wissenschaft, medien und politik

diese woche wird der historiker walther hofer 90. seiner art, sich als wissenschafter auch in medien zu äussern und in die politik einzumischen, verdanke ich viel. ein rückblick auf die zeit, als ich beim berner professor studierte.

hoferhistoriker mit herz und verstand
inhaltlich hatten wir nicht selten differenzen. so war walther hofer überzeugt, der nationalsozialismus sei das werk weniger gewesen, die man dafür zur rechenschaft ziehen müsse. ich war damals fasziniert von den analysen des deutschen politikwissenschafters reinhard kühnl, der die verschiedenen formen bürgerlicher herrschaft von der demokratie bis zum faschismus untersucht hatte. hofer verwarf die idee struktureller wie auch psychologischer erklärungen vergangener politik und schimpfte, dass ich den nationalsozialismus mit all seinen vernichtungslagern auf die harmlosere stufe des faschismus stellen würde (was ich beileibe nicht tat).

hofer war am besten, wenn er sich provoziert fühlte. dann konnte man seine innere erregtheit von den füssen bis zum kopf sehen, spürte man, wie er seine seelischen kräfte sammelte, die den intellekt befeuern sollten, damit er in einem grossen bogen durch die weltgeschichte die widerwertigkeit der kritisierten aussage vorzuführen. denn dann legte er in vorlesungen sein manuskript weg, dozierte er frei, skizzierte die mächte des 20. jahrhunderts, analysierte er die programm der regierungen und parteien und erzählte er gegenwartsgeschichte, sodass man nur noch staunen konnte. das alles war nicht immer einfach, meist von seinem liberal-konservativen hintergrund geprägt. doch es beflügelte eine ganze historikergeneration, die bei ihm studiert hat. andreas blum, der frühere radiodirektor gehört dazu, erwin bischof, der sekretär des trumpf puur, auch, genauso wie der heutige eda-staatssekretär peter maurer.

meine drei jahre bei walther hofer

meine erstes thema, das ich bei walther hofer nach 1980 zu bearbeiten hatte, war das berüchtigte massaker von katyn, bei dem 1940 mehrere tausend polnische offiziere als teil einer umfangreichen aktion des bolschwestischen volkskommissariats des innern umgebracht worden waren. offiziell waren es die nazis gewesen. als sie die massengräber entdeckten, avancierten die greultaten sofort zu einem der kernthemen der propaganda. die wissenschaft musste sich dem thema stück für stück annehmen, bis der sachverhalt geklärt war und michail gorbatchev 50 jahre danach die beteiligung der sowjeunion klarstellte. die öffentlichkeit wiederum erfuhr davon wohl erst in diesem jahr, als der russische premier vladimir putin und der polinische ministerpräsident donald tusk zu einer gemeinsamen gedenkfeier aufriefen, in deren vorfeld es zum tragischen absturz eines flugzeuges mit fast der gesamten politischen staatsspitze und angehörigen des massenmordes kam.

aus diesem thema heraus entstand auch meine abschlussarbeit als historiker, die den schweizer aerztemissionen an die deutsch-sowjetische front gewidmet war. dabei ging vordergründig um eine mission des schweizerischen roten kreuzes mit 120 aerzten, hintergründig im schweizerischen aussenpolitik, die in berlin koordiniert worden war, schweizerische interessen im falle einer eroberung der sowjetunion gebündelt hatte, und deutschland gegenüber als schweizer beitrag im kampf gegen den bolschewismus deklariert worden war. dank vermittlung hofers erhielt ich den relevanten zugang zu den bisher nicht gesichteten akten, um ein kleines kapitel schweizerisch-europäischer geschichte schreiben zu können, die der mentor für ihre trouvaillen lobte, deren schlussfolgerungen zur anpassung der schweizerischen aussenpolitik zwischen 1940 und 1943 er jedoch zu verallgemeinernd fand. nichts desto trotz erhielt ich dafür den seminarpreis für die beste abschlussarbeit in meinem semester.

