleichgesinnten vor.
Das System ist praktisch nicht reformifähig. Denn der Graben geht zwischen “haves” und “not-haves”. Viele möchten einmal haves werden und belassen deshalb die geltenden Regeln.

Bilanz: pluralistisch, allgegenwärtig und ungeregelt
Bilanziert man das Lobbying im und gegenüber dem Parlament, kann man festhalten:
Die Grenze zwischen per Wahl mandatierter Interessenvertretung und externer Einflussnahme durch Lobbyisten ist in der Schweiz fliessend.
Was erlaubt ist und was nicht, ist weitgehend ungeregelt.
Lobbying betreiben eigentlich alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen und Fraktionen.
Kurz: Das Muster der Beziehungen zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist nirgends so pluralistisch als hier.

Und weiter …
Man muss sich trotz allem fragen, ob das Parlament der zentrale Ort der Machtausübung ist. Die meisten Politikwissenschafter sind skeptisch. Davon gleich mehr.
Weiter geht’s!