Stadtwanderung zum Klimawandel: 2. Station, Einstein-Bank beim Rosengarten

Die Raumzeit um Bern

Wir stehen vor Albert Einstein. Berühmt wurde der Professor für theoretische Physik durch seine Formel E=mc2. Eine der interessantesten Wortschöpfungen Einsteins war die „Raumzeit“. Denn die Zeit sei die vierte Dimension des dreidimensionalen Raums, sagte er.
Man kann es auch anschaulicher ausdrücken: Schauen wir des Nachts in den Sternenhimmel, blicken wir unweigerlich in die Vergangenheit. Denn bis das Licht bei uns ankommt, braucht es Zeit. Was wir jetzt sehen, ist schon vorbei.


Der geschärfte Blick in die Umgebung
Berichtet man im Raum vor uns auch über Vergangenes? – Vergangenes ist vergangen, könne man einwenden, aber es hat Spuren hinterlassen, würde ich entgegnen!
Schauen wir zuerst nach rechts: Ohne Häuser und Straßen bleibt die Breitenrain-Ebene, davor ist der steile Abhang. Geologisch gesprochen handelt es sich um die Endmoräne des Aaregletschers. Bei seiner letzten Ausdehnung vor rund 20000 Jahren reichte er bis hierher.
Schauen wir nach links, sehen wir die Alpen, von wo der Aaregletscher kam. Die Alpen sind geologisch älter als der Gletscher. Sie entstanden vor rund 30 Millionen Jahren.
Schauen wir nun gerade aus, sehen wir den Gurten, unseren Hausberg. Er wurde durch gleich zwei Gletscher geformt. Das ist am schwierigsten zu erkennen!
Nun der Reihe nach!

Die Entstehung der Alpen
Die Alpen entstanden, als sich die relativ kleine adriatische Platte von Afrika löste und in die viel größere eurasische stieß. Teils wurde sie richtiggehend verschluckt. Teils faltete sie die eurasische Platte, woraus in einem langen Prozess das neue Gebirge, Alpen genannt, entstand.
Die Bildung der Alpen erzeugte viel vulkanischen Auswurf und war damit klimatisch relevant. Nördlich und südlich war je ein Meer. Das nördliche reichte von der Gegend um Grenoble bis in die Gegend um Wien. Man nennt es Molassemeer, seicht wie das heutige Wattenmeer. Der reichliche Sand wurde zu Molasse, einem poröses Gestein, noch bevor das Meer austrocknete.
Auch das südliche Meer verschwand und hinterließ eine Wüste mit salzhaltigem Boden. Vor 5 Millionen Jahren brach jedoch der Atlantik bei Gibraltar durch und füllte die Ebene, sodass das heutige Mittelmeer entstand.

Gletscher formen die Landschaft
Für die Landschaft, wie wir sie heute kennen, brauchte es noch die Gletscher – eine Folge der Abkühlung in den letzten Kaltzeit, also der letzten 115000 Jahre. Dazu zählen nebst dem Aaregletscher der Walliser- oder Rottengletscher, der Reuss-, und der Rheingletscher (siehe Bild).
Der Wallisergletscher verzweigte sich im Gebiet von Vevey. Der eine Ast bedeckte weite Teile des westlichen Mittellandes. Mindestens mit dem Aaregletscher kollidierte er. Man geht davon aus, dass dies beim Gurten der Fall war. Von Südosten kam der Aaregletscher, von Südwesten der Wallisergletscher. Beide formten den Berg.
Der heutige Gurten selber war ganz unter Eis, anders als der Bantiger hinter uns. Damit wäre das Eis hier etwa 500 Hundert Meter dick gewesen. Davon sieht man nichts mehr!
Die Gletscherschmelze ist immer noch einer der besten Beweise, wie stark sich das Klima erwärmt hat.