wissenschafter, medienmensch und politiker
vielen leuten ist hofer als svp-nationalrat in erinnerung; den journalistInnen vielleicht auch als präsident des hofer-clubs geläufig. seinen schritt von der theorie in die praxis, von der wissenschaft in die politik begründete der parteilose hofer stets mit dem ziel, schweizer aussenminister zu werden. mit seinen professuren in berlin und in new york hatte er hierfür die fährte gelegt, und man spürte in seinen ausführungen, dass der politikwissenschafter henry kissinger als amerikanischer aussenminister stets sein vorbild war.

man weiss es, walther hofer schaffte dieses ziel nicht. leon schlumpf kam ihm als svp-bundesrat zuvor. 1979 zog er sich aus dem nationalrat zurück, 1980 auch aus dem europarat. die klärung des reichtstagsbrandes als element der machtergreifung hitlers, die ihm das deutsche bundesverdienstkreuz einbrachte, und die überführung spaniens von der diktatur francos in einem parlamentarische monarchie, die hofer als vertreter der europäischen staaten vermittelte, blieben seine grössten wissenschaftlichen und politischen leistungen. in der heimat ereilte ihn 1983 ein schicksal, mit dem er kaum gerechnet hatte. seine recherchen über die verbindungen der nazis in die schweiz brachten ihm 1983 eine klage durch nachfahren des rechtsanwaltes wilhelm frick ein, die zu einer breiten solidarisierung unter historikern, gleichzeitig aber auch zu einer bisher nicht bekannten kollektiven verurteilung der geschichtswissenschafter wegen übler nachrede führte. das traf den mann, der sich ein leben lang für forschungsfreiheit als kennzeichen von demokratie ansah.

ein teil des erbes von hofer …
mit dem abschluss der matur 1939, die der sohn des gemeindeschreibers aus dem seeländischen kappelen in biel ablegte, brach der zweite weltkrieg aus. dieser hat den berner wissenschafter angetrieben, politisch wach gehalten, und den historiker geformt, der auf dem lehrstuhl wie auch in seinen zahllosen radiobeträgen stets anregend war. dem geist, welcher einer reifen persönlichkeit entsprang, fühle ich mich seit den 3 jahren, in denen ich bei walther hofer studiert habe, verpflichtet, auch wenn ich danach einen anderen weg eingeschlagen habe, auf dem ich bis heute wandere.

in diesem sinn: herzliche glückwünsche zum 90. geburtstag, walther hofer!

stadtwanderer

cal

ich bin der berner stadtwanderer. ich lebe in hinterkappelen und arbeite in bern. ich bin der felsenfesten überzeugung, dass bern burgundische wurzeln hat, genauso wie ich. also bin ich immer wieder auf der suche nach verästelungen, in denen sich die vergangene kultur in meiner umgebung versteckt hält.

3 Gedanken zu „wissenschaft, medien und politik“

  1. Ich habe den Herrn Professor als eher unangenehmen kalten Krieger in Erinnerung.
    Der Hofer Klub war, zusammen mit dem Trumpf Buur ein reaktionäre Zeiterscheinung.

  2. ja, die schweizerische radio- und fernsehvereinigung ging auch mir auf den geist.
    der sinn des beitrages ist es unter anderem auch, genau auf den widerspruch zwischen dem fernbild, das sie und ich ähnlich haben, und dem nahbild, von dem ich mal annehme, nur ich es besitze, hinzuweisen. deshalb begann ich mit dem, was mir (und zahlreichen anderen) geblieben ist, aus der nähe.
    da haben wir einen offenen, engagierten menschen kennen gelernt, der anders war, als auch wir meinten.
    vielleicht, da haben sie recht, hätte ich auch auf die totalitarismus-theorie eingehen sollen, die walther hofer teilte, und die das denken des kalten krieges mit demokratie (in der westlichen welt) und diktatur (im kommunismus, und im untergegangenen nationalsozialismus) beeinflusst hatte.
    doch auch hier gilt: persönlichkeiten wie hannah arendt oder karl popper, die wesentliches hierzu geleitet haben, sind als persönlichkeiten viel komplexer, als dass man sie im kapitel “kalte krieger” abbuchen könnte.
    mehr dazu hier.

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