Die entscheidenden Tage 1848

Seit dem 18. Februar 1848 tagte die Verfassungskommission mit 23 Mitglieder, welche die erste selber gestaltete Verfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft erlassen sollte. Nach 51 Tage und 312 Sitzung war sie fertig, und in der Vernehmlassung wurde nur noch wenig geändert. Die Arbeiten wurden in vier Arbeitsgruppen vorbereitet. Am 3. März, heute vor 175 Jahren, begannen die Verhandlungen der AG Institutionen. Es sollten die entscheidenden 3 Wochen sein, in denen die Grundstruktur des damaligen politischen Systems festgelegt wurden.

“Am 3. März 1848, in der 12. Sitzung der Verfassungskommission, wurde erstmals die Revision der Bundesbehörden thematisiert. Kern und Druey schrieben zum Grundsatz, an dem sich die Kommission bei der Reform der Institutionen orientierte: «Kein Rückschritt, aber auch keine Sprünge. Wenn es einen Zustand der Dinge gibt, in welchem sich die Schweiz nicht mehr befindet, so gibt es auch einen andern, in welchem sie zur Zeit noch nicht ist.»
Die Schweiz war nicht bereit für einen umfassenden Zentralstaat, doch sollte die neue Verfassung im Gegenzug mehr als nur einen losen Zusammenschluss souveräner Kleinstaaten begründen. Für diese Konstellation mussten die passenden Institutionen gefunden werden.
Am 3. März wurde vom St. Galler Wilhelm Matthias Näff vorgeschlagen, die Tagsatzung beizubehalten, deren Geschäfte aber aufzuteilen. Verhandlungen, die Einfluss auf die Kantonalsouveränität haben konnten, sollten weiterhin an Instruktionen gebunden sein. Bei anderen Gegenständen, «bei welchen die Kantone als solche nicht besonders interessiert wären», sollten die Gesandten der Kantone frei und ohne Instruktion beraten können.
Die Anzahl der Repräsentanten sollte aufgrund der Einwohnerzahl des Kantons ermittelt werden. Der Waadtländer Henri Druey brachte dagegen einen viel weiter gehenden Vorschlag ein: «Die ganze Schweiz, ohne Rücksicht auf die Kantone», sollte in Wahlkreise eingeteilt werden. Die Instruktion der Parlamentarier sollten ganz wegfallen.
Auch die Beibehaltung der Tagsatzung, wie sie im Bundesvertrag von 1815 niedergelegt war, stand durchaus noch zur Debatte.
Furrer brachte in der Sitzung vom 6. März das Zweikammersystem ins Spiel. Er selber war im Grunde dem System Drueys zugeneigt, erkannte aber, dass die Beschränkung auf eine Kammer, welche die bisherige Kantonalrepräsentation vernachlässigte, keine Chance haben würde. Denn über die konservativen Gruppierungen beider Konfessionen hinaus gab es auch zahlreiche Radikal-Liberale, die möglichst starke föderalistische Strukturen forderten. An Escher schrieb Furrer nach den Verhandlungen: «[…] ich halte diese Zweykammersysteme im Allgemeinen für unpraktisch, allein, wenn man ändern will in der Repräsentation, so wird kaum irgend ein andres System durchgehen […].» Er vertrat in der Kommission die Ansicht, dass man nicht zuviel fordern solle, da damit die gesamte Verfassungsreform gefährdet werden könnte: «Wenn man dasjenige über Bord werfe, was viele Kantone als das heiligste zu betrachten gewohnt seien, so lasse sich für das ganze Projekt nur eine ungünstige Stimmung besorgen […].»
Nach einer langen Debatte über Vor- und Nachteile der einzelnen Vorschläge kam es zu einer ersten Abstimmung. Für die Beibehaltung der bisherigen Kantonalrepräsentation – der Tagsatzung – sprach sich eine starke Minderheit von neun Teilnehmern aus. Elf stimmten für die Abänderung «in irgend einer Weise».
Der Gegenstand wurde zur Beratung an die erste Sektion überwiesen, in welcher unter anderem Furrer und Ochsenbein ihre Ideen einbrachten.
In der Sitzung vom 19. März 1848 stellte die erste Sektion ihre Vorschläge zur Revision der Bundesinstitutionen vor. Die Bundesversammlung sollte aus zwei Kammern bestehen, hier noch Repräsentantenrat und Tagsatzung genannt. Kontrovers wurden nun die provisorischen Artikel diskutiert, Veränderungen beantragt, immer wieder Abstimmungen über einzelne Passagen vorgenommen. Am Ende der Sitzung vom 23. März 1848 hatte man sich auf einen Entwurf geeinigt. Das Zweikammersystem, wie es im Grunde bis heute Geltung besitzt, hatte sich durchgesetzt.
Furrer gab zu Protokoll, dass er seine Zustimmung nicht erteilt habe, und schrieb kurz darauf an Escher: «Es sind alle möglichen Systeme und Projekte der Bundes-Organisation unter Eis gegangen; und das Zweykammersystem hat gesiegt, dasjenige, welches mir immer das widerwärtigste war; indess bey der bedeutenden Umgestalt[un]g der Tagsatzung kann ich mich ziemlich dabey beruhigen.»
Der «Neuen Zürcher Zeitung» liess Furrer einen Bericht über den Fortgang der Kommissionstätigkeit zukommen, in dem er erklärte, dass das Zweikammersystem angenommen worden sei, weil «für die Gegenwart kaum etwas anders ausführbar sei, indem jedes andere System sowohl auf der nationalen, als auf der kantonalen Seite sehr bedeutenden Widerstand finden würde».
Weit weniger Anlass zu Kontroversen bot die Diskussion über die Gestaltung der eidgenössischen Exekutive. Die Kommission entschied mit einer klaren Mehrheit von 21 Stimmen, einen Bundesrat einzusetzen, der aus fünf Mitgliedern bestehen sollte. Über Amtsdauer, Wahlmodus und Kompetenzen der Behörde einigte man sich schnell, und die Formulierungen für den Verfassungsentwurf standen bereits nach einer Sitzung fest.
Abgesehen von der Erhöhung der Anzahl der Bundesräte von fünf auf sieben wurde der Text nach der Vernehmlassung auch keinen grösseren Anpassungen mehr unterzogen. Die Abschaffung des Vororts als eidgenössisches Exekutivorgan stiess auf keinen Widerstand.”

Quelle: https://www.briefedition.alfred-escher.ch/kontexte/uberblickskommentare/Bundesrevision