wo soll das alles enden?

er hat geistesgrössen des zwanzigsten jahrhunderts wie den historiker arnold toynbee oder den politologen samuel huntington beeinflusst. gleichzeitig wurde er von karl popper heftig kritisiert. genau dies ist typisch für die rezeption oswald spenglers ” untergang des abendlandes”. bis heute.

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“wo soll das alles enden?”, so könnte man die fragen nach der gestrigen ersten stadtwanderung der saison 2010 zusammenfassen. mit meinen gästen, die meisten umweltbeauftragte aus den innerschweizer kantonen, sass ich im biergarten neben bernerhof. der serbeldne euro, der zustand des bundesrates, die löchrigen nationalstaaten und die übernutzung der natur bildeten die beunruhigende kulisse..

einer der unser gestriges gefühl genau beschrieben hat, gibt uns auch den schlüssel, es auch zu durchschauen. gemeint ist oswald spengler, deutscher philosoph, der zwischen 1918 und 1922 den untergang des abendlandes beschrieb.

kulturhistorisch geschult widersprach spengler dem fortschrittsglauben der hegelianer in der industrialisierungsepoche. nicht linear, sondern zyklisch entwickle sich die kultur, postuliert er. und: “kulturen sind organismen”, schrieb spengler, und “die weltgeschichte ist ihre gesamtbiografie.”

die führende westeuropäische zivilisation seiner zeit sah er mit dem fränkischen reich unter den karolingern aufkommen, sich vom kontinent über england und nordamerika über den ganze erdball ausbreiten und mit dem 1. weltkrieg im 20. jahrhundert enden.

wichtigstes charakteristikum entwickelter, damit aber auch abstrebender zivilisationen ist nach spengler die erstarrung aller lebensbereiche.
es dominiert die anorganische stadt gegebüber der fruchtbarkeit des landes.
es regiert der materialismus, der die religion verdrängt.
es herrschen die alten über die jungen.
es tritt die unterhaltung der sinne an die stellen der bewältung der signale, die von ihnen ausgehen.
es versinkt die moral, zuerst in der kunst, dann in der gesellschaft.
und es kommt zu formloser gewaltanwendung im namen der befreiung vor dem imperium der dominanten zivilisation.

spengler wieder lesen, heisst heute ohne zweifel, die gegenwart deuten zu wollen. spengler lesen heisst aber auch, nicht nur über phänomene nachzudenken, sondern auch über seine philosophischen annahmen.

recht hat der kulturphilosoph, wenn er die entwicklung einzelner kulturen zyklisch begreift, denn die geschichte hat uns ausgehend vom untergang troia, dem aufstieg und fall des römischen reiches, der ausdehnung der angelsächsischen imperien über die ganze welt gelehrt, dass das alles nicht einfach nach einem gerade gespannten faden verläuft. genau das hat auf geistesgrössen eben dieser welt abgefärbt, die sich wie arnold tyonbee oder samuel huntington an die grenzen des historischen und politischen denken der gegenwart gewagt haben. falsch hatte der zeitdeuter von damals jedoch, indem er die kulturelle entwicklung als ganzes ohne fortschritt sah, die möglichkeit einer geschichte der menschheit negierte. damit erhielt sein untergang des abendlandes etwas fatalistisches, das immer nur im absoluten nichts enden konnte.

oswald spengler war in seiner zeit erfolgreich, denn er porträtierte das lebensgefühl der “generation titanic”. doch anders als der luxuriöse hochseedampfer ging die welt trotz spenglers diagnose nicht unter. genau das hat den österreichisch-britischen philosophen karl popper zu einem der wichtigsten kritiker spenglers werden lassen. wenn poppers fortschrittsoptimismus der nachkriegszeit, der die westliche welt erfasste, angesichts globaler verlagerungen der zivilisation nach asien erneut zerbricht, mag es sein, dass unsere generation wieder den untergang der zivilisation beklagt. spengler kritisch lesen, bedeutet deshalb, genau das nicht als beschreibung der geschichte der menschheit misszuverstehen, sondern stand der dinge unserer eigenen kulturellen befindlichkeit.

wahrscheinlich kann man die frage, wo das alles enden soll, nicht beantworten. doch heisst das nicht, dass der weg hierzu abrupt beendet ist.

stadtwanderer

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cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

3 Gedanken zu „wo soll das alles enden?“

  1. – Es dominiert die anorganische Stadt gegenüber der Fruchtbarkeit des Landes.
    – Es versinkt die Moral, zuerst in der Kunst, dann in der Gesellschaft.

    Lieber Stadtwanderer, wie schon so häufig, hast Du es auch diesesmal wieder geschafft meine Neugierde auf ein Buch zu wecken.

  2. Tja, die Zuckerbäckerei! Wär ja eigentlich auf Weihnachten ausgerichtet gewesen.
    Wie sage ich es Dir, ohne dass Du hassig auf mich wirst? Mein sturer Grind kam mir wieder in den Weg. Sollen doch die Leute ihre Guetzli gefälligst selbst machen, so dachte ich mir. Was gibt es harmonischeres als mit den Kindern in der Vorweihnachtszeit zu backen. Aber eben, muss sich Mutti selbst verwirklichen hat sie halt dafür keine Zeit und die Mutti die fürs Überleben arbeitet, kann sich meine Guetzli eh nicht leisten.

    Tönt blöd, aber diese Meinung leiste ich mir, zumal ich nicht aufs Geld angewiesen bin.

    Einen kleinen Interessentenkreis habe ich und der soll mir genügen. Macht auch mehr Freude, für Leute Guetzli zu machen, die ich kenne.
    Zwar, ob die an Weihnachten noch Guetzli von mir wollen, sei dahingestellt. Wegen meinem Eiweissüberfluss vergewaltige ich die immer mit Meringues (kann ja auch nichts dafür, dass ich nichts wegwerfen mag).
    Wenn die dann wegen Übergewicht keinen Auftrag erteilen, muss mich das auch nicht stören, denn lesen ist noch schöner als backen.

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