Besuch in meiner Heimatgemeinde

Ich war heute in Assens, Kanton Waadt. Das ist seit 2009 meine Heimatgemeinde, hervorgegangen aus einer Fusion. Damals löste sich das Nachbardorf Malapalud auf, mein eigentlicher Heimatort.


Bild links: Kirche aus dem 13. Jahrhundert, heute mit dem Hahn, Bild rechts: Kirche aus dem 19. Jahrhundert, heute mit dem Kreuz

Malapalud
Malapalud ist ein lateinischer Name, der sich aus “mala”und “palud” zusammensetzt und ausgedeutscht ein schlechter Sumpf ist. Und die Longchamps sind die Lengsfelder – ein Flurname, der für ein abgelegenes Feld verwendet wurde.
Hintergrund der beiden Namen ist die Aktion der Berner, die sie nach 1536 einführten. Unter Schultheiss Hans-Franz Nägeli waren sie bestrebt, die jungen Untertanen vom Solddienst für das päpstliche Italien abzuhalten. Dafür offerierten sie die Möglichkeit, ein Stück Land im Gros-de-Vaud zu bekommen, wenn man es davor entwässerte.
So entstand Malapalud, dem wohl schlechtesten Sumpf der Region, der von den Leute bewirtschaftet wurde, die man ohne grosse Identität Langfelder nannte.
Ich war vor 45 Jahren erstmals in Malapalud. Die Gemeinde hatte eben dem 20jährigen zur Volljährigkeit gratuliert, ihm aber gleichzeitig mitgeteilt, zu arm zu sein, um mich bei einer allfälligen Armengenössigkeit unterstützen zu können.
Ich beschloss, den Ort zu besuchen. Mit dem Auto angekommen, begrüsste man mich skeptisch. Man sei gegen Strassen, hiess es. Beim Syndic, der gerade auf einem Miststock stand, stellte ich mich vor: “Je m’appelle Longchamp!” – “C’est rien special ici”, erhielt ich barsch zurück. Wir fanden uns doch noch!
Das kleine Bauerndorf lebte damals von der Pferdezucht und einem Zugezogenen, der das Gemeindebudget alimentierte.
Heute zählt der Weiler Malapalud 100 EinwohnerInnen. Kaum jemand heute ein Pferd, dafür stehen viele Einfamilienhäuser entlang der Strasse.
Dennoch ist man keine selbständige Gemeinde mehr. Vielmehr gehört man administrativ zum benachbarten Assens.

Assens
Die Fusionsgemeinde Assens zählt heute rund 400 EinwohnerInnen. Das Auffälligste im Dorf sind zwei Kirchen, nur 100 m von einander entfernt.
Die ältere Kirche, im gotischen Stil gebaut, ist seit 1228 bezeugt und gehörte dem Bistum Lausanne.
Die bernische Reformation setzte sich in Assens kaum durch. 1619 entschied sich die Gemeinschaft, trotz verschiedenen Glaubensbekenntnisse eine paritätische Kirchgemeinde zu sein. Katholiken und Reformierte sollten die gleiche Kirche abwechslungsweise nutzen dürfen.
Selbst die Tagsatzung musste sich damit beschäftigen. Denn es war weit herum die einzige Institution dieser Art. Deshalb kamen sonntags selbst die Katholiken aus Lausanne ins 25 Kilometer entfernte Assens. Unter ihnen war auch kein geringerer als der Genfer Jean-Jacques Rousseau, der konvertiert war und, als er in Lausanne wohnte, regelmässig nach Assens pilgerte.
Die Einvernehmlichkeit der Konfessionen verschlechterte sich allerdings im 19. Jahrhundert, als Assens ein fester Teil des reformierten Kantons Waadt wurde. Der verstaatlichte die Kirchengüter vorerst rigoros.
Die Katholiken mussten nachziehen, weshalb heute zwei Gotteshäuser in der Gemeinde, das alte für die Reformierten, und eine neue für die Katholiken.
Soweit ich das beurteilen kann, ist das genau ein Gebäude mehr als es im Dorf für das einzige Restaurant braucht!

Echallens
Nun hat der katholische Hintergrund der Gemeinde Assens seine historische Bewandtnis. Denn das nahe gelegene Echallens, seit jeher ein Verkehrsknotenpunkt mit Strassen von Ost nach West und Nord nach Süd, war im 15. Jahrhundert burgundisch. Der Graf von Macon verwaltete es als Vasall für den Herzog von Burgund.
Als dieser im Burgunderkieg 1474-1477 gegen die Eidgenossen verlor, mussten die Berner und Freiburger Echallens und Umgebung wieder aufbauen, durften es aber als gemein(sam)e Herrschaft behalten. Die umliegenden Ländereien, die meist savoyisch waren, mussten sie aber zurückgeben.
Da setzten die Berner nach 1536 die Reformation erfolgreich durch. In den ehemalig burgundischen Gebieten rund um das katholische Echallens scheiterten sie allerdings weitgehend.
Nur die Befriedung der Bauern gelang ihnen, dank ihrem Entsumpfungsprojekt im Gros-de-Vaux.

Was (mir) bleibt
So blieben meine burgundischen Vorfahren bis heute katholisch. Auch ich bin es noch, wenn auch eher ein Kulturkatholik als ein überzeugter Kirchgänger.
Wirtschaftlich arrangierten sich meine Vorfahren schon früh mit dem reformierten Bern, das sie von der Leibeigenschaft befreite und sie zu Untertanen mit eigenem Land machte.
Das verteidigen die Leute mitten im Gros-de-Vaud noch heute selbstbewusst – als patriotische WaadtländerInnen, die sich aber nicht mehr umkehren, wenn man mit dem Auto und einem fremden Nummernschild vorfährt.