Ochsentour, Teil 2: die Eidgenossenschaft driftet auseinander

Der Bürgerkrieg ist ein bewaffneter Konflikt zwischen verschiedenen Gruppen eines Staates auf seinem Gebiet. Ziel ist die alleinige politische Macht. Dafür braucht es einen störernden Gegner, der abgesetzt oder vertrieben werden muss.
Bürgerkriege haben eine Vor- und eine Nachgeschichte. Die Nachgeschichte des Sonderbundskriegs ist die Gründung des Bundesstaats 1848 mit dem Prozess des nation buildings bis 1891. Die Vorgeschichte umfasst den Uebergang von 1798 bis 1847, um den es hier geht.

Phase des Umbruchs
Angefangen hat alles mit der französischen Besetzung der Schweiz 1798 und der Gründung der Helvetischen Republik. Der Zentralstaat auf demokratischer Basis wurde erstmals zum Vorbild – wenn auch nur für kurze Zeit.
Bereits 1803 ersetzte Napoleon Bonaparte das durch die Mediationsverfassung. Die Demokratie wich einer Herrschaft der Reichen, Zensusdemokratie genannt. Unterhalb des Zentralstaates entstanden 19 teilautonome Kantone.
Der Wiener Kongress brachte eine stärkere Restauration. Die Kantone wurden souverän, nur durch Konkordate bei gemeinsamen Interessen verbunden. Zur Sicherung der verlangten bewaffneten Neutralität wurde der Aufbau der Schweizer Armee erlaubt. Bei den Staatsformen waren die Kantone frei.

Fünf Regimetypen
Neuenburg gehörte gleichzeitig zur Eidgenossenschaft und zum Königreich Preussen; der Kanton war eine Monarchie. Wichtige Kantone wie Bern, Zürich, Basel und Luzern waren Adelsrepubliken wie vor der Franzosenherrschaft. Die Kantone, die Napoleon schuf, waren mit Ausnahme Graubündens Zensusdemokratien. Teilweise fühten sie auch erste Volksrechte wie das Veto ein. Namentlich die kleinen Kantone wie Uri, Schwyz oder Zug kehrten zur Landsgemeinde zurück. Und das Wallis und Graubünden bildeten ihrerseits eine Föderation, wie die Schweiz als Ganzes eine war.
Man hatte also autokratische Regimes wie die Monarchie oder Adelsrepubliken und halbdemokratische wie die Landsgemeindeorte oder die Zensusdemokratien nebeneinander. Richtig demokratisch war noch kein Kanton.

Die Regeneration
Der massgebliche Schritt Richtung Demokratie folgte 1830. Prägende Figur war Ignaz Troxler, Arzt aus dem luzernischen Beromünster. Er entwickelte sich zur vermittelnden Stimme. Er war katholisch, aber liberal. Er befürworte Demokratie, aber auch kantonale Eigenheiten. Vor allem konnte er zum Volks reden.
Im Tessin feierten die Fortschrittlichen ihren ersten politischen Sieg. Angeführt von Stefano Francini, einem Lehrer, der gegen die diskriminierenden Bildungsvorstellungen der römisch-katholischen Kirche kämpfte, bekam der Kanton eine demokratisch legitimierte Verfassung mit Grundrechten wie Pressefreiheit, einem allgemeinen Männerwahlrecht für das Parlament und eine davon separierte Regierung beziehungsweise ein eigenes Obergericht.
Verschiedene Kantone folgten mit neuen oder regenerierten Verfassungen. Der erste Versuch, darauf aufbauend einen neuen Bundesstaat zu gründen, scheiterte allerdings 1833. Der Plan Rossi der Tagsatzung sah einen liberalen Staat mit dem Luzern als Hauptstadt vor. Das Gremium war jedoch gespalten, als der Kanton Luzern in einer Vetoabstimmung Nein zur Hauptstadtaufgabe sagte und das Projekt beerdigte.

Erstmals Weltanschauungen
Das gescheiterte Projekt hinterliess eine weltanschaulich gespaltene Schweiz mit Radikalen, Liberalen und Konservativen.
Die Radikalen wollten einen laizistischen Volksstaat mit ausgebauten politischen Rechten, um sich gegen die katholische Kirche mit ihren Klöstern durchsetzen zu können. Dafür strebten sie nach einer zentral geführten Republik.
Die Liberalen bevorzugten einen Rechtsstaat für die wirtschaftliche Weiterentwicklung. Ihre Regierungsform war repräsentativ-demokratisch, mit einem Parlament, aber ohne Volksabstimmungen.
Die Konservativen wiederum waren gegen einen übergeordneten Staat an sich, denn die volle Souveränität der Kantone sollte bleiben. Die Regierungsformen in den Kantonen sollten den gewachsenen lokalen Traditionen angepasst sein.
Dahinter verbargen sich unterschiedliche weltanschauliche Vorstellungen von Zentralismus und Föderalismus, aber auch eines konfessionell gebundenen vs. laizistischen Staats.

Die Klosterfrage
Heftig umstritten waren vor allem die Klöster – wie dasjenige von Muri im aargauischen Freiamt. Den Radikalen gelang es via Grossen Rat die Schliessung durchzusetzen. Im Kanton Zürich putschten die Konservativen gegen die liberale Regierung, weil sie via Universität eine neue, rationale Theologie durchsetzen wollte.
In diesem Umfeld wurde auch die erste liberale Regierung im Kanton Luzern abgewählt und durch eine konservative ersetzt. Die holten die streng katholischen Jesuiten zurück, um das Bildungswesen im religiös geprägten Verständnis zu führen.

Der Aufbruch in der Heiliggeistkirche
Was danach geschah, haben wir als Eskalation kennengelernt, die im Bürgerkrieg endete. Ochsenbein geriet dabei zwischen die militärischen und politischen Fronten. Er wandte sich erstmals von der Idee des Einheitsstaates ab und befürwortete wie der Staatstheoretiker Troxler einen Bundesstaat mit geteilter Souveränität zwischen Nation und Kantonen.
Das sollte die Arbeit in der 1848 Verfassungskommission prägen.
Den Startschuss dazu gab eine grosse Feier in der vollbesetzten Berner Heiliggeistkirche, an der die Tagsatzung und Gäste auf die Zukunft anstiessen. Noch hatten sie aber einen Bürgerkrieg vor sich.

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