Gletscherseen früher und heute
Mit der Gletscherschmelze entstanden Seen. Der grösste ging aus dem Wallisergletscher hervor. Seine Endmoräne war im Gebiet des heutigen Wangen an der Aare. Sie soll über 100m hoch gewesen sein und einen See bis in die heutige Waadt gestaut haben. Man nennt ihn den Solothurnersee.
Der Abfluss bohrte sich in den Damm, bis dieser vor rund 10000 brach. Der Solothurnersee verschwand. Übrig blieben der Bieler-, Neuenburger- und Murtensee, und dazwischen das Seeland als sumpfige Gegend.
Auch der Aaregletscher hinterließ einen See, Wendelsee genannt. Er begann in Meiringen und endete in Kiesen. Omen es nomen! Denn Geschiebe aus der alten Kander verkleinerte ihn nach und nach, und via Lütschinen wurde er sogar zweigeteilt. Was blieb, kennt man als Thuner- resp. Brienzersee. Schriftlich belegt ist das Bödli dazwischen seit rund 1000 Jahren.
Wer meint, das sei alles bloße Vergangenheit, täuscht sich. 2021 zeigte ein Studie der EAWAG, dass seit 1850, dem jüngsten Tiefpunkt in der Temperatur, die Wasserfläche an Seen um jährlich 40000 m2 wuchs. In den letzten 10 Jahren hat sie angesichts der neuesten Klimaerwärmung im Schnitt gar um 150000 m2 zugenommen. Zwischen 2006 und 2016 sind auch 180 neue Gletscherseen entstanden. Einzelne, wie der beim Plaine-Morte-Gletscher oberhalb Lenk, müssen gar künstlich entwässert werden, damit der Damm nicht bricht und eine Flutwelle auslöst.

Harter Granit und weicher Sandstein
Ein großes geologisches Rätsel blieben bis in die 1830er Jahre die vielen, teils massiven Felsbrocken aus Granit in der Berner Landschaft. Sie waren so anders als die poröse Molasse.
Lange glaubte man, sie seien durch Vulkane ausgespuckt und durch die Luft gewirbelt worden. Dann machte Louis Agassiz aus Motier am Murtensee eine Entdeckung. Er wies mit Hütten auf den Gletschern erstmals nach, dass sie fließen, wenn auch langsam. So erklärte er, dass die Gletscher den Granit aus den Alpen transportiert hatten und sie nach dem Schmelzen stehen ließen.
Ein berühmter unter den Findlingen steht heute noch an der Autobahnausfahrt bei Muri. Als man die Schnellstraße kürzlich auf sechs Spuren vebreiterte, musste man der 373 Tonnen Koloss aus dem Haslital um wenige Meter verschieben – ein Kraftakt für Menschen&Maschine. Mächtige Gletscher machten das seinerzeit ohne Aufsehen!
Granit und Molasse waren bis Ende des 19. Jahrhunderts zwei wichtige Baumaterialien für Bern. Nur nennt man Molasse hier Sandstein. Das Bundeshaus, 1902 eröffnet, bildete den Höhepunkt für diese Bauart. Das Fundament ist hart, aus Granit, der Bau selber eher weich, aus Sandstein eben.
Seither geht da nicht mehr viel. Sandstein wurde durch Beton und Stahl abgelöst.

Berühmte und berüchtigte Professoren
Albert Einstein machte seine bahnbrechenden Entdeckung in der Berner Altstadt, als das Bundeshaus gebaut wurde. Er sei der Mann des 20. Jahrhunderts, schrieb das Time Magazine über den berühmten Professor.
Auch Agassiz hätte eine herausragender Wissenschafter des 19. Jahrhunderts werden können. Wie Einstein wurde er für seine grundlegende Entdeckungen Professor in den USA. Allerdings interessierte er sich da kaum mehr für die noch junge Glaziologie. Vielmehr beschäftigte er sich mit der aufkommenden Rassenlehre und begründete, dass der weiße Mann die überlegene Menschenart sei.
Das gilt heute als Irrlehre. Historiker wie Hans Fässler aus St. Gallen haben Agassiz deshalb schon vor BLM vom Sockel gestoßen. Nur in den Alpen gilt der berüchtigte Professor noch etwas, denn er bleibt der Namensgeber des Agassizhorns auf Berner Boden.
Für uns höchste Zeit, hinunter an die Aare zu gehen, um das Leben der Menschen im Urwald des Mittellandes kennen zu lernen.